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TIERHALTUNG/629: Versprechen für mehr Tierwohl - nur mit effektiven Kontrollen durchsetzbar (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2014
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Versprechen für mehr Tierwohl - nur mit effektiven Kontrollen durchsetzbar

Von Stefan Johnigk



Was nützen ein Tierschutzgesetz oder Vereinbarungen für mehr Tierwohl, wenn sie in der Praxis nicht eingehalten werden? Wie viel Vertrauen darf ein Gütezeichen genießen, das den Kunden für einen höheren Preis höhere Tierschutzstandards verspricht? Und wer weist diejenigen Tierhalter in die Schranken, die nicht einmal minimale Regeln einer tiergerechten Haltung in ihren Betrieben zu befolgen bereit sind? Je effektiver die Kontrollen, desto höher die Qualität. Kontrollen tun also Not, besonders auch dann, wenn es um das Wohlergehen von Lebewesen geht. Doch noch stoßen die Kontrollen an Grenzen, wie an verschiedenen Beispielen verdeutlicht sei.


Allgegenwärtiger Betrug: Käfigeier versteckt in Fertigprodukten

Schon zweimal hat das Bundesverfassungsgericht die Käfighaltung von Legehennen für verfassungswidrig erklärt, das erste Mal am 7. Juli 1999 (Haltung in Batteriekäfigen), das zweite Mal am 12. Oktober 2010 (Haltung in Kleingruppenkäfigen). PROVIEH gehörte zu denen, die vom Gericht um Stellungnahme gebeten wurden und sie auch ablieferten. Eins ist klar: Auch die Bürger wollen keine Eier mehr aus Käfighaltung, sie wollen Eier aus verfassungskonformer Hennenhaltung. Vertreter der Eierindustrie hätten also genug Anlass, auf "Qualeier" ganz zu verzichten. Bei der Erzeugung und Vermarktung von Schaleneiern (komplette Eier) tun sie es auch, aber bei der Erzeugung und Verarbeitung von Flüssigei (maschinell von der Eierschale getrennt) tun sie es noch nicht alle. Der einfache Grund: Für Feinkostartikel, Mayonnaise, Gebäck, Nudeln oder Backmischungen muss noch immer nicht angegeben werden, aus welcher Haltungsform das verarbeitete Flüssigei stammt. Also werden den meist ahnungslosen Verbrauchern noch immer "Qualeier" untergejubelt. Nun gilt es, diesen Betrug am Verbraucher zu beenden und der Käfigindustrie den Markt für Flüssigeier trockenzulegen. Tierschutz und Verbraucherschutz gehören für PROVIEH zusammen.

Das bekommen die Erzeuger von Eiernudeln immer mehr zu spüren. PROVIEH kämpft in einem Bündnis mit anderen Tierschutzorganisationen unter Leitung der Albert-Schweitzer-Stiftung für ein Ende der Käfigeier auch bei verarbeiteten Produkten (Kampagne "Deutschland wird käfigfrei"). Die Kampagnenpartner haben mittlerweile allen führenden Nudelherstellern das Versprechen abgewonnen, nur noch Flüssigeier aus Boden- oder Freilandhaltung einzusetzen. Doch entsprechend kennzeichnen wollen die Hersteller ihre Produkte noch nicht. Warum? Weil jede Produktkennzeichnung unangenehme rechtliche Verbindlichkeiten schafft. Steht nämlich "Bodenhaltung" explizit auf dem Produkt und werden trotzdem Käfigeier eingesetzt, "weil der Markt gerade nichts anderes liefern konnte", ist diese Täuschung mit deutlich empfindlicheren juristischen Konsequenzen verbunden, als wenn nur ein Versprechen gegenüber den vereinigten Tierschützern gebrochen wird. Diese juristische Lücke gilt es zu schließen.

Kontrollen - von freiwillig bis rechtsverbindlich

Denkbar wäre, dass ein breites Bündnis verschiedener Tierschutzorganisationen kontrollieren könnte, ob die Erzeuger und Vermarkter von Lebensmitteln ihre Zusagen und Versprechen einhalten, keine "Qualeier" mehr zu verwenden. Doch für solche Kontrollen fehlen den Tierschutzorganisationen die personellen und finanziellen Mittel. Die Lebensmittelbranche und die Behörden haben diese Mittel, aber sie richten sich weniger nach den Wünschen und Kampagnen der Tierschützer, sondern nach den eigenen Richtlinien und den allgemeingültigen Verordnungen. Aus Sicht von PROVIEH sind diese Kontrollmechanismen also ungenügend. Aber es gibt zwei Möglichkeiten für strengere Kontrollen.

Erstens: Will sich ein Lebensmittelerzeuger glaubwürdig von der Verwendung von Qualeiern aus Käfighaltung distanzieren, so ist ihm anzuraten, zumindest eine Zertifizierung durch den "KAT - Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen e.V." zu erwerben, denn Eier aus Käfighaltung oder "Kleingruppenkäfigen" darf es in Produkten unter dem Gütesiegel "Kontrolliert durch KAT" nicht geben. Um wirksam zu vermeiden, dass zugekaufte Produkte betrügerisch umdeklariert und als "aus alternativer Tierhaltung" verkauft werden, erfasst KAT auch die gehandelten Warenmengen und prüft diese auf Plausibilität. Verkauft ein KAT-Teilnehmer beispielsweise mehr "Eier aus Freilandhaltung", als von seinem Betrieb zu erwarten wären, fällt das auf, und es wird nachgeforscht, woher die zusätzlichen Eier stammen.

Sich einem Kontrollverein wie der KAT anzuschließen ist freiwillig. Wer von Tierquälerei lieber auch weiterhin profitieren will, wird KAT und ähnliche Institutionen meiden. Dann aber hilft, zweitens, die rechtsverbindliche Kennzeichnungspflicht weiter, bei der für Fertigprodukte angegeben werden muss, ob die verwendeten Eier aus Käfighaltung oder käfigfreier Haltung stammen. Das fordert PROVIEH schon seit langem. Zwar lässt sich nur eine kleine Minderheit der Verbraucher bewusst durch Label und Kennzeichnungen leiten, doch eine Kennzeichnungspflicht würde den Lebensmitteleinzelhandel geradezu zwingen, Produkte aus gröbster Tierqualhaltung auszulisten - beflügelt durch den Kampagnendruck und um Schaden für den Ruf ihrer Unternehmen abzuwenden. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Kennzeichnungspflicht scheint sich mittlerweile auch in den Kreisen der Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister herumgesprochen zu haben. So erklärten die Vertreter der Länder bei der Verbraucherschutzministerkonferenz im Mai 2014 zum ersten Mal nahezu einstimmig, dass Käfigeier in Lebensmitteln künftig als solche auf der Packung ausgewiesen werden sollten. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) schloss sich allerdings im gleichen Atemzug an die Bedenken an, die von den Lobbyisten der Agrarindustrie und des Bauernverbands gebetsmühlenartig abgespult werden: Ein nationaler Alleingang von Deutschland sei in der EU zu schwierig, und Verbraucher könnten Käfigeier schon jetzt bewusst meiden, wenn sie nur Bio-Produkte kaufen.

Damit schiebt der Bundeslandwirtschaftsminister die Last der Verantwortung in bewährter Manier auf die Masse der Verbraucher. Darüber frohlocken die Agrarindustrie-Lobbyisten, denn sie wissen: Es gibt keinen wirksameren Weg zur Beibehaltung des Status quo, als die Qual der Wahl dem Verbraucher zuzuschieben. Man bedenke nur: Bio-Produkte werden schon seit über zwei Generationen angeboten, sind durch ein staatlich garantiertes Zertifikat gestützt, und trotzdem dümpelt ihr Marktanteil immer noch bei mageren einstelligen Prozentzahlen dahin. Dr. Simons von der Universität Bonn forscht seit Jahren über das Einkaufsverhalten und spricht gegenüber PROVIEH von einer "faszinierenden Ambivalenz: Ausblendung und Inkonsequenz im Verbraucherverhalten". Er weiß, dass die Realität jenseits der märchenhaften Vorstellung von der Macht der mündigen Verbraucher bitter ist. Was die Mehrheit der Menschen in Deutschland zu Essen kauft, bestimmen allein der Preis und eine kleine Schar von "Category Managern", die zu den Führungskräften im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) gehören.

"Category manager" haben die alleinige Aufgabe, für ihr Unternehmen den Ertrag zu steigern, indem sie die Palette der angebotenen Waren optimal an das Kaufverhalten der Kunden und die Werbestrategie des Unternehmens anpassen. Dass heute bei Aldi, Lidl oder Penny keine Käfigeier mehr zu kaufen sind, wurde nicht etwa durch ein bewusstes Kaufverhalten der mündigen Verbraucher erzwungen, sondern es war die Entscheidung der "Category manager", Käfigeier auszulisten, um keinen Schaden zu erleiden durch den Kampagnendruck der Tierschützer bei PROVIEH, der Albert-Schweitzer-Stiftung und ihren Bündnispartnern. Allen Insidern der Branche ist klar: Würde Aldi heute wieder Käfigeier anbieten, würden bald ebenso viele davon verkauft werden wie früher, als es den Kampagnendruck noch nicht gab. Aus dem Ausland - auch aus den USA - sind Käfigeier noch immer beziehbar.


Wie effektiv arbeitet QS?

Die Kontrollmacht des LEH bündelt sich in den Aktivitäten der "QS Qualität und Sicherheit GmbH", deren blaues Siegel auf nahezu jedem Lebensmittel zu finden ist. Doch die QS-Kontrollen sind nicht dazu vorgesehen, Tierschutzverletzungen im Alltag wirksam abzustellen. Schon die zugrunde gelegten Richtlinien der QS sind gegenüber den Anforderungen aller Bio-Verbände einschließlich der EU-Ökoverordnung als mangelhaft bis ungenügend zu bewerten, soweit sie sich auf Tierschutz beziehen. Das zeigt PROVIEH in seiner Bio-Einkaufshilfe für Verbraucher auf und kann sich auch auf eine Praxiserfahrung von Anfang 2014 stützen:

Ein Rinderschlachthof in Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein) wurde wegen eklatanter Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von der Staatsanwaltschaft vorübergehend geschlossen. Doch wenige Monate zuvor hatte eine QS-Routinekontrolle keinen Grund zur Beanstandung gegeben, wie das Unternehmen mitteilte. Wie dieser Widerspruch zu erklären ist, ist von nachrangiger Bedeutung. Er zeigt auf jeden Fall: Jedes Kontrollsystem ist nur so gut, wie seine Regeln auch außerhalb der Kontrollen im Alltag eingehalten werden. Das sicherzustellen ist QS in diesem Fall offenbar misslungen.


Amtsveterinäre unter Druck - warum?

Der Schlachthof in Bad Bramstedt wird auch von amtlich bestallten Veterinären kontrolliert. Trotzdem kam es zu grauenhaften Tierschutzverletzungen. Manche Aufgaben der amtlichen Veterinäre sind jedoch derart aufreibend und abstumpfend, dass sie unter den Tierärzten geradezu als Strafarbeit empfunden werden. Wenn eine Arbeit als derart unangenehm empfunden wird, ist ein Nachlassen des Eifers nur allzu menschlich. Und wenn dann noch der Druck der übrigen Beschäftigten hinzukommt, bloß keine Verzögerungen im industriellen Ablauf des Schlachtprozesses zu verursachen, sind Kontrollschwächen vorprogrammiert. PROVIEH setzt sich daher für eine Rotation der amtlichen Veterinäre zwischen den verschiedenen Schlachthöfen ein, damit die staatlichen Kontrolleure ihre Unabhängigkeit und Sorgfalt besser bewahren können.

Die Kontrolldichte der Amtsveterinäre reicht
auch nicht aus, einen aktuellen Einblick in das
Geschehen auf allen Tierhaltungsbetrieben zu
gewinnen. Im statistischen Mittel muss jeder
der noch verbliebenen 28.000 Schweinehalter
in Deutschland nur alle zwanzig Jahre mit
einem Besuch eines Amtsveterinärs rechnen.
Wie kann behördliche Kontrolle da vernünftig
funktionieren?

Viele amtlich bestallte Tierärzte beklagen gegenüber PROVIEH unumwunden, sich mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben entzwei gerissen, allein gelassen und überlastet zu fühlen. Die meisten wissen sehr genau, wo die Mängelbetriebe in ihren Bezirken liegen. Deshalb sind sie dort wesentlich häufiger zur Kontrolle vor Ort als auf Höfen, die gesetzeskonform arbeiten. Aber selbst wenn sie eklatante Tierschutzmängel aufdecken und zur Ahndung bringen wollen, wird ihnen diese Arbeit nicht leicht gemacht. So verfolgt PROVIEH seit mehr als einem Jahr den Kampf eines nordrhein-westfälischen Amtstierarztes gegen eine tierquälerische Kälberhaltung. Auf dem Rechtsweg geht dieser Kampf mittlerweile in die zweite Instanz. Denn selbst führende Wissenschaftler an öffentlich finanzierten Hochschulen sind sich nicht zu schade, als Ergebnis ihrer Forschung, die von der Kälbermäster-Lobby beauftragt wurde, zu sagen: Tierschutzgerecht sei, wenn Kälber aus Angst zu stürzen sich mit den Klauen in den Spalten des glitschigen Hartholzbodens verkrallen, ihr angeborenes Spielverhalten komplett unterdrücken und deshalb weniger oft zu Fall kommen als beim Toben auf rutschfestem Untergrund - so die absurde Logik der Forscher. Der Amtstierarzt und PROVIEH sind fassungslos über diese Gefälligkeitsgutachten, den Richtern hingegen erschienen sie plausibel. Und die Kontrollfunktion des erfahrenen Tierarztes wird zum Leidwesen der ihm anvertrauten Tiere komplett unwirksam gemacht.


Betriebliche Eigenkontrollen?

Könnten betriebliche Eigenkontrollen von Landwirten für mehr Tierwohl sorgen? Das wird erhofft von einem neuen Aspekt des Tierschutzgesetzes, der fast unbemerkt von der Öffentlichkeit im Februar 2014 in Kraft trat: Ab sofort müssen Landwirte im Rahmen einer betrieblichen Eigenkontrolle regelmäßig selbst bewerten und belegen, wie gut sie die Anforderungen des Tierschutzes einhalten. Nur an welchen Indikatoren sie diese Selbstbewertung vornehmen sollen, lässt der Gesetzgeber bislang völlig offen. Unter dem Dach des "Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft" (KTBL) beraten zurzeit Expertenrunden, wie sich am Tier Aspekte des Tierschutzes und Tierwohls bemessen lassen. PROVIEH bringt seinen Sachverstand in diese Debatten ein. Wann die Beratungen abgeschlossen sein werden, ist noch nicht absehbar.

Die Bio-Bauern hingegen haben in der Frage der betrieblichen Eigenkontrollen klar die Nase vorn. So legten die drei großen Verbände Bioland, Demeter und Naturland rechtzeitig zum Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelungen Anfang 2014 einen eigenen "Leitfaden Tierwohl" vor, mit dem ihre Landwirte praxisnah und anschaulich eine Selbstbewertung vornehmen können. Die Indikatoren des Leitfadens werden auch bei den jährlichen Bio-Kontrollen durch geschulte Auditoren auf jedem Hof geprüft. Damit ist zu erwarten, dass sich im Vergleich zur breiten Masse der konventionellen Betriebe die Qualität der Tierhaltung in der ökologischen Landwirtschaft noch einmal deutlich verbessern wird. Denn viele der aufgenommenen Tierwohlaspekte lassen sich durch Verordnungen oder Gesetze nicht erzwingen. Sie stehen und fallen vielmehr mit der Sorgfalt und dem Können der Tierhalter, denen das Hinschauen wichtiger ist als das Wegsehen. Nur so bleibt den Tieren auch zwischen den Kontrollen unnötiges Leid erspart.

Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2014, Seite 9-14
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2014