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KOMMENTAR/077: Politisch korrekter Trauerflor beim "Final Four" der Handballer (SB)



Das Endrunden-Turnier um den Pokal des Deutschen Handballbundes (DHB) in Hamburg begann mit einer Schweigeminute. Gemeinsam mit den rund 13.000 Zuschauern gedachten die Spieler des am Vormittag des 10. April bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückten polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski. Sein Flugzeug, das mit zahlreichen hochrangigen Politikern, Militärs und Finanzexperten besetzt war, war beim Landeversuch im russischen Smolensk abgestürzt. Unter den Todesopfern befand sich auch der Präsident des polnischen Nationalen Olympischen Komitees (NOK), Piotr Nurowski.

Nach dpa-Angaben löste die Tragödie auch im Sport große Betroffenheit aus. Nicht nur die am "Final Four" der Handballer teilnehmenden acht polnischen Nationalspieler, sondern auch andere Amateure oder Profis aus Polen traten bei Sportveranstaltungen in Deutschland mit Trauerflor an. "Da ich in Polen geboren bin und ein polnisches Herz in mir habe, ist das sehr traurig, und das muss ich erst mal verdauen", sagte etwa Fußball-Nationalspieler Lukas Podolski, der ebenfalls eine schwarze Armbinde trug.

Beim DHB-Pokal der Handballer indes herrschte nach der sportpolitisch korrekten Trauerminute wie gewohnt Jubelstimmung. Spätestens als sich Lokalmatador HSV Hamburg - "Sieger beim Brüllcontest", wie die taz (12.4.10) in Anspielung auf die "mit akustischen Animationen und organisierten Sprechchören" künstlich hochgehaltene Stimmung in den deutschen Handballarenen, insbesondere in Hamburg, titelte -, im Beisein des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust auf dem Rathausmarkt von rund zweitausend Fans feiern ließ, erinnerte nichts mehr an die Tragödie um den Flugzeugabsturz, bei der mehr als 90 Menschen starben.

Es war nicht das erste Mal, daß beim "Final-Four-Turnier" in Hamburg Trauerflor getragen wurde. Erinnert sei an die DHB-Pokal-Endrunde 1999, die ein besonders drastisches Beispiel für den Einfluß auf mediale Täuschungsbereitschaft bot. Damals war die militärische Allianz der NATO, angestiftet und geführt von der US-Regierung und logistisch unterstützt von der Bundesrepublik Deutschland, bereits seit mehreren Tagen dabei, die Bundesrepublik Jugoslawien mit Spreng-, Phosphor- und Clusterbomben sowie uranverseuchter Munition in Schutt und Asche zu legen. Als die jugoslawischen Spieler Nenad Perunicic und Goran Stojanovic (beide THW Kiel) mit schwarzer Armbinde unter den Begeisterungsrufen der Zuschauer, die zugleich viel Verständnis für die "nervliche Belastung" der jugoslawischen Profis zeigten, das "Final Four" bestritten, flogen deren Familien und Angehörigen, Freunden und Verwandten daheim von "Menschenrechtskriegern" abgeworfene Granaten um die Ohren und verursachten unsägliches Leid, das hierzulande nur mit Verharmlosungen der Sorte "Kollateralschäden" sowie maßloser Ignoranz quittiert wurde.

Das Tragen des Trauerflors wurde den jugoslawischen Spielern damals als unerwünschte politische Äußerung angekreidet. Weitere stille Demonstrationen bei der Pokalendrunde wurden den Profis vom Handballbund untersagt. TuSEM Essens Spieler Nedeljko Jovanovic trug bei der Vorstellung der Mannschaften ein weißes Hemd mit der Aufschrift: "Frieden durch Krieg??????", Perunicic präsentierte beim Auslaufen ein Dress mit dem Schriftzug: "Bitte ohne Bomben!".

Der Sport dürfe nicht zur Bühne politischer Meinungsäußerung gemacht werden, ließ indessen der damalige Bundesliga-Chef Heinz Jacobsen, ehemaliger Bundeswehr-Beamter beim Militärischen Abschirmdienst, wissen. "Bei allem Verständnis für die persönliche Situation der Spieler kann es nicht angehen, daß hier möglicherweise Gefühle anderer Leute verletzt werden." Diese Aussage des obersten Repräsentanten und Funktionärs der Bundesliga wurde in sämtlichen Medien - auch in der Handball-Fachpresse - unkommentiert verbreitet und erntete nicht den leisesten Widerspruch, eben weil sie der als humanitäre Maßnahme bemäntelten Kriegspolitik des Deutschen Bundestages entsprach, der im Oktober 1998 mit großer Mehrheit für die Beteiligung der Bundeswehr an einem möglichen Krieg der NATO gegen Jugoslawien votiert hatte.

Welche Gefühle bei den hiesigen Kriegsbefürwortern auch immer verletzt worden sein mögen - dem 78tägigen Luftkrieg in Jugoslawien fielen etwa 2000 Zivilisten zum Opfer, von denen 30 Prozent Kinder waren. Zehntausend weitere Menschen wurden verletzt, etwa 300.000 Kinder schwer traumatisiert.

Wenn also diese blutige Ernte, die zum Zeitpunkt des Final-Four-Turniers zwar nicht von der Opferbilanz, wohl aber vom Kriegsergebnis her bereits absehbar war, kein politisch erwünschter Anlaß zum Tragen von Trauerflor darstellen sollte, warum gilt dann ein Flugzeugabsturz, bei dem etliche hochrangige Vertreter des polnischen Staates ums Leben kamen, als selbstverständlicher Grund für Schweigeminuten und Trauerbezeigungen bei Sportveranstaltungen in Deutschland? Sind zivile Opfer etwa beklagenswerter als kriegsbedingte? Während Flugzeugabstürze meist als "menschliche" oder "technische" Fehler entschuldigt und mit Schicksal gleichgesetzt werden, stehen bei Kriegshandlungen gewöhnlich politische und hegemoniale Interessen Pate. Sollte das der insgeheime Zweck von offiziell erlaubten Trauerbekundungen bei Sportevents sein, daß die Beteiligten eine fatalistisch-rituelle Haltung einnehmen, die eigentlich niemanden gefährlich und darum geduldet wird, während die Trauer um Kriegsopfer bereits zu viele politische Signale absondern könnte, sich nicht mit weiteren "Opfern" abzufinden? Stören in der Sportwelt unterdrückte politische Proteste nicht auch deshalb, weil sie das grundsätzlich passive Verhältnis der Zuschauer zu ihren geliebten oder verspotteten Helden in Frage stellen könnten? Oder anders gefragt: Ist das von passivem Zuschauen und choreographiertem Erleben geprägte Ekstaseverhalten des Publikums nicht sogar politisch erwünscht - eben damit auch Kriege wie ein Unterhaltungsprogramm, das man als Konsument mit unterschiedlichen Stimmungen und Gefühlslagen affirmiert, erscheinen?

Die verhaltenen, ja schamhaften "politischen Äußerungen" der jugoslawischen Handballspieler fielen damals nicht auf fruchtbaren Boden. Die kriegerischen Handlungen gegen Jugoslawien gingen nahtlos über in die bis heute praktizierte Sezession des einstigen blockfreien, sozialistischen Vielvölkerstaates. Nach dem bewährten Herrschaftsprinzip "teile und herrsche" wurde das ehemalige Jugoslawien in bislang sieben Stücke zerschlagen - Deutschland und die USA gehörten zu den ersten Ländern, die das Kosovo anerkannten. Am 17. Februar 2008 wurde zum ersten Mal nach dem 2. Weltkrieg einem souveränen Staat ohne sein Einverständnis und ohne die Zustimmung der Vereinten Nationen ein Teil seines Territoriums abgesprochen.

Gewissermaßen in Fortsetzung der deutschen, europäischen und transatlantischen Hegemonialpolitik, systematisch die Zersplitterung und Zerschlagung eigenständiger jugoslawischer bzw. serbischer Antonomien zu betreiben, ohne daß dies in der breiten Öffentlichkeit thematisiert, geschweige denn kritisiert wird, hatte die Handball-Bundesliga (HBL) ihre Schiedsrichter im Februar 2008 ausdrücklich angewiesen, "bei sämtlichen Spielen der 1. und 2. Ligen darauf zu achten, jedwede Form von politischer Äußerung sofort und ohne Zögern zu unterbinden", wie die "Handball-Woche" berichtete. Hintergrund dieses Dekretes, das unter der Überschrift "Keine Plattform für politische Kundgebungen" der deutschen Öffentlichkeit eingängig gemacht wurde, war die Forderung des serbischen Handball-Verbandes an alle serbischen Handballspieler im In- wie auch im Ausland, ihren Protest gegen die Unabhängigkeit der südserbischen Provinz Kosovo durch das Tragen einer schwarzen Armbinde während der Spiele zum Ausdruck zu bringen.

"Politische Äußerungen", so der Geschäftsführer der TOYOTA Handball-Bundesliga, Frank Bohmann, "widersprechen - egal in welcher Form - dem Grundlagenvertrag, der Satzung und dem Selbstverständnis der TOYOTA HBL. Aus diesem Grunde können wir gar nicht anders handeln".

Sich hinter Vertragsparagraphen versteckend, die man sich selbst gegeben hat, um dann auf entsprechende Sachzwänge rekurrieren zu können, kam Frank Bohmann damit dem politischen Willen der Bundesrepublik Deutschland, die die einseitige und völkerrechtswidrige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo anerkannt hat, nach und verpflichtete im Grunde alle Schiedsrichter, die Kriegspolitik der Bundesregierung auf sportlich-unpolitische Art durchzutragen. Um sich als politisch neutrales Opfer der Umstände zu präsentieren, wies Bohmann ausdrücklich darauf hin, daß mit dieser Anweisung die politische Entwicklung im Kosovo weder kommentiert noch bewertet werden solle. "Es geht einzig und allein darum", so Bohmann, "dass die TOYOTA HBL keine Plattform für politische Aktivitäten sein darf".

Dabei wären die serbischen Spieler mit ihrem stummen Armbinden-Protest noch nicht einmal soweit gegangen, wie dies beispielsweise 2003 die Spielerinnen des mehrfachen Handballmeisters HC Leipzig taten, als sie sich im nationalen wie internationalen Wettbewerb in politisch eindeutiger Weise mit vor den Zuschauern vorgelesenen Friedens-Appellen gegen den Irak-Krieg aussprachen. Der "Friedensappell deutscher Sportlerinnen und Sportler", der von zahlreichen aktiven wie ehemaligen Athleten und Funktionsträgern unterschiedlichster Sportarten unterstützt wurde, war damals von den konservativen Meinungseliten aus Sport und Politik bekämpft worden.

Auch die Funktionäre des kommerziellen Handballsports haben - wohl auch eingedenk früherer Trauerbekundungen mit politischer Strahlkraft - inzwischen vorgebaut: Jedwedes politische Protestsignal soll bereits im Keim erstickt werden, damit der Leistungssport, der den Betreibern und Konsumenten eine Trennscheide zwischen Politik und Sport ins Gehirn zu treiben versucht, seiner die gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse stabilisierenden Funktion auch weiterhin gerecht werden kann. Das impliziert, daß sich die HBL bei der forcierten kommerziellen Verwertung des Handballs keine politisch unerwünschten Kuckuckseier ins Nest legen will, die das sponsorengerechte Image der Bundesliga, die aufgrund ihres hohen Ausländeranteils auch ein politisches Konfliktpotential birgt, beflecken könnten. Dies mag aus Sicht der Abwiegler um so dringlicher sein, als die von den politischen Eliten früher gern als "Friedensmissionen", "Stabilisierungsmaßnahmen" usw. schöngeredeten und inzwischen "umgangssprachlich" als Krieg bezeichneten Bundeswehreinsätze in fremden Ländern, insbesondere in Afghanistan, auf immer größeren Widerwillen in der Bevölkerung stoßen, der sich auch in den Arenen des Sportkonsums artikulieren könnte. Waren damals die Serben mit längst als Schauermärchen entlarvter Propaganda aus dem Munde des früheren Verteidigungsministers und heutigen Radsportpräsidenten Rudolf Scharping (SPD) zu wahren Monstern stilisiert worden, die Müttern die ungeborenen Kinder aus dem Bauch gerissen und unzählige Greueltaten an unschuldigen Kosovo-Albanern verübt hätten, so zeigt das jüngste Massaker der Bundeswehr am Kundus, daß es sehr wohl Anlaß gibt, die offiziellen Märchenstunden der neuen deutschen Kriegstreiber-Generation zu hinterfragen. Und zwar auch dort, wo die Bevölkerung eigentlich mit "unpolitischem" Sport und Schweigeminuten ruhiggestellt werden soll.

19. April 2010