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INITIATIVE/422: Kampagnenerfolg - Abgesang auf die betäubungslose Ferkelkastration (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Kampagnenerfolg: Abgesang auf die betäubungslose Ferkelkastration

Von Sabine Ohm


Große Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) zwingen durch ihre tierfreundlichere Einkaufspolitik die Erzeuger, ab Juli 2016 alternative Verfahren zur betäubungslosen chirurgischen Ferkelkastration anzuwenden.

Ab dem 1. Januar 2017 müssen die Fleischlieferanten von ALDI und REWE die neuen Einkaufsrichtlinien bezüglich der Ferkelkastration einhalten. Das heißt, die Erzeuger müssen schon ab Juli 2016 eines der drei alternativen Verfahren eingesetzt haben, um weiter an diese großen Supermarktketten liefern zu können. Damit kommt PROVIEH nach langem Kampf seinem Kampagnenziel der Abschaffung der betäubungslosen Ferkelkastration einen Riesenschritt näher.


Rückblick auf die Etappensiege

Nach dem Kampagnenstart von PROVIEH gegen die betäubungslose Ferkelkastration im Mai 2008 erklärten sich die Verbände der gesamten Branche in der "Düsseldorfer Erklärung" vom September 2008 zum Ausstieg bereit. Die Jungebermast wurde darin als Ziel angegeben. Wir freuten uns umso mehr über diesen Kampagnenerfolg, als auch Brüssel begann, europaweit Druck für den Ausstieg zu machen, um den EU-Binnenmarkt zu retten, weil Deutschland der größte Produzent und Konsument von Schweinefleisch in Europa ist. Im April 2009 führte die 2001 gegründete privatwirtschaftliche Qualitätssicherungsorganisation "QS" eine aus Tierschutzsicht höchst unbefriedigende Notlösung ein: Die Gabe eines nichtsteroidalen Entzündungshemmers (wie "Meloxicam") wurde zur Schmerzlinderung vorgeschrieben. Damit sollte die Diskussion über die Kastration entschärft werden, weil die meisten Schweine in Deutschland unter dem QS-Siegel produziert werden. Entzündungshemmer wie das üblicherweise genutzte Meloxicam vermögen aber nur den postoperativen Schmerz zu lindern, nicht den Kastrationsschmerz selbst.

Die Wahl des Mittels orientierte sich, wie so oft, an ökonomischen statt an sachlich-fachlichen Argumenten des Tierschutzes; denn solche Entzündungshemmer sind billig und dürfen vom Landwirt selbst gespritzt werden. Die Überwachung der effektiven Anwendung des Medikaments ist aber nicht möglich. Oft wird es laut Erfahrungsberichten gar nicht gespritzt - daher gab PROVIEH bis heute keine Ruhe und erzielte weitere wichtige Kampagnenerfolge: Die Brüsseler Erklärung vom Dezember 2010, in der sich europaweit alle Unterzeichner - darunter der Handelsverband Deutschland (HDE) - zur wirksamen Schmerzausschaltung ab 2012 und zum freiwilligen Verzicht auf die Ferkelkastration ab 2018 verpflichteten. Auch der Verzicht von McDonald's und Burger King auf Kastratenfleisch ab Januar 2011 waren bedeutende Etappensiege für PROVIEH. Sie beförderten nicht nur die Ausweitung der Jungebermast, sondern auch viele wissenschaftliche Studien und Praxisversuche zur Anwendung von Alternativen.

Gekrönt wurden unsere Bemühungen bisher von der bahnbrechenden Änderung des deutschen Tierschutzgesetzes im Jahr 2013, das die betäubungslose chirurgische Ferkelkastration in Deutschland ab 1. Januar 2019 verbietet. Aus Tierschutzsicht ist die Zeit reif dafür. Der betäubungslose operative Eingriff ist für die Tiere wissenschaftlich nachweislich sehr schmerzhaft und wird deshalb zu Recht verboten.


Der Handel als Treiber

Einige große Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels beschleunigen mit ihrem angekündigten Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration ab Januar 2017 nun den von PROVIEH seit 2008 mit Nachdruck vorangetriebenen Umstieg auf alternative Verfahren. Spätestens jetzt muss allen Schweinehaltern klar werden, dass es kein Zurück mehr gibt.


Den Landwirten stehen bereits effektive alternative Methoden zur Verfügung

Die Jungebermast wird von vielen Schweinehaltern - auch im europäischen Ausland - schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich praktiziert. Die Tiere werden dabei vor der Geschlechtsreife geschlachtet. Eine zweite Möglichkeit ist die Betäubung mit Ketamin, das eine Schlaf- und Schmerzfreiheit unter weitgehender Erhaltung der Schutzreflexe auslöst und vom Tierarzt verabreicht werden muss.

Das in der Schweiz und von Neuland eingesetzte Isofluran führt leider nicht zu einer wirksamen Schmerzausschaltung (siehe Infobox).

Viele Tierhalter haben trotz allem bisher noch keine der drei wirksamen Alternativen ausprobiert, weil sie auf eine Wunderlösung durch ein neues (noch unbekanntes) Mittel hofften oder glaubten, das gesetzliche Verbot würde doch noch ausgesetzt. Nun wird es allerhöchste Zeit.


Faires Geld für faire Erzeuger

Der Lebensmitteleinzelhandel sollte nur wirksame Tierschutzmaßnahmen fordern und diese dann auch entsprechend vergüten. Die Kosten dafür sollten die Verbraucher tragen, denn sie wollen schließlich laut Umfragen tierschutzgerecht erzeugtes Fleisch.

Verantwortungslos und scheinheilig wäre es deshalb, wenn der LEH zwar auf dem Papier von den deutschen Lieferanten den Verzicht auf die betäubungslose chirurgische Ferkelkastration forderte, die Einhaltung aber nicht überprüfen oder, noch schlimmer, künftig einfach Fleisch von konventionell kastrierten Schweinen billig aus dem Ausland importieren würde.

Damit wäre für die Tiere nichts gewonnen, die Verbraucher würden getäuscht und die heimischen Erzeuger benachteiligt. Auch die vom LEH geplante Streichung der Förderung von Alternativen im Rahmen seiner "Initiative Tierwohl" ist das falsche Signal. Das wäre nicht der Tierschutz, für den PROVIEH schon so lange kämpft. Deshalb bleiben wir dran, bis die Umsetzung voll und ganz vollzogen ist!


INFOBOX

Die Isofluran-Betäubung stellt die Tiere in der Praxis zwar ruhig, so dass sie unfähig sind sich zu bewegen und Laute zu äußern. Aber der Schein trügt: Laut wissenschaftlichen Studien aus dem In- und Ausland führt sie zu keiner ausreichenden Schmerzausschaltung bei der Kastration, weil keine echte tiefe Narkose herbeigeführt wird, damit die Ferkel danach nicht so lange "nachschlafen", dabei auskühlen und Mahlzeiten verpassen; denn das kann die Sterblichkeit erhöhen. Die oberflächliche Betäubung aber nützt den Ferkeln gar nichts.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2016, Seite 10-12
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2016

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