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TIERHALTUNG/639: Die Lüge vom "Besseren Leben" (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2014
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Die Lüge vom "Besseren Leben"

Von Sabine Ohm



Im Mai 2014 hatte PROVIEH Gelegenheit, neue Einblicke in die niederländische Schweineproduktion zu gewinnen. Auf einer von holländischen und belgischen Agrarjournalisten sowie dem neuen europäischen Netzwerk der Agrarjournalisten (ENAJ) organisierten "Innovative Pig Production Tour" fuhren wir durch die Schweinehochburgen Brabant und Limburg. Allerdings durften wir aus Hygienegründen in die meisten Ställe nicht hinein.

Auffallend sind die seit einigen Jahren verstärkten niederländischen Bemühungen, "Einsichten" zu geben in die Realitäten der modernen Schweinehaltungen. Dafür sind Umbauten nötig; denn noch immer ist es in den Niederlanden (anders als in Deutschland) gesetzlich erlaubt, Ställe ganz ohne Fenster zu bauen. Die Tiere müssen laut Vorschrift nur mindestens acht Stunden lang schummeriges elektrisches Licht (40 Lux) haben. Einen natürlichen Tagesrhythmus erleben sie nie.

Um sich offener und transparenter gegenüber einer zunehmend kritischen Bevölkerung zu zeigen, wurde von der Agrarindustrie ein umfangreiches Programm zur Imageaufbesserung mit dem irreführenden Namen "Tritt in den Stall" ("Stap in de Stal") auf die Beine gestellt. 26 Betriebe (Stand: Mai 2014) nehmen an diesem Programm teil. Die Besucher dürfen allerdings nur durch einige wenige Fenster in bestimmte Stallabteile schauen. Die nötigen Investitionen hat die Branche gemeinsam gestemmt: Futtermittelhersteller (zum Beispiel Agrifirm), Schlachtunternehmen (wie Vion) und Bauernverbände (vor allem LTO) beteiligten sich laut Aushang an den Kosten.

Die Betriebsleiter sollen Besucher über die Vorzüge der "modernen Schweinehaltung" aufklären und um Verständnis für die Schweinehalter werben, um ihnen ein "menschliches Gesicht zu geben"; denn die kritische Medienberichterstattung bescherte den Schweinehaltern zunehmend gesellschaftliche Akzeptanzprobleme. Richtig "reinschnuppern" können Besucher durch die Fenster allerdings nicht. Und durch Luftwaschanlagen ist auch die Umgebungsluft draußen weitestgehend geruchsfrei. Neuere Anlagen müssen - ähnlich wie ab einer bestimmten Größe in einigen deutschen Bundesländern seit diesem Jahr - mit Luftwaschanlagen ausgestattet sein, die sowohl die Ammoniak- als auch die Feinstaubbelastung senken. Nur drinnen, bei den Schweinen, da stinkt es.

Das konnten einige von uns feststellten, als wir ausnahmsweise doch kurz in einige Abteile auf einem Mastbetrieb gelassen wurden, der vom Tierwohl-Labelprogramm "Beter Leven" (zu Deutsch "Besseres Leben") zertifiziert ist. Inwiefern die dort gehaltenen Schweine es allerdings besser als in normalen konventionellen Ställen haben, erschloss sich dort nicht wirklich. Zwar wurden unkastrierte Eber auf den in Holland gesetzlich vorgeschriebenen Teilspaltenböden gehalten mit etwas mehr Platz als vom Gesetzgeber vorgesehen; aber die Betriebsleiterin gab zu, dass die schwersten Tiere schon absortiert und zum Schlachter gefahren worden waren, so dass nicht klar war, wie viele Schweine pro Bucht über weite Strecken der Endmast gehalten wurden. Die Ebermast hatte sich für den Binnenmarkt in den Niederlanden schon vor dem Label-Programm durchgesetzt.

Die Liegeflächen auf dem Betrieb waren größtenteils stark verschmutzt, wie auch die Tiere, und die Luft war von beißendem Ammoniakgeruch erfüllt. Außerdem waren die Ringelschwänze bei allen Tieren sehr kurz kupiert. Als Beschäftigungsmaterial gab es meist nur Eisenketten. In den Buchten mit unruhigeren Tieren, die die Bäuerin scherzhaft "meine ADHS-Schweine" nannte, lagen am Boden zudem schmutzige Reste angenagter Plastikkanister. In den Ecken hingen leere Behälter für Zylinder aus Pressstroh (sogenannte "Mik-Toys"), die von den Schweinen laut Betriebsleiterin aber sowieso "kaum angenommen werden". Angemessenes Beschäftigungsmaterial oder Raufutter suchte man vergeblich.

Ein besseres Leben für Schweine, das ein Tierwohl-Siegel verdient, sieht auf jeden Fall anders aus. Denn das routinemäßige, vorbeugende Schwanzkupieren ist sogar gesetzlich verboten, in konventionellen Ställen allerdings immer noch gängige Praxis. In ihrem "Beter Leven"-Stall könne auf das Kupieren nicht verzichtet werden, so die Betriebsleiterin, denn dann bekäme sie schwere Kannibalismusprobleme. Sie war sich keiner Schuld bewusst: Ihre Ställe erfüllen alle Anforderungen für einen Stern im "Beter Leven"-Programm.

Auszahlen tut sich die Teilnahme am Label für sie allerdings nicht, verriet sie uns; denn die Kosten würden aufgerechnet mit den Vorteilen, die der Landwirt aus den Maßnahmen zieht: beispielsweise höhere Gewichtszunahmen pro Tag durch mehr Platz oder auch mehr Magerfleischanteil durch Ebermast. Am Ende sei es daher ein Nullsummenspiel: Mit weniger Schweinen verdiene sie heute genauso viel wie früher, als sie mehr Schweine unter gesetzlichen Mindestanforderungen hielt. Aber sie selbst sei zufriedener mit ihrer Arbeit, deshalb lohne es schon, fügte sie noch schnell hinzu.

Die Besucher seien häufig schon sehr erleichtert, wenn sie sähen, dass die Tiere nicht auf drei Stockwerken übereinander gehalten würden. Solche Bauten gibt es bereits in den Niederlanden. Sie waren dort in den letzten Jahren schon mehrfach im Fernsehen zu sehen. Neben der "Transparenzoffensive" fährt der Agrarsektor zusätzlich eine "Charmeoffensive", indem die Betreiber ihre riesigen Ställe durch adrette Anpflanzungen, künstliche Teiche, Spielplätze und dekorative Ponys aufhübschen. Wie es der sympathische mitreisende schweizer "Agroblogger" Adrian Krebs später treffend formulierte: "Was mich frappierte, waren die Dimensionen. Zwar kannte man die Verhältnisse aus Erzählungen und Fachmedien, aber wenn man dann vor einer Batterie von 90 Meter langen, fensterarmen beziehungsweise fensterlosen Hallen steht und weiß, dass darin Tausende von Schweinen gezeugt, ausgetragen, geboren, gesäugt und gemästet werden, dann ist das schon eindrücklich bis schaudererregend, selbst für einen Abgebrühten wie mich. Economies of scale am lebenden Objekt mit nüchternem Fokus auf Effizienz und Rentabilität - industrielle Landwirtschaft eben."

Besser kann ich die Eindrücke auch nicht zusammenfassen. Was im Kopf bleibt, sind vor allem die erschütternden Bilder der ernüchternden Realität des angeblichen Tierwohl-Programms "Beter Leven", gegen das PROVIEH inzwischen bei der niederländischen Landwirtschaftsministerin und der EU-Kommission in Brüssel Beschwerde wegen Verbrauchertäuschung und Nichteinhaltung gesetzlicher Mindeststandards eingelegt hat. Eine geplante Förderung des Siegels mit EU-Steuergeldern in Millionenhöhe konnten wir schon verhindern.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2014, Seite 36-39
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2014