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KOMMENTAR/096: Serco Control - Schweigekartell der Anti-Doping-Kämpfer aufgeflogen (SB)



Alles, aber auch wirklich alles, ist Wasser auf die Mühlen der heiligen Doping-Inquisition: Gibt es Dopingfälle, dann klopfen sich die Funktionsträger gegenseitig auf die Schultern und erklären, man befinde sich auf dem richtigen Weg und dürfe jetzt nur nicht nachlassen. Gibt es keine Dopingfälle, dann ist gerade das verdächtig, weil ja ohnehin nicht auf alle Substanzen getestet wird, weshalb die Dopingverfolgung ebenfalls intensiviert werden muß. Wo nicht kontrolliert wird, so lautet die treibende Rechtfertigungslogik, gährt und gedeiht der Doping-Betrug.

Interessant wird es, wenn man diese Logik auf die Kontrolleure selbst anwendet. Anlaß dazu geben zwei Doping-Kontrolleure einer Mannheimer Firma (Serco Control), die bei zwei Handballspielen der Frauen Ende des vergangenen, Anfang des neuen Jahres eigentlich Urinkontrollen hätten durchführen sollen [1]. Sie ersparten sich jedoch die Reise und lieferten ihren eigenen Urin ab. Insgesamt acht Proben (vier pro Spiel) wurden vermutlich auf der heimischen Toilette gefüllt und anschließend als Dopingproben deklariert. Die Abnahmeprotokolle wurden fingiert, die Unterschriften der Spielerinnen gefälscht. Auf die Schliche kam man den Kontrolleuren mittels einer eher zufälligen DNA-Untersuchung am Kölner Institut für Biochemie. Dort wurde festgestellt, daß alle Proben von ein und derselben Person stammten. Indiskretionen sollen dann dazu geführt haben, daß der Fall vergangene Woche den Medien bekannt wurde.

"Ein möglicher Fall eines Betruges einer Dopingkontrolleurin ist in dem Zusammenhang erstmalig und einzigartig", beeilte sich Anja Berninger, die Justiziarin der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA), zu versichern. Wie alle in diesen Fall eingeweihten Funktionsträger des Anti-Doping-Regimes war auch sie sich der Konsequenzen bewußt: "So etwas kann dem Antidopingkampf in Deutschland massiv schaden."

Um die vielzitierte "Glaubwürdigkeit" des staatsautoritären Antidopingkampfes im allgemeinen und der Kontrolleure im besonderen zu retten, hatte sich bereits frühzeitig ein institutionell übergreifendes Schweigekartell gebildet. Obwohl dem Deutschen Handballbund (DHB) die Vorgänge seit einem halben Jahr bekannt waren, verzichtete er darauf, den Fall öffentlich zu machen. "Das ist nach unserer Auffassung - und das ist ja auch der tatsächliche Sachverhalt - ein schlichter Betrugsfall, der eigentlich mit der gesamten Dopingproblematik überhaupt nichts zu tun hat", spielte Berndt Dugall, der Vorsitzende der Frauen-Bundesliga, den Naiven. Seine Auffassung wird von DHB-Vizepräsident Recht, Heinz Winden, geteilt: "Wir hätten sonst veranlasst, dass unsere Sportart in Mitleidenschaft gezogen wird."

Wie die Sportart in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, wo der Fall doch angeblich gar nichts mit der Dopingproblematik zu tun habe, ließen die Funktionäre lieber unbeantwortet und wird auch von den "kritischen" Antidopingjournalisten nicht hinterfragt. Denn das würde unangenehme Fragen aufwerfen, die den inquisitorischen Charakter des Anti-Doping-Regimes, das jeden Menschen, der in seine Fänge gerät, mit dem D-Verdacht kontaminiert, offenlegen. Das wissen zwar die Sportfunktionäre, doch ihre opportunistische Angst, ins Skandalvisier der Antidopingjournalisten zu geraten oder Fördergelder vom Staat gestrichen zu bekommen, wenn sie den Antidopingkampf nicht vorbehaltlos unterstützen, verbietet ihnen, in der Öffentlichkeit ein offenes Wort zu sprechen. Wer Kritik äußert, dem wird "Dopingmentalität" oder "Laxheit" im Antidopingkampf unterstellt.

Laut ZDF.de (30.08.10) habe auch die NADA abgeraten, den Fall publik zu machen, wie Winden bestätigte: "Die haben gesagt, das bringt nichts." Die NADA soll diese Vereinbarung mit dem Hinweis, man habe erst die laufenden Ermittlungen der Mannheimer Staatsanwaltschaft abwarten wollen, bestätigt haben. Wohlgemerkt eine NADA, deren ganzer Sinn und Zweck darauf ausgerichtet ist, jeden Zweifel am gesellschaftlichen Irrweg der repressiven Dopingbekämpfung zu Gunsten des von ihr als alternativlos verfochtenen und durchgesetzten Verdachtsystems zu unterdrücken und deren quasipolizeilichen Arme sich metastasierend vom Sport aus in alle gesellschaftlichen Bereiche, in denen der Pharmabetrug möglich erscheint, auszubreiten beginnen - Sauberkeits-Ideologietransfer inbegriffen.

Rund sieben Monate lang konnte der heikle Betrugsfall der Öffentlichkeit, die an saubere Kontrolleure und schmutzige Sportler glauben soll, verheimlicht werden. Neben NADA und Präsidium des Handballbundes, der am 27. Januar 2010 Strafanzeige wegen Betrugs gegen die Kontrollfirma erstattete und den Vertrag kündigte, sollen intern auch die Internationale Handball-Föderation (IHF), die Europäische Handball-Föderation (EHF), die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), der DHB-Pressesprecher und die Anti-Doping-Kommission des DHB informiert gewesen sein, wie ZDF.de berichtete.

Ob es sich um einen Einzelfall handelt oder um ein System, könne man bislang noch nicht bewerten, erklärte NADA-Justiziarin Berninger. Legt man indessen die gleichen Maßstäbe wie bei Sportlern an, dann zeigt sich hier nur die Spitze des Eisbergs. Selbst wenn man im Augenblick keine weiteren Betrügereien von Dopingkontrolleuren zu ermitteln vermag, dann nährt gerade das den Verdacht. Sind bei Sportlern noch Millionen von Lücken zu schließen, so gilt das natürlich um so mehr für Kontrolleure, die bislang gar nicht oder kaum kontrolliert werden.

Perfiderweise arbeitet die systemimmanente Frage, wer kontrolliert die Kontrolleure, wieder den repressiven, das System qualifizierenden Kräften zu. "Die Verbände bzw. die NADA sind nun gezwungen, ein Verfahren zu entwickeln, das abgleicht, ob Dopingkontrollen tatsächlich ordnungsgemäß abgewickelt worden sind", schlußfolgert ZDF.de im Einklang mit den meisten Medien.

Und in der Tat, die NADA nutzt den Doping-Un-Fall, um ihr Verdachts- und Schuldschöpfungssystem zu optimieren und sämtliche Sportverbände unter ihre Kontrolle zu bekommen. "Ein solcher Fall ist ein Argument in der Diskussion, dass in Zukunft auch die Wettkampfkontrollen in einer Hand liegen", sagte NADA-Sprecher Berthold Mertes. Die NADA ist bislang für die Trainings- und nur für rund ein Zehntel der Wettkampfkontrollen zuständig. Seit ihrer Gründung arbeitet die Agentur exklusiv mit der als "unabhängig" deklarierten Firma PWC (Professional Worldwide Controls GmbH) zusammen. Die Firma "Serco Service- und Warencontrol Gesellschaft International mbH", mit der der DHB bis zum Betrugsfall noch zusammenarbeitete, wird indessen abfällig als "privat" bezeichnet. NADA-Chef Armin Baumert appellierte unterdessen an die deutschen Sportverbände, sich "unabhängigen" Kontroll-Instanzen zu unterwerfen. Hier sei ein Verband in die Bredouille geraten, weil er sich selbst Partner aus der privaten Wirtschaft gesucht habe, so Baumerts Vorwurf. "Natürlich bietet der freie Markt solche Möglichkeiten der Manipulation, im Einzelfall wird das kaum zu verhindern sein."

Mit anderen Worten: Wenn die NADA sich selbst eine Firma auf dem "freien Markt" auswählt, dann gilt das Kontrollunternehmen als unabhängig. Wenn sich aber ein Sportverband eine Firma aussucht, dann werden "Möglichkeiten der Manipulation" suggeriert. Mit "privat" hat das alles überhaupt nichts zu tun, denn sogar die von der NADA beauftragte Firma PWC bezeichnet sich auf ihrer Homepage als "Privatunternehmen" - selbstverständlich als "unabhängiges", was ja wohl jede Dienstleistungsfirma von sich behaupten würde.

Wenn man schon Zweifel an der Unabhängigkeit von Kontrollunternehmen äußert, dann gilt das wohl ausnahmslos für die gesamte Branche. Zwar behauptet PWC: "An oberster Stelle steht für uns der Kampf gegen Doping, nicht die Gewinnmaximierung." Doch auch dies darf bezweifelt werden, denn der nach dem Hase-und-Igel-Prinzip organisierte Antidopingkampf ist eine bombensichere Wachstumsbranche, auf dem sich Antidoping-Kontrolleure, -Wissenschaftler und -Analytiker, die in diesem selbstreferentiellen System gleichzeitig die größten Propaganisten von noch mehr Kontrollen und verbesserten Testverfahren sind, eine goldene Nase verdienen. Wer in der Wissenschaft an die lukrativen Fördertöpfe kommen will, der pfeift nicht nur das Lied der Anti-Doping-Kreuzzügler, sondern erfindet auch stets neue Strophen hinzu. Als Transmissionsriemen dienen die Medien, die ständig beklagen, daß noch viel zu wenig Millionen an Steuergeldern in den Antidopingkampf geflossen sind. Die technisch aufwendigen Verfahren werden zwar immer teurer - macht aber nichts, alles dient ja dem "sauberen Sport" und dem "Schutz der Athleten".

Der medizinische Leiter und Inhaber der "unabhängigen" Firma PWC, Dr. med. Helmut Pabst, plädiert seit jeher für eine höhere "Schlagzahl bei Dopingkontrollen" sowie für Blutwert-, Steroid- und Wachstumshormon-Profilen und was der Analytikmarkt sonst noch bietet. Um die steigenden Aufträge der NADA bewältigen zu können, mußte PWC auch mehr Personal einstellen: Noch mehr Ärzte, die als einzige Blutproben nehmen dürfen, und noch mehr ehemalige oder aktive Polizisten oder Bundeswehrsoldaten, die laut Pabst die nötige Seriösität und das nötige Durchsetzungsvermögen mitbringen. Ihnen obliegt es, im In- und Ausland unangemeldete Trainingskontrollen bei Athleten durchzuführen. PWC und NADA spielen sich dabei geschickt die Bälle zu. Als 2008 der WADA-Code verschärft werden sollte, schwärmte der damalige NADA-Chef Christoph Niessen von einer "schnellen Eingreiftruppe" mit Leuten, die "praktisch ad hoc mit Tagesbefehl um den Erdball geschickt werden" könnten. Ihm schwebte vermutlich eine Art "Doping-Blackwater" mit Geheimdienstfunktionen vor, denn das Konzept der "intelligenten Kontrollen", das in der Öffentlichkeit nicht kritisch hinterfragt wird, läuft auf im Verborgenen betriebene kriminalistische und geheimpolizeiliche Vorgehensweisen hinaus. Selbstverständlich hat sich auch Dr. Helmut Pabst für ein die Sportler kriminalisierendes Anti-Doping-Gesetz in Deutschland ausgesprochen, damit auch Staatsanwälte ermitteln könnten. Unausgesprochen blieb, daß das Konzept des "gläsernen Sportlers" das des "gläsernen Bürgers" ist.

Zu den glühenden Befürwortern eines weltweiten Kontroll- und Überwachungsregimes mit allen Schikanen ("33% der Dopingkontrollen müssen intelligente Zielkontrollen sein", "Kontrolllabors werden erheblich aufgerüstet und erhalten mehr Mittel für begleitende Forschung", "Staatliche Gesetze gegen Sportbetrug", "Schwerpunkt-Staatsanwaltschafen", "Bildung einer internationalen Eingreiftruppe für Dopingkontrollen ohne Visapflicht" etc.[2]) gehört der Heidelberger Molekularbiologe Prof. Werner Franke. Auch er forderte nach dem Betrugsfall unter Dopingfahndern gegenüber SID ein Umdenken: "Es müssen erstens Leute kontrollieren, die nicht bestechlich sind, beispielsweise ehemalige Kriminalbeamte. Zweitens müssen auch die Kontrolleure kontrolliert werden." Das sei, so Franke, "nicht aufwendig". Jeder Kontrolleur müsse jederzeit auffliegen können.

Nimmt man die Worte dieses ausgewiesenen Scharfmachers, der nicht müde wird, die Sportler kollektiv des Dopings zu verdächtigen und Kontrollücken anzuprangern, auch nur einen Moment ernst, hieße das z.B. Internetfußfesseln für Doping-Kontrolleure, strenge Meldeauflagen und Bekanntgabe der Aufenthaltsorte drei Monate im voraus, Hausdurchsuchungen bei verdächtigen Arbeitsnachweisen, mehrjährige Berufsverbote schon bei kleinsten Irrtümern oder Vergeßlichkeiten usw. - also alles das, was bei Sportlern unter Generalverdacht Usus ist. Solch ein Überwachungsregime werden die Verantwortlichen zu eigenen Lasten natürlich niemals einführen. Warum, ist auch klar: Der gesamte Antidopingkampf spiegelt ein gesellschaftliches Gewaltverhältnis wider, in dem der Sportler als schwächstes Glied der Kette ausschließlich als Verdachts- und Testobjekt vorkommt. Es verwundert daher nicht, daß als Konsequenz aus den Vorfällen im Handball die Einführung eines "Steroidprofilpasses" für alle Sportler gefordert wurde, auch damit man identische Proben besser ermitteln kann. Die WADA fordert das schon seit langem, deshalb kommt ihr der Betrugsfall unter Kontrolleuren - trotz des Reputationsverlustes - sogar zupaß. Wie immer ist am Ende der Sportler der Dumme, während sich die Doping-Experten ihres "intelligenten" Systems rühmen. Der nächste Schritt, der auch schon diskutiert wird, wäre dann die Verstaatlichung der Dopingbekämpfung, womit wir dann endgültig im Anti-Doping-Staat angekommen wären mit allen Konsequenzen einer Verdachts- und Verbotsgesellschaft, die mahnende Beispiele in der deutschen Geschichte noch in den Schatten stellen wird, weil sie das "betrügerische Element" in einem durch Biochemie, Statistik und Forensik wissenschaftlich letztbegründeten Paternalismus ansiedelt.

Anmerkungen:

[1] Bei den Spielen handelt es sich um eine Begegnung in der 2. Bundesliga Süd vom 12. Dezember 2009 zwischen Metzingen und Bad Wildungen sowie um ein Pokalspiel des FSV Mainz gegen DJK/MJC Trier am 9. Januar 2010.

[2] http://www.sport-transparency.org/?p=46. "15-Punkte-Rettungskatalog für einen dopingfreien Sport". Veröffentlicht von Prof. Werner Franke und Udo Ludwig im Buch "Der Verratene Sport", Zabert Sandmann Verlag, September 2007.

6. September 2010