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TIERVERSUCH/471: Katzen in der Grundlagenforschung (tierrechte)


tierrechte Nr. 53, August 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Katzen in der Grundlagenforschung

Von Cristeta Brause und Christiane Hohensee


Die meisten Katzen werden zur Erforschung und Entwicklung von Produkten für die Veterinärmedizin eingesetzt. Es gibt jedoch auch Produktentwicklungen für den medizinischen Bereich des Menschen, z. B. die Testung von Cochlea-Implantaten (Innenohrprothesen) an Katzen. Hinzu kommen Fragen aus der Grundlagenforschung, also der Forschung ohne konkreten praktischen oder klinischen Bezug. Nachfolgend sind einige Beispiele zu Tierversuchen und Ersatzverfahren angeführt.


Spektakulär im Bereich der Grundlagenforschung sind Versuche zur Hirnforschung sowie solche in der Magen-Darm-Forschung.


Hirn- und Cochleaforschung

In der Hirnforschung werden Affen, aber auch Katzen für Fragestellungen der Verarbeitung von Sinneseindrücken im Gehirn eingesetzt.

Visueller Cortex
Bei der Erforschung des Visuellen Cortex (Sehrinde im Gehirn) wird z. B. bei Katzenwelpen unter Narkose der Muskel eines Auges durchtrennt oder ein Auge zugenäht, um einseitiges Schielen zu erzeugen. Für die Ableitungen von Hirnströmen wird den Katzen unter Narkose eine kleine Stahlkammer in die Schädeldecke einzementiert. Über Elektroden werden Hirnströme gemessen, die bei der Verarbeitung von optischen Eindrücken erzeugt werden.

Das Tier wird verschiedenen visuellen Reizen, z. B. Blitzen, Mustern oder Farben ausgesetzt und die Reaktion entsprechender Hirnareale darauf als EEG-Aktivität über die implantierten Elektroden aufgezeichnet. Die Messungen dauern oft mehrere Tage. Die Katzen bleiben die ganze Zeit in Narkose und werden intravenös und über eine Magensonde ernährt. Am Versuchsende werden die Tiere noch in der Narkose getötet.

Hör- oder Cochleaforschung
Für Versuche wird Katzen das Gehör zerstört, indem man bei sehr jungen Katzenwelpen täglich eine gehörzerstörende Substanz (Neomycin-Lösung) spritzt. Erwachsenen Tieren wird die in der Hörschnecke im Innenohr (Cochlea) vorhandene Flüssigkeit durch eine Neomycin-Lösung ersetzt.

Auch hier werden den Katzen Elektroden am Kopf anoperiert oder in das Mittelhirn implantiert. Über einen am Ohr der Tiere platzierten Lautsprecher werden akustische Reize (z. B. Klickreize) erzeugt oder mit einem Signalgenerator elektrische Impulse auf die Mittelhirnelektrode übertragen. So sollen die im Gehirn erzeugten "Potenzialänderungen" abgeleitet werden. Zur Bestimmung der Hörschwelle (der Punkt, ab dem ein Geräusch wahrgenommen wird) werden die Tiere z. T. über drei Monate an fünf Tagen in der Woche für jeweils vier Stunden in einer Box chronisch elektrisch stimuliert und akustisch beschallt.

Durch elektrische Stimulation mittels Cochlea-Implantat werden der Hörnerv und die natürliche Reizübertragung von Sinneszellen des Innenohrs auf den Hörnerv ersetzt. Die Cochlea (Schnecke des Innenohrs) dient nur noch als Platzhalter für die Elektrode. Ertaubten Katzenwelpen wurden die Implantate in beide Ohren eingesetzt und die beidseitige Hörfähigkeit durch chronische elektrische Stimulation getestet.


Ersatzverfahren

Für die Forschung an der Sehrinde und anderen Regionen des Gehirns gibt es nicht-invasive, moderne bildgebende Verfahren, die beim Menschen bereits zum Einsatz kommen.

Je nach Krankheitssymptom kann die Funktion verschiedener Hirnregionen mit bildgebenden Verfahren, z. B. mit der Computertomographie (CT) oder der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) direkt am Menschen sichtbar gemacht werden. Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) ermöglicht eine naturgetreue Wiedergabe des Ereignisses in einem bestimmten Augenblick im Gehirn. Sie misst die Veränderungen des Sauerstoffgehaltes bestimmter Gehirnregionen. Viele Wissenschaftler nutzen die fMRT, um z. B. die Position der räumlichen Verarbeitungsbereiche im Gehirn des Menschen zu untersuchen. Aktivitäten im Gehirn können mit recht hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung gemessen werden. Auch die Aktivität der Sehrinde des Menschen ist so zu ermitteln.

Die sehr vielversprechende transkranielle Magnetstimulation (TMS) lässt Wahrnehmung, Lern- und Gedächtnisverhalten und andere kognitive Fähigkeiten direkt am gesunden Menschen erforschen. Mit Hilfe starker Magnetfelder können Bereiche des Gehirns sowohl stimuliert als auch gehemmt werden. In beschränktem Umfang wird die transkranielle Magnetstimulation in der neurologischen Diagnostik eingesetzt oder bei der Behandlung neurologischer Erkrankungen.


Die Katze als "Krankheitsmodell"

Beispiel Refluxkrankheit (Rückfluss von Mageninhalt in die Speiseröhre) des Menschen: Unter der gastrointestinalen Refluxkrankheit soll mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in den westlichen Industrienationen leiden. Demnach ist es eine der häufigsten Erkrankungen der westlichen Welt. Bei der Etablierung eines "Tiermodells" für diese Störung wird zehn Katzen in Narkose die Bauchhöhle eröffnet. Bei fünf Tieren werden am Übergang zwischen Speiseröhre und Magen nur leichte Manipulationen vorgenommen, bei fünf weiteren Tieren der Gruppe eine befüllbare Silikonschlinge um die Speiseröhre an deren Eintrittsstelle in den Magen gelegt und befestigt.

Um in der Speiseröhre die Störung des Speiseröhrenschließmuskels zu provozieren und die anschließende Bewegungsantwort der Speiseröhre zu messen, wird den Tieren ebenfalls in Narkose ein mit einem Ballonkatheter kombinierter Manschettenkatheter in den Magen eingeführt. Durch Flüssigkeitsgabe in den Rachen der Tiere werden Peristaltikbewegungen der Speiseröhre ausgelöst. Der Ballon am Mageneingang wird bei fünf Tieren an der Stelle, an der der einengende Silikonring sitzt, platziert und mit fünf bzw. und zehn Milliliter Luft gefüllt. Die Druckverhältnisse in Speiseröhre und Mageneingang werden dabei gemessen. Nach einer Erholungsphase von sieben Tagen werden diese Experimente fortgesetzt.


Ersatzverfahren

Mit Zell- und Gewebekulturen lassen sich zahlreiche Fragestellungen bearbeiten und Tests durchführen. Im Bereich der Magen-Darm-Forschung existiert ein Software-Programm, mit welchem die orale Verfügbarkeit und die im Organismus stattfindende Verstoffwechslung von Medikamenten simuliert werden können. Das Programm ahmt die Ganzkörperphysiologie von Menschen und verschiedenen Tierarten, auf Wunsch auch in bestimmten Altersklassen, nach. Die Module erlauben die Testung verschiedenster Arzneimittelformulierungen. Auch der "Leber-Darm-Kreislauf", also die Verbindung zwischen Leber und Darm, sowie extreme Ernährungszustände oder krankhafte Veränderungen im Verdauungskanal des virtuellen Probanden und vieles mehr können individuell berücksichtigt werden.

Bezüglich der Refluxkrankheit gibt es bereits Diagnose- und Therapieansätze für den Menschen, die zum Einsatz kommen. In der Diagnostik setzt man die Magenspiegelung ein. Sie dient u. a. der Erfassung von Schleimhautschäden. Bei der medikamentösen Therapie wurden bereits Protonenpumpenhemmer etabliert. In ernsteren Fällen gibt es invasive Eingriffe, wie die Straffung des Übergangs zwischen Speiseröhre und Magen oder den Einsatz einer Manschette um den unteren Abschnitt der Speiseröhre, um deren Schließmechanismus zu unterstützen.


Wohin verschwinden unsere Katzen?

Von Christiane Hohensee

Katzen verschwinden immer wieder spurlos und vielfach wird angenommen, dass sie in qualvollen Versuchen ihr Leben lassen müssen. Wie wahrscheinlich ist es, dass Mietz und Maunz tatsächlich in Laboren landen oder zu Rheumadecken verarbeitet wieder auftauchen?

Erst vor Kurzem stand in einer norddeutschen Zeitung, dass per Lieferwagen versucht wurde, Hauskatzen zu stehlen. Unabhängig davon, dass es sich hierbei um Straftaten handelt und das Tierschutzgesetz vorschreibt, dass nur Tiere aus Zuchten für Versuche genommen werden dürfen, ist es unwahrscheinlich, dass die Tiere an Versuchslabore verkauft werden können. Versuchslabore sind wissenschaftliche Einrichtungen, die nach bestimmten Grundsätzen arbeiten. Dazu gehört u.a., dass alle Versuchstiere nach einheitlichen Kriterien aufgezogen, gehalten und gefüttert worden sind. Die Entwicklungs- sowie auch Krankengeschichte fremder Katzen ist dagegen völlig unbekannt, was Forschungsergebnisse beeinflussen würde.

Auch das Einfangen zu Zwecken von Katzennahrungstests ist unwahrscheinlich, da Katzen insgesamt nur schwer auf anderes Futter umgestellt werden können.

Im Dienste der Rheumabehandlung
Die Verarbeitung zu Katzenfellen in Deutschland ist zumindest derzeit noch nicht belegt. Katzen- und Hundefelle werden vor allem preiswert auf asiatischen Märkten angeboten. Das EU-weite Importverbot nach Deutschland ist am 31. Dezember 2008 in Kraft getreten. Anzunehmen wäre, dass diese Lücke nun durch einen illegalen, einheimischen Markt gedeckt wird. Doch dürfte damit aller Wahrscheinlichkeit nach kein lukratives Geschäft zu machen sein. Denn weder Pelz noch Felle sind stark nachgefragt. Zu klären ist das Verschwinden vieler Katzen dennoch und sollte ernst genommen und verfolgt werden.

Miez und Maunz auf der Pirsch
Eine große Rolle bei der Katzen- und Hundedezimierung kommt den einheimischen Jägern zu, die auf der Grundlage des Bundes- und Landesjagdgesetzes wegen angeblicher "Wilderei" viele Tiere erschießen. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden von Mitte 2008 bis 2009 11.385 Katzen erschossen, die Zahlen stagnieren seit 2005. Da nicht alle Bundesländer Statistiken führen und viele erschossene Katzen gar nicht gemeldet werden, schätzen Tierschützer, dass deutschlandweit mindestens 300.000 Katzen jährlich abgeschossen werden. Die Legitimität des Abschusses ist unter mehreren Aspekten in Frage zu stellen. U. a. sind Wildtiere - also potenzielle Beutetiere der Katzen - im Wesentlichen nicht durch Katzen, sondern durch den Wegfall ihrer Lebensräume bedroht, durch sich immer weiter ausdehnende Besiedlung durch den Menschen und Zerschneidung zusammenhängender Biotope durch Straßen.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 53/August 2010, S. 8-9
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2010