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KOMMENTAR/137: DOSB-Führung wirbt mit Sportsoldaten für ein "positives Bild der Bundeswehr" (SB)



Mit der Transformation der Bundeswehr von der Verteidigungsarmee zu einer professionalisierten, weltweit operierenden Interventions- und Besatzungsarmee stellt sich dringlicher denn je die Frage, ob der Spitzensport, zu dessen größten Förderern die Bundeswehr zählt, sich noch davon freihalten kann, als Instrument für Kriegspropaganda, Soldatenrekrutierung und Wehrertüchtigung mißbraucht zu werden. Gerade vor dem Hintergrund, daß der Sport im Verlauf zweier Weltkriege vielfach für militärische Zwecke und Ziele instrumentalisiert wurde und sich zahlreiche Sportführer aus sozialen, politischen und wirtschaftlichen Vorteilserwägungen - durchaus zum Nutzen des von staatlicher Alimentierung abhängigen Sportes - als Mitläufer in die Kriegsphalanx einreihten, lassen die aktuellen Aussagen heutiger, nicht weniger abhängiger Sportfunktionäre Schlimmstes befürchten.

Erst kürzlich bestätigte das Verteidigungsministerium, daß trotz der geplanten Schließungen von Standorten und der Streichung großer Teile des Bundeswehrpersonals sämtliche 15 Sportfördergruppen der Bundeswehr mit 744 Förderplätzen bestehen bleiben. Am 26. Oktober 2011 stimmte im Sportausschuß des Deutschen Bundestages die Regierungskoalition dafür, daß für den Haushalt 2012 aus dem Bundeswehretat 63,22 Millionen Euro (zuletzt 62,67) in die Sportförderung fließen [1]. Mit Stimmenmehrheit von Union und FDP wurde ebenfalls der vielfach kritisierte Beschluß durchgesetzt, nach sechs Jahren öffentlicher Ausschußarbeit künftig die (Medien-)Öffentlichkeit wieder von den Sitzungen auszusperren. Der Anlaß war eine schlechte Presse über uninformierte, schlafende oder an iPads Karten spielende Ausschußmitglieder.

Während der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) den Ausschluß der Öffentlichkeit "aus Respekt vor dem Parlament" [2] nicht kommentieren wollte, legte sich DOSB-Chef Thomas Bach, Mitglied der FDP, in Sachen Bundeswehr-Sportförderung keinerlei Zügel an. Mit eindringlichen Worten beschwor er, daß die Bundeswehr "ein unverzichtbarer Bestandteil der Leistungssportförderung für unsere Athleten in Deutschland" sei, wie die Deutsche Presse-Agentur [3] berichtete. Gemeint ist, daß etwa bei den Sommerspielen von Peking 127 Bundeswehrsoldaten, rund ein Drittel der gesamten Olympiamannschaft, im Dienste der Medaillenproduktion standen. Bei den Winterspielen in Vancouver 2010 bestand fast das halbe Olympiateam aus Soldaten, die mehr als die Hälfte aller deutschen Medaillen erkämpften und Deutschland auf Platz zwei der Nationenwertung führten. Ohne die "Athleten in Uniform", so besagt die von den Sportmedien genüßlich verbreitete Schreckensvision, würde Deutschland keine vordersten Plätze mehr im Medaillenspiegel einnehmen. Schlimmer noch. DOSB-Generaldirektor Michael Vesper, einst Grünen-Minister von Nordrhein-Westfalen, meinte sogar: "Der Sport, wie wir ihn jetzt kennen, würde zugrunde gehen." [4]

Die Nationenwertung, die den Nazis bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin einen symbolträchtigen Höhenrausch bescherte, weil sie dadurch die Überlegenheit Deutschlands und der "arischen Rasse" demonstrieren konnten, nimmt in der olympischen Sportbewegung - trotz mannigfaltiger Kritik - nach wie vor einen zentralen Stellenwert ein. Auch heute noch dienen Medaillen als Aushängeschilder nationaler Stärke und Größe. Thomas Bach sprach im erwähnten dpa-Bericht von einer "Win-Win-Situation", weil die Athleten in den Sportfördergruppen als Mitglieder einer Olympia-Mannschaft sympathische Botschafter Deutschlands und der Bundeswehr seien. "Sie haben eine sehr positive Außenwirkung, tragen aber auch zum Zusammenhalt der Bundeswehr bei."

Die Verquickung von Sport und Militär ist sicherlich keine Erfindung neoliberaler Spitzensportlobbyisten. Aus Bachs Äußerungen, die an Zeiten noch vor den Stellvertreterkriegen des Sports während der politischen Ost-West-Konfrontation erinnern, aus der heraus 1968 der Auftrag des Bundestages an die Bundeswehr erging, Sportfördergruppen zu gründen, geht klar hervor, daß Sportsoldaten nicht nur zur Imageförderung aktueller wie künftiger Kriegseinsätze der Bundeswehr beitragen, sondern ebenso zur Stärkung von Truppenmoral und soldatischen Wir-Gefühlen. Nicht auszuschließen, daß Sportsoldaten, obwohl sie nach der sogenannten "30/70"-Regelung den überwiegenden Teil ihrer Militärzeit mit sportlichen Aufgaben verbringen, tatsächlich den "Zusammenhalt der Bundeswehr" unterstützen. Die größere Gefahr durch den Wegfall der BW-Sportförderung dürfte aus Sicht der Herrschenden jedoch darin bestehen, daß der psychologischen Kriegsführung an der Heimatfront ein probates Suggestivmittel verloren ginge. Erfolgreiche, anpackende und auf Werbebroschüren im Kampf- oder Trainingsanzug glücklich lächelnde Sportsoldaten suggerieren nämlich, daß auch Kriege erfolgreich zu führen seien.

Im Augenblick rühren die Sportfunktionäre in Deutschland, sicherlich auch aus Angst vor Mittelkürzungen und eigenen Bedeutungsverlusten, unverwandt die Werbetrommeln für die Bundeswehr. Laut faz.net erklärte Bachs Sekundant Michael Vesper, daß es ein "nationales Interesse" daran gebe, "dass wir Vorbilder erzeugen, und dass wir international präsent sind". Dazu trage auch die Bundeswehr bei. "Die Athleten, die Deutschland vertreten, sorgen für ein positives Bild der Bundeswehr." [4]

Die Aussagen Vespers, der nach FAZ-Angaben in den siebziger Jahren drei Instanzen durchkämpfte, um als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden, stehen beispielhaft für die Wandlung friedensbewegter Grünenpolitiker zu Anhängern "humanitärer Interventionen" und des "gerechten Krieges". An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, daß es rot-grüne Politiker waren, die 1999 beim NATO-Überfall auf Jugoslawien erstmals seit dem 2. Weltkrieg wieder deutsche Soldaten in einen Krieg schickten. Die Enttabuisierung des Militärischen, dessen Ablehnung sich für die Nachkriegsgeneration in der Losung widerspiegelte, von deutschem Boden solle nie wieder Krieg ausgehen, war damit, auch unter Zuhilfenahme massiver Greuelpropaganda, vollzogen. Mit tatkräftiger Unterstützung auch rot-grüner Kriegsbefürworter kletterte die Bundesrepublik im Ranking der größten Waffenexporteure so weit nach oben, daß sie seit 2006 Platz drei hinter den USA und Rußland einnimmt. Inzwischen haben CDU/CSU und FDP das Regierungszepter übernommen und halten Deutschland mit mehr oder weniger angezogener Handbremse auf Kriegskurs, während die Bundeswehr dabei ist, mit Slogans wie "Wir.dienen.Deutschland" ihre Muskeln spielen zu lassen, um Jugendliche, auch mit Hilfe des schwarz-rot-goldene Fahnen schwenkenden Sports, für das militärische Gewaltprimat einzunehmen. Hatte sich im vergangenen Jahr der frühere Bundespräsident Horst Köhler noch um sein Amt gebracht, als er Bundeswehreinsätze in den Zusammenhang mit "unseren" Wirtschaftsinteressen stellte, so hagelt es inzwischen kaum noch Proteste, wenn Politiker wie Thomas de Maizière (CDU) erklären, wesentliche Aufgabe der Bundeswehr sei es, "einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen" (siehe "Verteidigungspolitische Richtlinien" (VPR) vom 27.05.2011). Die weltweiten Einsätze der Bundeswehr seien als "Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität" zu verstehen. [5] Genaugenommen hatte bereits der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) in den VPR von 1992 erklärt, daß die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" Aufgabe der Bundeswehr sei.

In der Bevölkerung beginnt sich langsam eine Bewegung aus Friedens- und Bürgerrechtsgruppen zu formieren, die die Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland aus Gründen der Markt- und Rohstoffsicherung, der "Bündnistreue" oder geostrategischen Hegemonialpolitik sowie die Rüstungsexporte in alle Welt entschieden ablehnt. Mit dem Motto "Gier.Macht.Krieg" versucht etwa das Bündnis "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel" die Bevölkerung gegen Rüstungsexporte in Länder wie beispielsweise Saudi-Arabien zu mobilisieren. Schirmherrin der Kampagne ist die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Margot Käßmann, die sich bereits mit Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und an der Bombardierung Libyens durch die NATO in die Nesseln der Kriegstreiber gesetzt hatte. Andere Aktionsbündnisse versuchen mit Kampagnen wie "Schulfrei für die Bundeswehr" oder "Bildung ohne Bundeswehr" den ausgefuchsten Werbefeldzügen der Jugendoffiziere und Wehrdienstberater in Schul- und Bildungseinrichtungen Einhalt zu gebieten.

Öffentlichkeitswirksame Initiativen gegen die Vereinnahmung des Sports für die Image- und Rekrutierungskampagnen der Bundeswehr scheint es allerdings im organisierten Sport noch nicht zu geben. Im Gegenteil, die rege Beteiligung an von der Bundeswehr seit Jahren initiierten oder gesponserten Jugendsportevents wie "BW-Beachen", "BW-Olympix" oder "U21 Bundeswehr Schul-Liga" (Fußball-Liga für Schülerinnen und Schüler), die meist von Infotainments über Karrierechancen in den Streitkräften, der Verteilung kostenloser Werbeartikel mit Bundeswehraufdruck oder Vorführungen echten deutschen Kriegsgeräts begleitet sind, zeugen davon, daß diese Sportveranstaltungen sich insbesondere unter Minderjährigen großer Beliebtheit erfreuen. Wenn man sich dann noch vor Augen hält, daß zu den Zielgruppen offenen oder versteckten Bundeswehrmarketings nicht nur Sportlerinnen und Sportler gehören, sondern laut fr-online [6] auch sogenannte "Meinungsführer", als da wären "Schülersprecher, Schülerzeitungsredakteure, Internetredakteure von Schul-Homepages, Jugendvertreter in Betrieben, von Pfadfindern, Sportvereinen, Parteien, Stiftungen und Kirchen", die nach Vorstellung der Bundeswehr als "Multiplikatoren" wirken sollen, dann läßt sich erahnen, auf welchen Wegen ein "positives Bild von der Bundeswehr" massenwirksam erzeugt, verbreitet und gefestigt werden soll.

Die Funktionseliten des Sports tun sich allerdings keinen Gefallen damit, wenn sie aus durchschaubaren Motiven ins Werbehorn der Bundeswehr stoßen, ohne gleichzeitig eine gesellschaftliche Diskussion darüber zu führen, ob Sportsoldaten in einer Armee, deren Kampfeinsätze etwa in Afghanistan von einer Bevölkerungsmehrheit abgelehnt werden, noch Vorbilder sein können. Zumal selbst die unumschränkte Vorbildfunktion des zivilen Spitzensports in Frage steht. Auf der Sportjournalisten-Tagung des Deutschlandfunks in Köln [7] erregte erst kürzlich der Berliner Philosoph und Soziologe Prof. Gunter Gebauer einiges Aufsehen mit der These, daß das Repräsentationsmodell des Spitzensports ein fragwürdiges Relikt des Kalten Krieges sei. "Nationale Repräsentation ist immer auf einen inneren Zusammenhalt in der Gesellschaft angewiesen, und genau diese interne Kohäsion ist in der Gesellschaft, die sich jetzt gebildet hat, nicht mehr gegeben", sagte Gebauer mit Verweis auf die steigende soziale Ungleichheit in westlichen Gesellschaften. Zugleich hielt Gebauer den Medien- und Verbandsvertretern vor, daß sie den "qualitativen Wandel" des Sports eher nicht zur Kenntnis nähmen, sie seien immer noch bestärkt in der Auffassung "von der Großartigkeit und Wichtigkeit des Sports". Diesen Kritikfaden weitergesponnen, läßt sich konstatieren, daß sich die gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen Sportsoldaten während des Kalten Krieges als medaillenproduzierende "Staatsbürger in Uniform" oder "volkseigene Staatsamateure" wohlgelitten waren, ebenfalls verändert haben. Die Bundeswehr steht heute nicht mehr nur für "Landesverteidigung", sondern als Freiwilligentruppe mit Profi(t)einstellung auch für Kriegseinsätze im Ausland. Sportsoldaten, die ein "positives Bild von der Bundeswehr" vermitteln sollen, können bei allen Menschen, die begründete Zweifel an diesem Trugbild hegen und die die Neuausrichtung der Bundeswehr mit großer Sorge erfüllt, nur Mißbilligung hervorrufen.

Anmerkungen:

[1] http://www.bundestag.de/presse/hib/2011_10/2011_434/01.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1600892/

[3] dpa, 02.11.2011

http://newsticker.sueddeutsche.de/

[4] "Der Armee-Klub". Von Michael Reinsch. 21.10.2011.
http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/sportfoerderung-in-der-bundeswehr-der-armee-klub-11500791.html

[5] http://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmY2ODMyNzU3OTY4NjIyMDIwMjAyMDIw/Verteidigungspolitische%20Richtlinien%20(27.05.11).pdf

[6] "Lufthoheit über Klassenzimmer". Von Steffen Hebestreit. 18.07.2011.
www.fr-online.de/politik/bundeswehr-lufthoheit-ueber-klassenzimmer,1472596,8681448.html

[7] "Deutschland, Dein Sport". Von Gunter Gebauer, Professor für Philosophie und Soziologie des Sports an der Freien Universität Berlin. 02.10.2011.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1569378/

16. November 2011