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MELDUNG/2306: Weltergewicht - hochmütiger Seitenhieb ... (SB)



Terence Crawford hält Manny Pacquiao nicht für einen Champion

In Terence Crawfords Augen ist Manny Pacquiao kein richtiger Champion, weil er nur regulärer Weltmeister der WBA im Weltergewicht, hingegen Keith Thurman der Superchampion dieses Verbands ist. Man könnte diese Einschätzung insofern teilen, als der aufgrund einer Verletzung pausierende Thurman zweifellos den höherwertigen Titel in seinem Besitz hat und sich die WBA lediglich das Kuriosum einer zweiten Trophäe in derselben Gewichtsklasse leistet. Wie Crawford argumentiert, interessierten ihn der reguläre Weltmeister der WBA, der Silver Champion des WBC, die Interimstitel und all die anderen Nebenschauplätze nicht, sondern einzig und allein der führende Akteur des jeweiligen Verbands. Die Vielfalt der Titel und Trophäen ist in der Tat recht verwirrend und für das breitere Publikum irrelevant, so daß eine Flurbereinigung wünschenswert wäre. Dagegen sperren sich die Verbände, die entgegen ihrer Zusagen, für klare Verhältnisse zu sorgen, ihren geschäftlichen Interessen den Zuschlag geben. Sie verdienen bei jedem Titelkampf durch einen prozentualen Anteil der Börse mit und versprechen sich von diversen verschachtelten Rängen größeren Einfluß gegenüber den Promotern und Sendern.

Crawford läßt jedoch geflissentlich außer acht, daß sich die Wertschätzung des Publikums für bestimmte Boxer nicht an der formalen Hierarchie der Verbände orientiert. Das gilt im Falle Pacquiaos, der sich seit vielen Jahren großer Sympathien bei der Fangemeinde erfreut. Wenngleich seine Resonanz im Pay-TV spürbar nachgelassen hat, wurde sein Sieg über Lucas Matthysse samt dem Titelgewinn doch mit Zuwendung wahrgenommen und gebührend gefeiert. Der 39jährige Philippiner wirkte bei diesem Auftritt in Malaysia wie verjüngt und gewann erstmals seit 2009 wieder einen Kampf vorzeitig, da der Argentinier in der siebten Runde die Segel streichen mußte. Wenngleich es zutrifft, daß der früher für seine Schlagwirkung gefürchtete Matthysse den Zenit seines Könnens weit überschritten hat, war es doch aus Sicht des Publikums ein beachtlicher Erfolg, der Pacquiao zu einem Champion macht.

Der Philippiner wirkte so muskulös und gefährlich wie schon lange nicht mehr, was darauf schließen ließ, daß er sich ungeachtet seiner politischen Pflichten im Senat seines Landes gut vorbereitet hatte. Von einem Ende seiner Karriere war jedenfalls keine Rede mehr, zumal sein Auftritt Erwartungen an weitere attraktive Darbietungen geweckt hat. Vielleicht könnte er es sogar mit dem zehn Jahre jüngeren Keith Thurman aufnehmen, wenn dieser 2019 seine lange unterbrochene Karriere wieder aufnimmt, was ihm sehr zu wünschen wäre. Jedenfalls gehört der in 69 Profikämpfen sturmerprobte Veteran Pacquiao noch längst nicht zum alten Eisen. Wenn er das nächste Mal in den Ring steigt, wird er als Weltmeister angekündigt, und so sieht ihn auch das Publikum. Es stünde Crawford gut zu Gesicht, Größe zu zeigen und den Philippiner ebenfalls als Champion zu würdigen.

Der in 33 Kämpfen ungeschlagene Terence Crawford verteidigt den WBO-Titel im Weltergewicht am 13. Oktober vor heimischem Publikum in Omaha, Nebraska, gegen den ebenfalls unbesiegten Jose Benavidez, der 27 Gegnern das Nachsehen gegeben hat und an Nummer drei der WBO-Rangliste geführt wird. Seine verbittert anmutenden Äußerungen an die Adresse Pacquiaos dürften nicht zuletzt Ausdruck seiner eigenen Situation sein, da er sich nicht angemessen gewürdigt fühlt. Während er sich für den führenden Akteur im Weltergewicht hält, neigen Experten und interessierte Fans doch mehrheitlich dazu, Errol Spence höher einzustufen. Der IBF-Weltmeister gilt angesichts seiner offensiven Kampfesweise und enormen Schlagwirkung als der herausragende Boxer dieser Gewichtsklasse, zumal er bei seinem Titelgewinn im vergangenen Jahr einen so anspruchsvollen Gegner wie den Briten Kell Brook in Manchester vorzeitig besiegt hat.

Hingegen hat Crawford den WBO-Gürtel am 9. Juni im Kampf gegen Jeff Horn gewonnen, der als schwacher Weltmeister galt. Der Australier hatte im Juli 2017 in Brisbane überraschend Manny Pacquiao entthront, dem dabei übel mitgespielt wurde. Der Lokalmatador stürmte mit gesenktem Kopf auf den Philippiner los und hielt ihn wie ein Ringer fest, ohne vom Ringrichter daran gehindert zu werden. Die euphorischen Zuschauer trieben ihren Favoriten voran, der seine fehlenden boxerischen Mittel wettmachte, indem er sich immer wieder auf den Gegner stürzte und am Ende von den Punktrichtern dafür belohnt wurde. Daß Pacquiaos damaliger Promoter Bob Arum die Titelverteidigung in Australien ausgetragen hatte, da er zugleich Co-Promoter Jeff Horns war, ging zu Lasten des Philippiners, der diesen Kampf andernorts kaum verloren hätte.

Crawford hatte mit Horn vergleichsweise leichtes Spiel, da der Australier ohne seine Landsleute und die Gunst der Punktrichter gegen den überragenden Konterboxer auf verlorenem Posten stand. Der US-Amerikaner kämpft in technischer Hinsicht auf höchstem Niveau und manövriert seine Gegner regelrecht aus, doch kommt seine defensive Kampfesweise beim Publikum nicht besonders gut an, da das viele Zuschauer eher langweilig finden. Man gesteht ihm zu, der zweit- oder drittbeste Akteur im Weltergewicht zu sein, doch müßte er schon gegen Errol Spence antreten und ihn besiegen, um den eigenen Anspruch glaubwürdig vertreten zu können. [1]

Zu diesem Gipfeltreffen wird es jedoch so schnell nicht kommen, da die beiderseitigen Promoter mit unterschiedlichen Sendern zusammenarbeiten. Crawford steht bei Top Rank unter Vertrag und ist bei ESPN oder ESPN+ zu sehen, während Spence wie alle Akteure des Beraters Al Haymon von Showtime gezeigt werden. Davon abgesehen, daß Arum und Haymon einander nicht grün sind und so gut wie nie zusammenarbeiten, sind Spence und Crawford noch nicht populär genug, um einen möglichen Kampf auf zwei Sender aufzuteilen, die sich gegenseitig das Wasser abgraben würden. Als Floyd Mayweather und Manny Pacquiao 2015 ihren langerwarteten Megakampf austrugen, war der Topf so groß, daß alle Beteiligten das Kriegsbeil vorübergehend begruben und über ihren Schatten sprangen. Das blieb jedoch die große Ausnahme, von der Spence und Crawford weit entfernt sind. Dessen ungeachtet verkündet Todd Duboef, Präsident von Top Rank, er sei offen für Kämpfe gegen die gesamte Elite im Weltergewicht. Man werde nicht zulassen, daß Geschäftspolitik in die Quere komme, und für alle Probleme eine Lösung finden. Das hört sich gut an, ist aber nicht mehr als eine unverbindliche Absichtserklärung.

Der inzwischen 31 Jahre alte Crawford ist ein Jahrzehnt als Profiboxer im Geschäft, ohne je einen Kampf der allerhöchsten Kategorie ausgetragen zu haben. Da die meisten namhaften Weltergewichtler bei Al Haymon unter Vertrag stehen, müßte er sich schon von Top Rank trennen, um einen von ihnen vor die Fäuste zu bekommen. Das aber wird nicht geschehen, da er kürzlich einen neuen Vertrag mit Bob Arum geschlossen hat, der ihn offenbar langfristig an den Promoter bindet. Er verdient gut, wenn es auch keine astronomischen Summen sind, und bekommt Gegner wie Jeff Horn oder Jose Benavidez vorgesetzt, die ihn nicht über Gebühr anfordern, so daß er noch lange WBO-Weltmeister bleiben könnte. Kämpfe gegen Errol Spence, Keith Thurman, Shawn Porter, Danny Garcia oder Manny Pacquiao wird er auf diese Weise kaum bekommen, da Bob Arum seine Geschäftspolitik sicher nicht mehr ändern wird.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/10/terence-crawford-pacquiao-is-not-a-champion-in-my-eyes/

9. Oktober 2018


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