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KOMMENTAR/236: Der Faktor Mensch ... (SB)


Büchse der Pandora: Erstmals Dopingtests im hochdotierten E-Sport


Zwei Dinge sorgten dafür, daß der weltweit boomende E-Sport ("Electronic Sport") kürzlich Schlagzeilen schrieb: Die Ankündigung, daß auch die Gamerszene künftig von Dopingkontrolleuren heimgesucht wird, und die Auslobung von 18,4 Millionen US-Dollar Preisgeld für ein hochrangiges Turnier im E-Sport. Niemals zuvor in der noch jungen Geschichte des wettbewerbsorientierten Gamings wurden solche Summen akquiriert. Beim Dota-2-Turnier "The International 2015" in Seattle (USA) kassierte allein das fünfköpfige Siegerteam 6,6 Millionen US-Dollar. Im Finale, das Millionen von Zuschauern live am Computer, Fernsehen oder in Kinosälen verfolgten, setzte sich das US-amerikanische Team "Evil Geniuses" gegen den chinesischen Konkurrenten "CDEC" mit 3:1 durch.

Noch wehren sich viele Sporttraditionalisten dagegen, den Wettkampf unter Computerspielern als "Sport" zu bezeichnen, obwohl den Aktiven höchste physische und mentale Leistungen abverlangt werden. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ordnet den E-Sport, ähnlich dem Schach, den Denkspielen zu und verweist auf das höchst umstrittene Ausschlußkriterium, daß beim Computerspieler eine "eigenmotorische Leistung" fehle. Auch sei beim E-Sport "zuviel Technik" im Spiel - ein Argument, das mit Blick auf den High-Tech-Spitzensport allerdings zunehmend verblaßt. Wie nahezu alles im Sport ist es letztlich eine Frage der Definitionsmacht bzw. Interessenspolitik, was ein- oder ausgeschlossen wird. Und da im internationalen Sport vor allem marktwirtschaftliche Interessen regieren - das Internationale Olympische Komitee (IOC) und der Fußball-Weltverband (FIFA) sind die besten Beispiele dafür -, dienen die hehren Regeln, Werte und Codes in erster Linie dem Schutz des kommerziellen Produktes.

Schon jetzt sackt die FIFA kräftig Lizenzgewinne für das sogenannte Sportsimulationsspiel "FIFA 14" ein, das sich 2013 weltweit 8,6 Millionen mal verkauft haben soll und die Gamer auf das globale Fußballgeschäft sowie seine monetarisierten Gesetzmäßigkeiten einschwört. Viele internationale Fußballstars werben sowohl für den Rasen- als auch Konsolesport, was zweifellos im Sinne der FIFA-Funktionäre ist, die sich daraus übergreifende Akzeptanz- und zielgruppenerweiterte Marketinggewinne erhoffen. Da auch der kommerzielle Olympismus mit aller Macht den Weg in die digitale Welt sucht, um die "iPod- und iPhone-Generation" für sich zu gewinnen, wie es von berufener Seite heißt, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, wann auch Video- und Computerspielen olympisch wird. In China, wo etablierte Sportverbände E-Sport als Sportart anerkannt haben, wurde anläßlich der Olympischen Sommerspiele 2008 bereits massiv für E-Sport geworben. Die kürzliche Vergabe der Olympischen Winterspiele 2022 an das nahezu schneelose Peking zeigt, daß auch das IOC vor allem marktbezogen denkt.

Ähnlich wie beim olympischen Schießen sind auch die E-Sportler bemüht, ihre Feinmotorik am PC oder Joystick stetig zu verbessern. Spitzengamer sollen bis zu zehn Stunden am Tag trainieren, wie sie ihre virtuellen Gegner am besten totschießen, meucheln, zerhacken oder zur Explosion bringen können und welche Strategien und Taktiken, auch im Verbund mit den Mitspielern, dabei am zielführendsten sind. Je variantenreicher, realitätsnäher und bildtechnisch ausgefeilter die Figurenbewegungen und Kulissen sind, desto größer in der Regel die Spielfreude. Neben den Hardcore-Varianten der sogenannten Ego-Shooter gibt es natürlich auch viele "Adventure"-Spiele, bei denen weniger oder gar kein Blut spritzt, aber häufig genauso emsig der Zerstörungslust gefrönt wird. Ausrüstung, Fähigkeiten und Waffen sind dort nicht modernem Kriegsgerät, militärischen Battlegroups oder schwerstem Verbrechertum nachempfunden, sondern entstammen der kaum weniger martialischen Welt des Fantasy mit sich gegenseitig bekämpfenden Dämonen, Elfen, Drachen, Magiern etc. So gehört zum Beispiel das erwähnte Echtzeit-Strategiespiel "Dota 2", eine Weiterentwicklung des Klassikers "Warcraft 3", zu den Action- oder Rollenspielen und hat zum Ziel, das eigene Heim zu verteidigen und das gegnerische plattzumachen.

Während sich im "vorbildlichen" Leistungs- und Spitzensport die Wettkämpfer ganz real zum Teil schwerste Verletzungen einhandeln oder gegenseitig zufügen - bis zur körperlichen Invalidität oder dem Tod bei Unfällen -, bleiben die Computerspieler von derlei "Künstlerpech" oder "Berufsrisiken" weitgehend verschont. Dennoch wird von Hand-, Nacken- oder Rückenschmerzen, Sehnenscheidenentzündungen sowie Konzentrationsschwächen, Schlafstörungen, Angst, Übelkeit oder Suchterscheinungen infolge exzessiven Konsolespielens berichtet. Wie im klassischen Hochleistungssport sind die Anforderungen und Verschleißwirkungen zum Teil so immens, daß auch E-Sportler nur eine begrenzte Karrierefrist auf höchstem Level spielen können. Die Möglichkeit, für Kriegsdienste oder Kriegseinsätze eingesetzt zu werden, ist ebenfalls beidseitig verteilt. So, wie beispielsweise hochtrainierte Biathleten erfolgreiche Karrieren als "Sniper" oder "Heckenschützen" in der Bundeswehr einschlagen können, können natürlich auch Computerspieler zu versierten Drohnenpiloten ausgebildet werden, die, ohne mit der Wimper zu zucken, extralegale Hinrichtungen durchführen, als wären die getöteten Menschen nichts anderes als elektronische Pappkameraden.

Seit etwa Mitte der 1990er Jahre können Computerspiele wettkampfmäßig via Internet bestritten werden, nachdem zuvor nur Spiele gegen den Rechner möglich waren. Wie Realsportler sind auch die weltweit vernetzten Einzel- oder Clanspieler teilweise in Ligen unterschiedlicher Leistungsklassen und Disziplinen organisiert. Vielfach können auch Wetten auf Turnierspiele plaziert werden. Vom Gesamtumsatz her hat in Deutschland die milliardenschwere Spieleindustrie die Musikindustrie bereits in den Schatten gestellt. Und wie die Sport- und Eventindustrie versucht auch die IT- und Spieleindustrie, ständig neue Reize und Begehrlichkeiten auf seiten der Aktiven, Zuschauer und Konsumenten zu wecken. Die stufenweise Entwicklung des modernen Wettkampf- und Leistungssports zu einem Wirtschafts-, Medien- und Hochtechnologieprodukt, die viele Jahrzehnte in Anspruch nahm, haben die von großen Spiele- und Softwareunternehmen sowie Sponsoren gepushten E-Sportler quasi im Eiltempo vollzogen.

All das, was den großen Traditionssport in negativer Hinsicht auszeichnet, wird zweifellos auch den leistungs- und wettbewerbsorientierten E-Sport heimsuchen, nur noch schneller. Nach der Kommerzialisierung und Professionalisierung, das ist jetzt schon absehbar, wird seine Verrechtlichung und sozialrepressive Einhegung kommen. Wer die Abhängigkeiten und Zwangslagen kennt, in denen die klassischen Hochleistungssportlerinnen und -sportler stecken, der macht sich nichts darüber vor, daß bald auch das professionelle Gaming unter generalisiertem Dopingverdacht stehen wird, mit all den gegenseitigen Bezichtigungen und medialen Skandalisierungen. Die mit kriminalistischen Mittel und Methoden nicht zu bewältigende Dopingproblematik hat sich unterdessen als Einfallstor erwiesen, immer größere Geschütze bei der hegemonialen Sicherstellung des "Wirtschafts- und Kulturgutes" Sport aufzufahren. In Deutschland wird inzwischen sogar daran gearbeitet, einen Sportregelbruch wie Doping zu kriminalisieren, was wiederum paradigmatische Auswirkungen auf das gesamte Sportverständnis haben wird.

Als Mitte Juli ein Counter-Strike-Spieler in einem Interview durchblicken ließ, daß das ADHS-Mittel Adderall zur Leistungssteigerung weit verbreitet sei, wurde das als Aufhänger genommen, die Einführung von Dopingtests bei größeren Turnieren bekanntzugeben. So soll erstmals beim "ESL One Cologne" (22./23. August) stichprobenartig nach verbotenen Substanzen gesucht werden. In Zusammenarbeit mit der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) hat sich der Veranstalter Electronic Sports League (ESL) für eine Anti-PED-Richtlinie (Performance Enhancing Drugs) in Köln entschieden, die zunächst nur Haut- oder Speicheltests auf Drogen beinhaltet. In einem weiteren Schritt plant die ESL, hinter der Privatfirmen stecken, die mit ihren Produkten, Medien-, Ligen- und Vertriebssystemen einen Riesenreibach machen, ein Treffen mit der World Anti-Doping Agency (WADA), um in dieser "Sportart", so heißt es tatsächlich auf der NADA-Website, "international wie in den USA, Asien und Australien für die Dopingproblematik zu sensibilisieren und ein Regelwerk zu etablieren". [1]

Dopingkontrollen sind eine der Voraussetzungen dafür, daß eine "Sportart" irgendwann olympisch werden kann. Daß hinter der Einführung von Dopingtests massive Wirtschaftsinteressen auf seiten der Spieleunternehmen stecken könnten, Fuß in der auch politisch und juristisch bestens abgesicherten Geschäftswelt des IOC zu fassen, wird in der öffentlichen Rezeption vollständig ausgeblendet. Überhaupt scheint man in der Gamerszene eher dem Tellerwäschertraum nachzuhängen, durch den E-Sport gesellschaftlich aufzusteigen und vielleicht sogar reich und berühmt zu werden, als sich kritisch mit dem Anti-Doping-Regime und seinen Dysfunktionalitäten auseinanderzusetzen.

Was es in der Konsequenz heißt, wenn die NADA, wie sie selbst schreibt, ihre "Expertise" einbringen will, "um ein Anti-Doping-Programm im eSport zu etablieren", dürfte den wenigsten E-Sportlern klar sein. Denn im NADA-Neusprech ist alles, was den Spielern oder Athleten im Namen des "sauberen Sports" an Einschränkungen der persönlichen Freiheiten aufoktroyiert wird, moralisch sakrosankt sowie ethisch und rechtlich vertretbar. Dazu gehören zum Beispiel Kontrollen auch zu nachtschlafender Zeit oder im Urlaub, ständige Rechenschaftspflicht bezüglich aktueller und zukünftiger Aufenthaltsorte, direkte Sichtkontrollen beim Urinieren oder härteste Sanktionen selbst bei Meldepflicht- und Kontrollversäumnissen.

"Die Angst, nicht erreichbar zu sein, Verwarnungen oder gar Berufsverbot zu erhalten ist omnipräsent. Die elektronische Sippenhaft ist legal. George Orwell hätte seine reine Freude", schrieb die Degenfechterin Imke Duplitzer einmal über ihre schwierige Beziehung zu "Adam S.", dem Online-Überwachungssystem der WADA. [2] Da die Gamer eine hohe Affinität zu elektronischen Medien haben, könnte ihnen die tägliche Zwiesprache mit dem Big-Brother-System sogar leichter als den klassischen Kaderathleten fallen. Vielleicht entwickeln sie sogar positive Gefühle dabei und fassen alles als spielerische Herausforderung auf. Die Einschränkung ihrer Lebensqualität werden die E-Sportler spätestens dann zu spüren bekommen, wenn Zug um Zug die Daumenschrauben angezogen werden, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag kontrolliert werden darf und auch der Spielejournalismus damit beginnt, sich auf das verdächtige Treiben beim hochdotierten Gaming einzuschießen. Wenn die mit koffeinhaltigen Energy-Drinks und -Shots [3] reich versorgten Ego- oder Taktik-Shooter selbst zu Zielscheiben heilloser Verdächtigung und Anklagen werden, nützt allerdings auch die Flucht in virtuelle Zombie-, Apokalypse-, Science-Fiction- oder Fantasywelten nichts mehr. Wer sich wie die Robert Hartings dieser Welt entscheidet, die "Flucht nach vorne" anzutreten, indem er sich unter dem steigenden Rechtfertigungsdruck zum Sprachrohr verbesserter Kontrollen, freiwilliger Blutwertveröffentlichungen und verschärfter Repression macht, dürfte ebensowenig glücklich werden. Das Verhängnis des transparenten Athleten besteht darin, daß er in den Augen seiner Häscher niemals gläsern und anpassungsbereit genug sein kann.

Fußnoten:

[1] http://www.nada.de/de/nada/aktuelles/newsdetail/?tx_news_pi1[news]=654&tx_news_pi1[controller]=News&tx_news_pi1[action]=detail&cHash=9c65a99c98#.Vc3tWDJIk2o. 23.07.2015.

[2] http://www.taz.de/!5138821/. "Das ist wie Arrest". Von Imke Duplitzer. 19.07.2010.
Siehe auch Schattenblick-Kommentar:
http://www.schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek091.html

[3] Laut aktueller Verbotsliste der WADA sind Substanzen oder Stimulanzien wie Koffein oder Nikotin in das Überwachungsprogramm (überprüft die Wirkstoffe und Anwendungsweisen im Sport) für 2015 aufgenommen und gelten nicht als verbotene Substanzen. Seit die WADA Koffein 2004 aus praktischen Gründen (zu hohe Verbreitung in Lebensmitteln; zu viele Fehlurteile - aus Sicht der Kontrolleure zu viele Möglichkeiten von Athleten, sich "herauszureden") von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen hat, wurden immer wieder Überlegungen laut, den "Muntermacher" zurück auf den Index zu setzen.
Im Fahrwasser der um sich greifenden "Trottelbürger"-Politik wird gegenwärtig über ein mögliches Verbot sogenannter Energy-Shots, die ein Mehrfaches an Koffein (und Taurin) der "normalen" Energy-Drinks enthalten können und von den Herstellern als Nahrungsergänzungsmittel klassifiziert werden, diskutiert, nachdem verschiedenste Institute und Behörden vor den gesundheitlichen Risiken der Getränke gewarnt haben. Die Verbraucherorganisation Foodwatch fordert schon länger ein Verbot von Energy-Shots bzw. des Verkaufs von Energy-Drinks an Minderjährige in Deutschland. Als erstes Land hat Litauen seit November 2014 den Verkauf von Energy-Drinks wie "Red Bull", "Monster Energy" oder "Speedstar" an Minderjährige untersagt.
Nach Angaben der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) konsumiert fast jeder dritte Erwachsene Energy-Drinks, besonders beliebt sind sie bei Kindern und Jugendlichen sowie unter Sportlern.

18. August 2015


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