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MELDUNG/2299: Mittelgewicht - der Pulverdampf lichtet sich ... (SB)



Nachlese der Revanche zwischen Golowkin und "Canelo"

Die Aufzeichnung des Kampfs zwischen Gennadi Golowkin und Saul "Canelo" Alvarez beim Sender HBO bot Experten, Medienvertretern und der Fangemeinde die Gelegenheit, sich das Geschehen im Ring noch einmal in aller Ruhe anzusehen, um dann zu entscheiden, welcher der beiden überragenden Mittelgewichtler eine Wertung zu seinen Gunsten verdient habe. Die nachfolgende Reaktion in den sozialen Medien fiel eindeutig aus, da weithin die Auffassung vorherrschte, Golowkin hätte der Sieg oder wenigstens ein Unentschieden zugesprochen werden müssen. Wie schon nach ihrem ersten Duell vor Jahresfrist, das unentschieden ausgegangen war, häuften sich Stimmen, die von einem Geschenk der Punktrichter an den Mexikaner sprachen.

Die Kontroverse um die Vergabe der Punkte konzentrierte sich insbesondere auf die zwölfte Runde, die zwei der drei Punktrichter "Canelo" zugesprochen hatten, der dadurch am Ende mit jeweils 115:113 in Front lag. Hätten Dave Moretti und Steve Weisfeld Golowkin den Zuschlag gegeben, wäre der Kampf mit dreimal 114:114 abermals unentschieden ausgegangen. In einer Expertenrunde waren sich Al Bernstein (Showtime), Dan Rafael (ESPN) und Tom Loeffler (K2) einig, daß der Kasache in der letzten Runde definitiv besser als sein Gegner gewesen sei. Er hatte härter geschlagen und häufiger als "Canelo" getroffen, der angesichts des hohen Tempos erschöpft wirkte. Golowkin griff an, machte Druck und suchte die Entscheidung, weshalb die zweifache Wertung zugunsten des Mexikaners fehlgeleitet war.

Da Saul Alvarez in der zweiten Hälfte des Kampfs konditionell nachließ und Gennadi Golowkin Runde für Runde die bessere Figur machte, erwies sich die ungerechtfertigte Wertung der zwölften Runde als Rettungsanker des Mexikaners. Hatte bereits das Publikum in der T-Mobile Arena empört auf das Urteil reagiert, so dürfte die Wiederholung bei HBO den verständlichen Ärger noch einmal gesteigert haben. Wie sich nun zweifelsfrei zeigt, war ein entscheidender Schlüssel für "Canelo" und die Golden Boy Promotions, auch die Revanche am Schauplatz des ersten Fehlurteils über die Bühne zu bringen. Wenngleich Las Vegas natürlich auch in finanzieller Hinsicht attraktiv war, hätte eine Austragung in New York kaum weniger Einkünfte gebracht.

Oscar de la Hoya hat insofern instinktsicher gehandelt, als sein Boxer in der T-Mobile Arena die Punktrichter abermals auf seiner Seite wußte. "Canelo" hat sich durchgesetzt, muß aber mit dem Ruf leben, nur durch massive Protektion so weit gekommen zu sein. Was das für die weitere Karriere des Mexikaners bedeutet, läßt sich derzeit nicht mit Sicherheit prognostizieren. Ein beträchtlicher Teil des Publikums feierte ihn als verdienten Sieger und viele werden das auch weiterhin so sehen. De la Hoya arbeitet längst daran, die Deutungsmacht zu erringen, indem er sich über die Unkenntnis der Pseudokämpfer in den sozialen Medien mokiert, die keine Ahnung hätten. Sich auf diese Weise mit der Netzgemeinde anzulegen, könnte ihm allerdings auf die Füße fallen, da er deren Größe und Interesse kaum einschätzen kann.

Sollte es zu einem dritten Kampf kommen, darf dieser natürlich nicht in Las Vegas über die Bühne gehen. Grundsätzlich sollte man darüber nachdenken, die Punktrichter in eine schalldichte Kabine zu setzen, in der sie unabhängig von der Geräuschkulisse ihre Wertung notieren können. Die allermeisten Zuschauer feuern ihren Favoriten an und bejubeln euphorisch seine Schläge, ohne zu erkennen, ob es sich tatsächlich um Treffer handelt und wie wirksam diese mutmaßlich sind. Sieht man sich eine Übertragung oder Aufzeichnung ohne Ton an, stellt sich das Geschehen nicht selten ganz anders dar. Golowkin kämpfte an einem mexikanischen Feiertag gegen den populärsten Boxer Mexikos vor dessen Fangemeinde in der T-Mobile Arena, was mit einem gravierenden Nachteil für ihn verbunden war. Man muß den Punktrichtern nicht einmal eine absichtliche Parteinahme für "Canelo" unterstellen, um von einer Beeinflussung durch die Atmosphäre in der Arena auszugehen. Daß Saul Alvarez unter diesen Umständen kein deutlicherer Vorsprung zuerkannt wurde, ist ein weiteres Indiz dafür, daß er keineswegs eine überlegene Vorstellung gegeben hat. [1]

Nach Angaben des renommierten Experten Lance Pugmire von der LA Times haben zwischen einer Million und 1,1 Millionen Zuschauer die Übertragung bei HBO im Pay-TV gebucht. Das ist deutlich weniger als die 1,4 Millionen beim ersten Kampf vor einem Jahr, dessen unbefriedigender Verlauf und umstrittenes Ergebnis offensichtlich das Interesse an der Revanche spürbar gedämpft haben. Damals hatte "Canelo" vielfach mit dem Rücken an den Seilen geboxt oder war ausgewichen, um Golowkins Angriffen zu entgehen. Auch die beiden positiven Dopingtests des Mexikaners im Februar dürften eine Rolle bei den rückläufigen Zahlen gespielt haben. Dem Bericht zufolge wird das offizielle Ergebnis der Buchungen nicht veröffentlicht, was ebenfalls auf relativ schlechte Daten schließen läßt.

Das Vertrauen in eine faire Wertung ist nach dem kaum minder fragwürdigen Ergebnis der Revanche erst recht in die Brüche gegangen, weshalb ein dritter Kampf immer noch lukrativer als andere Optionen, aber längst kein finanzieller Selbstgänger mehr wäre. So sehr man Golowkin daher eine Chance wünschen würde, die Verhältnisse an einem anderen Schauplatz geradezurücken, spricht doch vieles dafür, vorerst getrennter Wege zu gehen. Oscar de la Hoya hat bereits einen Auftritt "Canelos" für den 15. Dezember angekündigt, bei dem David Lemieux sein Gegner sein könnte. Dieses Signal läßt darauf schließen, daß die Golden Boy Promotions einen dritten Kampf der Erzrivalen im Mai 2019 ausschließen, so daß er wohl erst im September nächsten Jahres stattfinden könnte. [2] Golowkins Promoter Tom Loeffler hat ein erneutes Duell angemahnt, arbeitet aber angesichts des offenkundigen Desinteresses auf seiten De la Hoyas seinerseits an Alternativen. Er hat unter anderem den WBO-Weltmeister Billy Joe Saunders ins Gespräch gebracht, der wiederum auch für "Canelo" ein Thema sein könnte. Noch ist es jedoch zu früh, um diese Möglichkeiten ernsthaft zu erörtern, da sich der Pulverdampf der Revanche gerade erst lichtet.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/09/bernstein-loeffler-ggg-won-12th-round/

[2] www.boxingnews24.com/2018/09/canelo-ggg2-estimated-at-1-1-million-ppv-buys/

26. September 2018


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