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KOMMENTAR/206: Stolperfalle Fairneß (SB)


Nationalismus und Vaterlandsverrat: Bob-Pilot Manuel Machata kommt mit dem Schrecken davon



Die hohe Wellen schlagende "Kufen-Affäre" des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland (BSD) wurde jüngst für beendet erklärt. Der Bob-Pilot Manuel Machata war vom Verband wegen "verbandsschädigenden Verhaltens" ein Jahr für alle Wettkämpfe gesperrt und mit einer Geldstrafe in Höhe von 5000 Euro belegt worden. Am 7. April, nach einer fünfwöchigen Auseinandersetzung um die Frage, ob der ehemalige Weltmeister seine Kufen zu Unrecht dem zweifachen Sotschi-Olympiasieger Alexander Subkow aus Rußland geborgt hatte, einigten sich der Verband vor dem BSD-Rechtsausschuß mit Machata auf die Rücknahme der Sanktionen. Der 29jährige Potsdamer bleibt damit weiterhin Sportsoldat und im Nationalkader, auch wird er weiter finanziell gefördert. "Mit Verlust des Kaderplatzes, der Sporthilfe und Bundeswehr wäre meine komplette Existenz weg", hatte Machata im März erklärt und sich einen Rechtsanwalt genommen.

Der Streit, der sogar den Sportausschuß des Deutschen Bundestages in einer nichtöffentlichen Sitzung beschäftigte, hat viele Facetten. Wesentliche Fragen zur inneren und äußeren Verfaßtheit des medaillenfixierten Leistungs- und Wettkampfsports werden jedoch unter dem Deckel gehalten. Machata und der Verband sollen nach der Verhandlung im BSD-Rechtsausschuß vereinbart haben, die Entscheidung nicht zu kommentieren. Wie so oft im angeblich hohe Werte wie "Gleichheit, globale Solidarität und Völkerverständigung" (UNO-Diktion) repräsentierenden Sport wird der olympische Burgfrieden durch Stillschweigen hergestellt. Nur keine Pferde scheu machen. Der Nationalismus und Elitarismus im Spitzensport, befeuert durch die Fördermillionen des Bundesinnen- und -verteidigungsministeriums, darf auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Denn "Spitzensport ist immer auch Patriotismus. Da gehört der Minister an die Seite der Sportler", hatte Thomas de Maizière (CDU) kurz vor seiner Reise nach Sotschi erklärt. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, daß die fast zur Hälfte aus Soldaten und Soldatinnen bestehende Olympiatruppe "nur" mit 19 Medaillen (Platz 6 im Medaillenspiegel) aus Rußland heimkehren würde. "Es ist das schlechteste Abschneiden einer deutschen Olympia-Mannschaft bei Winterspielen seit der Wiedervereinigung", bilanzierten die Medien enttäuscht, und viele PolitikerInnen schlossen sich dem Resümee mit der Forderung an, die Fördermittel effektiver einzusetzen oder zu erhöhen.

Der Bob- und Schlittenverband, der von allen deutschen Winterverbänden in den letzten Jahren die üppigsten Fördergelder bekommen hatte, geriet vor dem Hintergrund verfehlter Zielvereinbarungen, die zwischen DOSB, den Spitzenverbänden und dem Bundesinnenministerium ausgekungelt werden, in arge Erklärungsnot. Erstmals seit 50 Jahren war ein deutsches Bobteam ohne eine Medaille vom "Fest der Nationen" zurückgekehrt. Eine Katastrophe, wie sowohl die Verbandsfunktionäre als auch die Medien unter Verweis darauf, daß Deutschland als einziges Land der Welt vier teure Eisbahnen unterhält, resümierten. Der viermalige Bob­olympiasieger André Lange, ganz Kind des DDR-Sports, brachte das Abschneiden des BSD-Teams in Sotschi mit folgenden Worten auf den Punkt: "Der Absturz des Bobsports läßt sich vergleichen mit einem Vorrundenaus der deutschen Fußballnationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft - das gab es bislang aber noch nie." Ursächlich seien Verständigungsprobleme zwischen Bob-Bundestrainer Christoph Langen und dem Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES): "Die Ergebnisse sprechen für sich. Olympia ist kein Ringelpiez mit Anfassen. Da geht es knallhart um Leistung. Manchmal ist es erforderlich, das Persönliche dem Wohl des Gesamterfolges unterzuordnen." [1]

Als in das kollektive Entsetzen über das medaillenlose Bobteam auch noch die Meldung platzte, daß der Sportsoldat Manuel Machata seine Kufen dem "russischen Feind" - so muß man es wohl ausdrücken - überlassen hatte, der daraufhin zweimal Gold gewann, kochte die national getrimmte Sportseele. "Schockiert" sei er gewesen, berichtete BSD-Vize Rainer M. Jakobus gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa), als er davon erfahren habe. "Der ganze deutsche Verband ist entsetzt." [2]

Ein Vaterlandsverräter, dieser Machata? Der ehemalige Weltmeister, der sich nicht für die Winterspiele in Sotschi qualifizieren konnte, hatte die Kufen aus seinem Privatbesitz an den russischen Doppel-Olympiasieger Alexander Subkow weitergegeben. Ein Verhalten, das unter internationalen Sportkollegen durchaus üblich ist. Zum Teil wird das Material auch an die Konkurrenz verkauft. "Ich bin in Sotschi auch mit fremden Kufen aus dem Ausland gefahren und zumindest beste Deutsche geworden. Ich habe also davon profitiert, dass mir ein so genannter 'Vaterlandsverräter' Kufen geliehen hat", übte Rekord-Weltmeisterin Sandra Kiriasis Solidarität mit Machata. [3] Viele andere Athleten und Beobachter schüttelten ebenfalls den Kopf über das harte Vorgehen der Verbandsoberen und bezeichneten Machata als "Sündenbock" für das medaillenlos gebliebene Bobteam.

Die Verantwortlichen beim BSD betonten zwar, daß sie zwischen der Leihgabe der Kufen des Potsdamer Piloten und dem schlechten Abschneiden seiner Bobteams "keinen Zusammenhang" sähen. Die Einlassung von BSD-Präsident Andreas Trautvetter, als CDU-Politiker bis 2008 in diversen Thüringer Ministerien tätig, spricht aber eine andere Sprache: "Natürlich ist uns bekannt, dass auch in der Vergangenheit Kufen international verliehen und gehandelt wurden. Diese Verfahrensweise habe ich schon immer kritisch gesehen. (...) Diese relativ harte Strafe gegen Manuel Machata soll ein erster Schritt sein, um nationale Interessen zu wahren." Machata hätte den Interessen des Verbandes "großen Schaden" zugefügt und den Verband im Vorfeld über die Leihgabe ins Ausland informieren müssen. [4]

So klein ist die Welt der Medaillenzähler. Nur zu offensichtlich besteht der große Schaden darin, daß nicht Deutschland, sondern Rußland die Medaillen absahnte. Bei aller Rhetorik vom gemeinschaftlichen Sport geht es am Ende doch um die Wahrung der "nationalen Interessen". Wie auf dem kapitalistischen Weltmarkt stehen die Sportnationen in erbitterter Konkurrenz zueinander. Neben den Medaillenzählungen wird der Nationalismus im olympischen und paralympischen Sport auch durch den Einzug der Nationen mit ihren Fahnen und das Abspielen der Nationalhymne sowie durch die alleinige Zulassung von Nationalmannschaften gefördert. Jedwede Versuche, die identitäts- und hierarchiebildende Nationenfixierung abzuschaffen, sind von der Mehrheit der olympischen Teilnehmerstaaten abgeblockt worden. Der olympische Internationalismus ist nicht nur gescheitert, er dient inzwischen nur noch als Schönwetterformel, um das globale Raubrittertum der Spielekonzerne und Industrieunternehmen zu verschleiern.

Die Antwort der Politik auf den sich immer deutlicher an den eigenen Widersprüchen blamierenden Spitzensport ist die Verschärfung der Repression und das Anziehen der ökonomischen Daumenschrauben. Um Politik und Wirtschaft enger zusammenzuführen, ist Thomas de Maizière jüngst als erster deutscher Innenminister dem Aufsichtsrat der Deutschen Sporthilfe beigetreten. Dort tummeln sich Wirtschaftsgrößen wie Jürgen Fitschen, Co-Vorsitzender der Deutschen Bank, Carsten Spohr, neuer Lufthansa-Chef, oder Bodo Uebber, Daimler-Finanz-Chef. Die Stiftung, die die Hungerleider des deutschen Sports mit Fördergeldern, Prämienzahlungen und Stipendien versorgt, macht ausgiebig Werbung für die Vorbildfunktion von Sporteliten, initiierte die umstrittene "Hall of Fame des deutschen Sports" und arrangiert für begünstigte SportlerInnen regelmäßig Treffen mit Spitzenvertretern aus Kultur, Wirtschaft und Politik ("Elite-Forum"), um den Korpsgeist der Leistungseliten zu stärken. Die "strategischen Partnerschaften" reichen bis in die Konrad-Adenauer- und Heinrich-Böll-Stiftung.

Unterdessen nutzt die mit der Deutschen Sporthilfe eng verbandelte Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) die Gunst der Stunde, um Loblieder auf die weitere "Professionalisierung" des Deutschen Olympischen Sportbundes zu singen. "Der Fall des Bob-Piloten Manuel Machata (...) belegt selbst in simplen Fällen die Überforderung mancher Freizeit-Funktionäre", heißt es in einem FAZ-Kommentar unter der Überschrift: "Wenn der deutsche Sport international Schritt halten will, kommt er an einer modernen Verbandsführung nicht vorbei - im Leistungs- wie im Breitensport." [5] "International Schritt halten" ist eine Metapher dafür, den Rüstungswettlauf im Hochleistungssport auf allen Ebenen zu intensivieren.

Nach FAZ-Informationen soll das ehrenamtlich arbeitende DOSB-Präsidium mit Alfons Hörmann an der Spitze möglicherweise in eine Art Aufsichtsrat umgewandelt werden, der dann einen hauptamtlichen Vorstand kontrolliert. Wie in der Wirtschaft würde damit der Leistungs- und Breitensport noch stärker den Maximen ökonomischer Effizienzsteigerung durch hauptamtliche "Profis" unterworfen werden. Zu Recht kommentierte ein FAZ-Leser: Professionalisierung sei das Problem, nicht die Lösung - die Professionalisierung verteuere sogar den (Breiten-)Sport. Ob das die Nutznießer des ökonomisierten Spitzensports wohl kratzen wird?

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/sport/article125161517/Wie-ein-Vorrunden-Aus-bei-der-Fussball-WM.html. 24.02.2014.

[2] http://www.faz.net/aktuell/sport/olympische-winterspiele/eissport/landesverrat-im-viererbob-russisches-gold-mit-deutschen-kufen-12818631.html. 24.02.2014.

[3] http://www.sueddeutsche.de/sport/sperre-gegen-bobpilot-machata-beschaemend-und-fast-schon-laecherlich-1.1904232. 04.03.2014.

[4] http://www.bsd-portal.de/index.php?id=55&type=1&tx_ttnews[tt_news]=7410&no_cache=1. 03.03.2014.

[5] http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/zukunft-des-dosb-entlastung-fuer-das-ehrenamt-12884661.html. 08.04.2014.

15. April 2014