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INITIATIVE/317: Bürgerinitiativen gegen tierquälerische Intensivtierhaltung (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Widerstand nicht zwecklos
Bürgerinitiativen gegen tierquälerische Intensivtierhaltungs-Anlagen

Von Stefan Johnigk


Das niedersächsische Dorf Etelsen liegt idyllisch eingebettet zwischen Feldern, Grünlandhecken und Wäldchen. Eigentlich lässt es sich hier richtig gut leben, finden die rund 3.700 Einwohner, wären da nicht die 25.000 Masthähnchen, die in einem Maststall im Ortsteil Giersberg ihre qualvollen 35 Lebenstage unter den erbärmlichen Bedingungen der industriellen Intensivtierhaltung verbringen müssen. Schon heute stinkt es an manchen Tagen gewaltig nach Hühnerkot im Dorf. Doch noch viel mehr stinkt es den Bürgern von Etelsen, dass nun ein weiterer, riesiger Maststall mit 100.000 Mastplätzen gebaut werden soll. Deshalb leisten sie Widerstand und haben eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen - eine von zahlreichen Initiativen in Deutschland, die sich entschieden gegen den Ausbau der industriellen Massentierhaltung stellen.

Den PROVIEH-Mitgliedern ist das erbärmliche Elend der Nutztiere in den Intensiv-Tierhaltungsanlagen sehr bewusst. Deshalb engagieren sie sich für einen besseren Nutztierschutz. Viele Mitbürger kennen dieses Elend nicht und werden darauf erst aufmerksam, wenn Anlagen für die industrielle Tierhaltung in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft errichtet werden sollen. Angesichts der Geruchs-, Keim- und Staubimmissionen solcher Industriekomplexe haben die Bürger oft zunächst einmal die Sorge um die eigene Gesundheit und das eigene Heim. Doch wenn ihnen bekannt wird, was hinter verschlossenen Türen mit den Tieren tatsächlich geschehen soll, ist die Erschütterung meist groß.

In Etelsen kämpfen auch Petra Krüler, Andrea Arndt, Waltraud Bergmann und Karlheinz Glander für ihr Dorf und gegen die Tierquälerei im geplanten Maststall. Mit viel Energie und Durchhaltevermögen haben sie und erfreulich viele andere Bürger gegen das irrwitzige Projekt persönlich bei den genehmigenden Behörden Einwand erhoben und bereits rund 2000 Unterschriften gesammelt. Damit konnten sie zumindest schon erreichen, dass ein Aufschub des Genehmigungsverfahrens erwirkt wurde, so dass das Vorhaben nicht klammheimlich abgesegnet werden konnte, worauf die Profiteure solcher Anlagen immer hoffen.

Die von den Investoren vorgelegten Gutachten lesen sich stets wie Berichte aus einer uns unbekannten Parallelwelt: Ernst zu nehmende Keimbelastung gebe es keine, Staub auch nicht, Geruch schon gar nicht, weil die Abluft hoch genug abgeführt werde. Und die Gülle? Kein Problem, als wertvoller Dünger könne sie die Ernte-Erträge auf den Äckern und die Erzeugung von Biogas in den Bioreaktoren steigern. Dass die Erzeugung von Biogas staatlich subventioniert wird, um sich zu lohnen, wird nicht erwähnt. Wer an der Qualität der Haltungsbedingungen zweifelt, wird belehrt, dass alle geltenden Vorschriften streng eingehalten werden. Im Übrigen wolle man doch, dass sich die Tiere in den Anlagen wohlfühlen, weil sie nur dann gute Leistung erbringen können.

Solange die Anlagenplaner die Mindeststandards aus der geltenden Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung einhalten, können Tierschützer und Mitglieder von PROVIEH noch so sehr auf das Tierschutzgesetz verweisen, am Genehmigungsverfahren oder gar an der Bereitschaft der zuständigen Ämter, der industriellen Ausbeutung von Lebewesen einen Riegel vorzuschieben, ändert sich kaum etwas.

Waltraud Bergmann kennt das Problem und bringt es auf den Punkt: "Die Nutztierhaltungsverordnungen schreiben qualvolle Lebensbedingungen für unsere Mitgeschöpfe in den agrarindustriellen Anlagen fest, pervertieren die Forderungen des Tierschutzgesetzes nach artgemäßer Haltung und Schutz vor Schmerzen, Leiden und Schäden und stehen deshalb eindeutig im Widerspruch zu unserer Verfassung, die den Schutz der Tiere gebietet. Immer wieder. fast schon zynisch, ziehen Investoren, Politiker und Behörden die Nutztierhaltungsverordnungen als Legitimationsgrundlage heran. Probleme des Tierschutzes werden völlig aus den Genehmigungsverfahren herausgehalten. Das Grundübel - die nachhaltige Gefährdung von Mensch und Natur - wird nicht angetastet. Bundesweit wird genehmigt, als wären wir am Verhungern!"

In den Auseinandersetzungen mit den zuständigen Stellen erleben Bürgerinitiativen oft, wie groß die Angst der Behörden vor eventuellen Regressansprüchen der Investoren ist. Befürchtungen, dass eine Genehmigung solcher Anlagen gegen das Tierschutzgesetz verstoßen und damit illegal sein könnte, sind dagegen höchst selten. PROVIEH und allen anderen Tierschützern fehlt also der entscheidende Hebel, mit einer Verbandsklage gegen die Aushöhlung des Staatsziels Tierschutz, durch die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vorgehen zu können. "Renditeschutz-Nutztierhaltungsverordnung" wäre bald der bessere Begriff für sie.

Bislang gibt es nur im Bundesland Bremen ein Verbandsklagerecht für Tierschützer. In allen anderen Ländern zaudern die Politiker, und die entsprechenden Vorstöße scheiterten schon in den Fachausschüssen. Dabei wäre ein Verbandsklagerecht dringend notwendig, um den Protest der Menschen gegen Tierquälerei effektiver zu bündeln und kompetenter vor Gericht vertreten zu können. Dafür setzen sich Tierschützer bei PROVIEH und anderswo weiter gemeinsam ein.

In Etelsen konzentrierten sich die Bemühungen der Bürgerinitiative derweil darauf, Versäumnisse im Gutachten des Antragsstellers für die geplante neue Hühnermastanlage oder gar Verfahrensfehler aufzudecken. Das hat sich bereits bei anderen Widerstandsprojekten als sinnvoll erwiesen, so in Hassleben (PROVIEH berichtete) und anderswo. Auch diesmal ergaben sich Schwachstellen im Gutachten. So müssen die Betreiber bei der Berechnung der Winddaten neue Ergebnisse vorlegen.

Das verschafft der Bürgerinitiative eine Verschnaufpause, die Karlheinz Glander und seine Mitstreiter für eine weitere Methode des Widerstands brauchen. Sie wollen die Politiker in ihrer Verantwortung für die Region und die dort lebenden Wähler sensibilisieren. So gelang es der Bürgerbewegung aus Etelsen, die Genehmigungsbehörden so weit zu überzeugen, dass sie zu einer öffentlichen Expertenanhörung mit den beteiligten Fachausschüssen des Landkreises einluden. PROVIEH war mit Vorstandsmitglied Prof. Fölsch und der Fachreferentin Iris Weiland vertreten und ging mit klaren Worten auf das erschreckende Elend der Intensivtierhaltung ein. Auch die Verletzung des Tierschutzgesetzes durch die geltenden Ausnahmebestimmungen bei der Nutztierhaltung wurde allen Beteiligten unmissverständlich deutlich gemacht.

Nun bleibt zu hoffen, dass die an der Genehmigung beteiligten Personen ihren verbleibenden Handlungsspielraum nutzen und letztlich den Bau der riesigen Hähnchenmastanlage ablehnen. Doch selbst wenn die Baugenehmigung erteilt würde, so wird damit nur die nächste Runde im Kampf "Tierschutz gegen Renditewahnsinn" eingeläutet. Der bisherige Widerstand und die Aufklärungsarbeit von engagierten Menschen wie Frau Bergmann, Herrn Glander und ihren Mitstreitern wären nicht zwecklos gewesen. Denn jeder Mensch, der sich erschüttert von Produkten aus tierquälerischer Intensivtierhaltung abwendet, ist ein langfristiger Gewinn für den Nutztierschutz.


HINWEIS

PROVIEH unterstützt Bürgerinitiativen gegen industrielle Intensivtierhaltung im gesamten Bundesgebiet durch fachliche Beratung und Erfahrungsaustausch. Informationen und Kontaktadressen auf www.provieh.de unter der Rubrik "Bürgerinitiativen".


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März 2009, Seite 6-9
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2009