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TIERHALTUNG/650: Schweine satt! (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 4/2014
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Schweine satt!

Von Susanne Kopte


Noch hält nichts das Geschäft mit den Schweinen auf. Zurzeit leben rund 82 Millionen Menschen in Deutschland. Tendenz: fallend. Und rund 28 Millionen Schweine. Tendenz: steigend. Bei zwei Mastdurchgängen pro Jahr ist die Zahl der Schweineschlachtungen pro Jahr fast doppelt so hoch wie die Zahl jeweils zeitgleich lebender Schweine.

Sollten beide Tendenzen anhalten, wäre es nur eine Frage der Zeit, wann die Zahl der Schweine die der Menschen überflügelt haben wird. In Niedersachsen ist diese Vision bereits Wirklichkeit geworden: Auf über neun Millionen Schweine kommen rund acht Millionen Menschen.

Die Deutschen lieben Fleisch. Sie essen sehr viel davon und vor allem vom Schwein: 39,2 Kilogramm sind es pro Jahr und Person im Durchschnitt. Um jede Verbesserung in der Schweinehaltung aber ringt sich ein jahrelanger Kampf. In der massenhaften Produktion von Schweinefleisch geht es um Profit, und wenn deutsche Bauern ihn nicht machen, dann machen andere ihn.

Der Anteil der industriellen Massentierhaltung liegt in Deutschland bei gut über 90 Prozent. Schon jetzt gibt es Mastbetriebe mit bis zu 65.000 Schweinen. Noch größere sind geplant.

Ein industrielles Schweineleben verläuft trostlos, bisweilen schmerzhaft und endet nach knapp einem halben Jahr mit einem tödlichen Stich in den Hals nach vorheriger Betäubung.


Von Beginn an weit von artgemäßer Haltung entfernt

Vom Natursprung kann die Sau im Schweinebetrieb nur träumen. Im Internet oder mittels einer Eber-App - die Agrarindustrie präsentiert sich gern modern und heiter - sucht der Schweinelandwirt nach dem Eber mit den besten Zuchteigenschaften für seine Zwecke. Eine große Auswahl findet sich im Katalog der Schweinebesamungsstation Weser-Ems im Nordwesten Niedersachsens. Der Standort ist gut gewählt: In dieser Region werden bundesweit die meisten Schweine gemästet, geschlachtet und verarbeitet.

Hunderte von Ebern mühen sich durch ihren Sprung auf Phantom-Sauen für den Erfolg der Firma, die zu den größten Schweinesamenproduzenten Europas gehört.


Einzelne Eber dürfen noch schaulaufen

Über einen Schlauch und eine Pipette wird das eingekaufte Sperma in die paarungsbereite rauschige Sau eingeführt. Ganz so einfach lassen sich die Sauen aber nicht überlisten. Ihre Empfänglichkeit ist weitaus besser, wenn vor der künstlichen Befruchtung ein Eber durch die Gänge läuft. Zumindest hören, sehen und riechen wollen sie den Partner noch. Allerdings spritzen viele Betriebe den Sauen einfach Hormone, damit sie alle gleichzeitig "rauschen" und besamt werden können. Sollte die Sau beim ersten Mal nicht tragend geworden sein, gibt es noch einen zweiten Versuch. Klappt es wieder nicht, kommt sie direkt in die Schlachtung.

115 Tage dauert die Trächtigkeit im Durchschnitt, dann kommen die Ferkel - die Geburt oftmals wiederum stimuliert durch eine geburtseinleitende Hormonspritze, damit alle am selben Tag "abferkeln". Bis dahin verbringen die Sauen die Zeit gemeinsam in einem sogenannten Wartestall. Das ist noch recht neu. Bis vor kurzem war es legal, Sauen nach Eintritt ihrer Geschlechtsreife nur noch einzeln in engen Käfigen zu halten, entweder in engen Kastenständen für die künstliche Besamung oder in engen Ferkelschutzkörben in Abferkelbuchten.


Mehr Ferkel als die Sau Zitzen hat

Durchschnittlich 12,6 Ferkel bringt die Sau zur Welt. Die Züchtungsanstrengungen gehen jedoch weiter: Während die Wildsau im Schnitt sechs Ferkel wirft, verlangt man von der Zuchtsau pro Wurf 14 bis 16 oder gar mehr Ferkel. Dabei hat sie nur 14 Zitzen, von denen die letzten zwei oft wenig ergiebig sind. Was tun? Entweder hilft sich der Bauer mit Ferkelmilch oder Ammen, oder die kaum überlebensfähigen "Kümmerlinge" werden mit einem gezielten Schlag endgültig aussortiert. Die Sau darf so lang leben, wie sie ordentlich wirft. Spitzenreiterinnen bringen es auf fünf Jahre.

Die ersten vier Wochen sind verglichen mit der restlichen Lebenszeit vermutlich die besten eines Schweines. Täglich säuft der Wurf bis zu 12 Liter Sauenmilch, und der Nachwuchs hat noch Kontakt zur Mutter. Natürlich eingeschränkt. Denn diese liegt seit einigen Tagen vor der Geburt wieder eingezwängt im Ferkelschutzkorb - einem martialisch ausschauenden Stangengebilde zum Schutz der Ferkel, wie die Bauern immer wieder betonen.

Allerdings müssen die kleinen Ferkel in der ersten Zeit auch einiges an Schmerz und Leid aushalten: Die Bauern kupieren ihnen den Schwanz und schleifen die Spitzen ihrer Eckzähne ab. Um Verletzungen vorzubeugen, wie sie sagen. In der Vergangenheit wurden die Zähne einfach abgeklemmt. Das Schleifen hat sich als die bessere Methode erwiesen - weniger Verletzungen, weniger Entzündungen. Für das Ferkel bedeutet es immer noch Quälerei, vor allem wenn ein Nerv blank liegt, nachdem zu tief geschliffen wurde.

Das Kupieren des Ferkelschwanzes ist seit Jahrzehnten Routine im Schweinestall. Denn die Schweinemäster argumentieren, dass sich die Ferkel in den engen Ställen gegenseitig den Schwanz abknabbern würden, was schließlich zu umsatzschädlichen Verletzungen führe. Sehr schädlich für den Umsatz wäre auch, wenn der Bauer die von der EU-Richtlinie geforderten Maßnahmen treffen würde, die das Schwanzbeißen verhindern können. Eine andere als die finanzielle Begründung gibt es nicht. Viele Studien haben gezeigt, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen schlechten Haltungsbedingungen und dem aggressiven Verhalten in der konventionellen Mast gibt.


Kastration für den Geschmack

Auf viele der kleinen männlichen Ferkel wartet in der ersten Lebenswoche noch ein dritter schmerzhafter Eingriff: die Kastration. Lange hieß es, sehr junge Ferkel hätten kein entwickeltes Schmerzempfinden, das Quieken sei nur ein Reflex. Aber die Tiere leiden: Während des Kastrierens (meist betäubungslos) steigt der Stresshormonspiegel in ihrem Blut deutlich an und bleibt anschließend noch lange erhöht. Rund 20 Millionen männliche Ferkel erleiden dieses Schicksal pro Jahr in Deutschland. Der Grund: Das Fleisch mancher geschlechtsreifer Jungeber kann für manche Verbraucher einen abstoßenden Geruch oder Geschmack entwickeln. Bei kastrierten Ebern ist das sehr selten. Erst ab 2019 soll diese Praxis verboten werden.

Dabei gibt es Alternativen. Eine davon ist die Ebermast, die auch PROVIEH für eine machbare und sogar mit wirtschaftlichen Vorteilen verbundene Methode hält. (PROVIEH-Magazin 01/2013)


Die zwei nächsten Stationen im Produktionsablauf

Nach drei bis vier Wochen werden die Ferkel von der Mutter getrennt und getrennt nach Gewicht und Größen sortiert in abgetrennte Buchten verlegt. Zu diesem Zeitpunkt wiegen sie etwa fünf bis sieben Kilo, und ihr Appetit ist enorm. Wann immer sie möchten, können sie sich sattfressen. Rund 450 Gramm Gewichtszunahme am Tag sind gewünscht.

Mit 25 bis 30 Kilogramm Lebendgewicht ziehen die meisten Ferkel wieder um, aber dieses Mal geht es auf die Zielgerade. Sie werden zu den Mastbetrieben gebracht, zum Teil über einige hundert Kilometer hinweg. Auch dort werden sie reichlich gefüttert. Das Futter kommt meist automatisch über Rohre in den Futtertrog. Per Computer wird berechnet, wie viel jedes Schwein frisst und wie gut es das Futter verwertet.

Der Bauer verfolgt am Bildschirm die errechneten Kurven und kann sich ausrechnen, wieviel Euro am Ende pro Schwein für ihn übrig bleiben. Je größer die Schweine werden, desto geringer ihre Bewegungsfreiheit. Zum Schluss haben die 110 Kilogramm schweren Schweine nur 0,75 Quadratmeter Platz je Tier.

Von der Einhaltung der Gesetze wie auch der Tierschutzvorschrift, den Tieren Schmerz und Leid so weit möglich zu ersparen, sind die Schweinehalter in Deutschland insgesamt noch weit entfernt - aber auch dank PROVIEH gibt es Hoffnung und immer wieder Lichtblicke auf dem steinigen Weg zu tiergerechter Schweinehaltung.


INFOBOX 1
 
Die gesetzliche Verbesserung für die Sauenhaltung ist nur eine halbe Sache

2001 hat die EU beschlossen, dass Zuchtsauen langfristig mehr Platz in ihren Ställen brauchen und nicht mehr ihr ganzes, sondern "nur" noch ihr halbes Leben eingezwängt im sogenannten Kastenstand verbringen dürfen. Seit dem 1. Januar 2013 gelten die neuen Bestimmungen der Richtlinie verbindlich für alle europäischen Betriebe. Ein Viertel aller Betriebe in Deutschland hat sich im ersten Jahr nicht daran gehalten. Nach Abmahnungen wurde im Dezember 2013 offiziell ein Umstellungsstand von 99,2 Prozent erreicht. Ein Vertragsverletzungsverfahren droht damit nicht mehr.

INFOBOX 2
 
Tierschützer und politische Opposition enttäuscht

2012: Bei der Kastration junger Ferkel sollte ursprünglich ab 2017 eine Betäubung vorgeschrieben sein. Diese Vorschrift wurde vom Bundestag auf das Jahr 2019 vertagt. Im Februar 2013 bestätigte der Bundesrat diese Entscheidung.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 4/2014, Seite 12-15
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2015

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