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MELDUNG/2285: Schwergewicht - im Bann des Höhenrauschs ... (SB)



Tyson Fury wähnt sich allen überlegen

Als in den frühen Abendstunden ein Mann den Konferenzsaal im vornehmen Europa Hotel in Belfast stürmte und lauthals "Bombenkommando" brüllte, verließ niemand fluchtartig den Saal. Ganz im Gegenteil drängten sich alle näher heran, um nur ja nichts zu versäumen. Unterdessen hatte der Überraschungsgast Deontay Wilder die Bühne gestürmt, wo er Big John Fury zunächst die Hand schüttelte, um ihn sodann in ein hitziges Wortgefecht zu verwickeln. Wenngleich die beiden nicht gerade Shakespeare-Darsteller sind, unterhielten sie doch Medien und Publikum mit ihrem Auftritt. Der lief wie üblich darauf hinaus, daß die Streithähne zurückgehalten werden mußten, um nicht aufeinander loszugehen. Auf diese Weise hatten alle ihren Spaß, während niemand zu Schaden kam und dem fast schon obligatorischen Spektakel Genüge getan war.

Der WBC-Weltmeister im Schwergewicht aus Tuscaloosa in Alabama war am Nachmittag in Nordirland eingetroffen und hatte sich schnurstracks zum Europa Hotel begeben, wo das offizielle Wiegen für die Kämpfe am darauffolgenden Tag über die Bühne ging. Wilder steigt zwar am Samstagabend nicht selber in den Ring, wohl aber Tyson Fury, mit dem er sich im November ein spektakuläres Duell liefern will. Um dafür ordentlich Werbung zu machen, hatte der Champion weder Kosten noch Mühe gescheut und die Reise nach Belfast angetreten. Da er ebensowenig wie sein kommender Gegner auf den Mund gefallen und stets für eine kleine schauspielerische Darbietung gut ist, sorgte er hinterher, diesmal nicht mit dem Vater, sondern dem Sohn Tyson Fury, für eine weitere Einlage vor dem Gebäude, bis sie von Sicherheitskräften getrennt wurden. [1]

Von dem hereinplatzenden Deontay Wilder abgesehen stand die Waage im Mittelpunkt allgemeinen Interesses, gefolgt von einem prüfenden Blick auf das körperliche Erscheinungsbild der beiden Hauptakteure. Da Tyson Fury eine lange Pause von zweieinhalb Jahren vom Boxen genommen und in dieser Zeit gewaltig zugenommen hatte, stand insbesondere die Frage im Raum, ob er je wieder sein früheres Kampfgewicht erreichen würde. Mit 2,06 m ein Riese von Gestalt, hatte er zeitweise geschätzte 170 kg gewogen, die er jedoch durch intensives Training abzubauen versprach. Bei seinem Comeback am 9. Juni gegen Sefer Seferi hatte der 29 Jahre alte Fury mit nur noch 125 kg überrascht. Das war zwar immer noch viel zuviel, zeugte aber von einer gewaltigen Fastenkur während der Vorbereitung und reichte vollkommen aus, um den allein schon rein körperlich heillos überforderten Aufbaugegner zu vermöbeln.

Vor seinem aktuellen Auftritt im Windsor Park zeigte die Waage 117 kg an, so daß ein weiteres Trainingslager ausreichen dürfte, um jenen 112 kg nahe zu kommen, die er bei seinem spektakulären Sieg über Wladimir Klitschko im Jahr 2015 gewogen hatte. Das ist für sich genommen schon eine außergewöhnliche Leistung, die viele dem ehemaligen Weltmeister nicht mehr zugetraut hätten. Sein Gegner Francesco Pianeta, mit 1,98 m auch nicht gerade klein, brachte 114 kg und damit etwas weniger als Fury auf die Waage. Der in 26 Kämpfen ungeschlagene Brite ist zwar Favorit und muß unbedingt gewinnen, da er den hochdotierten Kampf gegen Wilder andernfalls abschreiben müßte. Doch der 33jährige Pianeta, für den 35 Siege, vier Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche stehen, ist ein erfahrener und robuster Boxer wie auch seinerseits von stattlicher Gestalt. Der frühere Champion muß also auf der Hut sein, bei seiner Wiederkehr nicht gleich im zweiten Aufbaukampf abzustürzen. [2]

Nach seinem sensationell anmutenden Sieg gegen Wladimir Klitschko stand Tyson Fury auf dem Gipfel seiner Karriere, doch sollte ein verheerender Absturz folgen. Der Brite wurde einige Zeit später positiv auf eine verbotene Substanz getestet, mußte sich aufgrund psychischer Probleme in Behandlung begeben, trainierte nicht mehr und legte alle Titel nieder. Klitschko, der vergeblich auf eine Revanche gewartet hatte, bekam seine Gürtel nie mehr zurück und trug zwei Jahre lang keinen Kampf aus. Anthony Joshua holte ihn als prominentes, aber vermeintlich schwaches Schlachtopfer zurück, was für den Briten bekanntlich um ein Haar böse ausgegangen wäre. Während Wladimir Klitschko einige Zeit nach dieser Niederlage die Boxhandschuhe endgültig an den Nagel hängte, fühlt sich Tyson Fury wieder fähig und berufen, ganz an die Spitze zurückzukehren. [3]

Daß er sich zusammen mit seinem Promoter Frank Warren bereits für den dritten Kampf nach seiner Wiederkehr Deontay Wilder ausgesucht hat, mutet geradezu aberwitzig an. Das ist natürlich insofern ein Coup, als Anthony Joshua und dessen Promoter Eddie Hearn dem seit Jahren geforderten Duell der Weltmeister mit dem US-Amerikaner aus dem Weg gehen. Plötzlich springt Fury in die Bresche, mit dem niemand gerechnet hatte, und bietet Wilder einen hochkarätigen und lukrativen Kampf im Spätherbst an. Das ist schon ein gelungener Streich, doch in sportlicher Hinsicht sieht die Sache ganz anders aus.

Der 2,01 m große und knapp unter 100 kg wiegende WBC-Weltmeister ist in 40 Auftritten ungeschlagen, von denen er 39 vorzeitig gewonnen hat. Er ist athletisch, schlägt sehr schnell und mit enormer Wirkung, was ihn zum derzeit gefährlichsten Akteur des Schwergewichts macht, auch wenn Joshuas Fangemeinde das ganz anders sieht. Fury sei definitiv nicht für Wilder bereit, befindet Tony Bellew, der selbst gern gegen den WBC-Champion gekämpft hätte, nun aber das Nachsehen hat. Von der daraus resultierenden Mißgunst abgesehen, liegt der Brite mit der Einschätzung seines Landsmanns nicht falsch, wenn er meint, daß dieser kaum über die Nehmerqualitäten verfüge, um den Schlägen Wilders standzuhalten.

Tyson Fury hat bei all seinen Auftritten die Gegner körperlich derart dominiert, daß es keiner überragenden Boxkunst bedurfte, um zu gewinnen. Trotz seiner imposanten Statur verfügt er über keine besonders ausgeprägte Schlagwirkung und er wurde mitunter von wesentlich kleineren, aber technisch überlegenen Gegnern schwer in Bedrängnis gebracht. Im Kampf gegen Klitschko behielt er nur deswegen die Oberhand, weil er an diesem Abend nicht ganz so schlecht wie der in Furcht erstarrte Ukrainer boxte. Wilder hingegen wird ihn mit gewaltigen Schlägen traktieren und sofort nachsetzen, wenn ihm der Brite durch weites Auspendeln zu entgehen versucht.

Doch von solchen Gefahren will Tyson Fury nichts wissen, der gegenwärtig offenbar eine Phase durchstürmt, in der ihn nichts anfechten kann. Es sei ganz einfach, sich alle Titel zu sichern, meint der Brite. Er müsse lediglich Deontay Wilder und Anthony Joshua besiegen, was nicht schwer sei, da beide nichts im Kopf und einem großartigen Boxer wie ihm wenig entgegenzusetzen hätten. Dabei ist ungewiß, ob Fury je wieder auf dem Niveau früherer Jahre kämpfen kann. Vermutlich hätte er derzeit mit nicht ganz so gefährlichen Rivalen wie Jarrell Miller, Alexander Powetkin oder Dillian Whyte alle Hände voll zu tun. Tyson Fury will jedoch unbedingt Deontay Wilder haben und ist felsenfest überzeugt von sich und seinen Talenten: "Ich glaube, ich bin der größte Schwergewichtler, der je geboren wurde. Deshalb dürfte es kein Problem sein, mit Francesco Pianeta, Deontay Wilder, Anthony Joshua und all den anderen Pennern da draußen fertigzuwerden." [4]


Fußnoten:

[1] www.espn.com/boxing/story/_/id/24398219/deontay-wilder-crashes-tyson-fury-weigh-clashes-john-fury

[2] www.boxingnews24.com/2018/08/tyson-fury-weighs-258lbs-for-francesco-pianeta/#more-268775

[3] www.boxingnews24.com/2018/08/deontay-wilder-crashes-tyson-furys-weigh-in-argues-with-john-fury/#more-268765

[4] www.boxingnews24.com/2018/08/tyson-fury-wilder-joshua-havent-got-a-brain-cell-between-them/#more-268793

18. August 2018


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