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KOMMENTAR/122: "Sport als Staatsziel" - Trittbrett für Die Linke in den repressiven Anti-Doping-Staat? (SB)



Wiederholt wurde der Bundestagspartei Die Linke zum Vorwurf gemacht, daß sich ihre Sportpolitik kaum bis gar nicht von den etablierten bürgerlichen Parteien unterscheide. Und in der Tat lesen sich die Pressemitteilungen der Fraktion Die Linke, die auch im als überfraktioneller Lobbyistenverein verschrienen Bundestagssportausschuß vertreten ist, oftmals wie die Werbebroschüren des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) um seinen Präsidenten Thomas Bach (FDP) und Generaldirektor Michael Vesper (Grüne). Statt linker Sportkritik, die wohlbegründet und streitbar Position gegen den immer repressiver werdenden Leistungs-, Spitzen- und Profisport bezieht und ihm die Masken herrschaftlicher Verklärung herunterreißt, beteiligen sich linke Politiker nur allzu oft daran, die Narrative und Verheißungen des global entfesselten Leistungssports nachzubeten. Um die Widersprüche der gnadenlosen Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft sozial zu kitten, scheint auch Der Linken der Sport als Ventil, Trost, Ersatz und Versprechen hochwillkommen. So ist zum Beispiel "die derzeitige Frauen-Fußball-Euphorie", die von den Medien kräftig gehypt wird, nach Aussage von Linke-Politiker Jens Petermann, Mitglied des Bundestagssportausschusses, "mit Sicherheit gesellschaftspolitisch nützlich". Nützlich, um die "vorhandenen Potenziale" im Frauenfußball, von denen Petermann im Chor mit den DFB-Marketingexperten schwärmt, mittels Steuergeldern dem männlichen Profizirkus gleichzustellen? Sieht man so den Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung verwirklicht?

Zwar lehnt Die Linke "eine Konzentration der öffentlichen Mittel auf die Förderung des Leistungssports" sowie "eine Vermarktung des Sports zum Zweck der Profitmaximierung" ab, gleichzeitig erklärt sie aber, daß Freizeit- und Breitensport sowie Leistungssport und Nachwuchs "gleichermaßen gefördert" werden müßten [1]. Wie es scheint, drückt sich Die Linke vor einer klaren Stellungnahme zugunsten eines vom Leistungsterror befreiten Alternativsports, um sich ihre Wählerschaften, insbesondere im ehemaligen Sportwunderland DDR, nicht zu verprellen.

Mag man auch in Rechnung stellen, daß die Nachfolgepartei von SED, Linkspartei.PDS und WASG einen schwierigen Brückenschlag vom sozialistischen Ost- zum kapitalistischen West-Sport zu bewältigen hatte, so sollte der Fraktion Die Linke nach über zwanzig Jahren Vereinigungssport doch inzwischen klar sein, was man an der leistungssportkritischen Parteibasis, die den kommerziellen Olympismus ablehnt, längst weiß. "Olympische Spiele sind warenförmig geworden. Sportler selbst sind nur noch austauschbare Werbungs-Warenkörper mit dem hauptsächlichen Ziel, die Einnahmen zu steigern", so Prof. Dr. Klaus Weber, Bezirksrat der Linken im Bezirkstag von Oberbayern.

In der olympiakritischen Bewegung, die sich anläßlich der Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2018 formiert hatte, kommt Die Linke auf regionaler Ebene zwar vor. Doch sie wirkte dort eher wie ein Mauerblümchen inmitten einer wachsenden Protestbewegung, die sich vornehmlich aus engagierten Bürgern aus dem Natur- und Umweltschutz zusammensetzte und das nationale Prestigeprojekt schnell als "Umwelt- und Milliardengrab" der Sportlobbyisten aus Politik und Wirtschaft entlarvt hatte. Auch Die Linke im Bezirk Oberbayern und im Münchner Stadtrat lehnte das Projekt ab und unterstützte das Bündnis NOlympia.

Bekanntlich mußte die grüne Parteibasis ihre olympiakritische Position gegen erhebliche Widerstände des eigenen Partei-Establisments (siehe Claudia Roth, Winfried Hermann u.a.) durchboxen, das mit der Eventindustrie aufs engste verbandelt ist. Doch wie sieht es in Der Linken aus? Als es im Juli 2009 im Bundestag um die Unterstützung der Münchner Bewerbung ging, enthielten sich neben den Grünen auch Die Linken und stellten die staatsdirigistisch verordnete, "nationale Aufgabe" in Frage. Ein klares Nein sieht dennoch anders aus. Wollte man in den Augen des sportseligen Volkes nicht als "Spaßbremse" oder "ewiger Neinsager" gelten?

Im Juni diesen Jahres erneuerte die Fraktion Die Linke eine alte Forderung, Sport als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. In ihrem Antrag (17/6152) [2] verlangen die Abgeordneten von der Bundesregierung außerdem, ein Sportfördergesetz des Bundes vorzulegen. Mit "Sport als Staatsziel" befindet sich Die Linke in guter Gesellschaft: Auch FDP, SPD, Grüne und DOSB haben ähnliche Forderungen mit inhaltlich unterschiedlicher Gewichtung erhoben. Nur CDU/CSU sperrt sich aus verfassungsrechtlichen Bedenken noch dagegen. Kritiker weisen zu Recht darauf hin, daß der Sport, ohnehin in fast allen Länderverfassungen verankert, mit seinen Erfolgs- und Leistungsfixierungen keineswegs nur positive Eigenschaften besitzt, mögen dies die Sonntagsreden der Politiker und die Dauerbeschallung durch den industriellen Sport-Medien-Komplex noch so sehr suggerieren. Zudem ist zu fragen, warum dann nicht jede Lobbyistengruppe, so sie denn stark genug ist, die Aufnahme ihrer vermeintlichen Gemeinwohlinteressen ins Grundgesetz verlangen könnte.

Laut Die Linke soll Zweck dieses Gesetzes sein, "den Einwohnerinnen und Einwohnern die Möglichkeiten zu verschaffen, sich unabhängig von sozialem Status, Nationalität, Behinderungen und Geschlecht sowie ungeachtet einer organisatorischen Bindung nach ihren Interessen und Fähigkeiten angemessen sportlich zu betätigen". Nichts dagegen einzuwenden. Doch zur ausgewogenen Förderung soll neben dem Freizeit-, Breiten-, Behinderten- und Gesundheitssport auch der Nachwuchsleistungssport gehören - bekanntlich die Kaderschmiede der Nation, in der das junge SportlerInnen-Material für die immer härter werdende Knochenarbeit im prestigeträchtigen Hochleistungssport herangezüchtet wird. Beschleunigt ihre Gesundheit ruinieren, das dürfen die körperlich hochgetunten MedaillengewinnerInnen - aber bitteschön ohne Doping. So werden im Gesetzesantrag der Linken u.a. "Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung des Dopings im Sport" sowie "die Weiterentwicklung sportbezogener Forschung", wozu auch "Dopingnachweisverfahren" zählen, aufgeführt.

Mit der geschmeidigen Pauschalforderung hebt Die Linke auf einen gesellschaftlichen, um nicht zu sagen boulevardesken Konsens ab, der von kritischen Wissenschaftlern, die sich mit den Begrifflichkeiten, Widersprüchen und Verdikten der Dopingverfolgung auseinandersetzen, längst weitreichend hinterfragt wird. Sollte auch Antidopingkampf und -forschung verfassungsmäßiges Staatsziel werden, würde sich ein legalistisches Verständnis von Leibesübungen und Leistungssteigerungen durchsetzen, das zielsicher auf die Kriminalisierung des Athleten sowie die Verpolizeilichung des Sports zusteuert mit weitreichenden Konsequenzen auf die Gesamtgesellschaft. Will Die Linke so Regierungstauglichkeit demonstrieren?

Bekanntlich haben die Sporttechnokraten von SPD und Grünen auf dem rechten Flügel zur CSU aufgeschlossen und fordern im Verein mit Bayerns Justizministerin Dr. Beate Merk ein Anti-Doping-Gesetz. Die CSU-Politikerin ist im September zu einem Symposium "Sportmedizin und Doping in Europa" geladen, das die Freiburger Universität in Auftrag gab. Auf dem Promi-Treffen der Anti-Doping-Hardliner aus Sport, Politik, Wissenschaft und Kriminalistik wird sie die "Bayerische Bundesratsinitiative für ein Gesetz zum Schutz des Sports vor Doping und Manipulation" vorstellen, das die Strafbarkeit des Dopings in all seinen Erscheinungsformen vorsieht. In einer vollmedikalisierten und auf künstliche Leistungsoptimierung ausgerichteten Gesellschaft würde das zu einer historisch beispiellosen Hexenjagd auf Konsumenten medizinischer Produkte führen, die des "Arzneimittelmißbrauchs" oder "Dopingbetrugs" verdächtigt werden. Neben erhöhtem Denunziantentum wird es auch zu vermehrten Hausdurchsuchungen und Telekommunikationsüberwachungen kommen - siehe den Gesetzentwurf von Beate Merk. In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, daß Frau Merk eine Verfechterin des "Bayerntrojaners", der Vorratsdatenspeicherung und der elektronischen Fußfessel für gefährliche Straftäter ist. Entsprechendes Knowhow, wie man Datenverwaltungen, Kontrollregister und Zwangsmeldesysteme für potentiell straf- wie rückfällige Bevölkerungsteile effizient aufbaut, könnte sich die bayerische Justizministerin auf dem Symposium in Freiburg auf kurzem Wege von den Experten der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) holen, die bereits über einige Erfahrung verfügen, wie man nach Art einer über das Internet gesteuerten Fußfessel gefährliche - pardon - "gefährdete" SpitzensportlerInnen rund um die Uhr kontrolliert und in ihren Persönlichkeitsrechten einschränkt.

Ohne daß Die Linke dagegen protestiert hätte, werden indessen die administrativen Schulterschlüsse für den repressiven Antidopingstaat vorangetrieben. So hat die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) Mitte Juni angekündigt, ihre "Kontakte zu den staatlichen Ermittlungsbehörden" weiter auszubauen. In einer Konferenz mit Vertretern von Bundeskriminalamt (BKA), Zoll und der Staatsanwaltschaft München I, deren Chefin Beate Merk ist, sowie den Dopinganalytikern aus Köln und Kreischa bekundeten alle Beteiligten ihr Interesse an einer Intensivierung der Zusammenarbeit. So will man möglichst bald die Grundlagen für die Einrichtung einer eigenen "Task Force" schaffen, die sich gezielter als bisher der Verfolgung von dopenden Sportlern und deren Umfeld widmet. Faktisch werden damit die Trennung zwischen sport- und staatshoheitlichen Aufgaben aufgehoben und über den interdisziplinären Schleichweg die Disziplinargewalten des Sports mit den staatlichen verkuppelt.

Das System der verdachtsunabhängigen Kontrollen im organisierten Sport, das den Sporttreibenden kollektiv unterstellt, sie würden betrügen, wenn man sie nicht einem drakonischen Überwachungsregime unterwirft und zu positiv gewendeten Blockwarten ihrer selbst macht, kennt aufgrund der prohibitiven "Null-Toleranz-Politik" von Dopingagenturen, Sportverbänden und staatlichen Ministerien, die die Systemlüge des "sauberen Sports" unter allen Umständen aufrechterhalten wollen, um das unter Verfehlungsängsten und Betrugsverdacht gehaltene Subjekt zu maximalen Anpassungsleistungen treiben zu können, keine Verhältnismäßigkeit mehr. Daß sich hier eine kontroll- und strafverschärfende Spirale ohne Ende in Gang gesetzt hat, die zielsicher auf einen Law-and-Order-Sport zustrebt, der zweifelsohne mit übergreifenden Zielen bei der biopolitischen Disziplinierung der Bevölkerung korrespondiert, sollte gerade für Die Linke, deren Anspruch stets war, sich nicht vor den Karren innovativer Macht- und Herrschaftsinteressen spannen zu lassen, Anlaß sein, tunlichst von Forderungen nach einer mit staatlichen Mitteln forcierten Antidopingjagd Abstand zu nehmen.

Schon gar nicht sollte die Partei einen Diskussionsstand unterschreiten, wie er noch in der vergangenen Legislaturperiode, wenn auch oft halbherzig, öffentlich verfochten wurde. So hatte sich die Linksfraktion 2007 gegen eine Kriminalisierung des Dopings ausgesprochen. "Der Leistungssport ist ein hoch kommerzialisiertes System, in dem horrende Summen verdient werden, sodass nicht nur der Anreiz zu maximaler Leistung gegeben ist, sondern auch zu Manipulationen", so Wolfgang Neskovic, Justiziar der Fraktion Die Linke in einem Gastbeitrag in "Der Welt" [3]. Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof plädierte dagegen für umfassende Aufklärungskampagnen zu Gesundheitsrisiken beim Dopingkonsum und regte einen breit gefächerten Diskurs über neue Leistungsdefinitionen im Sport an, und nicht nur dort: "Mit den Prinzipien des Hochleistungssports gerät unser von Leistungs- und Konkurrenzzwängen bestimmtes gesellschaftliches Handeln auf den Prüfstand. Genau da gehört es nach Ansicht der Linken hin."

Anmerkungen:

[1] die-linke.de. Themen A-Z. Sport.

[2] Deutscher Bundestag, Drucksache 17/6152, 09.06.2011. Antrag.

[3] www.welt.de. Gastbeitrag gegen die Kriminalisierung von Sportbetrügern: "Doping zählt zum Recht auf Selbstschädigung". 20.07.2007. Autor: Wolfgang Neskovic.

11. Juli 2011