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KOMMENTAR/170: "Sicheres Stadionerlebnis" - Durchleuchtung bis in jede Körperöffnung? (SB)




Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Ihren Kindern oder Freunden ins Fußballstadion. Kaum daß Sie den Eingang passiert haben, werden Sie von einem freundlichen, aber bestimmt auftretenden Ordner aufgefordert, ihm zu folgen. Während Ihre Mitbesucher sich zu fragen beginnen, was Sie angestellt haben oder was Sie anders als andere verdächtig gemacht hat, werden Sie zur "Vollkontrolle" in einen Container gebeten. Dort müssen Sie sich unter den Prüfblicken eines weiblichen oder männlichen Ordners ausziehen und einem kompletten Bodyscan unterziehen. Der Grund: Sie könnten versucht haben, unerlaubte Pyrotechnik oder Ingredienzien dafür entweder am Körper oder in Körperöffnungen in das Stadion zu schmuggeln. Fanbeobachtern zufolge sei davon auszugehen, daß "Pyros" auch in rektalen oder vaginalen Körperverstecken ins Stadion geschleust werden.

Sie glauben, eine solche weitreichende Körperinspektion könnte nicht von Ihnen verlangt werden? Irrtum! Wenn Spitzensportlern abverlangt werden kann, daß sie sich von Dopingkontrolleuren auf ihr entblößtes Geschlechtsorgan blicken lassen, während sie zum Teil krampfhaft versuchen, Urin in ein Gefäß abzupressen, ohne daß dies von der Gesellschaft als unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen gewertet wird, warum sollte eine ähnlich intime Körperkontrolle nicht auch bei einem Fußballfan möglich sein? Schließlich stehen Spitzensportler in einer gesellschaftlichen Vorbildrolle!

Wer das mit "Information und Diskussion über weitere Schritte zur Umsetzung der Ergebnisse der Sicherheitskonferenz in Berlin und der Innenministerkonferenz" überschriebene Konzeptpapier [1] der Deutschen Fußball-Liga (DFL) liest, beginnt sich unweigerlich zu fragen, von welch aggressiven Interessen die Verfasser geleitet werden und wer die wirklichen "Hooligans" des Fußballs sind. In dem 32seitigen Diskussionspapier, das den euphemistischen Kurztitel "Sicheres Stadionerlebnis" trägt, heißt es u.a.:

"Wenn andere Maßnahmen nicht zu der Lösung der Problematik führen, sollen weitere Handlungsmöglichkeiten wie die Verbesserung der infrastrukturellen Möglichkeiten für eine angemessene Personen-Körperkontrolle in den notwendigen Stadionsektoren (z.B. Errichtung von Containern statt wie z.T. bisher Zelte) zur Verfügung stehen, um etwaige Vollkontrollen zügig und ohne unverhältnismäßigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte durchzuführen."

Natürlich sind sich die Verfasser der rechtlichen Problematik von "Vollkontrollen" und des damit verbundenen Eingriffs in die Grundrechte bewußt. Offensichtlich verfährt aber die "Kommission Sicherheit" der DFL, die das Diskussionspapier entwickelt hat, um es in modifizierter Form bei der Vollversammlung des Ligaverbandes am 12. Dezember verabschieden zu können, nach dem bewährten Schema, Maximalforderungen zu stellen, um Mindestforderungen als dann von allen akzeptiertes "kleineres Übel" durchzusetzen. Nach Darstellung der "Arbeitsgemeinschaft Fananwälte", die das Diskussionspapier einer kritischen Prüfung unterzogen und es in zahlreichen Punkten als "rechtswidrig und unverhältnismäßig" verworfen hat, sind sogenannte Vollkörperkontrollen unzulässig, da private Sicherheitskräfte keine Befugnis hätten, Personen zu durchsuchen - außer die betroffene Person würde einwilligen. Selbst die Polizei dürfte solche Maßnahmen nur in begründeten Ausnahmefällen und bei ausreichenden Verdachtsmomenten überhaupt durchführen.

Nach Angaben des Sportinformations-Dienstes (sid) stieß die Einlassung der AG Fananwälte bei der DFL auf Unverständnis. "Die im Konzeptpapier 'Sicheres Stadionerlebnis' vorgeschlagenen Maßnahmen werden in den verbandsrechtlichen Vorschriften selbstverständlich so ausgestaltet und in der Praxis selbstverständlich so umgesetzt, dass sie mit dem geltenden Recht in Einklang stehen", sagte ein DFL-Sprecher [2].

Mit anderen Worten: Ähnlich wie im sogenannten Antidopingkampf, wo Grundrechtsverletzungen und Präventivkontrollen einfach hingenommen werden, um die "Sonderwelt des Sports" zu erhalten, könnte auch der "Kampf gegen Pyrotechnik" als Rechtfertigung dienen, Fußballfans zu freiwilligen Vollkontrollen zu verpflichten. Analog zum "sauberen Sport" müßten die Fans dazu gebracht werden, sich zu "Gewaltfreiheit" zu bekennen, ungeachtet dessen, daß es sich bei diesen Redefiguren um rechtsoffene Begriffe handelt. Denn ebenso wie es keinen "dopingfreien" Sport gibt, gibt es natürlich auch keinen "gewaltfreien". Im Diskussionspapier der DFL sind aber solche Erklärungen, die in verpflichtende Verhaltenskodexe umgewandelt werden, bereits angedacht. So sollen die Vereine dazu angehalten werden, "Vereinbarungen/Chartas mit Fanorganisationen, Fanclubs etc. abzuschließen". Diese "Fanvereinbarungen" enthalten u.a. ein "Bekenntnis zu Gewaltfreiheit", die Anerkennung der bestehenden Vorschriften einschließlich Pyroverbot und ein Bekenntnis gegen Diskriminierung und Rassismus. Auch hier die Parallele zum Antidopingkampf: Dort werden die Sportler faktisch gezwungen, eine Athletenvereinbarung (inkl. Schiedsklauseln) zu unterschreiben, mit der sich die Vertragspartner zum "dopingfreien Sport" bekennen und dem harten Disziplinar- und Sanktionssystem der privatrechtlichen Sportverbände und -organisationen unterwerfen. Das schließt drastische Regreßforderungen und Vertragsstrafen mit ein. Mit der Unterzeichnung verwirken die Sportler ferner die Berechtigung, neben der Sportgerichtsbarkeit staatshoheitliche Gerichte in Anspruch zu nehmen.

Da die Bundesligavereine von Law-and-Order-Politikern, Polizeigewerkschaftern und DFL-Führung, welche einen eklatanten Anstieg von Gewalt in Fußballstadien behaupten, unter starken Druck gesetzt werden, mit allen nur erdenklichen polizeilichen und juristischen Mitteln dafür Sorge zu tragen, daß Sicherheit und Ordnung im Stadion gewährleistet sind, könnten sie versucht sein, die Schraube der Repression weiter anzuziehen. Zwar warnen Fanvertreter davor, daß dies die Fronten insbesondere zwischen den Ultras, für die das Abbrennen von "Pyros" inzwischen nicht mehr nur "Support", sondern auch Protestsignal ist, und der Fußballobrigkeit weiter verhärten wird, doch scheint es der politisch opportunistische Ligaverband mit seinem drakonischen Maßnahmenkatalog gerade darauf anzulegen.

Laut Diskussionspapier umfassen die "Fanvereinbarungen" zwischen Vereinen und Fans auch eine sogenannte "Selbstbindung", wonach die Vereine "keine Eintrittskarten mehr an Fanclubs" vergeben sollen, "welche nicht bereit sind, eine Fanvereinbarung mit den genannten Mindestinhalten (Gewaltfreiheit, Anerkennung Stadionordnung etc.) abzuschließen". So soll beispielsweise "das Mitführen von 'Blockfahnen' und Bannern" verboten werden, "wenn diese zur Verschleierung der Täterschaft bei Einsatz von Pyrotechnik bzw. überhaupt zur Ermöglichung von Pyrotechnik missbraucht werden". Einzelne Verstöße können mit Kollektivstrafen geahndet werden. Auch ein Vermummungsverbot soll in die Stadionordnung aufgenommen werden. Bekanntlich nutzen die Fans Banner, Fahnen oder Schals, um sich dahinter für ihre Aktionen vorzubereiten und sich vor den allgegenwärtigen Videokameras (inkl. Gesichtserkennungssoftware) in den Stadien zu schützen.

Sogar nachrichtendienstliche Mittel zur Bespitzelung und Unterwanderung von Fangruppierungen sollen bereits zur Anwendung gekommen sein. Auf eine kürzliche Kleine Anfrage Der Linken (17/10827) zum brisanten Thema "V-Leute und verdeckte Ermittler in Fußball-Fanszenen" antwortete das Bundesinnenministerium nicht nur äußerst zögerlich, sondern auch ausweichend. Genaue Auskünfte über das Ausmaß von geheimen Überwachungen durch V-Leute wurden nicht erteilt. Die dürftige Antwort bezeichnete Linken-Politiker Jan Korte als "Affront gegenüber dem Parlament" [3]. Schon vor der pauschalen Auskunft des BMI, daß der Einsatz von V-Leuten zur Kriminalitätsbekämpfung grundsätzlich legitim sei, hatte Philipp Markhardt, Sprecher des Bündnisses ProFans, den Schritt zu V-Leuten in der Fanszene als endgültigen Vertrauensbruch bezeichnet.

Alle einschlägigen Diskussionsvorgaben, Forderungskataloge oder verdeckten Maßnahmen von seiten der Fußballgewaltigen zeigen eigentlich nur eins: Ein offener Dialog mit den Fans, die weitenteils als Bedrohung wahrgenommen werden, ist nicht erwünscht. Entsprechend das Votum beim "Fan-Gipfel" am 1. November in Berlin. Die etwa 250 Fans aus 49 Vereinen lehnten das Sicherheitskonzept von DFL und DFB, in dessen Entstehungsprozeß sie nicht involviert waren, strikt ab und forderten erneut einen Dialog auf Augenhöhe und eine Versachlichung der Diskussion. Es dürfe im Dialog zwischen Verbänden, Vereinen und Fans keine Tabus geben, das gelte auch für Pyrotechnik, heißt es in der Abschlußerklärung. Unterstützung bekamen die Fans von mehreren Vereinen wie FC Union Berlin, FC St. Pauli, VfL Wolfsburg oder dem VfB Stuttgart, die den Entwurf "Sicheres Stadionerlebnis" ebenfalls ablehnen.

Fußnoten:

[1] http://fc-union-berlin.de/data/misc/downloads/Kommission%20Sicherheit_Mitgliederversammlung_27%2009%202012.pdf

[2] http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article110154827/Anwaelte-DFL-Sicherheitskonzept-ist-rechtswidrig.html

[3] "Die Wanze im Schal". Von Andreas Rüttenauer. 02.11.2012.
http://www.taz.de/V-Leute-in-Fankurven/!104784/

5. November 2012