Schattenblick → INFOPOOL → TIERE → TIERSCHUTZ


JUSTIZ/236: Kükentötung bleibt (vorerst) legal (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2019
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Kükentötung bleibt (vorerst) legal

von Christina Ledermann


Im Juni urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass das Töten von jährlich 45 Millionen männlichen Küken vorerst erlaubt bleiben soll. Aus ethischer Sicht unfassbar. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das vermeintliche Skandalurteil möglicherweise als Fortschritt.


Nach dem lange erwarteten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) am 13. Juni 2019 dürfen Brütereien männliche Küken weiterhin gleich nach dem Schlüpfen töten, bis sie ein Verfahren zur Geschlechts-Früherkennung im Ei eingeführt haben. Nach fast 50 Jahren Tierschutzgesetz und 17 Jahren Staatsziel Tierschutz scheint dies aus ethischer Sicht unfassbar. Der Rechtsanwalt und ehemalige Vorsitzende des Bundesverbandes, Dr. Eisenhart von Loeper, sieht darin zu Recht ein abgründiges, erbärmliches Versagen gegenüber denen, die sich selbst gegen die Arroganz der Macht des Menschen nicht wehren können. Doch es lohnt, sich die Urteilsbegründung genauer auszusehen. Denn das BVerwG ist im Gegensatz zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, das im Mai 2016 im Ergebnis ähnlich entschied, zu einer weit differenzierteren Urteilsbegründung gelangt.


Tierschutz wiegt schwerer

Zum einen bezieht das BVerwG die Bedeutung des Staatsziels Tierschutz mit ein. Abwägungen, die vor Inkrafttreten der Staatszielbestimmung zu Lasten des Tierschutzes vorgenommen wurden, müssen demnach heute ein anders Ergebnis haben. Zum anderen hat sich das Gericht erstmals mit den konkreten Anforderungen an einen "vernünftigen Grund" im Sinne des Tierschutzgesetzes (§ 1 Satz 2) auseinandergesetzt. Der "vernünftige Grund" gilt als unbestimmter Rechtsbegriff und führte bisher dazu, dass Tiernutzer diese schwammige Formulierung stets in ihrem Sinne auslegten. Dies ist nach dem Urteil nicht mehr möglich. Denn nach Ansicht des Gerichtes gibt es für das Töten der männlichen Küken, vor dem Hintergrund des Staatsziels Tierschutz und der veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen, keinen vernünftigen Grund mehr. Außerdem sei dies mit dem Eigenwert der Tiere nicht zu vereinbaren. Die Belange des Tierschutzes wögen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe.


Nur noch übergangsweise zulässig

Doch das Gericht machte eine entscheidende Einschränkung: Das Tierschutzgesetz verbiete zwar das Töten von Tieren ohne vernünftigen Grund", da jedoch die Praxis jahrzehntelang hingenommen worden sei, könne von den Brutbetrieben keine sofortige Umstellung verlangt werden. Das Töten sei jedoch nur noch übergangsweise zulässig, bis Alternativen zur Verfügung stünden. Dies kritisiert von Loeper scharf: "Die staatlichen Organe hätten die Massentötung männlicher Küken schon ein halbes Jahrhundert lang versagen müssen. Dem Bundesverwaltungsgericht hätte klar sein müssen, dass nicht der geringste Grund bestand, die schreckliche rechts- und verfassungswidrige Praxis - noch - für "zulässig" zu erklären!"


Klöckner setzt auf Freiwilligkeit

Der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hatte schon 2015 angekündigt, das Kükenschreddern zu beenden. Ende 2018 stellte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ein neues Verfahren vor, das mithilfe eines Lasers das Geschlecht im Ei bestimmen soll. Doch trotz millionenschwerer Förderung sind die versprochenen Verfahren zur Geschlechts-Früherkennung bis heute nicht praxisreif. Mitte Juli forderte Klöckner von der Geflügelbranche einen Zeitplan zum Ausstieg. Diskutiert wurden Ausstiegsdaten bis Ende 2020 oder 2021. Der Haken: Die Branche soll das Töten freiwillig beenden.


Ende der Hinhaltetaktik

Doch diese jahrelange Hinhaltetaktik ist mit dem aktuellen Urteil Geschichte. Die Groko hat im Koalitionsvertrag vereinbart, das Kükentöten bis 2020 zu verbieten. Sie muss diese Ankündigung umsetzen und zwar nicht erst, wenn die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei wirtschaftlich oder gar kostenneutral sind. Wenn der Ausstieg nach mehreren Verschiebungen 2020 immer noch nicht erfolgt, kann sich Klöckner nicht mehr auf den vernünftigen Grund berufen. Die Landwirtschaftsministerin muss die Brütereien endlich in die Pflicht nehmen. Sie könnte beispielsweise verlangen, dass die Unternehmen in die Technik zur Geschlechts-Früherkennung investieren.


Grundsätzlich: Probleme der Eierproduktion

Die Geschlechtsbestimmung im Ei könnte zwar die skandalöse Kükentötung beenden, doch dies löst nicht das grundsätzliche Problem der Eierproduktion: Wenn die Legeleistung der Hennen nach circa einem Jahr abnimmt, werden auch sie als Suppenhühner geschlachtet. Tatsächlich stellt sich die radikale Frage nach dem vernünftigen Grund viel früher: Ist es ein vernünftiger Grund, Tiere in Massen zu produzieren und unter tierquälerischen Bedingungen zu halten, nur weil der Mensch das Bedürfnis hat, Eier und Fleisch zu essen?

*

Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2019, S. 18
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang