Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/004: Preisverleihung nach neoliberaler Fasson (SB)



Nachdem das Erbe des DDR-Sportes verbraucht und seine Funktionsträger mit Hilfe des Stasi- und Doping-Stigmas erfolgreich dämonisiert wurden, könnte es nun auch den Altvorderen der bürgerlichen Sportbewegung in der BRD an den Kragen gehen. Der Deutsche Olympische Sport-Bund (DOSB), der vor drei Jahren aus der Fusion des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) hervorging und seitdem mit reformistischem Eifer den neoliberalen Rollback im organisierten deutschen Sport betreibt, hat auch eine Neuordnung seiner Preisverleihungen beschlossen. Laut einem Präsidiumsbeschluß des DOSB soll es weder die 1980 gestiftete Fritz-Wildung- noch die Ludwig-Wolker-Plakette mehr geben, die statt dessen in "Sterne des Sports" bzw. "DOSB-Ethikpreis" umbenannt werden. Auch die seit 1952 vergebene Carl-Diem-Plakette soll abgeschafft werden und nun "Wissenschaftspreis des DOSB" heißen.

Was sich still und leise vollziehen sollte, bringt allerdings die Apologeten der bürgerlichen Sportbewegung auf die Barrikaden, die nun erkennen müssen, daß mit dem von dem DOSB-Präsidenten und Wirtschaftsanwalt Dr. Thomas Bach angekündigten Lean-Management nicht nur radikale, an marktwirtschaftlichen Effizienzkriterien ausgerichtete Verwaltungsmodelle in der Dachorganisation Einzug gehalten haben, sondern auch die geschichtlichen Wurzeln und Erinnerungstraditionen des Sports einen Kahlschnitt nach neoliberaler Fasson erhalten sollen.

"Die Umbenennung von Sportpreisen hin zu nichtssagenden Formeln wird von vielen als ein Kultur- und Traditionsbruch gewertet", berichtete der Deutschlandfunk und befürchtet für die Zukunft einen gesichts- und geschichtslosen deutschen Sport. Zugleich wolle der Dachverband erstmalig einen "DOSB-Journalismuspreis" ausloben. "Konformität dürfte eher gefragt sein als kritischer Journalismus", so der Deutschlandfunk, der ansonsten kaum eine Gelegenheit ausläßt, regierungs- und staatskonform den Anti-Doping-Legalismus durchzuhecheln und nach Kräften den DDR-Sport zu delegitimieren. Woher das plötzliche Geschichtsbewußtsein des Rundfunksenders, der sich scheinbar sogar für den sozialistischen Arbeitersport verwendet?

Während erwartungsgemäß für Carl Diem (1882 - 1962), den Begründer der bundesdeutschen Sportbewegung und der Deutschen Sporthochschule in Köln, keine journalistischen Lanzen gebrochen werden, da er in der Fachwelt vor allem wegen seines noch 1945 an Jugendliche ergangenen Aufrufs zum "finalen Opfergang für Führer und Vaterland" in Mißkredit geraten war, stößt die Einstampfung der Wildung- und Wolker-Plaketten vor allem in konservativen und sozialdemokratischen Kreisen auf Widerstand. Nicht nur der DOSB-Ehrenpräsident Manfred von Richthofen will seinen Einfluß gegen diese Zäsur geltend machen, sondern laut Deutschlandfunk auch der langjährige sportpolitische Sprecher der SPD- Fraktion und heutige Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, Wilhelm Schmidt, sowie der Präsident des katholischen Sportverbandes Deutsche Jugend-Kraft (DJK), Volker Monnerjahn.

Nachdem die Tochter von Fritz Wildung, die frühere Präsidentin des Deutschen Bundestages, Annemarie Renger, im März dieses Jahres verstorben ist, glaubt der DOSB offenbar auch die mit der Preisvergabe verbundene Erinnerung an ihren Vater beerdigen zu können. Fritz Wildung (1872 - 1954) war seit 1907 Redakteur der Arbeiter-Turnzeitung (ATZ) und Geschäftsführer der Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege seit deren Gründung 1912 bis zur Auflösung 1933. In den Jahren 1920 und 1921 war er Leiter des ersten Stadtamtes für Leibesübungen in Leipzig und im Alter von 74 Jahren bei der Wiedergründung der SPD noch einmal deren Sportreferent. Entsprechend der Selbstdarstellung "Der DOSB erinnert mit dieser Verleihung an die Arbeiter-Sportbewegung und eine seiner Wurzeln, aus der er 1950 hervorgegangen ist" war die Wildung-Plakette bis vor kurzem noch sakrosankt. Wildungs politisches Verdienst: "Er streckte dem bürgerlichen Sport die Hand zur Einigung aus. Von 1947 bis 1950 wirkte Wildung wesentlich daran mit, daß es zur Gründung der Einheitsorganisation Deutscher Sportbund (DSB) kam, dem Vorläufer des heutigen DOSB."

Was der Deutschlandfunk gar nicht erst zur Diskussion stellte und von der bürgerlichen Sportgeschichtsschreibung in der Regel positiv affirmiert wird: Die Vereinheitlichung des deutschen Sports unter dem Dach des DSB diente der herrschenden Klasse auch zur Deckelung der damals politisch, weltanschaulich, ideologisch und organisatorisch disparaten und äußerst vielgestaltigen Sportbewegung, in deren vor allem proletarischen Teil noch das Feuer des Klassenkampfes sowie kommunistischer und anti-imperialistischer Positionen loderte, die mit dem sozialdemokratischen Reformismus der damaligen Zeit keineswegs konform gingen.

Um den schwer zu beherrschenden, politischen Pluralismus der Massenbewegungen einzuhegen, wurde dem Sport nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem ihn bereits die Nationalsozialisten während ihrer Herrschaftszeit organisatorisch gleichgeschaltet hatten, mit der völligen Entpolitisierung eine weitere Roßkur verpaßt. D. h. er wurde staatstragend in dem Maße, wie man ihn politisch nicht mehr reflektierte. Ebenso wie Wildung machte sich aus bürgerlicher Sicht auch der päpstliche Hausprälat Ludwig Wolker, katholischer Jugendseelsorger und von 1950 bis 1956 Mitglied im DSB-Präsidium, darum verdient, die "Aufsplitterung" in Arbeitersport, Betriebssport, bürgerlichen Sport, konfessionellen Sport und Deutsche Turnerschaft durch großes Vermittlungsgeschick zu beenden. Unter dem Einheitsdach des DSB wurde dem, was die modernen Sportfunktionäre fürchten wie der Teufel das Weihwasser, nämlich die Politisierung der sporttreibenden Massen, die sich insbesondere in der Arbeitersportbewegung kritisch gegen das heute uneingeschränkt gültige Leistungs- und Wettkampfprinzip mit all den Überbetonungen von Sieg und Rekord stellten, der Weg geebnet. "Der Grundsatz der 'Einheit in der Vielfalt' gewann mehr und mehr Gestalt und hat sich bis heute gehalten", resümierte fast vier Jahrzehnte später Willi Daume, erster Präsident des DSB, bei einer Tagung zur Entwicklung des Nachkriegssports mit euphemistischen Worten die politische Einhegung der bundesdeutschen Sportlandschaft.

Mit anderen Worten: Der Deckel auf dem Topf brodelnder gesellschaftlicher Widersprüche paßt heute noch. Die Identifikation der Athleten und Zuschauer mit ihrer Klasse wurde zunehmend durch Lokalpatriotismus und Nationalismus ersetzt. Die Individualisierung sportlicher Leistungen und sozialer Konflikte, die Funktionalisierung der Athleten zu hochgezüchteten Wettkampfmaschinen, die kommerzielle und professionelle Ausbeutung des Sports begann ihren Siegeszug. Der Sportler selbst interessiert dabei nur insofern, als er Träger der sportlichen Höchstleistungen ist oder, nachdem der körperliche Raubbau seinen Tribut forderte, als Funktionär für den Fortbestand des sich stets qualifizierenden Verwertungssystems garantieren kann.

Daß die Pioniere der bürgerlichen Sportentwicklung nun von ihren Nachfahren dem Vergessen anheimgestellt werden sollen, indem man ihre Namen in sozialtechnokratischer Manier vollends aus dem Preisverleihungssystem streicht, bestätigt einmal mehr das Modell des geschichts- und wurzellosen Menschen, der im neoliberalen Wettbewerbsstaat aufgeht und dessen Wert sich an seiner bedingungslosen Verfügbarkeit im Arbeits- und Hartz-IV-Regime bemißt. Nicht einmal mehr an jene, denen der Sport seine Entpolitisierung zu verdanken hat und auf die die Herren von Richthofen, Schmidt und Konsorten mit Stolz blicken, sollen die Preise erinnern. Das DOSB- Präsidium um den Wirtschaftslobbyisten Thomas Bach hat wirklich ganze Arbeit geleistet.

18. November 2008