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GENTECHNIK/015: 30 Jahre Investition von Geld und Geist - mit desaströsen Folgen (tierrechte)


tierrechte Nr. 52, Mai 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

30 Jahre Investition von Geld und Geist - mit desaströsen Folgen


Seit 30 Jahren versuchen Forscher, die sogenannten Nutztiere gentechnisch zu verändern, um sie dadurch zu noch höheren Leistungen zu zwingen, als dies durch die konventionelle Zucht ohnehin schon der Fall ist. Durch Klonen sollen solche Tiere dann massenhaft vermehrt werden. Nicht nur, dass dies für die Tiere folgenschwere Auswirkungen hat - es fließen auch erhebliche finanzielle Mittel in diese Forschung, mit bislang äußerst dürftigen 'Erfolgen'. Darüber sprach tierrechte mit der Tierärztin und Gentechnik-Expertin Dr. Anita Idel.


TIERRECHTE: Die Zahl der gentechnisch veränderten Tiere, die in Versuchen eingesetzt werden, steigt seit Jahren. In der offiziellen Tierversuchs-Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums tauchen genmanipulierte Rinder, Schafe und Ziegen aber überhaupt nicht auf. Anhand dieser Statistik entsteht der Eindruck, dass diese Tiere in der Gentechnik keine Rolle spielen.

ANITA IDEL: Dieser Eindruck ist falsch. Die Herstellung gentechnisch veränderter Tiere wird in der Statistik gar nicht abgebildet. Dort werden nur die Tiere aufgelistet, deren Erbgut bereits verändert ist und die dann - als genmanipulierte Tiere - in Experimenten eingesetzt werden. Hingegen fehlen in der Rubrik 'transgene Tiere': die Elterntiere, von denen Ei- oder Samenzellen stammen, die 'Leihmütter', denen die manipulierten Embryonen eingesetzt werden, und eben auch sowohl die abortierten, tot geborenen oder kurz nach der Geburt gestorbenen Tiere als auch die missgebildeten oder die nicht wie gewünscht genveränderten Nachkommen.

Erst wenn es Forschern tatsächlich gelungen ist, Tiere gentechnisch zu verändern und sie diese Tiere dann in Versuchen einsetzen, werden sie statistisch als transgene Tiere erfasst. Die Statistik gibt also keine Informationen zum Ausmaß der Forschung und der Versuche, genmanipulierte Nutztiere zu erzeugen.

TIERRECHTE: Wie hoch ist denn die 'Erfolgsquote' bei der Erzeugung gentechnisch veränderter Nutztiere?

ANITA IDEL: Auch nach 30 Jahren Genforschung liegt die sogenannte Erfolgsquote bei den verschiedenen Tierarten meist im einstelligen Prozentbereich - eine Misserfolgsquote.

TIERRECHTE: Welche der sogenannten Nutztiere stehen besonders im Fokus des wissenschaftlichen Interesses?

ANITA IDEL: Grundsätzlich geht es um alle landwirtschaftlich genutzten Tierarten, weil sie in großer Zahl gehalten werden, um damit Geld zu verdienen - Rinder und Schweine, aber auch Fische. Die Forschung nutzt im Vorfeld oft Tierarten, die billiger sind, weil sie kleiner und in den Labors leichter zu handhaben sind. Schafe, Kaninchen und - neben Mäusen und Ratten - viele Fische sind dann quasi die Versuchstiere für die größeren Tierarten.

TIERRECHTE: Mit welchen Zielen werden die Tiere gentechnisch verändert?

ANITA IDEL: Im Bereich der Lebensmittelerzeugung geht es nach wie vor um Leistungssteigerung: Die Masttiere sollen immer schneller Futter ansetzen, um in immer kürzerer Zeit ihr sogenanntes Mastendgewicht zu erreichen - Hühner in 30 Tagen, Schweine in weniger als sechs Monaten! Und Kühe sollen Tagesleistungen von 60 Litern Milch erbringen.

TIERRECHTE: Gelten diese Ziele nicht auch schon für die
konventionelle Zucht?

ANITA IDEL: Ja, und die Folgen sind tierschutzrelevant! Schon seit Jahren sind zuchtbedingte Krankheiten bekannt, die dann im tiermedizinischen Jargon als 'Berufskrankheiten' der Tiere bezeichnet werden. Es ist ja auch für Laien offensichtlich, dass die besonders geforderten Organe auch besonders geschädigt werden - Eileiterentzündungen bei Hennen, Euterentzündungen bei Hochleistungsmilchkühen, Gelenkerkrankungen bei Puten, Masthühnern und Schweinen. Auch Fruchtbarkeits- und Herz-Kreislauf-Störungen sind traurige Folgen einseitiger Zuchtziele.

Zudem treiben die Haltungsbedingungen - viele Tiere auf engem Raum - das Risiko für Infektionskrankheiten immer mehr in die Höhe: Atemwegs- und Durchfallerkrankungen treten oft auf. Kranke und beeinträchtigte Tiere sind ökonomisch relevant, da sie weniger fressen, dadurch weniger schnell zunehmen, insgesamt die gewünschte Leistung nicht erbringen und im schlimmsten Fall sterben. Es besteht natürlich ein Interesse daran, dagegen etwas zu unternehmen, geändert werden dann aber nicht die Zuchtziele oder die Haltungsbedingungen, sondern die Tiere sollen durch Gentechnik weniger krankheitsanfällig werden. Damit schreibt man die Problematik von Zucht und Haltung aber nur fest. Ein weiteres Ziel bei der Genmanipulation von Nutztieren besteht also darin, einzelne Gene für Krankheitsresistenzen zu finden.

TIERRECHTE: Dann würden die Tiere dadurch also den widrigen und krankheitsauslösenden Haltungsbedingungen angepasst, anstatt den umgekehrten Weg zu gehen und die Haltungsbedingungen nach den Bedürfnissen der Tiere auszurichten.

ANITA IDEL: Genau. Die entstandenen Probleme sollen durch noch mehr Hightech 'gelöst' werden - letztlich aber wieder auf Kosten der Tiere. Am meisten empört mich in diesem Zusammenhang die Suche nach Schmerz-Genen. Tiere, die unter Schmerzen leiden, fressen weniger und nehmen damit weniger zu. Das heißt, hinter der Forschung nach Schmerz-Genen bei landwirtschaftlich genutzten Tieren steht die Vorstellung, durch ihre Ausschaltung würde ein erkranktes Tier keine Schmerzen mehr empfinden und auch bei Krankheiten und Verletzungen fressen, fressen, fressen! Dies wird dann noch als Tierschutz verkauft...

TIERRECHTE: Wie findet man denn solche Gene für die gentechnische Manipulation?

ANITA IDEL: Viele Versuche finden im Rahmen der Genomanalyse statt: Welches einzelne Gen hat welche Funktion bzw. ist wofür zuständig? Im Fokus stehen die sogenannten 'funktionalen Gene'. Ihre Suche wird seit Jahrzehnten vom Landwirtschafts- und Forschungsministerium gefördert und auch mit erheblichen Mitteln der EU. Selbstverständlich kann man vorher nie wissen, was diese Erkenntnisse bringen, da meistens erst das Zusammenwirken der Gene im Erbgut zu einzelnen Funktionen und Eigenschaften führt.

TIERRECHTE: Gibt es weitere Ziele bei der gentechnischen Manipulation für die Landwirtschaft?

ANITA IDEL: Schon seit Jahren arbeiten Forscher auch an den sogenannten Umweltschweinen, die gentechnisch so verändert werden sollen, dass sie den im Futter enthaltenen Phosphor zu einem höheren Grad verwerten können und damit weniger Phosphor ausscheiden. Das soll zu einer geringeren Umweltbelastung führen.

TIERRECHTE: Ein ziemlich aufwendiger und umständlicher Weg, die Umwelt zu schützen. Das ginge doch wesentlich einfacher, wenn der Verbrauch an Produkten vom Tier gesenkt würde und damit auch insgesamt weniger Tiere gehalten würden.

ANITA IDEL: Ja, natürlich, es entspricht aber der Vorgehensweise im Nutztier-Bereich generell: Gegen die eigentlichen Ursachen von Problemen wird nichts unternommen, solange mit Hightech Pseudolösungen erzielt werden können. Selbst wenn es klappt, würden mit Gentechnik hier ja nur problematische Folgen der Intensivproduktion verringert.

TIERRECHTE: Wie gut funktionieren die Methoden zur gentechnischen Veränderung bei Nutztieren?

ANITA IDEL: Es ist vielen Menschen vielleicht gar nicht bewusst, dass es bis heute keine transgenen Tiere in der Landwirtschaft gibt. Auch transgene Fische werden nicht kommerziell als Lebensmittel vermarktet.

Grund sind die biologisch-technischen Schwierigkeiten. Jedes einzelne genmanipulierte Tier ist ein Zufallsprodukt. Die Auswirkungen sind immer erst im Nachhinein feststellbar - die gewünschten ebenso wie die ungewünschten.

Ob bei der sogenannten Mikroinjektion oder in Verbindung mit dem Klonen nach dem 'Dolly-Verfahren' - es besteht kein Einfluss darauf, ob und wenn ja, wo bei der gentechnischen Manipulation zusätzliche Gene in das Erbgut eingefügt werden. Das führt dazu, dass viele manipulierte Embryonen absterben - weil die zugefügten Gene lebenswichtige Gene im Erbgut zerstören, blockieren oder behindern.

Jeder Ort im Erbgut, an dem sich zusätzliche Gene einfügen, führt zu anderen Auswirkungen. Bei den wenigen transgenen Tieren, die Trächtigkeit und Geburt überlebt haben und bei denen keine Schäden feststellbar sind, muss dann noch untersucht werden, ob die gewünschten Eigenschaften denn auch ausgebildet werden. Zudem ist bei der konventionellen Vermehrung eines gentechnisch veränderten Tieres offen, ob das veränderte Erbgut stabil weitervererbt wird.

TIERRECHTE: Sollen deshalb Gen- und Klontechniken miteinander verbunden werden?

ANITA IDEL: Ja, die schlechten Ergebnisse der Gentechnik sollen durch Klonen ausgeglichen werden. Schon vor 30 Jahren war absehbar, dass die Techniken zur gentechnischen Manipulation immer nur zu Zufallsprodukten führen. Das ist bei Pflanzen übrigens nicht anders, dort ist es aber viel billiger, Hunderttausende Pflanzen in einzelnen Versuchen auf mögliche Erfolge zu screenen. Da die Genmanipulation bei Tieren viel teurer ist, begann vor fast 30 Jahren die Klonforschung, um einmal erfolgreich genmanipulierte Tiere durch Klonen vervielfältigen zu können. Das Schaf Dolly war 1996 der erste Klon, der das Klonverfahren überlebt hat. Danach ist die 'Dolly-Methode' benannt, aber sie führt meist auch nur zu einzelnen Tieren und nicht wie erhofft zu massenhafter Vervielfältigung.

Auch nach 30 Jahren Klonforschung sind die Ergebnisse erschreckend. Einem Bericht der EFSA, der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde, zufolge sind 95 bis 99,5 Prozent der geklonten Embryonen nicht lebensfähig. Und bei überlebenden Tieren sind häufig innere Organe fehlgebildet und die Tiere leiden u. a. an Störungen des Immunsystems und an erhöhter Krankheitsanfälligkeit. Trotzdem wird an dem Ziel festgehalten, transgene und nicht-transgene, ökonomisch interessante Hochleistungs- und 'Turbotiere' durch Klonen massenhaft zu vervielfältigen.

TIERRECHTE: Gibt es angesichts dieser Misserfolgsquoten keine anderen Techniken zur Manipulation von Tieren?

ANITA IDEL: Es gibt ein Verfahren zur gentechnischen Manipulation, das lange tabu war: die Verwendung von Viren. Als sogenannte Genfähren sollen sie fremde Gene übertragen. Das ist jedoch hochproblematisch, da nicht auszuschließen ist, dass durch die Viren auch Krankheiten ausgelöst werden. Wegen der desaströsen Ergebnisse der anderen Verfahren wird aber inzwischen auch an landwirtschaftlich genutzten Tieren am viralen Gentransfer geforscht.

TIERRECHTE: Bei Mäusen wird auch die 'Knockout-Technik' angewendet, um einzelne Gene zu inaktivieren. Wie sieht es damit bei den Nutztieren aus?

ANITA IDEL: Es gibt vereinzelte Meldungen über Schweine und zum Beispiel auch über Knockout-Rinder, bei denen das Prion-Gen, das für die BSE-Erkrankung verantwortlich gemacht wird, 'ausgeschaltet' worden sein soll. Grundsätzlich gilt: Wenn es Forschungsgelder gibt, wird auch geforscht. Und für alles, was mit dem Rinderwahn zu tun hat, war es längere Zeit leicht, Gelder zu beantragen.

TIERRECHTE: Welchen Einfluss werden genmanipulierte Nutztiere auf die Landwirtschaft haben?

ANITA IDEL: Kurz: Es kann eigentlich alles nur noch schlimmer werden. Im Erfolg liegt die Gefahr. Sollte es einmal wirtschaftlich möglich sein, transgene und geklonte Tiere zu nutzen, würden diese ja alle von den gleichen Ausgangs- oder Gründertieren abstammen und wären noch enger verwandt, als das heute schon der Fall ist. Genetisch sehr ähnliche oder gar genetisch identische Tiere sind sich aber nicht nur hinsichtlich der gewünschten Eigenschaften gleich, sondern auch hinsichtlich der ungewünschten. Im Falle einer Krankheit, gegen die sie nicht resistent sind, würden bei einem Ausbruch dieser Krankheit sämtliche Tiere davon betroffen sein.

TIERRECHTE: Ist damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit genmanipulierte Nutztiere bzw. ihre Produkte hier in Europa auf dem Markt landen?

ANITA IDEL: Bisher sind keine Produkte genmanipulierter Tiere für den kommerziellen Einsatz als Lebensmittel zugelassen. Beim Klonen sieht dies anders aus. In den USA ist es erlaubt, Fleisch und Milch geklonter Tiere oder ihrer - konventionell weitergezüchteten - Nachkommen auf den Markt zu bringen und auch den Samen geklonter Tiere einzusetzen, wie z. B. von Bullen zur künstlichen Befruchtung weiblicher Rinder. Die führenden Unternehmen haben zwar angekündigt, vorerst keine Produkte geklonter Tiere zu vermarkten, aber das ist völlig intransparent. Eine Kennzeichnung gibt es nicht, die ist mit aller Kraft verhindert worden.

Das gilt auch für die EU. Alle Diskussionen und Verhandlungen der vergangenen Jahre zum Klonen waren davon bestimmt, dass die EU-Kommission auf keinen Fall eine Kennzeichnung vergleichbar mit der bei der Gentechnik wollte. Das EU-Parlament hatte jahrelang alle Forschungsgelder zum Klonen von Tieren durchgewunken. Aber zwei Ereignisse haben dann die Parlamentarier aufgerüttelt: Wegen der Entwicklung in den USA und den schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen der geklonten Tiere hat sich das Parlament im September 2008 mit einer sehr deutlichen Mehrheit gegen das Klonen von Tieren für die Lebensmittelproduktion und auch gegen die Einfuhr solcher Tiere oder ihrer Produkte ausgesprochen. Und Anfang Mai dieses Jahres lehnte der EU-Umweltausschuss die Zulassung von Klonprodukten nach dem Verfahren für neuartige Lebensmittel ab. Welche endgültigen Entscheidungen von Kommission und Parlament getroffen werden, ist noch offen. Ein praxistaugliches - und das heißt auch bezahlbares - System zur Identifikation von Klonprodukten und zur Unterscheidung zwischen ihnen und den Produkten nicht geklonter Tiere halte ich für wenig realistisch.

TIERRECHTE: Diese Aussichten sind nicht erfreulich. Welches Fazit ziehen Sie generell aus diesen Entwicklungen?

ANITA IDEL: Es ist absurd: Stellen Sie sich vor, es wird drei Jahrzehnte an etwas entwickelt, aber die Erfolge befinden sich im Promille- und Prozentbereich, und dann wird immer noch mehr Geld investiert...

Über 30 Jahre Gen- und fast 30 Jahre Klonforschung haben desaströse Folgen für die Tiere gehabt - und haben sie noch. Außerdem fließen national und international Millionen in diese Forschung. Zusätzlich wird auch erhebliches geistiges Potenzial dafür aufgewendet. Und beide Ressourcen, Geld und Geist, stehen gleichzeitig anderen Forschungsprojekten nicht zur Verfügung. Das ist skandalös!



Das Interview führte Marion Selig.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 52/Mai 2010, S. 4-7
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2010