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KOMMENTAR/271: Invictus Games - der Lohn der zweiten Art ... (SB)



Die Bundeswehr zieht alle Werberegister, um mehr Kanonenfutter für die gegenwärtigen wie künftigen Weltordnungs- und Ressourcenkriege zu bekommen. Minderjährige, Schüler, Frauen, SportlerInnen, Behinderte - nichts, was sich nicht vor den Militärkarren spannen ließe. Anläßlich des Internationalen Frauentags verteilte die Bundeswehr erst kürzlich in Berlin unter dem Motto "Wir kämpfen für Freiheit, Sicherheit und Gleichberechtigung" Blumen an Passantinnen und warb in rosa Tarnfarben für weiblichen Nachwuchs. Mit ähnlichen Slogans wie "Wir kämpfen für die Freiheit. Und für Medaillen" oder "Wir machen Karrieren. Und Olympia-Sieger" hatte die Bundeswehr schon vor ein paar Jahren den Spitzensport in die Zügel genommen, ohne daß auch nur eine/r der vermeintlich "mündigen" SpitzensportlerInnen dagegen protestiert hätte. Nun haben sich die Kriegsparteien im Bundestag die Popularisierung der "Invictus Games" auf die Fahnen geschrieben, einer Sportveranstaltung der kriegsversehrten Soldatinnen und Soldaten, die 2022 oder später nach Deutschland geholt werden soll. CDU/CSU und SPD haben einen entsprechenden Antrag (19/8262) gestellt, der im Bundestag am 14. März in 1. Lesung beraten wurde; weitere Lesungen sind geplant. [1]

Über das rein sportliche Kräftemessen hinaus sollen die Wettbewerbe, so heißt es im Antrag, "mehr Aufmerksamkeit und eine stärkere Anerkennung im öffentlichen Diskurs bewirken und vor Augen führen, was die Soldatinnen und Soldaten für die Bundesrepublik Deutschland und den internationalen Frieden geleistet haben - hier im Besonderen unter Einsatz und Einbuße ihrer Gesundheit". Zudem wird auf die Bedeutung hingewiesen, die Invictus Games für (physisch wie psychisch) verwundete Soldatinnen und Soldaten als "Sporttherapie nach Einsatzschädigung" sowie als Weg "zurück ins Leben und zu einem normalen Alltag" haben. [2]

Wieviel "Wertschätzung" und "Anerkennung" - zwei Begriffe, die sich in den Sonntagsreden der Parlamentarier stetig wiederholen - die Regierungsparteien den schwächsten und noch unverletzten Menschen tatsächlich entgegenbringen, haben sie bereits im vergangenen Jahr demonstriert, als sie einen Antrag (19/5549) der Linksfraktion ablehnten, in dem diese Maßnahmen gegen den Einsatz von Minderjährigen in bewaffneten Konflikten forderte. Deutschland gehört neben Großbritannien und den USA zu den drei Industrieländern, in denen häufig Jugendliche an Kriegswaffen ausgebildet werden. Letztes Jahr rekrutierte die Bundeswehr knapp 1700 Minderjährige, die auch über Sportevents, Social-Media-Kampagnen oder Computerspielmessen (die Regierungsinitiative "E-Sport", die u.a. Killerspielen eine olympische Perspektive eröffnen will, läßt grüßen!) angefixt wurden.

Im November 2018 hatte die FDP einen ähnlichen Antrag gestellt, um Invictus Games nach Deutschland zu holen ("Einsatzgeschädigten Soldatinnen und Soldaten den Rücken stärken"). Zu diesem Zeitpunkt gab es für die Regierungskoalition noch keine Veranlassung, pathetische Reden im Bundestag zu schwingen und ihre "Verantwortung" gegenüber "unseren" Soldatinnen und Soldaten zu betonen. Der Antrag (19/4535) wurde bei Zustimmung von FDP, AfD und Grünen mit den Stimmen von Union und SPD sowie der Linken abgelehnt (aus unterschiedlichen Gründen). Dem aktuell zur Debatte stehenden Antrag stehen indessen fünf der sechs Bundestagsfraktionen aufgeschlossen gegenüber. Einzig die Linken sehen noch Klärungsbedarf, "warum an den Invictus Games nur NATO-Armeen und ihre in Kriegseinsätzen Verbündete teilnehmen, oder auch, warum diese Sportler, die Soldatinnen und Soldaten, nicht in die Paralympics integriert werden können", wie Andre Hahn zu bedenken gab. Ohne dies inhaltlich näher auszuführen, wies der Linkenpolitiker zudem darauf hin, daß die Ausrichtung eines solchen Sportereignisses die Gefahr berge, "Militäreinsätze zu normalisieren". [3]

"Das Schicksal von Kriegsversehrten und Veteranen liegt Prinz Harry von Wales seit seinem Einsatz als Co-Pilot eines 'Apache'-Kampfhubschraubers im südafghanischen Helmand besonders am Herzen. Darum rief er im Jahr 2014 die Invictus Games ins Leben", berichtete das Bundesverteidigungsministerium im Februar 2018 anläßlich einer Ehrung der deutschen TeilnehmerInnen durch Ursula von der Leyen in Berlin. [4] Weggelassen wurde der Hinweis - ebenso in den Anträgen von FDP und Union -, daß "Captain Wales", wie Prinz Harry beim Militär genannt wird, die einwöchige Veranstaltung nach dem amerikanischen Vorbild der "US Warrior Games" initiierte, an denen er im Mai 2013 mit einem britischen Team teilnahm. In den USA fin­den seit 2010 so­ge­nann­te War­ri­or Games (Krieger-Spiele) statt, die vom Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten organisiert werden und an denen aufgrund weltweit zunehmender Militärkonflikte und Stellvertreterkriege immer mehr ver­wun­de­te, ver­letz­te oder kran­ke Sol­da­tinnen und Sol­da­ten, auch ver­bün­de­ter Na­tio­nen, teil­neh­men. Der Bellizismus der USA sowie alliierter wie verfeindeter Staaten hat auch Auswirkungen auf die Paralympics, bei denen zunehmend mehr Kriegsgeschädigte um Medaillen kämpfen - was bei den Funktionären des Behindertensports, der dadurch gesellschaftlich aufgewertet wird, positiven Anklang findet. Als Impulsgeber gelten die USA mit laut Medienberichten rund 17.000 BehindertensportlerInnen, die ihre Verletzungen in Vietnam, Irak, Afghanistan oder anderen Kriegsschauplätzen davongetragen haben. Dieser Zahl stehen weit über dreißig Millionen Amerikaner mit einer Behinderung gegenüber, die keine warrior-games-tauglichen "Kriegshelden" sind und oftmals unter ärmlichsten Bedingungen ihr Leben führen.

In Großbritannien ist Prinz Harry auch Botschafter der Aktion "Help for Heroes", einer Hilfsorganisation für ehemalige Militärangehörige. Besondere Aufmerksamkeit erzielte der heute 34jährige, als er 2013 im Rahmen der Initiative "Walking with the Wounded" mit drei Teams aus Großbritannien, den USA sowie einer kanadisch-australischen Mannschaft zu einer 260 Kilometer langen Tour durch die Antarktis gestartet war, um Sponsoren und Spendengelder zu akquirieren. Der immer zu einem Späßchen aufgelegte Windsor-Sprößling hat mit den Invictus Games offenbar ein Betätigungsfeld gefunden, auf dem er sich nach seinen beiden Afghanistan-Einsätzen (2008 und 2012/2013), nunmehr begleitet von seiner Ehefrau Meghan und den Boulevardmedien, auf sportmännisch lockere Art als leuchtende Fackel der Wohltätigkeit profilieren kann. Die Invictus Games werden als regelrechte Familienereignisse inszeniert, bei denen es sehr kameradschaftlich zugehen soll - mit den Worten von Union und SPD, bei denen es "nicht ausschließlich um sportliche Höchstleistungen" gehe, sondern auch um "wechselseitige Wertschätzung sowie um das soziale Miteinander".

Während die USA, Großbritannien, Kanada oder Israel ihre versehrten Soldatinnen und Soldaten auf Sportevents als heldenhafte Veteranen und Kriegsopfer auf für hiesige Augen geradezu kriegsverherrlichende Weise hochleben lassen, war dies in Deutschland aufgrund seiner nationalsozialistischen Geschichte und auf Landesverteidigung ausgerichteten Bundeswehr noch nicht so ohne weiteres möglich. Doch die vielfach militärkritischen Einstellungen haben sich in Deutschland als nunmehr zentraler und aufstrebender Macht in Europa zunehmend verflüchtigt. Die "Kultur der militärischen Zurückhaltung", von der Ex-Außenminister Guido Westerwelle einst noch sprach, ist längst passé. Deutschland strebt nach "Neuer Macht und Neuer Verantwortung" und will die "Kollateralschäden" seiner als humanitäre, friedenserhaltende oder friedensschaffende Maßnahmen verklärten Auslandseinsätze innergesellschaftlich einpreisen. Dazu bedarf es einer neuen Veteranenkultur, die die Geschädigten unter den "mehr als 400.000 Soldatinnen und Soldaten", die laut Antrag von Union und SPD seit 1955 "an humanitären Hilfsaktionen im Ausland beteiligt" waren, für ihre Leistungen ehrt. Zum Akzeptanzmanagement der Bundesregierung gehört auch, "sich für eine umfassende mediale Berichterstattung der 'Invictus Games' über die traditionellen, aber auch über die digitalen Kanäle in Deutschland und weltweit einzusetzen, um einem möglichst breiten Publikum die sportliche Leistung der Teilnehmenden, aber auch ihren hohen Einsatz als Soldatinnen und Soldaten, näher zu bringen".

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hatte bereits im September 2017 eine vergleichende Darstellung von Veteranenkonzepten verschiedener Ländern vorgestellt. Darin wird konstatiert: "Nachdem die Wehrmacht aufgelöst worden war, gab es in Deutschland eine Dekade lang keine deutschen Streitkräfte; Veteranenverbände waren in dieser Zeit verboten. Auch nach Aufstellung der Bundeswehr im Jahr 1955 entwickelte sich in der neuen Bundesrepublik zunächst keine neue Veteranentradition. Diese Situation änderte sich auch in der Zeit des Kalten Krieges nicht."

Und weiter heißt es im neutralen wissenschaftlichen Ton, der darüber schweigt, daß Deutschland 1999 im Verbund mit der NATO einen völkerrechtswidrigen Überfall auf Jugoslawien verübte und damit einen Dammbruch für weitere Kriegsbeteiligungen und Menschenopfer schuf: "Als dann aber seit den 1990er Jahren deutsche Soldaten in Auslandseinsätze entsandt wurden und deren Zahl kontinuierlich anstieg, änderte sich in Deutschland allmählich die Haltung zur Frage von Veteranen." Bei den Auslandseinsätzen "verloren etwa 100 deutsche Soldaten ihr Leben; viele Soldaten und Soldatinnen kehrten von ihren Auslandseinsätzen verwundet oder traumatisiert heim". [5]

Wer wie die Bundesregierung die Militärausgaben drastisch erhöhen will, nach Atomwaffen und Flugzeugträgern schielt, seine Position als viertgrößter Waffenexporteur der Welt zu behaupten sucht und die Rüstungsexportrichtlinien nicht allzu streng auslegen möchte, damit das Geschäft mit dem Tod weiterhin floriert, der hat auch keine Skrupel, sich der Sozialtechnologie des Sports zu bedienen, um mit "fröhlichen" Invictus Games "eine positive Öffentlichkeit zu schaffen" und eine "Brücke zwischen den Menschen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr" zu schlagen, wie der SPD-Politiker Josip Juratovic mit ernster Miene ausführte.

Das lateinische Wort Invictus läßt sich mit "unbesiegt" oder "unbezwungen" übersetzen und spielt darauf an, daß sich Soldatinnen oder Soldaten nicht von ihren körperlichen und seelischen Verletzungen unterkriegen lassen. Zwar sind sie gebrauchsunfähig für den Krieg geworden, doch sie sind noch tauglich genug, im zivilen Leben nach sportlicher Anerkennung und Wertschätzung zu streben. Obwohl traumatisch besiegt, kehren die Soldatinnen und Soldaten in den sportlichen Agon als stolze Helden zurück, an denen sich die Bevölkerung gefälligst ein Beispiel nehmen soll. Für die Kriegsparteien bieten Invictus Games eine perfekte Plattform, sich als wahre Samariter darzustellen und ihre Hände vom blutigen Kriegsgeschäft reinzuwaschen. "Diese Einsatzversehrten brauchen die bestmögliche Hilfe von uns. Das ist mehr als unsere Pflicht; das muss für uns auch ein Herzensanliegen sein", warf sich Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion in die Brust. Nach Klagen von Veteranen, Bundeswehrangehörigen und Teilnehmern der Invictus Games über fehlende politische Unterstützung reiste Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen persönlich zu den letzten Spielen nach Australien. Sie wird nicht die einzige hochrangige Politikerin bleiben, die mit Händeschütteln und Schulterklopfen gute Miene zum inklusiven Kriegsspiel macht. Der Sozialkitt des Sports mit seinen leicht zu erzielenden sozialen Übereinkünften und heroischen Emphasen ist geradezu geschaffen, um den ungetrübten Blick auf die kriegsvorbereitenden wie -nachsorgenden Verhältnisse emotional zu verkleistern.

Fußnoten:

[1] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/082/1908262.pdf. 12.03.2019.

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/parl/cdu-csu/pcin3454.html. Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion. 14.03.2019.

[3] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19086.pdf. 14.03.2019.

[4] https://www.bmvg.de/de/aktuelles/invictus-games--ministerin-ehrt-sportler-22388. 23.02.2018.

[5] https://www.bundestag.de/resource/blob/529928/46b78d6e19fe1f6b2a72f79856467f4d/WD-2-065-17-pdf-data.pdf

26. März 2019


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