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KOMMENTAR/121: Trotz Super-GAUs - FIFA-Chef Blatter sichert Japan die Klub-WM zu (SB)



Der skandalumflorte Fußball-Weltverband FIFA, dessen öffentliche Akzeptanz und Glaubwürdigkeit aufgrund zahlreicher vermeintlicher, tatsächlicher oder noch unaufgedeckter Korruptionsaffären nur als "unterirdisch" bezeichnet werden kann, versucht händeringend, seine "Integrität" wieder herzustellen und sich als wahrer Wohltäter an der fußballspielenden Menschheit darzustellen.

Jüngst verbreitete der Sport-Informationsdienst (sid) die Nachricht, die FIFA habe angekündigt, dem japanischen Fußball nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe vom 11. März mit einer Millionenspende helfen zu wollen [1]. Wie der Präsident des Japanischen Fußball-Verbandes (JFA) Junji Ogura bestätigte, habe die FIFA insgesamt sechs Millionen US-Dollar zugesagt. Drei Viertel der Summe solle an die Vereine der ersten Liga gehen, damit Stadien und Trainingsplätze wieder repariert werden könnten. Die restlichen 1,5 Millionen Dollar würden für die Errichtung oder Instandsetzung von Trainingsplätzen in den am schlimmsten betroffenen nordöstlichen Präfekturen Iwate, Miyagi und Fukushima investiert werden. Adidas, einer der Hauptsponsoren der FIFA, spendet zudem Ausrüstungsgegenstände wie Bälle, Trikots und Schuhe im Wert von einer halben Million US-Dollar für zirka 15.000 Kinder.

Geldsegen und Sachspenden gehen auf ein Versprechen zurück, das FIFA-Präsident Joseph S. Blatter dem japanischen Fußballverband bereits gegeben hatte, als er gut eine Woche vor dem berüchtigten FIFA-Kongreß in Zürich (31. Mai und 1. Juni) noch um seine Wiederwahl bangen mußte. Im Revier seines damaligen Herausforderers Mohammad bin Hammam (Katar), der als Präsident der Asien-Konföderation AFC die asiatischen Verbandsstimmen höchstwahrscheinlich sicher hatte, kam es am 23. Mai in Tokio zu einem bemerkenswerten Treffen von Blatter mit Japans Premierminister Naoto Kan, dem Minister für Sport, Bildung, Kultur, Wissenschaft und Technik, Yoshiaki Takaki, und JFA-Chef Junji Ogura. Blatter kündigte damals an, daß drei GOAL-Projekte mit einem Volumen von jeweils 500.000 US-Dollar dabei helfen sollten, das medizinische Zentrum des Verbands sowie die Fußballakademie der J-League, die stark beschädigt wurden, wieder aufzubauen [2].

Die sogenannten Fußball-Entwicklungsprogramme GOAL, über die die FIFA-Führung Hunderte Millionen Dollar z.B. an unterentwickelte Fußballänder in Afrika, Asien oder der Karibik verteilt, stehen seit Jahren als "versteckte Wahlkampfgeschenke" (Deutschlandfunk) in der Kritik. Blatter selbst war beim FIFA-Kongreß in Zürich von einem seiner engsten Getreuen zum Vorwurf gemacht worden, den Nord- und Mittelamerika-Verband Concacaf mit einer großzügigen Millionenspende bedacht zu haben. Blatter dagegen sprach "von zwei völlig normalen Entwicklungshilfeprojekten aus dem Fifa-Programm Goal", die er der "Concacaf bei einem Besuch im Frühjahr aus seinem Etat 'geschenkt' habe", berichtete FAZ.net (31.5.11).

In Japan indes sicherte Blatter, den Danksagungen der Offiziellen gewiß, nicht nur finanzielle und fußballinfrastrukturelle Hilfen zu, sondern gab auch die Zusage, daß die Weltmeisterschaft der Vereinsmannschaften wie geplant im Dezember in dem ostasiatischen Land stattfinden wird. Vor dieser Ankündigung soll der FIFA-Chef von den Japanern die Versicherung erhalten haben, daß die Delegationen der sechs Teilnehmermannschaften und Offiziellen der FIFA bei der Klub-WM "keinerlei radioaktiver Strahlung" durch das zerstörte Atomkraftwerk in Fukushima ausgesetzt sein werden, wie afp und sid (23.5.11) gleichlautend vermeldeten.

Blatters Zusage überraschte, weil nach der Atomkatastrophe niemand das wahre Ausmaß der Strahlenemissionen wirklich abschätzen konnte und auch die japanische Regierung sowie die nationalen Behörden bis zum heutigen Tag in Verdacht stehen, ihr Wissen aus übergeordneten Interessen nicht vollständig preiszugeben. Aufgrund der Unsicherheiten hatte etwa der Deutsche Judo-Bund seine Nationalteams aus ihren Trainingslagern in Japan nach Hause zurückgeholt, ebenso kehrten die deutschen Tanzsportler, die in Tokio an Grand-Slam-Turnieren teilgenommen hatten, vorzeitig nach Deutschland zurück. Wegen der drohenden Kernschmelze hatte auch die Internationale Eislauf-Union (ISU) die Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft von Tokio nach Moskau verlegt. Nachdem der japanische Kraftwerksbetreiber TEPCO Millionen Liter radioaktiv verseuchtes Wasser in den Ozean gepumpt hatte, gab schließlich auch die Internationale Triathlon Union (ITU) bekannt, daß das zweite Rennen der diesjährigen WM-Serie in Yokohama, der Hafenstadt etwa 300 Kilometer südlich des Atomreaktors in Fukushima, nicht wie geplant stattfinden wird.

Blatter jedoch sagte Japan die Ausrichtung der Klub-WM zu. "Der Fussball bringt Hoffnung und Emotionen, und wir hoffen, dass unser Sport dabei helfen wird, die Gesichter dieser Kinder wieder zum Lachen zu bringen", so der Schweizer (fifa.com). Ausdrücklich mit Verweis auf den Turn-Weltverband FIG und den Volleyball-Weltverband FIVB, die ungeachtet der Gesundheitsgefahren an der Austragung ihrer Meisterschaften im Oktober bzw. November in Japan festhalten wollen, hob Blatter hervor, daß die Sportwelt weiterhin diese Zeichen der Solidarität setzen müsse. Japans Ministerpräsident Naoto Kan sprach indessen seinen aufrichtigen Dank für die Großzügigkeit der FIFA aus: "Wir sind dankbar für die Entscheidung der FIFA, die Klub-Weltmeisterschaft nach Japan zu bringen, vor allem, da es den Kindern so viel bedeutet." Wer möchte in Anbetracht weinender oder lachender Kinderaugen und soviel Leids aufgrund der Natur- und Nuklearkatastrophe in Japan die solidarischen Geschenke der FIFA kritisieren wollen?

Interessanterweise wird auf der FIFA-Website in den entsprechenden Berichten vom 23. Mai und 16. Juni mit keinem einzigen Wort auf die nuklearen Unfälle und ihre Auswirkungen Bezug genommen. Dort wird lediglich von Schäden oder Opfern durch "Erdbeben" und "Tsunami" gesprochen - so als ob es die anhaltende Atomkatastrophe mit den radioaktiven Verstrahlungs- und Vergiftungsfolgen für die Bevölkerung weder gab noch gibt. Die Hof- und Sponsorenberichterstattung im Fußball weist damit auffällige Parallelen mit einer in den Medien ganz allgemein zu beobachtenden Verdrängung und Verharmlosung der sich durch die Kraftwerkshavarien stellenden Probleme auf. So ist die Fukushima-Katastrophe gut drei Monate nach dem Unglück längst aus den vordersten Schlagzeilen verdrängt worden. Normalität ist statt dessen eingekehrt, obwohl davon auszugehen ist, daß die radioaktiv verstrahlten Zonen Japans weiter anwachsen werden.

Schon die Tatsache, daß nur einen Tag nach Blatters Unterredung mit wichtigen Politikern Japans, denen Komplizenschaft mit TEPCO nachgesagt wird, eben dieser Kraftwerksbetreiber erstmals zugab, daß kurz nach dem Beben in den drei havarierten Reaktoren eine Kernschmelze eingesetzt habe, wirft die Frage auf, ob neben der japanischen Regierung sowie der internationalen Atom- und Energiewirtschaft, die die Sportverbände und -organisationen oftmals als Topsponsoren unterstützen, auch der kommerzielle Sport seinen Teil dazu beiträgt, die mit dem mehrfachen Super-GAU verbundenen Gesundheitsgefahren und Megakatastrophen herunterzuspielen und emotional verdaulich zu machen. Schließlich dürften nicht nur Staat und Industrie ein Interesse daran haben, daß Japan als eines der reichsten und exportstärksten Länder der Welt nicht zum Paria wird, sondern auch die Global Player des Sports. Immerhin war Japan, hinter den USA das Land mit den meisten Geldmillionären, bis vor kurzem noch boomender Fußballmarkt. Zudem hält sich hartnäckig das Gerücht, daß Tokio nach der Niederlage gegen Rio de Janeiro 2016 eine erneute Olympiabewerbung für 2020 anstrebt, um der Welt zu zeigen, daß man die "Krise überwunden" habe, wie es Japans NOK-Vizepräsident Masato Mizuno laut FAZ.net (6.4.11) formulierte.

Hatten vor der Nuklearkatastrophe prominente Sportler und Künstler in Japan in TV-Spots noch für die Sicherheit der Atomenergie geworben, obwohl seit 2002 bekannt ist, daß TEPCO jahrzehntelang gravierende Störfälle vertuscht und Sicherheitsberichte für die japanischen Behörden systematisch gefälscht hat [3], so könnten sie jetzt als öffentlichkeitswirksame Vorbilder dienen, wie mit Hoffnung und Optimismus die Härten der nuklearen Katastrophenregulation zu ertragen sind. Dazu könnte auch gehören, klaglos und diszipliniert die Vorgaben des japanischen Ministeriums für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie zu übernehmen, das am 19. April Institutionen in der Präfektur Fukushima angewiesen hatte, den Strahlenschutz-Grenzwert für Schulen hochzusetzen und eine Dosis in Höhe von 20 Millisievert (mSv) pro Jahr festzulegen, wie Greenpeace berichtete. Für Normalbürger ist eine jährliche Dosis von einem Millisievert erlaubt.

Die FIFA selbst hat angekündigt, daß es bei den anstehenden Großturnieren durch die Stadionsprecher Danksagungen des japanischen Fußballverbandes an die weltweite "Fußballfamilie" für die großartige Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes geben werde. Die Initiativen der FIFA reihen sich nahtlos ein in überall auf der Welt stattfindende Spendenaktionen, Charity-Veranstaltungen, Benefizkonzerte, Mitgefühlsbekundungen und Solidaritätsbezeugungen. Auch in Ländern, die nach wie vor auf die nukleare Energie setzen und unvermindert Atomkraftwerke bauen, verteilen Künstler und Sportler von Lady Gaga bis Rafael Nadal Solidaritätsadressen. Nach Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima stellt sich jedoch die Frage, ob echte Solidarität nicht darin bestünde, den Atomausstieg in allen Ländern der Welt zu fordern.

Anmerkungen:

[1] www.handelsblatt.com. FIFA greift Japans Fußball unter die Arme. 16.06.11.

[2] de.fifa.com. "Blatter sagt Japan doppelt Unterstützung zu". 23.05.11.

[3] www.german-foreign-policy.com. "Todsichere Geschäfte". 21.03.11.

6. Juli 2011