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MELDUNG/2329: Mittelgewicht - Kapriolen einer Diva ... (SB)



Trilogie zwischen Golowkin und "Canelo" steht in den Sternen

Saul "Canelo" Alvarez gleicht einer Diva, deren Kapriolen alle Welt zu Diensten sein muß, solange sie die ansehnlichste Ernte einfährt. Dank seiner riesigen Fangemeinde beiderseits des Rio Grande - um einmal das Klischee des klassischen Westerns zu bedienen - weiß der Mexikaner einflußreiche Interessen auf seiner Seite, die ihm im Zweifelsfall aus der Patsche helfen. So ist von fünf wichtigen Kämpfen in seiner Karriere die Rede, die er nur deswegen nicht verloren hat, weil die Punktrichter einen unerklärlich schlechten Tag hatten. Auch pfeifen die Spatzen von den Dächern, daß er gefährlichen Gegnern stets aus dem Weg gegangen ist und sich dabei der fadenscheinigsten Ausflüchte bedient hat. Und nicht zuletzt hat er viele Gegner übervorteilt, indem er durch nächtliche Rehydration zwischen Wiegen und Kampf plötzlich wesentlich schwerer als sie in den Ring stieg. Wenngleich "Canelo" nichts macht, was nicht andere ebenfalls praktizieren oder zumindest tun würden, sofern sich ihnen die Gelegenheit dazu böte, tritt diese Vorteilsnahme bei ihm in außergewöhnlicher Häufung und Permanenz in Erscheinung.

Sein kongenialer Impresario Oscar de la Hoya bedient als Promoter virtuos die Klaviatur der wortreichen Vermarktung seines Superstars, dessen Glanz und Größe er unablässig beschwört, während er ihm durch geschickte Manöver Schlupflöcher, Auswege und Erfolge durch die Hintertür beschert. Davon weiß auch Gennadi Golowkin ein Lied zu singen, dessen Karriere "Canelo" und De la Hoya schwer ramponiert haben. Lange lief der Mexikaner unter den fadenscheinigsten Vorwänden vor ihm weg und legte sogar den WBC-Titel nieder, um nicht gegen den Kasachen antreten zu müssen. Erst als Golowkin allmählich nachzulassen schien und nicht mehr jeden Auftritt vorzeitig gewann, hielt man die Zeit für gekommen, es mit ihm aufzunehmen. Das wäre bekanntlich schiefgegangen, hätten nicht die Punktrichter in Las Vegas zunächst ein aberwitziges Unentschieden und bei der Revanche einen knappen Sieg für "Canelo" fabriziert.

Saul Alvarez hat de facto zweimal gegen Gennadi Golowkin verloren und wird daher keinesfalls ein drittes Mal gegen ihn antreten. Wenngleich der erste Kampf unentschieden und der zweite mit einem knappen Punktsieg des Mexikaners endete, dürfte doch die Mehrzahl der Fans und Experten die Auffassung teilen, daß der Kasache in beiden Fällen von den Punktrichtern in Las Vegas über den Tisch gezogen wurde. Golowkin, der am 8. April seinen 37. Geburtstag feiert, müßte nach Lage der Dinge wohl noch einige Jahre warten, bis "Canelo" vielleicht bereit wäre, sich abermals mit ihm zu messen. Jedenfalls ist inzwischen keine Rede mehr davon, daß es im September zum vielfach geforderten dritten Aufeinandertreffen der Erzrivalen kommen könnte.

Der Star der Golden Boy Promotions hat für das laufende Jahr als Ziel ausgewiesen, er wolle alle maßgeblichen Titel im Mittelgewicht zusammenführen. Für ihn gebe es noch viel zu tun, da er sich stets neue Ziele setze und mit jedem weiteren Kampf Geschichte schreiben wolle. Dieses Jahr werde er reinen Tisch in dieser Gewichtsklasse machen und sämtliche Gürtel gewinnen. Er wolle nicht ausschließen, 2019 sogar drei Auftritte zu geben, mache dies aber davon abhängig, wie hart die Kämpfe im Mai und September verlaufen. [1]

"Canelo", für den 51 Siege, eine Niederlage und zwei Unentschieden zu Buche stehen, hatte Golowkin im September 2018 die Titel der Verbände WBA und WBC abgenommen. Am 4. Mai trifft er auf den IBF-Weltmeister Daniel Jacobs, um die dritte Trophäe im Mittelgewicht zu erbeuten. Sollte ihm das gelingen, käme Mitte September der WBO-Champion Demetrius Andrade an die Reihe. Was zunächst nach einem glaubwürdigen Vorhaben klingen mag, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein weiteres Manöver des Mexikaners, den leichten Weg zu bevorzugen, aber dies mit dem angeblichen Wunsch zu begründen, geschichtsträchtige Glanztaten zu vollbringen.

Die Vorstellung, er werde sich in den Augen der Fangemeinde unsterblich machen, indem er alle vier Titel zusammenführt, geht weit an den tatsächlichen Verhältnissen im Boxgeschäft der Gegenwart vorbei. Das Publikum möchte in erster Linie hochklassige Kämpfe populärer Kontrahenten sehen, während die Anzahl der Gürtel eine eher untergeordnete Rolle spielt. Hinzu kommt natürlich, daß die Aufstellung der Ranglisten und die Vergabe der Titel selbst unter Experten nicht selten ein ungläubiges Staunen auslöst. Dem breiteren Publikum dürften die Winkelzüge der Verbandspolitik ohnehin weitgehend unbekannt und letztlich gleichgültig sein.

Ist Terrence Crawford populärer geworden, als er alle Gürtel im Halbweltergewicht vereinigt hatte? Wurde der Ukrainer Oleksandr Ussyk zum weltweiten Star, weil ihm dasselbe Kunststück im Cruisergewicht gelang? Ussyks jüngster Sieg über den in seiner Heimat beliebten Briten Tony Bellew dürfte mehr dazu beigetragen haben, seinen Namen bekannt zu machen, als die Erfolge gegen Mairis Briedis, Murat Gassijew und Krzysztof Glowacki, die ihm die Titel einbrachten. Das gilt auch für Crawford, dessen bevorstehender Kampf gegen Amir Khan geeignet sein sollte, ihm die langersehnte Aufmerksamkeit des breiteren Publikums zu bescheren. Auch Wassyl Lomatschenko verschwendet im Grunde seine Zeit, indem er die Gürtel im Leichtgewicht einsammelt, statt gegen Gervonta Davis, Oscar Valdez, Mikey Garcia, Teofimo Lopez oder Miguel Berchelt anzutreten.

Ginge es Saul Alvarez tatsächlich um Ruhm und Ehre, würde er sich nicht mit Demetrius Andrade abgeben, sondern statt dessen Gennadi Golowkin im September eine Chance einräumen, sich zu rehabilitieren. Oder wenn es schon nicht der Kasache sein soll, weil er ihn für zu gefährlich hält, dann eben Jermall Charlo, Callum Smith, Gilberto Ramirez, Dmitri Biwol, Sergej Kowaljow oder notfalls auch Chris Eubank, die beim Publikum höher im Kurs stünden als der recht dubiose WBO-Titel im Mittelgewicht. Letzten Endes reicht ein Titel völlig aus, und selbst ohne einen Gürtel kann ein populärer Champion hohes Ansehen genießen und in guter Erinnerung bleiben, sofern er gefährlichen Gegnern nicht aus dem Weg geht und auf attraktive Weise kämpft.

Wollte sich Saul "Canelo" Alvarez unter die Legenden des Boxsports einreihen, müßte er endlich anfangen, seine Karriere nicht unter Umgehung der jeweils stärksten Kontrahenten voranzubringen. Auch sollte er nicht ständig Ausflüchte vorbringen, um das Offensichtliche in Abrede zu stellen. So steht ihm der Sinn augenscheinlich nicht danach, mit Jaime Munguia in den Ring zu steigen, was er damit begründet, er wolle nicht gegen einen mexikanischen Landsmann antreten. Das dürfte den Golden Boy Promotions kaum gefallen, die Pläne schmiedeten, in absehbarer Zeit einen Kampf gegen Munguia auf die Beine zu stellen, der zweifellos sein Publikum fände und einträglich wäre. Indem "Canelo" die noble Geste vorhält, angeblich seinen boxenden Landsleuten nicht schaden zu wollen, schließt er natürlich ein ganzes Segment potentieller Gegner aus. Das schränkt nicht nur den Spielraum seines Promoters Oscar de la Hoya ein, sondern könnte auch die Frage aufwerfen, ob der Champion andere mexikanische Boxer am Ende schlichtweg nicht für würdig hält, sich mit ihm zu messen.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2019/03/canelo-vs-ggg-trilogy-fight-unlikely-for-2019/

3. März 2019


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