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MELDUNG/2295: Cruisergewicht - es droht ein böses Erwachen ... (SB)



Tony Bellew fordert Oleksandr Ussyk heraus

Seit 2016 behauptet Tony Bellew, er sei der weltbeste Boxer im Cruisergewicht. Am 10. November muß der 35jährige Brite endlich Farbe bekennen, wenn er den vier Jahre jüngeren Oleksandr Ussyk herausfordert. Der in 15 Kämpfen unbezwungene Ukrainer ist Weltmeister aller vier maßgeblichen Verbände in dieser Gewichtsklasse, was Bellew nicht darin hindert anzukündigen, daß er ihn geschlagen auf die Bretter schicken werde. In England läßt sich dieses Duell ausgezeichnet vermarkten, während der Brite anderswo nicht gerade für ein Ausnahmetalent gehalten wird. Eingefleischte Boxfans erinnern sich vielleicht noch, daß er den WBC-Titel durch einen Sieg über den wenig bekannten Illunga Makabu gewonnen und geraume Zeit später im Schwergewicht seinen in die Jahre gekommenen und verletzten Landsmann David Haye zweimal geschlagen hat. Damals munkelte man, Bellew habe sich vor allem deshalb aus dem Cruisergewicht abgesetzt, um gefährlichen Konkurrenten aus dem Weg zu gehen.

Tony Bellew wurde 2014 im Halbschwergewicht von dem kanadischen WBC-Weltmeister Adonis Stevenson in sechs Runden zerlegt, worauf er beschloß, sein Glück fortan im Cruisergewicht zu suchen. Dort mied er hochklassige Gegner wie Mairis Briedis, Yunier Dorticos, Denis Lebedew, Murat Gassijew oder Krzystof Glowacki und sicherte sich statt dessen den WBC-Gürtel, da sich ihm die günstige Gelegenheit bot. Als er gegen den Ranglistenersten Mairis Briedis antreten sollte, wendete sein Promoter Eddie Hearn die drohende Gefahr ab, indem er ihm eine freiwillige Titelverteidigung gegen den 39jährigen BJ Flores verschaffte, der damals an Nummer 14 der Rangliste geführt wurde. Im Oktober 2016 gewann Bellew diesen Kampf und behauptete, man habe Flores nur deshalb ausgewählt, weil er mit David Haye befreundet sei. Das machte zwar nicht viel Sinn, mußte aber notgedrungen als Ausrede herhalten.

So darf Tony Bellew also den unangefochtenen Champion Oleksandr Ussyk herausfordern, ohne jemals einen erstklassigen Gegner in dieser Gewichtsklasse besiegt zu haben. Die Karriere des Briten ist in den letzten Jahren mit Sonderangeboten gepflastert, nach denen das Gros der Kandidaten eine Karriere lang vergeblich Ausschau hält. Das boomende britische Boxgeschäft und der Einfluß Eddie Hearns machen es möglich, Bellew weit über Wert zu handeln und einer ansehnlichen Fangemeinde als Zugnummer zu verkaufen. Er ist dafür bekannt, den Mund vollzunehmen, und neigt offensichtlich zu einer maßlosen Selbstüberschätzung. So spricht er denn auch von einem ultimativen Test seines Könnens, da Oleksandr Ussyk so gefürchtet sei, wie kaum ein anderer Akteur der Branche. Alle Prognosen sagten einen Sieg des Ukrainers voraus, doch er fürchte ihn nicht. Er werde nicht in Ehrfurcht erstarren, vor ihm stehenblieben und den Kopf hinhalten, damit sich der Champion mit seinen Kombinationen daran abarbeiten kann. Am 10. November werde er für eine beispiellose Sensation sorgen und einen unangefochtenen Weltmeister ins Reich der Träume schicken.

Der in der Rechtsauslage kämpfende Ukrainer ist nicht so sehr der furchterregende Gegner, als den ihn Bellew beschreibt. Ähnlich wie sein Landsmann Wassyl Lomatschenko im Leichtgewicht ist er ein technisch überragender Boxer, der die Kontrahenten selten niederschlägt, aber ihnen systematisch die Punkte abnimmt. Ussyk ist hoch gewachsen, verfügt über eine ausgezeichnete Deckung und schlägt Kombinationen in hoher Frequenz. Er hat kürzlich in der im Turnierformat ausgetragenen World Boxing Super Series zuerst Marco Huck, denn Mairis Briedis und im Finale Murat Gassijew besiegt. Seither gilt er als führender Cruisergewichtler, wenngleich er noch nicht gegen weitere namhafte Rivalen wie etwa Yunier Dorticos, Denis Lebedew oder Maxim Vlasow gekämpft hat. [1]

Bei seinem Finalsieg gegen Murat Gassijew am 22. Juli in Moskau zog Oleksandr Ussyk alle Register seines Könnens und ließ den wegen seiner Schlagwirkung gefürchteten Russen nicht zur Entfaltung kommen. Der Ukrainer manövrierte den Gegner unablässig aus und deckte ihn fortwährend mit Kombinationen ein, was dazu führte, daß der von Abel Sanchez trainierte Gassijew viel zu wenig schlug und enttäuschend selten traf. Obgleich der Ukrainer eine boxerisch glänzende Vorstellung gab, war es für die Zuschauer doch ein eher langweiliger Kampf, da kaum etwas Aufregendes passierte. Spannender war da schon das Halbfinale gegen Mairis Briedis am 27. Januar in Riga verlaufen, das Ussyk nur ganz knapp nach Punkten gewonnen hatte.

In Simferopol auf der Krim geboren, kann Oleksandr Ussyk auf eine sehr erfolgreiche Amateurlaufbahn zurückblicken, die er mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2011 in Baku und einer Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2012 in London krönte. Im folgenden Jahr wechselte er ins Profilager, wo er einen Vertrag bei den K2 Promotions der Brüder Klitschko unterschrieb. Er konnte sich auch unter professionellen Bedingungen sehr gut behaupten und holte nach einer erfolgreichen Anfangsphase den namhaften Trainer Anatoli Lomatschenko und den renommierten Manager Egis Klimas ins Boot. Nach nur neun Profikämpfen entthronte er am 9. September 2016 den zuvor ungeschlagenen WBO-Weltmeister Krzysztof Glowacki aus Polen in Danzig. Damit brach Ussyk einen Rekord, der älter war als er selbst: 1986 war Evander Holyfield bei seinem zwölften Auftritt im Profilager Champion im Cruisergewicht geworden.

Obgleich der Ukrainer gerade alle vier Titel zusammengeführt hat, wird er nicht im Cruisergewicht bleiben, um sie zu verteidigen. Da der Olympiasieger bereits 31 Jahre alt ist, will er keine Zeit mehr mit Kämpfen gegen wenig bekannte Gegner in dieser Gewichtsklasse verschwenden. Für ihn ist Tony Bellew wegen dessen Popularität in England der einzige Gegner im Cruisergewicht, der einen lukrativen Auftritt verspricht. Nach diesem Kampf gegen den Briten will er ins Schwergewicht aufsteigen, wo es sehr viel mehr Geld zu verdienen gibt, und sich insbesondere mit Anthony Joshua messen. Eddie Hearn hat Ussyk als Co-Promoter unter Vertrag genommen, um ihn international weiter aufzubauen, bis es sich auszahlt, ihn mit seinem beliebtesten und einträglichsten Boxer in den Ring zu schicken.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/09/tony-bellew-challenges-oleksandr-usyk-on-nov-10-on-sky-box-office/

15. September 2018


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