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KOMMENTAR/196: Votum bigott (SB)


Wohlstand und Suffizienz in München - wohin treibt die NOlympia-Bewegung?



Selbst die Gegner von Münchens Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2022 waren vom klaren Ausgang des Bürgerentscheids überrascht. Obgleich die im Freistaat Bayern regierende CSU und die in München dominierende SPD die Bewerbung massiv unterstützten und die Fürsprecher zahlreiche prominente Werbefiguren aus Sport, Politik, Wirtschaft und Verwaltung aufbieten konnten, stimmte die Mehrheit der Wahlberechtigten sowohl in der Landeshauptstadt und in Garmisch-Partenkirchen als auch in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein gegen die Ausrichtung des Megaevents unter Federführung Münchens. Eine herbe Niederlage für den organisierten Sport, denn bis auf den Deutschen Alpenverein (DAV) standen sämtliche Sportverbände des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) hinter der Bewerbung.

Der Vierfach-Sieg sei kein Zeichen gegen den Sport, aber gegen die Profitgier des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), jubelte Ludwig Hartmann, Bayerns Grünen-Landtagsfraktionschef. Im Hochgefühl des Erfolgs ergänzte der Sprecher von NOlympia, daß er glaube, in ganz Deutschland seien Olympia-Bewerbungen mit dem heutigen Tag vom Tisch. Dem olympiakritischen Bündnis gehören neben den Grünen die Linke im Münchner Stadtrat, die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) in München, das Netzwerk Attac, der Bund Naturschutz in Bayern, die NaturFreunde und weitere Organisationen oder Verbände an. Der Vorsitzende vom Bund Naturschutz, Hubert Weiger, wertete den Volksentscheid als Sieg des ökologischen Bewußtseins und der Heimatliebe der Bürger über Kommerz und Gigantismus: "Dies ist ein Weckruf an das Internationale Olympische Komitee und den Deutschen Olympischen Sportbund, wieder zum Ursprung der olympischen Idee zurückzukehren und sich von einseitigen Knebelverträgen zu verabschieden." [1]

Bei aller berechtigten Kritik am profitorientierten Geschäftsmodell des IOC, an Schuldenbergen, Mitpreisexplosionen, Naturzerstörung, Greenwashing, Wachstumswahn, Sozialdumping, selektiver Steuerbefreiung, einseitigen Haftungsrisiken, diktatorischen Sponsorenvorrechten, unsozialem Elitesport, Militärfestspielen oder olympischem Internationalismus als verkappter Form der nationalen Staatenkonkurrenz bleibt doch die Frage, worauf die heterogene NOlympia-Bewegung zusteuert. Denn eines sollte man bei aller verständlichen Freude der NOlympia-Mitglieder, als in jeder Hinsicht minderbemittelter David gegen Goliath gewonnen zu haben, nicht außer acht lassen: Das abschlägige Votum in München und in den betroffenen Regionen im wirtschaftsstarken Bayern speist sich nicht aus einer sozialen oder politischen Bewegung von unten, die sich bewußt gemacht hätte, daß sie mit dem Fest der Paläste so viel verbindet wie den Bettler mit dem König. Nein, es ist vielmehr der Wohlstandsbürger aus dem grünbürgerlichen bis wertkonservativen Milieu, der seine gewohnten Sozialstandards und Lebensverhältnisse durch die kostspielige und naturverschandelnde Olympia-Sause in Gefahr sah und deshalb nolympia gestimmt hat. "Dies taten nicht nur irgendwelche querulatorischen Garmischer Wiesenbesitzer, dies taten nicht nur saturierte Wohlstandsmünchner - dies taten sie alle gemeinsam", kommentierte die SZ treffend [2].

Das Wahlergebnis könnte man auch als Ausdruck einer Suffizienzpolitik verstehen, wie sie der grüne Kapitalismus als Ausweg aus dem Dilemma festgefügter Eigentumsverhältnisse, mangelnder Verteilungsgerechtigkeit, profitgesteuerter Wirtschaft sowie Nahrungs-, Umwelt- und Klimakrisen propagiert. Suffizienz meint soviel wie Verzicht oder Genügsamkeit, maßvolles Wirtschaften, 'weniger ist mehr', 'genug ist genug', eine Kultur der Nachhaltigkeit durch ökologische Effizienzverbesserung, einen Paradigmenwechsel durch Selbstbegrenzung und Entkommerzialisierung. Der bayerische Bürgerwiderstand, der sich gegen die "Lobby der Profiteure" aus dem internationalen Sportzirkus und die entgrenzte Konsum- und Wachstumslogik aufrichtet, hat etwas zu verteidigen, nämlich die eigenen Privilegien "guten Lebens".

Wo die Gemeinsamkeit der Besitz- und Wohlstandsbürger mit den Habenichtsen aufhört, wird spätestens dann deutlich, wenn man sich die Zahlen vor Augen führt, welche die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bayern kürzlich veröffentlichte. Demnach sind 1,6 Millionen Menschen in Bayern von Armut betroffen. Das betrifft insbesondere die Frauen (900.000), die auch in puncto Altersarmut gefährdeter sind als die Männer. Oft ist das Gehalt so gering, daß es weder zum Leben noch für Rücklagen im Alter reicht. 2010 standen 35 Prozent der Bayern in befristeten Arbeitsverhältnissen als Leiharbeiter oder auf Minijob-Basis - Tendenz steigend. Und das in einem Land, das deutschlandweit zu den reichsten zählt, wobei anzumerken ist, daß laut beschönigendem Sozialbericht Bayern 2012 die oberen 20 Prozent zusammen zwei Drittel des Gesamtvermögens besitzen, sich der Wohlstand also sehr ungleich verteilt. [3]

Daß die rund 18.000 Hungerleider, die sich jede Woche Essen bei den 25 Ausgabestellen der Münchner Tafeln abholen, eine andere Vorstellung vom genügsamen oder nachhaltigen Leben haben als die gutsituierten Besitz- und Wohlstandsbürger in Südbayern, die "gemeinsam" gegen Olympia stimmten, dürfte auf der Hand liegen. Doch das ficht den Volksentscheid nicht an. Genausowenig dürfte die olympiakritischen Überraschungssieger beeindrucken, von der alteingesessenen politischen Klasse in München (CSU, SPD, FDP) und ihren Stimmungsmachern aus der Sportwirtschaft, die sich allesamt kräftig verpeilt haben, als ängstliche Neinsager, mutlose Zukunftsverweigerer oder Zuvieldemokraten verhöhnt zu werden, denen es nach Meinung von Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) in zehn Jahren vielleicht noch leid tun werde, daß man im internationalen Wettbewerb zu viel Feld freiwillig aufgegeben habe. Eine Angst, die bei näherem Hinsehen vollkommen unbegründet ist, denn die deutsche Exportwirtschaft macht mit Autokratien, Scheichtümern oder demokratischen Industriestaaten, die Milliarden in sportliche Großveranstaltungen stecken, blendende Geschäfte. Die Soziallasten, Kostengräber und Umweltzerstörungen wurden lediglich nach Katar, Rußland oder Brasilien outgesourct. Nicht der deutsche Geringverdiener wird wie Vieh behandelt, sondern der noch billiger seine Arbeit verkaufende Migrant fernab der bayerischen Wiesn und geliebten Heimat. Aber es kommt noch besser: Nachdem die deutsche Bau-, Verkehrs-, Sicherheits- oder Rüstungsindustrie Milliardenaufträge an Land gezogen hat, kann sich die Berliner Republik mit moralisch erhobenem Zeigefinger hinstellen, als sei sie vollkommen unbeteiligt an den Ausbeutungsverhältnissen und Umweltzerstörungen bei ihren Geschäftspartnern. Ja, können die denn keine fairen Löhne zahlen? Keine Arbeits- und Umweltstandards wie in Deutschland einhalten? Was für üble Gesellschaften! Pfui Teufel!

Die neue, an Suffizienzstrategien orientierte NOlympia-Bewegung unterscheidet sich um einiges vom Olympia-Widerstand aus den 1990er Jahren, als sich eine Gruppe um die Mitgründerin der Ost-Grünen, Judith Demba, noch mit Sponti-Aktionen gegen die Berliner Olympiabewerbung für die Spiele 2000 zur Wehr setzte, oder von der antikapitalistischen Agenda, wie sie 2003 das Anti-Olympische Komitee Leipzig (AOK) anläßlich der Bewerbung der sächsischen Metropole für die Sommerspiele 2012 vertrat. Das AOK um André Berg und David Salomon lehnte damals die bürgerliche Kritik an den Olympischen Spielen, die Olympia ohne Kommerz, Größenwahn und Doping erkämpfen wollte und dies für ein besseres Olympia hielt, strikt ab. "Unsere Kritik der Olympischen Spiele betrifft jede Form des Leistungssports, dem wir uns als Teil des Leistungsprinzips, wie auch Lohn- und Erwerbsarbeit, entgegenstellen", lautete der Standpunkt der Aktivisten, welcher von vielen Sportenthusiasten, die im Leistungssport eine Springquelle für soziale Anerkennung, beruflichen Erfolg und Lebenssinn sehen, als zu radikal empfunden wurde. "Auf wie viele Kulturgüter müsste man noch verzichten, wollte man Olympische Spiele und die schwerwiegenden sozialen Probleme der kapitalistischen Gesellschaft in einer derartigen Ursache und Wirkung verengende Beziehung bringen, wie das Berg und Salomon tun", fragte damals Prof. Dr. Werner Riebel aus Jena (Neues Deutschland, 15.04.2004), gelernter Leichtathlet und engagierter Fußballfunktionär in Ost- und Gesamtdeutschland.

Die Frage des Verzichts beantwortet sich in Zeiten des sogenannten Green New Deals ohnehin ganz anders, noch enggeführter und gänzlich ohne Kapitalismuskritik. In den reichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg haben es die Wohlstandsklientelen von schwarz, grün und rosarot geschafft, die flächendeckende Kriminalisierung von Sportregelverletzungen auf die politische Tagesordnung zu setzen, so daß demnächst wohl auch ein Antidopinggesetz auf Bundesebene kommt, welches, folgt man SPD-Plänen und Forderungen der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth, die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit von Arzneimitteln zum Zweck des Dopings im Sport beinhaltet und sich auch auf den Amateursport erstreckt. Man mag sich gar nicht ausmalen, welche Polizeimaßnahmen und Lauschangriffe der Staat durchführen muß, um verdächtigten Bürgern nachzuweisen, daß sie Arzneimittel "zum Zwecke des Dopings im Sport" eingesetzt haben.

Die Medien schweigen dazu, auch auf der Website von NOlympia sind keine kritischen Berichte oder Analysen zum Thema Anti-Doping-Schnüffelstaat zu finden. Im Gegenteil, dort empört man sich im Chor mit der einschlägigen Sportjournaille darüber, daß die Antidopingjäger weder finanziell noch bei der Überwachung, Kontrolle und Strafverfolgung aus dem vollen schöpfen können. Mit einem Wort: Sozialökologisch links blinken, aber bei der Repression auf der schwarz-rot-grünen Überholspur Vollgas geben.

Warum also nicht auch Umweltsünden oder Suffizienzvergehen mit gleicher Münze sanktionieren? Immerhin ist es den Gesundheitsaposteln gelungen, binnen weniger Jahre auch das Rauchen aus fast allen öffentlichen (Innen-)Räumen zu verbannen. Im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen ist vor wenigen Monaten das neben Bayern (seit 2008) schärfste Rauchverbot in ganz Deutschland in Kraft getreten.

Die von vielen geäußerte Befürchtung, daß das grüne Ökoregime ein autoritäres sein wird, weil sich die Besserverdienenden unter Aufrechterhalt der vorherrschenden Wirtschaftsweise nicht nur Verzicht leisten können, sondern auch über die entsprechenden Definitions- und Machtmittel verfügen, ihre sozialethisch, gesundheitlich und ökologisch letztbegründeten Standards für ein "gutes Leben" voranzutreiben, während die anderen, dann als Sozialdelinquenten bezichtigten Menschen davon ausgeschlossen bleiben, ist nicht von der Hand zu weisen. Welche Richtung die NOlympia-Bewegung einschlägt, ist noch nicht entschieden. Natürlich ist der Kampf der Sportverbände und Oberfunktionäre gegen Doping, Korruption und Betrügereien aller Art verlogen. Daraus aber den Schluß zu ziehen, die Politik müsse den Kontrolleuren, Kriminalisten und Polizisten nur die richtigen Instrumente an die Hand geben und schon würde der Leistungssport "sauberer", "fairer" oder "gerechter" werden, setzt der Verlogenheit die Krone herrschaftskonformer Wahrheit auf.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/sport/mehrsport/projekt-faellt-in-garmisch-partenkirchen-durch-buerger-lehnen-muenchner-bewerbung-fuer-olympia-2022-ab_aid_1154291.html. 10.11.2013.

[2] http://www.sueddeutsche.de/muenchen/ude-und-das-nein-zu-olympia-entzauberter-buerger-king-1.1815357. 11.11.2013.

[3] http://www.bayern.awo.de/fileadmin/Content/Dokumente/Fakten/arm_in_einem_reichen_land.pdf. September 2013.

1. Dezember 2013