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KOMMENTAR/089: Sicherheitsstaatliches Foulspiel von Innenminister Thomas de Maizière (SB)



Mag die Kluft zwischen Arm und Reich in Südafrika, wo der sportindustrielle Komplex und seine politischen Gewährsleute gerade ein Megaevent zur Unterhaltung des weltweiten Fußballpublikums über die Bühne gebracht haben, im Vergleich zu Deutschland auch in keinem Verhältnis stehen, so sollte dies dennoch nicht den Blick auf das hiesige Armutsgefälle trüben. Auch in der Bundesrepublik werden die Armen immer ärmer und die Reichen - trotz oder gerade wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise - immer reicher. Wie eine wenige Tage nach dem Anpfiff der Fußball-WM veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, stieg der Anteil der Armen in Deutschland zwischen 2000 und 2009 von 18 auf fast 22 Prozent. Gleichzeitig wuchs ihr Rückstand auf die wachsenden Einkommen der Reichen und der Mittelschicht. "Das heißt nichts anderes, als dass die Ärmeren nicht nur immer mehr geworden sind, sondern sie im Durchschnitt auch immer ärmer werden", schreiben die DIW-Forscher [1], die gleichzeitig vor einem schrumpfenden Mittelstand warnen.

Wenn schon eine Konsensfabrik wie das DIW, das sich äußerst zurückhaltender Formulierungen über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Armutspolitik befleißigt, das jüngste Sparpaket der Bundesregierung als zu einseitig kritisiert, weil es die Armutsentwicklung sogar noch verschärfe, wie muß es dann wirklich um die Berliner Republik bestellt sein, deren höchste Repräsentanten sich während der Fußball-Weltmeisterschaft nur zu gern im Glanz des deutschen Nationalelf sonnten und großen Sportsgeist an den Tag legten?

Noch ist es der herrschenden Klasse gelungen, den wachsenden Unmut in der Bevölkerung - und hiermit ist keinesweg nur der zu Billiglohnjobs oder Hartz-IV-Armut verurteilte Teil gemeint, sondern auch die steigende Zahl der "Working poor" in der Mitte der Gesellschaft - mit Hilfe sozialrassistischer Stereotypien etwa aus dem Munde des ehemaligen Berliner Finanzsenators und jetzigen Bundesbankers Thilo Sarrazin (SPD) herrschaftsförmig zu kanalisieren. Auch der von der Sport- und Eventindustrie unvergoren an das Volk ausgeschenkte Leistungsdarwinismus, angereichert mit schwarzrotgoldenen Schwips, hat seine berauschende Wirkung nicht verfehlt. Das insbesondere in den urbanen Ballungsräumen zur Anwendung gekommene Public Viewing hat Hunderttausende "Deutschland, Deutschland" rufende Menschen in den kollektiven Freudentaumel versetzt, ohne daß es zu größeren Ausschreitungen gekommen wäre (ausgenommen die erschossenen oder erstochenen Fans nach Fußballstreitigkeiten). Als Aufmerksamkeitsangel und Themenfessel hat der massenmedial verabreichte Fußballpatriotismus zweifellos seine gesellschaftshygienische Funktion erfüllt, mag sich auch ein Leichtathletik-Funktionär wie Prof. Helmut Digel über die "imperialistischen Züge" einer Sportart, die den gesamten medialen Unterhaltungssport vier Wochen lang dominierte, "und zwar totalitär", mit Vorschau und Nachberichterstattung nahezu 12 Stunden am Tag, wortreich beschwert haben. Soviel Echauffierung bei einem Sportsoziologen, der die Rationalität der Monopolisierung im kapitalistisch organisierten Sportbetrieb offenbar nicht beim Namen nennen will, hat sicherlich auch ihren Unterhaltungswert. Wenn die Leichtathletik nicht zu den Verlierern gehören will - wer dann?

Es kam für die Regierungsparteien aber noch besser. "Im deutschen Fernsehen, dem öffentlich-rechtlichen zumal, herrscht während der Fußballweltmeisterschaft in gesellschaftspolitischer Hinsicht Funkstille", berichtete Telepolis (07.07.10). "Polit-Talks, Wirtschaftsmagazine und andere kritische Sendungen, von den Rundfunkanstalten gerne als die Flaggschiffe öffentlich-rechtlichen Journalismus' hochgejazzt, gehen auf Tauchstation." Die auf Quoten und Marktanteile schielenden Fernsehmacher wollten ihr vermeintliches Pulver gegen König Fußball nicht wirkungslos "verballern", heißt es. Einige TV-Journalisten behaupten sogar, dies sei im Interesse der Gebührenzahler.

Während hierzulande alles in stimmungsvoller Vorfreude nach Südafrika blickte, nutzten Sicherheitspolitiker die Gunst der Stunde, um an der parlamentarischen Öffentlichkeit vorbei weitere überwachungsstaatliche Fußangeln zu installieren, die tief ins Mark von Datenschutz- und Bürgerrechten schneiden. So wurde dann auch der trickreiche Schachzug des Bundesinnenministeriums, dem gerichtlichen Verbot der BKA-Datensammlung über vermeintlich gewalttätige Fans zuvorzukommen, durch die auf allen Kanälen dröhnende Fußball-WM-Berichterstattung weitgehend überdeckt. Zwei Tage vor Beginn des Championats hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Klage abgewiesen, mit der der Kläger die Löschung seiner Daten in der beim Bundeskriminalamt eingerichteten Datei "Gewalttäter Sport" erreichen wollte, in die er - wie so viele andere auch, häufig auch ohne ihr Wissen - hineingeraten war, ohne daß ihm eine Gewalttat nachgewiesen wurde. Gerichte hatten die umstrittene Datei zuvor für rechtswidrig erklärt, da sie auf keiner klaren Rechtsgrundlage beruhe.

Ex-Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte für zahlreiche BKA-Dateien interne, geheime Einrichtungsermächtigungen erteilt und sich ansonsten auf Regelungen im BKA-Gesetz gestützt. Sein Amtsnachfolger Thomas de Maizière (CDU) fügte dem Schäuble-Projekt, den Rechtsstaat in einen autoritären Überwachungs- und Präventivstaat umzuwandeln, nun einen weiteren Mosaikstein hinzu. Mit Verweis auf die anstehende Fußball-WM in Südafrika und den damit auch hierzulande geplanten "Public Viewing"-Veranstaltungen sorgte er dafür, daß die Rechtsverordnung im Eiltempo an den Bundesrat weitergeleitet und dort beschlossen wurde. Mit dieser Verordnung hat das Innenministerium unter Umgehung des Bundestages nicht nur die umstrittene "Hooligan"-Datei legalisiert, in der zur Zeit rund 12.000 Personen geführt werden, sondern auch Millionen anderer Daten von Bürgern, die in mindestens 80 - die genaue Zahl ist unbekannt - sogenannten Verbunddateien gespeichert sind. Darüber hinaus könne das BKA den alten illegalen Dateien künftig sogar beliebig viele neue hinzufügen, kritisierte Jan Korte, Fraktionsvorstandsmitglied der Partei Die Linke, die uferlosen Datensammlungen des Bundeskriminalamtes. Der Abgeordnete verwies darauf, daß durch die Verwendung von so schwammigen Begriffen wie "Gefährder" oder "relevante Personen" der Kreis potentiell Betroffener praktisch unbegrenzt erweiterbar sei. "Nach der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, ja selbst nach einem gerichtlichen Freispruch kann das BKA die Daten weiter speichern", kritisierte ebenso Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, in der Tageszeitung junge Welt [2]. Sie sieht in der rechtlichen Absicherung dieser Personendateien Zuarbeiten für eine neue "Superdatei", die die Europäische Union gerade zur Überwachung "radikaler" Aktivisten vorbereitet. Auch hier finden sich derart schwammige Begriffe und Formulierungen wieder, daß dies "die Beobachtung sämtlicher Unterstützer oder Sympathisanten nationaler Befreiungsbewegungen, wie auch von Zusammenschlüssen, die sich etwa gegen Bundeswehr-Auslandseinsätze oder Ausbeutung in der sogenannten Dritten Welt engagieren", erlaube, wie Jelpke warnt.

Da auch die neue Rechtsverordnung aus dem Hause de Maizière nicht konkretisiert, wodurch eine Person zum "zukünftigen Straftäter" wird, gilt nach wie vor die polizeiinterne Auslegung des BKA-Gesetzes, wonach bestimmte Tatsachen "die Annahme rechtfertigen [müssen], dass die Betroffenen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden". Auch bloße Kontakt- und Begleitpersonen von Verdächtigen dürfen registriert werden. Das bedeutet nichts anderes, als daß Personen wegen Nichtigkeiten, ohne daß sie jemals Gewalt ausgeübt hätten, sich als "potentielle Gewalttäter" in einer der Dateien wiederfinden können, auf die jede Landespolizeibehörde zugreifen kann. Die Dateien oder Auskünfte daraus werden auch an ausländische Polizeistellen weitergegeben. Fälle sind bekanntgeworden, wo sich erfaßte Personen bei Kontrollen oder Grenzübertritten repressiven Polizeimaßnahmen ausgesetzt sahen, die bis hin zu polizeilichen Meldeauflagen, Paßentzug, Aufenthalts- oder Ausreiseverboten gingen.

Neben der Sportdatei wurden auch die Dateien "Gewalttäter links", "International agierende gewalttätige Störer", die DNA-Analysedatei sowie weitere zu einzelnen Straftaten und Deliktsgruppen angelegte Verbunddateien legalisiert. Da es so gut wie keine öffentliche Kontrolle über die Dateien gibt, kann das BKA praktisch frei schalten und walten.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière indes, der im Zusammenspiel mit den Kolleginnen und Kollegen in der Länderkammer dem BKA einen Persilschein für undemokratische Praktiken ausstellte, hat ganze Arbeit geleistet. Was wunder, daß er in einem Deutschlandfunk-Interview (5.7.2010) auf die Frage, was die Koalition und die Bundesregierung von der National-Elf lernen können, antwortete: "Gutes Teamspiel, gut arbeiten, gut über sich und andere reden, die Kritik anderen überlassen, Konflikte nicht nach außen treten lassen und sich auf die Sache konzentrieren. Das ist etwas, das ist im Sport gut und auch in der Politik." Schwarz-gelbes Foulspiel will eben gelernt sein. Sollen die anderen doch sehen, wie sie damit klarkommen.

Anmerkungen:

[1] Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 24/2010 vom 16. Juni 2010

[2] Biggest Brother. Alles speichern: EU bereitet großangelegtes Überwachungsprojekt für politische Aktivisten vor. Von Ulla Jelpke. Beilage in der jungen Welt, Nr. 154, 7.7.2010

13. Juli 2010