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KOMMENTAR/220: Orwell läßt grüßen ... (SB)


Kurzsichtiges Anti-Doping-Gesetz: Medien, Funktionäre und Politiker feiern neue Kriminalisierungspolitik



Daß der elitäre Spitzensport ein Sammelbecken für dopingverdächtige Leistungsfetischisten, schwarz-rot-gold geschminkte Medaillensoldaten und ansonsten gut angepaßte Tunnelblicker ist, die sich zum Beweis ihrer "sauberen" Lebensführung am liebsten einen Überwachungschip unter die Haut jagen würden, hat man hier und da ja schon mitbekommen. Und sicherlich auch, daß Funktionäre, Politiker und Juristen, die einem solchen "Sport" mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen, wie sie sonst nur im Anti-Terror-Kampf zum Einsatz kommen, "Glaubwürdigkeit" verleihen wollen, den Sporthelden im Geiste nicht nachstehen. Selbst einfachste Zusammenhänge, wie sie in anderen Gesellschaftsbereichen sofort durchschaut werden, werden von den Sittenwächtern der Sportreligion ignoriert. So wie der Bürger, wenn er als "gläsern" attributiert wird, stets ein verdächtiger und überwachter ist, so ist natürlich auch ein "sauberer Sportler" das Gegenteil von dem, als was er erscheinen soll: Nicht porentief rein, sondern verdächtig und potentiell delinquent!

Inzwischen ist der "Dopingsünder" in der medialen Öffentlichkeit als soziales Feindbild und Prügelknabe zeitgenössischen Sportprangertums fest etabliert. Doch nun soll die vermeintliche "Integrität" des Spitzensports, dessen an Orwell erinnerndes Kontroll-, Überwachungs- und Schuldverdrehungssystem allen "freiheitlichen Werten" Hohn spricht, vollends zum Schlachtfeld von Forensikern, Kontrolleuren, Denunzianten, Polizisten, verdeckten Ermittlern, Staatsanwälten und Richtern werden. Der religiös konnotierte "Sünder", der eine Sportregelwidrigkeit begangen hat, soll als "Kern des Unrechts, wenn es um die Gefährdung der Integrität des organisierten Sports geht", zum Straftäter aufgewertet werden, der möglicherweise Anschluß an "kriminelle Netzwerke" hat. Das geht aus Plänen hervor, die von drei Bundesministerien gezeichnet wurden. [1] Nach dem neuesten Gesetzentwurf, den Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) am 12. November in Berlin vorstellten, müssen Spitzenathleten, die verbotene Mittel zum Selbstdoping nehmen oder in nur kleinen Mengen besitzen, in Zukunft mit Gefängnis von bis zu drei Jahren oder empfindlichen Geldstrafen rechnen. Das Gesetz soll nach dem parlamentarischen Verfahren im Frühjahr 2015 abgesegnet werden.

Dem verfassungsrechtlich umstrittenen Gesetz zufolge geraten alle rund 7.000 Topathleten, die Mitglied des NADA-Testpools sind oder durch den Sport "erhebliche Einnahmen" haben, ins Fadenkreuz staatlicher Vorverdächtigung und Emittlungsoffensiven. Verschwiegen oder bagatellisiert wird in der Regel der Umstand, daß auch die Angehörigen und Kontaktpersonen von des Dopings bezichtigten Athleten damit rechnen müssen, von staatlichen Stellen überwacht und ausgeforscht zu werden. Denn durch das neue Gesetz kann der Staat praktisch alle Instrumente der Strafermittlung einsetzen. Positive Dopingtests, über deren Zustandekommen, Interpretation oder juristischen Vorsatz oft Zweifel bestehen, reichen schon aus, um Hausdurchsuchungen, Polizeirazzien, Telefonüberwachungen oder Observierungen von Athleten und ihren vermeintlichen "Hinterleuten" zu legitimieren. Im Fall der Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle reichte die Einnahme eines vermutlich verunreinigten Teegetränks aus, damit sich die in- und ausländischen Polizeien auf die Suche nach Beweisen und potentiellen "Hintermännern" machen konnten. Auch ohne Spezialgesetz wurden im Jahr 2013 im Bereich der Dopingbekämpfung bundesweit 153 Maßnahmen zur verdeckten Telekommunikationsüberwachung angeordnet. Die Zahl dürfte steigen, wenn die Nationale Anti-Doping-Agentur, die einen behördenähnlichen Status erhalten soll, und staatliche Ermittler nahezu ungehindert "Informationen" austauschen können. Da das Treiben "intelligenter Kontrolleure", die über intimste Daten und Profile von Athleten verfügen, im Verborgenen stattfindet, muß man unter den Girlanden des Datenschutzes von einem geheimdienstähnlichen Wirken der NADA ausgehen.

Die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit prädisponiert jeden Spitzenathleten, der medizische Präparate in seiner Traininigstasche bei sich führt oder an einem anderen Ort aufbewahrt, zum potentiellen Betrüger. Denn die Mittel, die er zum Beispiel zur Regeneration oder Heilung seiner vielfältigen Wehwehchen und Verletzungen braucht, könnten strafindexiert sein. "Wenn es etwas ist, was auf der Dopingliste steht und eine leistungsfördernde Substanz ist, dann hat das nichts im Körper eines Sportlers oder auch nicht in seiner Tasche verloren, und dann würde das Anti-Doping-Gesetz greifen", erklärte Justizminister Maas im Deutschlandfunk [2].

Mit anderen Worten: Alle Spitzenathleten geraten in eine fürchterliche Erklärungsnot, wenn bei ihnen oder ihren Hausbewohnern "Pillen" gefunden werden. Neben der Frage, ob sie legal oder aufgrund einer ärztlichen Ausnahmegenehmigung erlaubt sind, dürfte die Ermittler auch interessieren, ob sich innerhalb einer Sportlerfamilie Spitzenathleten aus einem gemeinsamen Apothekenschrank bedienen, in dem Arzneien stehen, für deren unerlaubten Gebrauch sie ins Gefängnis wandern könnten. Aufgrund der Abgrenzungsschwierigkeiten setzt die strikte Besitzstrafbarkeit alle Angehörigen von Topathleten unter Dopingverdacht, schließlich könnten sie Teil eines "kriminellen Netzwerkes" oder "Händlerrings" sein.

"Eine Kriminalisierung des reinen Amateursports" ist laut Referentenentwurf nicht vorgesehen. Somit sind Freizeit- und Hobbysportler von den neuen Strafvorschriften ausgenommen - was sich aber noch ändern kann, wie die galoppierende Entwicklungsgeschichte des repressiven Antidopingkampfes nahelegt. Scharfrichterliche Journalisten, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, daß sie zur Perfektionierung des Antidopingregimes Lücken im Kontroll- und Sanktionssystem anprangern, sowie vollangepaßte Athleten haben bereits Forderungen nach dem Motto "gleiches Recht für alle" erhoben. So kritisierte auch DOSB-Athletensprecher Christian Schreiber, daß das geplante Anti-Doping-Gesetz nicht für Amateurathleten und Freizeitsportler gelte. "Ich denke, man sollte da zwischen Amateuren und Profis gar nicht differenzieren. Das betrifft schon alle", so der ehemalige Ruderweltmeister bei "MDR Info".

"Alle" würde dann aber bedeuten, nicht nur Fitneßstudios oder Volksmarathons, sondern alle Bürgerinnen und Bürger in einer Leistungsgesellschaft unter Verdacht zu stellen, sich mit Mitteln verbesserter Ernährung oder medizinischer Hilfen, die zuvor als verboten auf die Indexliste gesetzt wurden, "ungerechtfertigte Vorteile" - so steht es im Referentenentwurf! - in Sport und Beruf erschlichen zu haben. Analog zum neuen Entwurf müßte es dann heißen: "Sie bedrohen mit diesem Verhalten die Integrität der Ellenbogengesellschaft und erschüttern dadurch ihre Grundlagen wie Fairness und Chancengleichheit."

Warnende Stimmen, die mit profunden Argumenten vor dem "Anti-Doping-Krieg" und der Zweckentfremdung des Strafrechts als "ultima ratio" staatlich sanktionierter Gewaltanwendung warnten, wurden und werden geflissentlich überhört. Die Meinungs- und Deutungsmacht des Sport-Medien-Komplexes, der die Fabel vom "wettbewerblich fairen, moralisch integeren und gesundheitlich positiven Spitzensport" verkaufsträchtig in Szene setzt, feiert einmal mehr Triumphe. Wenn man Stimmung und Geist beschreiben wollte, mit denen die Gesetzgebung als "Meilenstein" oder "Quantensprung" im Antidopingkampf begrüßt wird, dann fühlt man sich unweigerlich an das Jahr 2009 erinnert, als die Eisschnelläuferin Claudia Pechstein zur "Stärkung des Antidopingkampfes" unter dem Beifall von Medien, (Sport-)Politik und (Fach-)Publikum ans Kreuz genagelt wurde.

Der Gesetzentwurf setzt sich mit ministeriellem Machtwort, Schiedsvereinbarungen zwischen Verbänden und Sportlern explizit für zulässig zu erklären, über die geballte Kritik von betroffenen Athleten und Rechtsexperten hinweg. Sportler, die die Athleten- und Schiedsvereinbarungen der Sportverbände unterschreiben und sich damit dem Sportschnellgerichtssystem überantworten, verlieren den Schutz elementarer Rechte und Rechtsprinzipien. "So können zum Beispiel ein gegenüber dem normalen Rechtsweg abgesenktes Beweismaß, eine Beweislastumkehr und die Möglichkeit der nur statistischen (indirekten) Beweisführung bei zugleich arg zeitverkürztem Verfahren zeitgleich zusammentreffen und eine effektive Rechtsverteidigung der Sportler untergraben", bemängeln selbst Polizeivertreter. [3]

Der 46seitige Referentenentwurf strotzt nur so von sprachlichen Allgemeinplätzen, unbewiesenen Behauptungen, moralischen Zeigefingern und aberwitzigen Letztbegründungen. "Gesundheit", "Fairness", "Vorbildfunktion", "ethisch-moralische Grundwerte des Sports" - alles juristisch unbestimmte Gummibegriffe, die sich, wenn man den Spitzensport tatsächlich an den eigenen Jovialnormen messen würde, als haltlos erweisen. Bemerkenswert auch, daß im Referentenentwurf die Begriffe "Sport" und "Spitzensport" munter durcheinandergewirbelt werden - offenbar in der Absicht, eine Solidarität vorzugaukeln, die in der Bevölkerung zunehmend in Frage gestellt wird. Denn der staatlich alimentierte Spitzensport, der als "Hochtechnologieprodukt" und "Wirtschaftsfaktor" vereinnahmt ein "Aushängeschild Deutschlands in der Welt" darstellen soll, hat mit der Sport-, Spiel- und Bewegungskultur der allermeisten Menschen so gut wie nichts gemein.

Was hier aus populistischen Gründen in Gesetzesstein gemeißelt werden soll, scheint geeignet, das Ansehen der Jurisdiktion zu beschädigen. Datenschützer, die noch nicht vollständig ins Antidopingregime eingebettet sind, bezeichnen das Anti-Doping-Gesetz wegen der Eingriffe in die Grundrechte schlichtweg als unverhältnismäßig und verfassungswidrig. [4] Sportunabhängige Juristen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, was sich PolitikerInnen aller Couleur, die nicht selten mit der Sportverbandswirtschaft verbandelt und wie die Athleten Getriebene der öffentlichen Meinung sind, hier leisten.

"Wenn man anfängt, moralische Implikationen unter Strafrechtsschutz zu stellen, holt man sich den Teufel ins Haus", erklärte unlängst der Rechtsanwalt Dr. Rico Kauerhof, Vorstandsvorsitzender des Instituts für Deutsches und Internationales Sportrecht (IDIS), in einem hörenswerten Expertengespräch auf SWR2. Wie so viele Juristen fragt sich auch Kauerhof, welches "Rechtsgut" hier eigentlich verletzt wird oder geschützt werden soll, das die Sonderwelt des Sports im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen für sich reklamieren könnte. Der ehemalige Fußballprofi kritisierte, daß das Anti-Doping-Gesetz nicht zu Ende gedacht sei, "wenn man anfängt, Fairneß und Integrität des Sportes oder ähnliche moralische Implikationen unter strafrechtlichen Schutz zu stellen". [5] Juristische Bedenken hatte Kauerhof bereits im vergangenen Jahr vorgetragen: "Schließlich wird noch die Effektivität im Dopingkampf ins Feld geführt, welche bei der Anwendung des Strafprozessrechts wesentlich erhöht wäre. Hierdurch wird jedoch das Ross zum Reiter gemacht: Das Strafprozessrecht soll dem effektiven Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht dienen, nicht das Strafrecht die Voraussetzung für ein möglichst scharfes, strafprozessuales Vorgehen bilden. Logisch unhaltbar, juristisch unerträglich!" [6]

Im Gegensatz zu vielen Falschdarstellungen in den Medien, die mit Verweis auf eine scharfe Gesetzgebung im europäischen Ausland Werbung für eine Strafbarkeit von "Eigendoping" gemacht hatten, ist es dort in keinem einzigen Fall zur Bestrafung eines Sportlers gekommen. Die Abschreckungswirkung des Strafrechts wird also gar nicht eintreten, zumal das Pferd ohnehin von der falschen Seite aufgezäumt wird. Dem Schrecken aufzufliegen steht nämlich der viel größere Schrecken gegenüber, der die Sportler überhaupt zum Doping treibt: Wer im knüppelharten Wettbewerbssystem des Spitzensports keine Erfolge, keine Medaillen und keine Bestleistungen vorzuweisen hat, bezahlt dies mit zum Teil existentiell bedrohlichen Einbußen bei der finanziellen Förderung durch Staat, Sponsoring und Werbung. Ein Staat, der nationale Standortpolitik und kriegsaffine Bundeswehrwerbung mit seinen Medaillenbringern betreiben will, hat selbstverständlich kein Interesse daran, das wettbewerbliche Drückersystem im Spitzensport in Frage zu stellen. Innenminister de Maizière pries das neue Gesetz, das den Sport "sauberer" mache, sogar als "Vorteil für eine internationale Bewerbung" bei Olympischen Spielen. Die oft zu hörende Forderung nach einer sportunabhängigen Dopingbekämpfung (siehe die kürzliche Promotiontour des US-Dopingjägers Travis Tygart in Deutschland) geht daher vollkommen am Interessensschluß von Staat und Sportverbänden vorbei. Beide verbindet das Interesse, dem Spitzensport das Markensiegel "sauber" aufzupappen.

Ohnehin liegt der Ertrag der strafgesetzlich bewehrten Dopingjagd in einer ganz anderen Richtung, als gemeinhin diskutiert. Der Heidelberger Dopingjäger Prof. Werner Franke beklagte bereits, daß das neue Gesetz keine Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht ermögliche: "Das ist ein fundamentaler Kritikpunkt. Wenn nicht an die Verschwiegenheitsklausel herangegangen wird, kann man sich das Ganze schenken." [7]

In der Peilung der notorischen Scharfmacher liegt keineswegs nur die Aushöhlung oder Suspendierung der ärztlichen Schweigepflicht, die auch dem Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs (Privatsphäre) jedweder Person dient. Es geht vielmehr darum, über den Doping-Legalismus die Reste an Selbstbestimmung des Bürgers, mit welchen Mitteln und Methoden er sich den unbestreitbaren Härten des täglichen Überlebenskampfes auszusetzen bereit ist, aufzubrechen und unter staatliche Verfügungsgewalt zu bringen. Können die Behörden erst einmal anhand von Verbotslisten bestimmen, was gesund oder ungesund, gerecht oder ungerecht, moralisch oder unmoralisch - sprich legal oder illegal ist, steht dem überwachungsstaatlichen Zugriff auf den mißbrauchsverdächtigen Bürger nichts mehr im Wege. Der Schritt, nach Medikamenten oder Substanzen mit "Gefährlichkeitspotential" irgendwann auch "ungesunde" Nahrungsergänzungsmittel oder "gefährliche" Ernährungsarten unter Strafe zu stellen, ist dann nur noch ein kurzer.

Fußnoten:

[1] http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/RefE-Bekaempfung-Doping-im-Sport.pdf?__blob=publicationFile. Bearbeitungsstand: 10.11.2014.
Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums für Gesundheit

[2] http://www.deutschlandfunk.de/anti-doping-gesetz-strafe-droht-schon-bei-einer-pille-im.890.de.html?dram:article_id=302899. 11.11.2014.

[3] http://www.gdpbundespolizei.de/2013/11/gdp-fordert-schiedsvereinbarungen-fuer-bundespolizei-spitzensportler-ueberpruefen/. 06.11.2014.

[4] http://www.swr.de/landesschau-aktuell/sport/mainzer-datenschutzbeauftragter-kritisiert-anti-doping-gesetz-wagner-gesetz-schiesst-ueber-das-ziel-hinaus/-/id=1208948/nid=1208948/did=14523140/ozwivg/. 12.11.2014.

[5] http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/swr2-forum/was-bewirkt-ein-strenges-anti-doping-gesetz-drei-jahre-haft-fuer-eine-sekunde-sieg/-/id=660214/did=14354570/nid=660214/1oldmg8/index.html. 16.10.2014.

[6] http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/anti-doping-gesetz-pro-contra/. 03.09.2013.

[7] http://www.saarbruecker-zeitung.de/sport/sz-sport/Berlin-Datenschuetzer-Doping-Dopingmittel-Gesetze-und-Rechtsnormen-Haftstrafen-Kritik-Minister-Persoenliche-Daten;art2820,5510425. 13.11.2014.

17. November 2014