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KOMMENTAR/088: NADA lockert Sichtkontaktfessel für schwangere Sportlerinnen (SB)



Über die Einschränkung der Freiheitsrechte von Sportlerinnen und Sportlern sowie über die vielfachen Verletzungen ihrer Privat- und Intimsphäre hatte der Schattenblick schon oft berichtet. Da die autokratischen Machtapparate WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur) und NADA (Nationale Anti-Doping Agentur) keine öffentlich transparente und kritische Diskussionen über die tief in das Leben der Athleten eingreifenden Kontrollprozeduren, Überwachungsmaßnahmen und Entscheidungsprozesse zulassen und dies politisch auch nicht gewünscht ist, treten Athleten im Rahmen des Anti-Doping-Regimes ausschließlich als administrativ fremdgesteuerte Verfügungsobjekte in Erscheinung, die mal weicher, mal härter kujoniert werden.

Jüngst wurde bekannt, daß die NADA "aus Rücksicht auf die besondere Lebenssituation von schwangeren Athletinnen" beschlossen habe, diese für einen begrenzten Zeitraum aus den höheren Testpools RTP (Internationaler Testpool) und NTP (Nationaler Testpool) in den Allgemeinen Testpool (ATP) herunterzustufen, welcher die Betroffenen einem weniger strengen Testregime unterwirft. "Möglich bleiben Kontrollen dennoch jederzeit - sie sollten aber nur bei Verdachtsmomenten vorgenommen werden", schreibt die NADA auf ihrer Website.

Bekanntlich müssen sich Spitzensportlerinnen und -sportler, egal, ob sie sich selbst für unbescholten halten oder lauterste Absichten verfolgen, verdachtsunabhängigen Kontrollen unterwerfen, wie sie ansonsten nur im eng gesteckten und überprüften Rahmen staatlicher Verbrechensbekämpfung und -prävention zur Anwendung kommen. Zu den am schärfsten kontrollierten Gruppen mit "höchster Gefährdungsstufe" zählen Spitzenathleten des sogenannten Testing Pools RTP, dem in Deutschland rund 600 Personen zugeordnet sind. Sie unterliegen strengsten Auflagen wie täglich einstündigem Hausarrest, 24stündiger Verfügbarkeit für Kontrolleure oder Meldepflichten mit genausten Angaben von aktuellen und zukünftigen Aufenthaltsorten.

Die freiheitseinschränkenden Prozeduren, zu denen neben der Abgabe von Urinproben auch die Blutentnahme ohne konkreten Tatverdacht gehört, die rein rechtlich gesehen eine Körperverletzung darstellt, hätten sich die Athleten zuvor nicht vertraglich dazu verpflichten lassen (müssen), kann man auf der NADA-Website www.highfive.de nachlesen, wo den Sportlern im anbiedernden Jovialton die Sinnfälligkeit der Maßnahmen eingängig gemacht wird. Dort heißt es zum Beispiel unter der Überschrift: "Was bedeutet 'genaue Sichtkontrolle' bei der Urinabgabe?":

"Das Kontrollpersonal begleitet dich in das WC und beobachtet dich, wenn du Urin in den Sammelbecher abgibst. Dabei musst du das T-Shirt bis unter die Achselhöhlen aufrollen und die Hose bis zu den Knien herunterlassen. So soll sichergestellt werden, dass du die Urinprobe nicht manipulierst. Die Kontrollperson muss das gleiche Geschlecht haben wie du. Du kannst zusätzlich eine Person deines Vertrauens zur Urinabgabe mitnehmen. Wenn du jünger als 16 Jahre bist, kann die Sichtkontrolle auf deinen Wunsch entfallen."

Daß das "Pimmelglotzen" beim Urinieren für die Verdächtigen eine mehr als unangenehme Verletzung ihrer Schamgefühle darstellt, müßte nicht eigens erwähnt werden, wenn die Medien dies in ähnlicher Weise skandalisieren würden, wie sie es ansonsten zu tun pflegen, wenn Athleten zu Lasten ihrer Privat- und Intimsphäre nicht scharf oder häufig genug kontrolliert werden. Auch muß in Zweifel gezogen werden, daß die von den Kontrolleuren "großzügig" gestattete Mitnahme einer Person des Vertrauens auf die Toilette wirklich dazu beiträgt, daß der Verdächtige weniger unter Streß gerät oder sich in seinen Schamgefühlen verletzt sieht.

Daß sich die NADA bei highfive.de darauf beschränkt, die "genaue Sichtkontrolle" nur bei Verdächtigen männlichen Geschlechts zu exemplifizieren, läßt vermuten, daß die Einlassungen, zu denen sich über sechzehnjährige Mädchen oder Frauen beim Wasserlassen gezwungen sehen, für die Betroffenen noch demütigender sind, sofern man hier überhaupt eine Steigerung anzunehmen bereit ist. Dürren Medienberichten zufolge sollen die Durchführungsbestimmungen bei Frauen sogar eine Knie-an-Knie-Position von Kontrolleurin und Sportlerin vorschreiben. Es bedarf keiner großartigen Vorstellungsgabe, um sich ausmalen zu können, welch demütigende Körperverrenkungen hochschwangeren Frauen abverlangt werden, damit eine Kontrolleurin freien Sichtkontakt auf die "potentielle Manipulateurin" behält.

Demgegenüber nimmt sich die Erklärung der NADA für ihre Rücksichtnahme geradezu verharmlosend aus: "Nach gründlicher Überprüfung ist die NADA damit auf die Anfrage von Verbänden eingegangen, die eine Aussetzung der Kontrollen für den Zeitraum einer Schwangerschaft angeregt hatten. Einige Athletinnen hatten angemerkt, dass sie sich während der letzten Schwangerschaftsmonate bei Sichtkontrollen in unangemessenem Ausmaß in ihrer Privatsphäre beeinträchtigt fühlten."

Die Formulierung "einige Athletinnen hatten angemerkt" drückt deutlich aus, daß die NADA-Funktionäre bestrebt sind, kritische Äußerungen und Diskussionen, die höchstwahrscheinlich im Athleten- und möglicherweise auch im Verbandsumfeld sehr viel prononcierter oder radikaler ausfallen, kleinzuhalten. Da die Betroffenen aus Angst, ins Verdachtsvisier der Dopingjäger zu geraten, wenn sie offen Kritik am Dopingbekämpfungssystem äußern, lieber Stillschweigen bewahren, oder, was der umgekehrte Effekt der Angst ist, nämlich sich demonstrativ zum Kontrollsklaven zu machen (siehe das Vorhaben von Radprofi Linus Gerdemann, der sich zum Beweis, daß Doping kein Systemzwang sei, während der Tour de France zur "Totalüberwachung" mit zum Gefängnis verwandeltem Hotelzimmer, schärfsten Leibeskontrollen und im Internet veröffentlichten Werten bereiterklärte), sind in der Öffentlichkeit so gut wie keine kritischen Athletenstimmen zu vernehmen.

Wenn die NADA eigenem Bekunden zufolge nun "Rücksicht auf Schwangere" nimmt, dann mag das für die Betroffenen eine zu begrüßende Erleichterung bedeuten, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß für alle anderen Sportlerinnen und Sportler nach wie vor der menschlich entwürdigende Entblößungszwang besteht. "Da die Möglichkeit von Manipulation während einer Schwangerschaft besteht und konkrete Fälle unerlaubter Leistungssteigerung in der Vergangenheit auch nachgewiesen worden sind, behält sich die NADA grundsätzlich weiterhin vor, gegebenenfalls Dopingkontrollen bei Schwangeren vorzunehmen", so die Ansage der NADA, die unausgesprochen an die inzwischen generalisierte Vorwurfslage vom "Schwangerschaftsurlaub = Dopingurlaub" anknüpft. Die hier aufscheinende Bezichtigungslogik ist ein Kernstück des repressiven Antidopingkampfes, der mit der Unterstellung, kontrollfreie Räume seien Einladungen zu Doping, einen Mechanismus fortlaufender Ermächtigung für immer drastischere Formen der Kontrolle und Überwachung etabliert hat. Daß im Sport wie nebenbei auch das für diese Gesellschaft so elementare Prinzip der Unschuldsvermutung systematisch ausgehebelt wird, muß angesichts der Rigorosität, mit der die Anti-Doping-Fanatiker ihr Verdachtsregime verteidigen, als bewußt in Kauf genommener Demokratieverlust angesehen werden. Bedarf es da noch der Rede, daß Sportlerinnen bereits vorgeworfen wurde, sie benutzten ihre Schwangerschaft aufgrund der damit verbundenen erhöhten Ausschüttung des körpereigenen anabolen Steroids Nandrolon als leistungssteigerndes "Doping"? Gelten etwa demnächst auch Schwangerschaftsabbrüche als Indizien für den Einsatz einer verbotenen Technik der Leistungsmanipulation?

Daß die NADA bei schwangeren Sportlerinnen die Sichtkontaktfessel lockert, hebt sie keinesfalls auf. Die Agentur begründet ihre Entscheidung folgendermaßen: "Da häufig wechselnde Trainingsstätten während einer Schwangerschaft aber selten sind und auch große Reisen aufgrund des Risikos eher unüblich, beurteilen die Doping-Kontroll-Experten der NADA die Einordnung schwangerer Athletinnen in den ATP als ausreichend."

Anders ausgedrückt: Sportlerinnen, die ungeachtet ihrer Schwangerschaft und entgegen den Erwartungen der "Experten" häufig den Trainings- und Aufenthaltsort wechseln oder sich auf "große Reisen" begeben, liefern ihren Häschern "Verdachtsmomente" und müssen weiterhin mit entwürdigenden Sichtkontrollen rechnen. Für alle anderen - auch für ältere Mädchen und Jungen, die sich häufig genug in einer heiklen pubertären Phase mit entsprechenden geschlechtlichen Empfindlichkeiten befinden - gilt das sowieso. Bei den 1. Olympischen Jugendspielen für 14- bis 18jährige Mitte August in Singapur sollen übrigens 1000 Dopingkontrollen durchgeführt werden, wie IOC-Präsident Jacques Rogge ankündigte. "Man kann von den Teilnehmern erwarten, daß sie sich diesem wichtigen Thema stellen und sich den Prozeduren unterziehen", sagte der Belgier, der sich auch in der Pflicht sieht, "die Kinder zu erziehen". Trotz des mit Olympia vergleichbaren Kontrollsystems sollen die Jugendspiele den Aktiven laut Rogge vor allem Freude bringen, berichtete der Sport-Informations-Dienst mit leicht ketzerischem Unterton. Deutlicher gesagt: Effizienter und nachhaltiger als im Rahmen von Spaß- und Freudeveranstaltungen kann man Heranwachsenden wohl kaum die Akzeptanz entwürdigender Testprozeduren anerziehen.

5. Juli 2010