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BERICHT/016: Veganes Straßenfest ... kulturelle Widersprüche (2) (SB)



>Heutige Umweltschützer sind mit größerer Wahrscheinlichkeit auf Unternehmenssitzungen anzutreffen, wo sie die Tugenden der "Nachhaltigkeit" und des "ethischen Konsums" besingen, als so etwas Naives zu tun wie die inneren Werte der Zivilisation in Frage zu stellen. Der Kapitalismus hat die Grünen absorbiert, wie er so viele Herausforderungen seines Aufstieges absorbiert hat. Eine radikale Kampfansage an die menschliche Maschine wurde in noch eine weitere Gelegenheit zum Shopping verwandelt.
Uncivilization - The Dark Mountain Manifesto [1]

Den Fleischbaron Clemens Tönnies des Rassismus zu bezichtigen konnte bei der Aussage, "die Afrikaner" würden, wenn man ihnen jährlich 20 Kraftwerke finanzierte, "aufhören, Bäume zu fällen", und "wenn's dunkel ist, Kinder zu produzieren", nicht ausbleiben. Doch die Verächtlichkeit weißer Suprematie allein ist es nicht, die den Vorfall und die öffentlichen Reaktionen auf ihn zu einem exemplarischen Beispiel für gesellschaftliche Herrschaftsdispositionen machen. So transportiert der zu Tage tretende Rassismus eine patriarchale und neokolonialistische Bekräftigung der Klassenposition, die Tönnies für sich in Anspruch nimmt. Für die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung könnte das auch heißen, mehr Wirksamkeit dadurch zu entfalten, daß der Zusammenhang verschiedener Gewaltverhältnisse im Kampf gegen Tierausbeutung deutlich gemacht wird.

Der vermeintlich großzügige Vorschlag entwicklungspolitischer Unterstützung war nicht nur durch seinen rassistischen Gehalt vergiftet. Der milliardenschwere Unternehmer wollte mit diesem Argument der Forderung nach klimapolitisch begründeten Steuererhöhungen entgegentreten, also einmal mehr die externalisierten Umweltkosten der Tierindustrie auf die Allgemeinheit abwälzen. Das Problem sollte dort bekämpft werden, wo es in den Augen vieler privilegierter Menschen in den wohlhabenden Industriestaaten liegt, nämlich in der angeblichen Überbevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent.

Wie sehr unter den deutschen Geld- und Funktionseliten die Ansicht vorherrscht, daß sich Tönnies mit seinen Worten bestenfalls im Ton vergriffen hat, aber im Grunde genommen einen relevanten Mißstand beim Namen nennt, zeigt sich in der Bandbreite der zwischen Ignoranz, Zynismus und Bestätigung changierenden Reaktionen. So gab sich DFB-Chef Reinhard Rauball "überrascht", daß das dem Schalker Aufsichtsratschef "so passiert ist" - als ob Tönnies für seine Äußerung nichts könne oder sie quasi ohne eigenes Zutun getätigt hätte. Auch der Präsident von Eintracht Frankfurt, Peter Fischer, machte Ignoranz geltend: "Ich bin sprachlos. Dazu fällt mir nix mehr ein" [2]. Der Persönliche Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, der CDU-Politiker Günter Nooke, sprang Tönnies zur Seite, indem er attestierte, die von ihm angesprochenen Probleme "wie das Verschwinden des Regenwalds und das Bevölkerungswachstum auf dem afrikanischen Kontinent sind real und darüber muss gesprochen und gegebenenfalls kontrovers diskutiert werden". Auch der FDP-Politiker und Vizepräsident des Bundestages Wolfgang Kubicki entdeckte lieber vermeintlich Zutreffendes, als sich den Mund zu verbrennen: "Tönnies hat ein gravierendes Problem der Klimadiskussion benannt, das tatsächlich einer dringenden Beantwortung bedarf" [3].

Daß der Ehrenrat des Fußballvereins Schalke 04 keinen Rassismus in den Worten seines Aufsichtsratsvorsitzenden ausmachen konnte, ist da nur konsequent und nicht allein darauf zurückzuführen, daß Tönnies seine Worte anschließend bedauert hatte. Der Schalker Sportvorstand Jochen Schneider warnte davor, den passionierten Großwildjäger einer "Hetzjagd" auszusetzen, und auch sonst heißt es in der Führung des Vereins, die Reihen hinter dem Aufsichtsratchef fest zu schließen. Trainer Friedhelm Funkel griff zu einem besonders originellen Vergleich, indem er klagte, der Herr über diverse Schlachtfabriken werde "ja regelrecht geschlachtet" [4].

Ob das Vorschützen geistiger Armut oder die Verkehrung von Opfer und Täter, die Reaktionen auf den Fall zeigen, daß eine inhaltliche und politische Diskussion zum Fall Tönnies auf jeden Fall vermieden werden sollte. So wird in der impliziten Behauptung, auf dem Kontinent Afrika lebende Menschen setzten zu viele Kinder in die Welt und vergrößerten damit das Problem der sogenannten Überbevölkerung, das Interesse manifest, mit der ökonomischen Ausbeutung und ökologischen Zerstörung Afrikas so fortfahren zu können wie bisher, natürlich ohne von flüchtenden Menschen heimgesucht zu werden, die in ihren vom Klimawandel und Ressourcenextraktion verödeten Landschaften keine Lebensgrundlage mehr besitzen. Jedem halbwegs informierten Menschen ist klar, daß die meisten auf dem Kontinent Afrika lebenden Menschen nur einen Bruchteil der hierzulande erzeugten Treibhausgasemissionen freisetzen. Das Bruttoinlandsprodukt in zentralafrikanischen Staaten ist pro Kopf der Bevölkerung 30- bis 40mal geringer als in den Industriestaaten Westeuropas und Nordamerikas, was einen dementsprechend geringeren Grundumsatz in Verbrauch und Entsorgung zur Folge hat.

Zugleich ist die Bevölkerungsdichte gerade in den Regionen mit relativ hoher Kinderzahl weitaus geringer als in Deutschland. Leben in der Bundesrepublik durchschnittlich 232 Menschen auf einem Quadratkilometer Fläche, so sind es den meisten afrikanischen Staaten zehnmal weniger. Zwar hinken solche Vergleiche, wird damit doch noch keine Aussage über die Art und Weise getroffen, wie sich die jeweilige Gesellschaft reproduziert und welche Flächen sie wofür in Anspruch nimmt, doch vor dem Hintergrund des universalen Anspruches, jedem Menschen gleiche Lebensrechte zuzugestehen, ist die Umlastung der Probleme des Klimawandels auf Menschen in sogenannten Entwicklungsländern nur infam zu nennen.

Demographische Vergleiche sind wesentliche Legitimationsachsen neokolonialistischer Politik, daher sollten sie zumindest im Ansatz widerlegt werden, was ein allein an Hautfarbe und Ethnizität orientierter Rassismusbegriff nicht leistet. Sie sind im Kern patriarchalisch, wie der in bevölkerungspolitisch begründeten Sterilisationskampagnen angelegte Kontrollanspruch über den weiblichen Körper zeigt. Dabei sagen demographische Daten allein nichts darüber aus, in welchem Ausmaß westliche Metropolengesellschaften dafür verantwortlich sind, daß afrikanische Staaten mit an haushalts- und wirtschaftspolitische Auflagen gekoppelter Kreditvergabe, mit dem daraus resultierenden Schuldendruck, mit neoliberaler Sachzwanglogik und politischem Druck dazu genötigt werden, die Ausbeutung ihrer mineralischen und agrarischen Ressourcen durch Rohstoffkonzerne aus Westeuropa und Nordamerika ebenso hinzunehmen wie die Überflutung ihrer Gesellschaften mit hochsubventionierten Agrarprodukten aus der EU, deren inflationärem Preisdruck einheimische Landwirtschaftsbetriebe nicht gewachsen sind.

Auch der weltbekannte Naturschützer Sir David Attenborough hat den in Äthiopien immer wieder grassierenden Hunger vor einigen Jahren schlicht mit der Tönnies einleuchtenden Gleichung erklärt, daß dort zu viele Menschen auf zu wenig Land leben. Ausgeklammert wird der eigene, zu einem Gutteil in die Tierproduktion gehende Rohstoffverbrauch. Selbst während der großen Hungersnot in Äthiopien 1984 und 1985 exportierte das Land Getreide, um dringend benötigte Devisen zu erhalten. Bis heute werden zur Schlachtung vorgesehene Tiere in Europa satter als die Menschen in den Gebieten, in denen Soja und Mais für deren Aufzucht angebaut werden.

Zu den Unterwerfungspraktiken der westeuropäischen Hegemonialpolitik in Afrika, der Fortschreibung geostrategischer und neokolonialistischer Abhängigkeitsverhältnisse auch nach Ende des Kalten Krieges ließe sich vieles anführen, das deutlich machte, daß die erniedrigende Verunglimpfung nichtweißer Menschen auf Machtstrukturen fußt, die es aus herrschaftskritischer Perspektive in erster Linie zu kritisieren gilt. Die bemühte Auseinandersetzung mit den eigenen kolonialistischen Praktiken brächte schnell hervor, daß nicht nur der westfälische Wurstfabrikant, sondern die ganz normalen KonsumentInnen seiner Produkte wie auch ihrer ökologisch weniger schlimmen veganen Alternativen auf jeweils eigene Weise Anteil an den sozialökonomischen Gewaltverhältnissen des kapitalistischen Weltmarktes Anteil haben.


Hühner in Geflügelhof - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Nutztiere" blicken dich an ...
Foto: © 2015 by Schattenblick


Veganismus im Geflecht gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse

Die Blöße, die sich Clemens Tönnies gab, als er aus seinem weißen Herzen keine Mördergrube machte, kennzeichnet den bekannten Vertreter der Schlachtindustrie als Paradebeispiel einer Weltsicht, die an menschliche wie tierliche Lebewesen stets den Maßstab ihrer Verwertbarkeit auf einem Markt anlegt, dessen Totalität sich die Lebensverhältnisse überall auf der Welt wohl oder übel zu fügen haben. VeganerInnen bestreiten mit der Entscheidung, keinerlei Tierprodukte zu nutzen, ein hierarchisches Verhältnis, das in diesem Fall zwischen Mensch und Tier ausgespannt ist, sich aber nicht auf diese beiden Kategorien beschränken läßt. Die Absicht, andere zum Objekt eigener Interessen zu machen, muß sich nicht auf die Verstoffwechselung ihrer Körperlichkeit beschränken. Das Bild eines Pferdes, das man vor den eigenen Wagen spannt, läßt sich nicht umsonst auf Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Menschen anwenden, das gilt für zahlreiche Tiermetaphern, die - meist mit abwertender Absicht - zur Bestimmung der Verhältnisse zwischen Menschen verwendet werden.

An diversen Schnittstellen gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse gelegen - die Tötung von Millionen Schweinen zum Zweck privatwirtschaftlicher Kapitalakkumulation, die Ausbeutung billiger, insbesondere migrantischer Arbeitskraft in den Schlachtfabriken, die zu Lasten weniger produktiver Länder gehende Durchsetzung sogenannter Wettbewerbsfähigkeit, der immense, Partikularinteressen dienende politische Einfluß der Tierindustrie, die auch die keine Tierprodukte konsumierende Allgemeinheit belastenden Kosten des Verbrauches ökologischer Ressourcen bei Aufzucht und Transport der Tiere, die symbolische Legitimation oligarchischer wie patriarchaler Dominanz durch den seinerseits als Unterhaltungsgeschäft aufgezogene Fußballsport - verkörpert Tönnies als Person wie als Unternehmen ein Dispositiv gesellschaftlicher Macht, das zu überwinden allein auf dem Vektor der Tierausbeutung kaum gelingen kann.

Mit dem Entschluß, keine aus tierlichen Körpern gefertigten oder an Tieren getestete Produkte zu konsumieren, im persönlichen Rahmen gegen Tierausbeutung anzugehen ist ein wichtiger Schritt. Dabei nicht stehenzubleiben, sondern die Wirksamkeit des einmal angetretenen Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung von Tier und Mensch zu vertiefen, bedarf der kritischen Analyse der Produktionsverhältnisse.

So weist der Ansatz, die Probleme der Tierausbeutung, des Klimwandels, der Naturzerstörung und des Welthungers durch die Verallgemeinerung des Veganismus zur globalen Universallösung bewältigen zu können, einige schwerwiegende Lücken auf. Kapitalistische Mehrwertproduktion setzt unabhängig vom Gegenstand der Arbeit voraus, lohnabhängigen Menschen einen Teil des von ihnen gefertigten Produktes vorzuenthalten, um überhaupt Wertwachstum erzeugen zu können. Wäre es anders, dann würde Tönnies heute noch höchstpersönlich Hand bei der Schlachtung anlegen, anstatt dies von rumänischen WerksvertragsarbeiterInnen erledigen zu lassen. Solange die gesellschaftlichen Beziehungen von kapitalistischer Mehrwertproduktionn bestimmt werden, läuft auch eine ökologisch nachhaltige vegane Produktion Gefahr, das intendierte Ziel der Leidensminderung zu verletzen. Ein Beispiel von vielen besteht in der Inanspruchnahme drastisch unterbezahlter Zwangsarbeit von Strafgefangenen durch die auch vegane Produkte anbietende Kette Whole Foods in den USA. Das von Amazon aufgekaufte Unternehmen stellte diese Praxis 2015 aufgrund von öffentlichem Druck ein.

Im Fall von Tieren ist die privatwirtschaftliche Eigentumsordnung eindeutig sortiert - sie werden wie Sachen behandelt, die man als Produktionsmittel zum Zwecke der Geldvermehrung kaufen und nutzen kann. Die Ausbeutung der Arbeit von Tieren in Fabrik und Landwirtschaft ist zwar durch die Einführung fossilistischer Antriebsenergie in den Industriestaaten weitgehend verschwunden, doch werden sie auf exzessive Weise in der Produktion von Fleisch, Milch und Eiern verwertet, als Labortiere mißbraucht, als Zootiere eingesperrt, im Sport geschunden, als Haustiere auf geldwerte Weise gehandelt. Sie allein deshalb nicht töten und essen zu wollen, weil es sich um leidensfähige Lebewesen handelt, tastet die Problematik kapitalistischer Gesellschaften, ihre Reproduktion an Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu orientieren und damit Lebensvoraussetzungen zu okkupieren, die anderen Bevölkerungen und Lebewesen entzogen werden, nicht an. Gerade weil vieles für die vegane Lebensweise als Gegenentwurf zu einer auf Tierverbrauch basierenden Reproduktion des Menschen spricht, stellt ihre anstandslos hingenommene kapitalistische Vergesellschaftung mehr als ein schadlos in Kauf zu nehmendes Randproblem dar.


Silhouette von Bauten und Tripod in Wietze - Foto: © 2010 by Schattenblick

Feldbesetzung zur Verhinderung eines Geflügelschlachthofes
Foto: © 2010 by Schattenblick


Dem Veganismus antikapitalistische Flügel verleihen ...

Derartige Überlegungen haben in Teilen der internationalen Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung eine Diskussion um die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Positionierung des Veganismus ausgelöst. Kritisiert wird die Reduzierung des Veganismus auf eine Art Ein-Punkt-Bewegung, in der die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Tierausbeutung unzureichend reflektiert werden. Exemplarisch für eine demgegenüber antikapitalistische und intersektionelle Position, die den veganen Lebensstil kritisch in den Blick nimmt, sind zum Beispiel die Ausführungen der YouTuberinnen Mexie [5], Marine [6] und Kathrin [7].

In ihren Videos geben sie etwa zu bedenken, daß die Zunahme an Veganismus nicht zu einer Abnahme der Zahl geschlachteter Tiere geführt hat. Die weltweite Fleischproduktion habe zwischen 1992 und 2016 um den Faktor 5 zugenommen und steige weiter an, obwohl es immer mehr VeganerInnen gibt. Während in aufstrebenden Staaten wie China mehr Fleisch gegessen und Milch getrunken wird, kompensiert die Branche den auf hohem Niveau stagnierenden Konsum in Nordamerika und Westeuropa dadurch, daß auf dem Binnenmarkt nicht abgesetzte Fleisch- und Milchprodukte exportiert werden. Selbst wenn der Veganismus nennenswerten Einfluß auf den Absatz von Tierprodukten hätte, stehen den Unternehmen genügend Strategien zur Verfügung, um Profitminderungen zu kompensieren. Sie könnnen die Produktionskosten senken durch betriebliche Rationalisierung mit dem Ergebnis ersatzlos gestrichener Arbeitsplätze, durch das Outsourcing von Arbeit in Niedriglohnländer, durch die weitere Verschlechterung der ohnehin harten Arbeitsbedingungen, die in fast alltäglich zu nennenden Amputationen von Gliedmaßen nach Unfällen in der Schlachtindustrie resultieren, durch den Einsatz von undokumentierten MigrantInnen und von Strafgefangenen, durch die höhere Konzentration der in Mastbetrieben aufgezogenen Tiere, in den USA als Concentrated Animal Feeding Operation (CAFO) [8] bekannt, durch intensivere Antibiotikagaben oder Kosteneinsparungen beim Schlachtprozeß, die etwa zu schweren Qualen nicht richtig getöteter Schweine und Hühner im anschließenden Brühbad führen.

Die fiskalische Privilegierung der Tierindustrie, das Anlegen von Interventionsbeständen zur Preisstabilisierung und die Subventionierung von Exporten belegen den eminenten Einfluß, den sie im Machtgeflecht von Staat und Kapital besitzt. Zugleich läßt sich bei rückläufiger Nachfrage an den Standorten der Schlachtfabriken Bedarf an anderer Stelle herstellen, wie die massiven Exporte in Entwicklungsstaaten belegen, deren kleinbäuerliche Landwirtschaft so unter die Räder hochproduktiver Agrarindustrien gerät. Auch lassen sich neue Handelsstrategien für den Weltmarkt etablieren, wie am Beispiel der Senkung von Qualitätsnormen in bi- und multilateralen Freihandelsabkommen zu studieren, wobei der Streit um das berüchtigte Chlorhühnchen oder um Hormonfleisch nur die Spitze des Eisberges darstellt.

Nicht zuletzt sind die großen Agrarunternehmen wie alle transnationalen Konzerne mit eigenen Abteilungen auf dem Finanzmarkt aktiv, so daß ihre Einkünfte nicht mehr nur aus der direkten Warenproduktion stammen. Aufgrund der komplexen Struktur dieser weltweit operierenden, häufig vertikal vom Anbau bis zum Endprodukt integrierter Unternehmen findet sich kaum ein veganes Produkt unter den großen Markennamen, das nicht mit Tierausbeutung zu tun hätte. Während clevere Marketingstrategien Wahlfreiheit suggerieren, finanzieren VeganerInnen häufig ohne ihr Wissen die Milch- und Fleischproduktion mit. Die Markteinführung von Fleischersatzprodukten auf Pflanzenbasis wird vor allem von Unternehmen der Fleischbranche betrieben, die die Geldmittel für die Entwicklung von Cultured Meat besitzen und deren Vertriebskanäle direkt in die Tiefkühltruhen und an die Fleischtheken der Supermärkte führen.

Einige vegane Start Ups können sich möglicherweise eine Weile behaupten, bevor sie von größeren Playern aufgekauft werden, doch das ethische Reinheitsprinzip des Veganismus wird von der monopolkapitalistischen Konzentrationslogik zielsicher unterlaufen. Es verträgt sich auch in vielerlei anderer Hinsicht nicht mit dem Profitprinzip, das Label "cruelty free" zu verwenden und schon bei der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft oder den agrarischen Produktionsbedingungen Grausamkeiten zu begehen, die dem Endprodukt nicht anzusehen sind.

Die Integration des Veganismus in die kapitalistische Warenproduktion schreibt nicht nur die Ausbeutung von Menschen durch Lohnarbeit fort, sondern auch von Tieren durch landwirtschaftliche Produktionsweisen. So gehört Honig nicht zur veganen Diät. Wenn jedoch Feldfrüchte verzehrt werden, die mit Hilfe von Pestiziden erzeugt wurden, die diese Bestäuberinnen töten, tragen VeganerInnen zu deren Untergang bei. Heute gibt es aufgrund des Bienensterbens in den USA eine regelrechte Bestäubungsindustrie, bei der in industriellem Maßstab eingesetzte Bienenvölker aus dem ganzen Land zur kalifornischen Mandelproduktion transportiert werden, also die Bestäubung als Ökosystemleistung kapitalisiert wird.

Das ist nur ein Beispiel von vielen, mit denen der agrarisch weit weniger verbrauchsintensiven Ernährungsweise des Veganismus nicht widersprochen, aber auf die Schwachstellen einer Argumentation hingewiesen wird, die ihren zweifellos vorhandenen sozialökologischen Nutzen nur jenseits konkreter Gesellschaftskritik zu einer Art Reinheitsideologie verabsolutieren kann. Das kapitalistische Ernährungsregime ist auf Expansion abonniert, daran ändert die individuelle Entscheidung, den eigenen Konsum zu reduzieren und auf minimalistische Weise zu leben, kaum etwas. Es werden stets Mittel und Wege gefunden, neue Bedürfnisse allein zum Zweck des Warenabsatzes zu schaffen, und die Wachstumslogik, zu der die VerbraucherInnen mit ihrem Einkauf beitragen, bildet letztlich die Basis einer Kapitalakkumulation, die auch zu den Einkünften von VeganerInnen beiträgt.

Vor diesem Hintergrund die Maxime zu vertreten, daß es ausschließlich um die Tiere gehe und dem Problem ihrer Ausbeutung schon damit Abhilfe geschaffen werde, wenn sich so viele Leute wie möglich vegan ernähren, macht den Veganismus mit der kapitalistischen Warenwirtschaft kompatibel, während er an der krisenhaften Entwicklung ihrer Produktivität nur wenig ändert. Pflanzen erzeugende Agrarindustrie ist weniger zerstörerisch als Tierproduktion, hat aber immer noch einen hohen Energiebedarf durch die Herstellung von Düngemitteln, durch die maschinelle Bewirtschaftung der Felder und durch Transportleistungen aller Art. Sie setzt zudem in hohem Ausmaß Treibausgase frei und treibt kleinbäuerliche Betriebe in die Abhängigkeit von einer Saatgutindustrie, deren monopolistischen Tendenzen in der Abnahme der Sortenvielfalt, einer dementsprechenden Anfälligkeit der Nahrungsmittelproduktion für epidemische Pflanzenkrankheiten und der dominanten Stellung der Industrie im Bereich des sogenannten Pflanzenschutzes und der Produktion mineralischer Düngemittel resultiert.

Solange Nahrungsmittel nicht produziert werden, um Menschen zu ernähren, sondern als Ware zur Geldverwertung fungieren, wird sich das Problem grassierenden Hungers nicht beseitigen lassen. Wird Getreide nicht auf rentable Weise an Tiere verfüttert, dann würde es nicht angebaut werden, bis sich ein auf Verknappung basierendes Preisniveau etablieren ließe. Daß geldwerte Nachfrage und nicht objektiver Bedarf den Markt reguliert zeigt auch der weiterhin gigantische Einsatz zur menschlichen Ernährung tauglicher Feldfrüchte für die Produktion von Treibstoffen oder als Rohstoff für andere industrielle Zwecke.

Ernährung ist immer politisch. Wie sie hergestellt, verteilt, vermarktet und verbraucht wird, berührt existenzielle Fragen, das zeigt insbesondere der Kampf um Ernährungssouveränität im Globalen Süden. Die selbstbestimmte Verfügbarkeit vollwertiger Nahrungsmittel harrt als elementarer Teil der sozialen Frage der Beantwortung weit vor den Präferenzen eines Lifestyle-Veganismus, der die neoliberale Marktlogik ohne Abstriche akzeptiert. An der Kommodifizierung aller Lebensvoraussetzungen geht der Glaube, an der Supermarktkasse ließe sich die Welt verändern, nicht nur zielgerichtet vorbei. Solange sich die Menschen mit den Ergebnissen ihrer entfremdeten Arbeit identifizieren, anstatt die Entfremdung im Produktionsprozeß zu erkennen und zu überwinden, besetzt der ideologische Konsumismus den Platz, auf dem die herrschende Eigentumsordnung überwunden werden müßte.


Kuh auf Weide - Foto: © 2013 by Schattenblick

Freilauf final
Foto: © 2013 by Schattenblick


Die vertikale Ordnung des Lebens einebnen ...

Im deutschsprachigen Raum vertritt die Gruppe Marxismus und Tierbefreiung einen materialistischen Ansatz zur Analyse und Kritik der Tierausbeutung. In ihrem Thesenpapier [9] geht sie dem Problem anhand der Rolle von Tieren in der kapitalistischen Eigentumsordnung und ihren Produktionsverhältnissen auf den Grund. Zugleich werden die Forderungen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung nach rechtlicher Gleichstellung von Tieren und der Aufhebung des als Speziesismus ausgewiesenen hierarchischen Verhältnisses zwischen Mensch und Tier im Lichte konkreter Machtverhältnisse untersucht.

So wird konstatiert, daß mit der These, speziesistische Hierarchien und der anthropozentrische Dualismus von Mensch und Tier ständen am Anfang der Tierausbeutung, Ursache und Wirkung vertauscht würden. Tiere werden gequält und getötet, weil ein Interesse an ihrer Verwertung besteht. Sie werden dem Menschen untergeordnet, weil sie ausgebeutet werden, und nicht durch ihn verwertet, weil ihnen im anthropozentrischen Weltbild ein geringerer Stellenwert zugewiesen wird. In diesem Verständnis des historischen Materialismus ist die Dualität von Mensch und Tier in einem Kontinuum gesellschaftlicher Naturverhältnisse aufgehoben, das die Befreiung beider zwingend voraussetzt, was ohne die Überwindung des Klassencharakters der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht gelingen könne. Deren fortwährende Gültigkeit bildet weiterhin den zentralen Ansatzpunkt revolutionärer Veränderung, allerdings ohne die natürlichen Lebensgrundlagen auf den Rang bloßer Produktionsfaktoren zu reduzieren, ohne aber auch das Kreuz über den ArbeiterInnen der Schlachtindustrie zu brechen.

Es ist kein Zufall, daß in der Fleischproduktion überdurchschnittlich viele, zum Teil als illegal geltende MigrantInnen arbeiten, können sie in ihrer bedrängten Lage doch am wenigsten Widerstand gegen die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft leisten. In der Bundesrepublik betrifft dies vor allem die Angestellten von Werkvertragsfirmen, die häufig aus den ärmsten Ländern der EU wie Rumänien und Bulgarien stammen [10]. In den großen Schlachthöfen im Süden der USA arbeiten zahlreiche undokumentierte Menschen aus Lateinamerika, die aus Angst vor den Einwanderungsbehörden vieles über sich ergehen lassen, was unter legalen Verhältnissen zur Anzeige gebracht werden könnte. So wurden kürzlich bei einer Razzia der Einwanderungsbehörden in 7 Betrieben der fleischverarbeitenden Industrie in Mississippi 680 MigrantInnen verhaftet und interniert. Human Rights Watch (HRW) gegenüber bestätigten von der Maßnahme der US Immigration and Customs Enforcement (ICE) betroffene ArbeiterInnen, daß sie es aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltstatus nicht wagten, offen gegen arbeitsrechtliche Verstöße zu protestieren [11]. Wie tief die verschiedenen Gewaltverhältnisse miteinander verschränkt sind, zeigen auch Mißhandlungen von Trans-Menschen durch die Einwanderungspolizei ICE. [13]

Antirassistische Gruppen, Queer-AktivistInnen, die marxistischen Linken und radikalökologische TierbefreierInnen hätten also allen Grund, eine produktive Zusammenarbeit zu entwickeln. Darüber wird in der Diskussion um das ursprünglich von schwarzen FeministInnen entwickelte Konzept der Intersektionalität seit langem nachgedacht, und aus der Tierrechtsbewegung stammende Gruppen wie Collectively Free haben das Spektrum ihrer Kritik und ihres Protestes dementsprechend erweitert.

In diesem auch Total Liberation genannten Ansatz wird von der Parallelität verschiedener, über die Trias race, class, gender hinausgehender Unterdrückungsverhältnisse ausgegangen. Diese zu überwinden setzt voraus, nicht nur Tiere zu befreien, indem der Speziesismus überwunden wird, sondern auch nichtweiße, queere, durch körperliche und geistige Einschränkungen und andere gesellschaftlich stigmatisierte Merkmale betroffene Menschen in den politischen Kampf einzubeziehen. Wie die abwertende Animalisierung ausgegrenzter Minderheiten zeigt, besteht eine innige Verbindung zwischen der Ausbeutung und Unterwerfung menschlicher und nichtmenschlicher Tiere. Diese Erkenntnis zieht insbesondere unter den nicht zur weißen Mehrheit gehörenden ethnischen Gruppen immer weitere Kreise, wie die anwachsende Zahl von VeganerInnen in Bewegungen wie Black Lives Matter belegt.


Kuh von vorne - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ein Individuum an sich und für sich ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Ethischer Konsum - ein Grundwiderspruch

Ob eher von der Kritik der politischen Ökonomie oder universaler Herrschaftskritik motiviert, der radikalen Linken zugehörige TierbefreierInnen und VeganerInnen stehen allemal vor dem Problem, durch den Boom des sogenannten Lifestyle-Veganismus in ihrem Anliegen von einer Marktlogik absorbiert zu werden, die den gesellschaftskritischen Kern ihres Anliegens wenn nicht korrumpiert, dann bedeutungslos zu machen droht. Auf der von der Gruppe Marxismus und Tierbefreiung organisierten Osterakademie 2018 wurde in einem Vortrag unter dem Titel "Vegan for Profit" analysiert, "wie der Veganismus entpolitisiert und kommerzialisiert wird" [12].

Hochwertiger Konsum und individuelle Lebensstrategien werden mit ethischen und ökologischen Motiven kompatibel gemacht, um eine vermeintliche Win-Win-Situation am Markt herzustellen. Wer dabei verliert, geht bei denjenigen, denen eine pflanzenbasierte Ernährung als ideale Gesundheitskost erscheint, leicht unter. Wer die Sorge um das persönliche Wohlbefinden mit Konsumpräferenzen verbindet, hat so viel zu tun, daß vieles aus dem Blick gerät. Die mit dem Anspruch, die Gesellschaft über den individuellen Verbrauch zu verändern, einhergehende Vorstellung, daß alle Menschen gleichermaßen für ihre Probleme verantwortlich seien, ebnet klassengesellschaftliche Unterschiede auf das berühmte neoliberale level playing field ein. Die Unterstellung, alle Menschen ständen einander im System kapitalistischer Tauschwertlogik unabhängig von allen ökonomischen und sonstigen Lebensbedingungen auf Augenhöhe gegenüber, läßt es tatsächlich sinnlos erscheinen, die materiellen Voraussetzungen der Tierausbeutung nicht nur an der Schwelle des Individualkonsums zu verorten. Dementsprechend können Protest- und Aktionsformen, die nicht nur die Beendigung des Tierleides betreffen, in den Verdacht geraten, hier wollten ideologisch motivierte Linke ihr eigenes, wenn auch veganes Süppchen kochen.

Der auf den ersten Blick einleuchtende Charakter der Konsum-Ideologie ist ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Partei Die Grünen. Sie hat sich frühzeitig auf die Individualisierung gesellschaftlicher Probleme festgelegt und kann daher propagieren, daß Probleme wie die Idee unbegrenzten Wachstums, der expansive Naturverbrauch und die Vereinzelung in der neoliberalen Konkurrenzgesellschaft nichts mit der kapitalistischen Produktionsweise als solcher zu tun haben. Wo alles auf die individuelle Lebensführung zurückgeworfen wird, anstatt die herrschenden Produktionsverhältnisse in Frage zu stellen, werden sozialökonomische Widersprüche harmonisiert und nicht aufgehoben. Die daraus resultierende Bezichtigung, laut der der einzelne Mensch ganz und gar allein für seine Misere verantwortlich sei, zieht dementsprechend hohe Mauern zwischen Menschen ein, die der solidarischen Kollektivität dringend bedürfen, um nicht als isoliertes Marktsubjekt vollends atomisiert zu werden.

Demgegenüber hat das Reputationsmanagement großer Unternehmen im Grünen Kapitalismus leichtes Spiel. Soziale Bewegungen und große NGOs, in denen älter gewordene AktivistInnen auf Vollzeitstellen ihren Lebenserwerb organisieren, versehen die kapitalistische Vergesellschaftung mit einem ökologischen Unbedenklichkeitszertifikat, indem sie Emissionszertifikate handeln, grünen Strom verkaufen, Mastbetriebe bei der tierfreundlichen Verbesserung ihrer Produktion oder Fleischkonzerne beim Aufbau ihres veganen Angebotssegmentes beraten. Gegen die Nähe einst oppositioneller Bewegungen zu Regierungsinstitutionen und Großunternehmen ideologisch zu polemisieren bekräftigt nur die dort verbreitete Auffassung von der Irrelevanz radikal linker Kämpfe und Gesellschaftsentwürfe. Hier heißt es konkret zu werden und etwa nachzuweisen, inwiefern deren Politik zum Beispiel die Zerstörung verbliebener Regenwälder, die Vertreibung indigener Bevölkerungen aus ihren angestammten Lebensräumen, die Ausbeutung von LohnsklavInnen, die Ermordung von UmweltaktivistInnen oder die ungestrafte Anwendung rassistischer und sexistischer Praktiken legitimiert und befördert.

Die Entpolitisierung veganer Lebensformen und des Tierrechtsaktivismus wurde in dem Vortrag "Vegan for Profit" mit Zitaten einer Agentur für Trendforschung illustriert, die trotz ihres Erscheinens im Jahr 2008 bis heute als repräsentativ für diese Entwicklung betrachtet werden kann. Die angebliche Existenz eines neuen Segmentes konsumbewußter IndividualistInnen wird als Ausdruck eines Paradigmenwechsels bezeichnet, als "neuer grüner Lebensstil, der ohne Freund-Feind-Schema, ohne Verzichtsethik und Konsumphobie auskommt". Dessen AnhängerIennen würden gerade "im Konsum den Hebel, für eine bessere, nachhaltige Welt zu sorgen", erkennen [14].

Politische Kämpfe kommen nicht ohne GegnerInnen aus, sonst wären es keine, und weder in sogenannten Marktdemokratien westlichen Zuschnittes noch im kapitalistischen Weltsystem kann von egalitärer Partizipation ausgegangen werden. Die meisten VeganerInnen bestreiten, überhaupt Verzicht zu erleiden, dennoch gehört der Vorwurf, die Eindämmung des Klimawandels und die Überwindung der Tierausbeutung gingen mit Verlusten an Lebensqualität einher, zu den wirksamsten Waffen der VerteidigerInnen der auf Wachstum und Wettbewerb basierenden Gesellschaftsordnung. Konsumkritik gibt es seit den 1960er Jahren. Schon damals wurde erkannt, daß der Betrieb der kapitalistischen Maschine nicht auf der Befriedigung existierender Bedürfnisse basiert, sondern daß der überbordende Output der fordistischen Güterproduktion erst Märkte schaffen muß, um Mehrwert zu erzeugen und Kapitalakkumulation zu ermöglichen.

Heute ist der zerstörerische Charakter dieser Form von Überproduktion nicht nur deshalb überdeutlich, weil er mit der sozialen Verelendung von Milliarden Menschen einhergeht. Die Klimakatastrophe wirft ihre Schatten voraus und hat unter anderem den destruktiven Folgen der industriellen Tierproduktion ein Ausmaß an Beachtung beschert, das vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war. Der agroindustrielle Tierkomplex ist dennoch weit davon entfernt, in überschaubaren Fristen zu einem pflanzenbasierten Ernährungssystem konvertiert zu werden. Was den marktkonformen Veganismus im Glauben an die Wirksamkeit individueller Kaufentscheidungen bekräftigen könnte, bringt die "oppositionelle und antikapitalistische Tierbefreiungsbewegung", die die Gruppe Marxismus und Tierbefreiung propagiert, erst recht auf die Barrikaden.

So tut sich noch oder wieder einiges auf dem Feld antagonistischer Bewegungen zwischen Klimagerechtigkeit und Tierbefreiung. Auch in der Partei Die Linke scheint das Bewußtsein für die Notwendigkeit, sich dem Veganismus auf differenzierte, nicht zuletzt politökonomische Weise zuzuwenden, zu wachsen, wie die jüngste, von der Ökologischen Plattform der Partei herausgegebene Ausgabe der Zeitschrift Tarantel belegt [15]. Im Juli fand in Hannover im Anschluß an die Proteste gegen die Messe EuroTier 2018 [16] eine Aktionskonferenz gegen Tierproduktion statt. In Hannover trafen verschiedene Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung, der Bewegung für Ernährungssouveränität und der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung zusammen, um über gemeinsame Strategien zu beraten [17]. Die AktivistInnen scheinen sich weitgehend darüber einig zu sein, eventuelle Aktionen unter dem Grundsatz einer antikapitalistischen und intersektionellen Position zu intiieren. Die Gruppe Marxismus und Tierbefreiung ruft zu einer Offensive gegen die Fleischindustrie auf [18], die Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (ARIWA) hat im Rahmen einer weltweiten Kampagne bundesweit Demonstrationen zur Schließung aller Schlachthäuser organisiert [19], und die Kampagne Arbeitsunrecht in Deutschland ruft im Rahmen der Aktion #Freitag13 für den 13. September zu einem bundesweiten Aktionstag gegen das System Tönnies auf [20].

Vielleicht schlägt die Entpolitisierung des Veganismus in Anbetracht des immer dringlicher werdenden Kampfes um eine lebens- und liebenswerte Welt doch noch um und begünstigt ein breites Bündnis gesellschafts- und herrschaftskritisch denkender Menschen. Den inneren Zusammenhang zwischen kapitalistischer Arbeitsgesellschaft, imperialistischer Landnahme, patriarchaler Herrschaft, weißer Suprematie, der Leugnung der Klimakatastrophe und dem neofaschistischen Glauben an eine sozialdarwinistische Gesellschaftsordnung mit systematischer Tierausbeutung und anthropozentrischem Denken nach außen zu kehren könnte ein so wirkmächtiger wie folgenreicher Schritt sein.


Von der Feldbesetzung Wietze - Foto: © 2010 by Schattenblick

Tripod der Freiheit
Foto: © 2010 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://dark-mountain.net/about/manifesto/
im Original: Today's environmentalists are more likely to be found at corporate conferences hymning the virtues of 'sustainability' and 'ethical consumption' than doing anything as naive as questioning the intrinsic values of civilisation. Capitalism has absorbed the greens, as it absorbs so many challenges to its ascendancy. A radical challenge to the human machine has been transformed into yet another opportunity for shopping.

[2] https://www.tz.de/sport/fussball/nach-afrika-aeusserungen-kritik-an-toennies-waechst-zr-12886161.html

[3] https://www.jungewelt.de/artikel/360407.fußball-herr-der-schweinehälften.html

[4] https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/friedhelm-funkel-setzt-sich-fuer-schalke-04-chef-toennies-ein-16331422.html

[5] Why I'm No Longer Vegan TM
https://www.youtube.com/watch?v=oY_Dt1jey4M

[6] Why Veganism Must be Anti-Capitalist (NOW!!)
https://www.youtube.com/watch?v=mbT2y8VR7WE

[7] Veganism as an Anti-Capitalist Political Stance
https://www.youtube.com/watch?v=itIIgDFXZ9A

[8] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1156.html

[9] http://www.tierrechtsgruppe-zh.ch/wp-content/files/MuTb-TP_Broschre_HP.pdf

[10]http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0115.html
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0116.html

[11] https://www.hrw.org/news/2019/08/08/us-immigration-raids-target-meat-industry

[12] https://www.hrw.org/report/2016/03/23/do-you-see-how-much-im-suffering-here/abuse-against-transgender-women-us

[13] https://osterakademie.jimdo.com/dokumentation/

[14] http://de.stratum-consult.de/de/stratum-menschen/stratum-lohas-mythos-wirklichkeit.pdf

[15] https://www.oekologische-plattform.de/2019/06/tarantel-85/

[16] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1170.html

[17] https://animal-climate-action.org/de/2019/07/24/bericht-von-der-aktionskonferenz-gegen-tierproduktion/

[18] https://www.facebook.com/notes/marxismus-und-tierbefreiung/warum-wir-eine-offensive-gegen-die-fleischindustrie-brauchen/985971194939557/

[19] https://www.ariwa.org/schliessung-aller-schlachthaeuser/

[20] https://arbeitsunrecht.de/freitag13-das-system-toennies_stoppen/


22. August 2019


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