Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

TIERHALTUNG/484: Abschaffung der Ferkelkastration (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juni 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Abschaffung der Ferkelkastration
Tierschutz-Utopie oder bald Schweinealltag?

Von Sabine Ohm


Im Juli 2008 hat PROVIEH eine intensive Kampagne zur Abschaffung der Ferkelkastration in Deutschland gestartet und viele Verbandsvertreter dazu gebracht, sich offiziell für die Einführung der Ebermast einzusetzen. Im benachbarten Holland gibt es seit 2007 eine ähnliche Kampagne. Doch vor allem einige Großschlachter in Deutschland scheinen von der Kampagne überrascht und mit den notwendigen Neuerungen überfordert zu sein. Nur zögerlich schlossen sie sich der im Zuge der Kampagne auf Initiative der Großschlachterei Tönnies ins Leben gerufenen "Entwicklungsplattform für die elektronische Nase" an. Sie wird seit Januar 2009 vom Verband der Deutschen Fleischwirtschaft (VDF) koordiniert.

Eine "elektronische Nase" soll helfen, am Schlachtband von Großbetrieben geruchsauffällige Tiere automatisch zu erkennen. Anfängliche Widerstände gegen das Projekt lösten sich im Verlauf der Kampagne. Mittlerweile ist die gemeinsame Finanzierung der Entwicklungskosten von rund 500.000 Euro gesichert. Neben den drei Branchenriesen Tönnies, Vion und Westfleisch leisten auch viele mittlere Schlachtbetriebe, die alle zusammen ca. 80 % der Schweineschlachtungen in Deutschland vornehmen, ihren Beitrag. Der leitende Forscher des Projekts am Fraunhofer Institut, Dr. Bücking, meinte Anfang März auf einer Veranstaltung des Qualitätssicherungssystems QS zum Thema Ferkelkastration in Kassel, dass in zwei Jahren mit der Marktreife dieser "elektronischen Nase" zu rechnen sei.

Auch andere Forschungen zur Förderung der Ebermast laufen auf Hochtouren in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Norwegen. Erforscht wird die Optimierung der Futterzusammensetzung, die Verarbeitungsmöglichkeiten für das Fleisch von stärker geruchsauffälligen Tieren (Wurst, Schinken, etc.) und die Minderung von Geruchsauffälligkeiten durch züchterische Maßnahmen. Die Forschungen werden teilweise mit EU-Geldern sowie zum Teil zusätzlich staatlich gefördert. Nach inoffiziellen Informationen wird das deutsche Bundeslandwirtschaftsministerium zudem versuchen, noch in diesem Jahr weitere Mittel für Forschungsprojekte in diesen Bereichen auszuschreiben.

Gemurrt wird trotzdem weiter, wenn auch meist nur noch anonym oder hinter vorgehaltener Hand, aber auch öffentlich in der Fachpresse (z.B. TopAgrar April und Mai 2009). Dabei werden vor allem höchst fadenscheinige Argumente ins Feld geführt. Es wird gejammert, alles ginge zu schnell, man "liefere eine Steilvorlage für die Tierschützer, die einen vorzeitigen Ausstieg fordern könnten." Falls zu früh auf Ebermast gesetzt werde, könne es zu unangenehmen Verbrauchererfahrungen mit geruchsauffälligem Fleisch ("Stinkerskandal") kommen: "Jeder Stinker ist ein Stinker zu viel", so wird ominös gewarnt. Dabei kommt seit Jahren jede Woche allein in Deutschland das Fleisch von geschätzten 1.000 "Binnenebern" stillschweigend auf den Markt, bei denen einer oder beide Hoden in der Bauchhöhle lagen ("Schlupfhoden") und nicht entfernt wurden. Auch Sauen entwickeln manchmal hormonell bedingte Geruchsauffälligkeiten. Dennoch hat es bisher deshalb keine Einbrüche im Schweinefleischkonsum gegeben.

Zudem wird nur ein geringer Prozentsatz der Tiere vor der Schlachtreife überhaupt geschlechtsreif. Nur solche Eber entwickeln den "Ebergeruch". Ob und wie stark geruchsauffällig diese Tiere werden, hängt unter anderem von Rasse, Alter, Fütterung und Stallhygiene ab. Im Normalfall ist das Fleisch von geschlechtsreif gewordenen männlichen Tieren keinesfalls ungenießbar. Vor allem die fetten, kaum aber die mageren Partien schmecken intensiver (ähnlich wie beim Wildschwein). Der Ebergeruch entweicht beim Erhitzen wie ein Schwall und wird von vielen Menschen nicht einmal wahrgenommen, während andere ihn als unangenehm muffig empfinden. Eber leben insgesamt aktiver als Kastraten, haben einen besseren Stoffwechsel und setzen weniger Fett an. Deshalb weist ihr Fleisch eine ausgezeichnete Qualität und Konsistenz auf, die dem Fleisch der Sauen in nichts nachstehen.

PROVIEH spricht sich daher entschieden gegen eine Diskriminierung von Eberfleisch durch eine gesonderte Etikettierung oder bewusste Marktspaltung aus. Auch Hühnerfleisch von ausgedienten Legehennen oder Rinderhack aus ausgedienten Milchkühen wird ja nicht separat gekennzeichnet.

Wir setzten uns weiterhin mit Nachdruck für den Ausstieg aus der Ferkelkastration bis Ende 2010 ein, wenn die "elektronische Nase" wahrscheinlich fertiggestellt sein wird. Ohne ehrgeizige Fristen werden die Zauderer nicht den nötigen Ehrgeiz bei verbleibender Forschung und Umstellung auf Ebermast entwickeln, wie die Erfahrung lehrt. Wir verlangen nicht das Unmögliche, sondern das Machbare, um der millionenfach praktizierten, tierquälerischen betäubungslosen Ferkelkastration baldmöglichst ein Ende zu setzen.

Ausführliche Informationen zu diesem Thema finden Sie in unserem Faktenblatt zur Ferkelkastration [1], das Sie in der Geschäftsstelle gegen einen geringen Kostenbeitrag anfordern können.


Sabine Ohm,
Europareferentin

[1] www.provieh.de/downloads/faktenblatt_ferkelkastration_provieh_09_04_2009.pdf


*


Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juni, 2009, Seite 22-23
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung
e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2009