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TIERHALTUNG/630: Hochleistung und Hormone - Sauenhaltung auf dem Prüfstand (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2014
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Hochleistung und Hormone: Sauenhaltung auf dem Prüfstand

Von Sabine Ohm



Ab Mitte der 1990er Jahre setzten ein rasanter Strukturwandel und eine ebenso starke Produktivitätssteigerung in der Sauenhaltung ein. Immer weniger Betriebe "produzierten" immer mehr Ferkel, und das wie am Fließband: Mit stundengenau getakteten Arbeitsprozessen und systematischen Eingriffen in den Hormonhaushalt der Sauen wird heute vielerorts nichts mehr dem Zufall überlassen, auch nicht der Natur.

Die Sauenhalter stehen bei den seit Jahren dauerhaft niedrigen Ferkelpreisen unter Druck. Sie müssen jederzeit das absolute Maximum aus ihren Stallanlagen und den Tieren herausholen, um im Wettbewerb zu bestehen. Die Ferkelzahlen ("Aufzuchtleistung") wurden in gut zwei Jahrzehnten von durchschnittlich 21 auf heute rund 27 Ferkel pro Sau und Jahr gesteigert - durch züchterische Maßnahmen, Verbesserungen im Management und die unten beschriebene Einführung der sogenannten "Gruppenabferkelung", einer oft dank Hormonspritzen völligen Gleichschaltung aller Sauen im Stall.

Aber der Preis ist hoch, denn aufgrund der begrenzten Gebärmutterkapazität kommen inzwischen viel zu viele Ferkel untergewichtig zur Welt, manche davon zu stark unterentwickelt, um überlebensfähig zu sein (siehe PROVIEH-Magazin 1/2014). Die verdeckt gedrehten und im Dezember 2013 in den Medien gezeigten Aufnahmen brutaler Ferkeltötungen haben aufgerüttelt, aber wird sich nun auch etwas ändern?


Das Diktat der Ökonomie

Wie bei den Mästern galt auch bei den Sauenhaltern die Devise: "Wachse oder weiche!" Bis 1999 standen in Deutschland noch knapp drei Viertel aller Sauen in Beständen unter 50 Sauen, insgesamt neun von zehn Muttertieren in Betrieben mit weniger als 100 Sauen. Keine fünfzehn Jahre später (2012) war das Verhältnis genau umgekehrt: Nur noch jede achte Sau wurde in Betrieben mit unter 100 Sauen gehalten. Ein knappes Drittel der Ferkelerzeuger hält dagegen 87 Prozent, also rund 1,9 Millionen Sauen, in Großanlagen mit über 200, viele auch mit 1.000 und mehr Sauen.

Über 33.000 deutsche Sauenhalter gaben zwischen 1999 und 2010 ihren Betrieb auf - gerade kleine und mittlere. Ähnliches vollzog sich in unseren Nachbarländern Dänemark und den Niederlanden, aus denen inzwischen jedes Jahr über zehn Millionen Ferkel nach Deutschland eingeführt werden. In Dänemark lag 2013 die durchschnittliche Herdengröße bei den nur noch 600 spezialisierten Ferkelerzeugern schon bei 950 Sauen.

Mittelfristig überleben können anscheinend fast nur noch Betriebe, die sich dem Diktat der Ökonomie und dem Gesetz der großen Zahl unterwerfen. Charakteristisch ist in solchen Betrieben heute eine generalstabsmäßige Organisation, so als ob es sich um Fabriken mit Gebärautomaten und nicht um Ställe mit fühlenden Wesen handele.


Gruppenabferkelung - die Lösung oder Teil des Problems?

Die überwiegende Mehrheit der konventionellen Sauen in Deutschland durchläuft die Zyklusphasen alle pünktlich wie ein Uhrwerk: Geburt der Ferkel ("Abferkelung"), drei bis vierwöchige Säugezeit, Absetzen (Trennung von Muttersau und Ferkeln), Brunst, Besamung, Trächtigkeit und erneute Abferkelung - im Durchschnitt schon fast 2,4-mal pro Jahr. Es ist das Grundprinzip der modernen "Gruppenabferkelung", dass alle Sauen einer "Abferkelgruppe" alle Stationen immer simultan durchlaufen müssen. Der reibungslose Ablauf wird heute häufig mit Hormonspritzen erzwungen (siehe Infobox).

Das erleichtert insbesondere auf Großbetrieben mit mehreren hundert oder gar tausenden Sauen die Planung und spart Arbeits- und Betriebskosten. Die Stallkapazitäten und Wirtschaftlichkeit sind für einen genau nach Taktung funktionierenden Betrieb der Anlage berechnet, denn die Investitionssummen bei Großbetrieben gehen teilweise in die Millionen.

Die Gruppenabferkelung wird vielfach als ein großer Fortschritt gefeiert, weil dadurch alle Sauen einer Gruppe jeweils am gleichen Tag in die Besamungsstation ("Kastenstände"), den Wartestall (Gruppenhaltung tragender Sauen) und in die Abferkelbucht (meist Abferkelkäfig) umgestallt werden. So kann das aus Hygienegründen bevorzugte "Rein-Raus-System" angewendet werden mit dem Vorteil, dass immer der ganze Stall auf einmal gesäubert und desinfiziert werden kann, wodurch der Keimdruck und damit auch das Krankheitsrisiko für die nachfolgenden Tiere gesenkt wird.

Als zusätzliches Argument wird angeführt, dass die Ferkel einer Abferkelgruppe durch das exakte Timing alle gleich alt und daher gleichzeitig "verkaufsreif" werden (25-30 Kilogramm schwer). So können die Ferkelerzeuger den Mastbetrieben große Ferkelpartien als Nachschub liefern. Die meisten Mastbetriebe halten heute - ähnlich wie die Sauenhalter - aufgrund des Strukturwandels und der Spezialisierung viel mehr Tiere als noch vor zwanzig Jahren. Die meisten Mäster wollen ihre Jungtiere als Großpartien und gerne nur noch von einem, maximal zwei Ferkelerzeugern kaufen, um den Keimdruck möglichst gering zu halten. Wer selbst Kinder hat, weiß warum: Wo viele Kinder aus unterschiedlichem Hause zusammenkommen (wie im Kindergarten), da häufen sich die Krankheiten. Aber heiligen die Hygienegründe und wirtschaftlichen Zwecke wirklich alle Mittel?


Die negativen Auswirkungen des Hochleistungsdrucks

Die hohe "Produktivität" der Sauen hat eine Schattenseite: Die Ferkelverluste steigen mit zunehmender Wurfgröße exponentiell an, und die "Nutzungsdauer" der Sauen nimmt durch die Überforderung immer weiter ab. Wegen der zu einseitigen Hochleistungszucht auf maximale Ferkelzahlen pro Sau und Jahr werden die Sauen heute im Durchschnitt kaum mehr als drei Jahre alt, wohingegen fünf bis sieben Jahre früher normal waren.

Nach nur vier bis fünf Würfen sind die Sauen inzwischen meistens so ausgelaugt, dass sie entweder gesundheitlich geschädigt sind (z.B. Krankheiten, Lahmheit) oder dass ihre Fruchtbarkeit gemindert ist. Letzteres ist in 25 bis 40 Prozent der Fälle die "Abgangsursache" (Schlachtgrund). So endet jedes Jahr etwa die Hälfte aller Sauen auf der Schlachtbank. Sie werden durch Jungsauen ersetzt ("Remontierung"). Diese Zahl ist ethisch höchst bedenklich, weil die Sauen unter besseren Bedingungen und weniger Leistungsdruck viel älter werden könnten.


PROVIEH fordert: Umsteuerung bei Zuchtzielen und Haltung!

Statt Maximierung des "Aufzuchtziels" (also abgesetzte Ferkel pro Jahr) müssen dringend Zuchtmerkmale wie die Kondition der Sauen, gute Muttereigenschaften, die Langlebigkeit und ihre Lebensleistung sowie die Vitalität der Ferkel und ausgeglichene Würfe (Ferkel mit ähnlichen Geburtsgewichten) stärker in den Vordergrund gestellt werden - auch um die im vorigen Heft beschriebenen Ferkeltötungen besser vermeiden zu können. Aber auch die Haltungsbedingungen und das Management in der Sauenhaltung müssen verbessert werden: Immer noch wird fast ein Fünftel der Sauen wegen Lahmheit "ausgemustert". Das liegt unter anderem an nicht tiergerechten Böden und dem Mangel an weichen Liegeflächen.

PROVIEH kämpft zudem seit Jahren für eine längere Säugezeit von vier bis fünf (statt drei bis vier) Wochen - nicht nur wegen der besseren Darmstabilität der Ferkel nach dem Absetzen, sondern auch, weil die Sauen dann wieder ganz natürlich in ihren dreiwöchigen Brunstrhythmus kommen und man besser auf Hormone verzichten kann.

Zudem setzen wir uns für die in der Schweiz bereits weit verbreitete "freie Abferkelung" ein. Dabei werden die Sauen nicht in engen Eisenkäfigen fixiert und - dank seit Jahren angepasster Zuchtziele - auch keine höheren Saugferkelverluste durch Erdrückung als bei uns in den Abferkelkäfigen verzeichnet. Die tiergerechteren schweizer Haltungsbedingungen werden bald online vom schweizer Züchterverband Swisspor über eine Videokamera gezeigt. In Deutschland sollen sie künftig über das von PROVIEH mitkonzipierte Bonussystem der Tierwohl-Initiative gefördert werden (siehe auch PROVIEH-Magazin 4/2013). Der Verzicht auf Hormonbehandlungen zur Synchronisierung der Sauen müsste ebenfalls vom Handel gefordert und in diesem Bonitierungssystem berücksichtigt werden.

Homöopathie sowie natürliche Hilfsmittel stehen durchaus zur Verfügung. Sehr gut wirken zur Anregung der Brunst erfahrungsgemäß zum Beispiel helles Licht (am besten Tageslicht) und Auslauf nach draußen. Letzteres ist natürlich aufwändiger und selbstverständlich keine so hundertprozentige Angelegenheit wie Hormonspritzen.

Sauen sind Tiere, fühlende Wesen, keine Gebärmaschinen, die man nach Belieben manipulieren darf - schon gar nicht mit Hormonen, die über die Ausscheidungen in die Böden und ins Trinkwasser gelangen können. Einen Nachweis der Umweltbelastung durch Hormone in der Gülle und ihre Folgen gibt es mangels geeigneter Untersuchungen bisher nicht - das muss schleunigst nachgeholt werden, fordert PROVIEH.


INFOBOX
Damit die Auslastung von Arbeitskräften und Stallplätzen optimal ist und am Wochenende nicht gearbeitet werden muss, werden den Sauen in Gruppenabferkelung regelmäßig Hormone gespritzt: Deshalb wird zum Beispiel die erste Gruppe von Muttersauen am Mittwoch abgesetzt, am Donnerstag mit einem brunststimulierenden Hormon "vorbereitet" und nach 72 Stunden der Eisprung mit einer weiteren Hormonspritze stimuliert. Am Montag und Dienstag erfolgen die künstlichen Besamungen. Je nach Betrieb wiederholt sich diese Prozedur jede, alle zwei oder drei Wochen mit einer neuen Sauengruppe. Bei DanZucht-Sauen wird die Geburt zum "regulären Geburtstermin" am 115. Tag besonders oft per Hormonspritze eingeleitet, denn bei Ihnen dauert die Trächtigkeit sonst inzwischen zwei bis drei Tage länger: Die Natur versucht so die durch Hochfruchtbarkeitszucht noch zu unterentwickelten Ferkel lebensfähig zu bekommen. Dafür aber ist im strengen Wochenrhythmus kein Platz.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2014, Seite 26-29
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2014