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TIERVERSUCH/484: Aktuelle Umfrage zum Tierverbrauch an deutschen Universitäten (tierrechte)


tierrechte Nr. 54, November 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Tierverbrauchsfreie Lehrmethoden:
Aktuelle Umfrage zum Tierverbrauch an deutschen Universitäten

Von Christiane Hohensee


Im Projekt SATIS setzt sich der Bundesverband für eine humane Ausbildung ohne Tierverbrauch ein. Seit den 80er Jahren, als SATIS durch Studenten initiiert wurde, sind zwar eine Vielzahl an Innovationen aus der Taufe gehoben worden, aber das große Ziel ist noch nicht erreicht: den Tierverbrauch gänzlich abzuschaffen. Der Bundesverband wollte den Stand der Dinge genau kennen und führte jetzt eine Umfrage dazu an deutschen Hochschulen durch.


Seit dem Jahr 2000 ist der Verbrauch von Tieren in der Aus-, Weiter- und Fortbildung gestiegen. Laut Bundesversuchstierstatistik lag er 2008 bei 51.890 und 2009 sogar bei 57.284 Tieren. Wie hoch der Anteil des Tierverbrauchs dezidiert in der studentischen Ausbildung ist, lässt sich leider nicht sagen, denn dieser wird nicht gesondert erfasst. Dennoch ist es eine Tatsache, dass Tierverbrauch noch immer an fast allen Universitäten stattfindet. Ein Umdenken ist hier dringend geboten, auch im Hinblick darauf, dass der Bedarf an gut ausgebildeten jungen Menschen im Bereich der in vitro- (außerhalb des lebenden Organismus, z. B. in der Petrischale) und in silico-Methoden (am Computer) zukünftig stetig anwachsen wird. Das deutsche Tierschutzgesetz und die europäische Tierversuchsrichtlinie 86/609 verlangen bereits seit 1986, Tierversuche durch Anwendung von Ersatzverfahren zu reduzieren. In Hinblick darauf ist es noch nicht gelungen, die Bedeutung der modernen Ersatzverfahren zu betonen.


Rückgang nur in der Humanmedizin

Befragt wurden alle 35 medizinischen und 66 biologischen Studiengänge. Nur von wenigen steht die Antwort bis heute aus. Interviewt wurden die Kursverantwortlichen - Kursleiter oder -planer sowie zum Teil auch Kursveranstalter - der Studiengänge Humanmedizin, Veterinärmedizin und Biologie-Physiologie; beschränkt auf das Grundstudium bzw. Bachelorstudium. Insgesamt haben die Befragungen ergeben, dass der Anteil der tierverbrauchenden Lehrstühle immer noch erschreckend hoch ist. Moderne, tierverbrauchsfreie Lehrmethoden haben bisher nur in der Humanmedizin zu einem Rückgang des Tierverbrauchs geführt. Dort findet oft der Einsatz von Studenten als Probanden statt. Möglicherweise hat hierzu die neue Approbationsordnung verholfen, die einen Tiereinsatz nicht zwingend vorschreibt. 20 Prozent der Lehrstühle in der Humanmedizin sind hier mittlerweile tiereinsatzfrei.


Tierexperimente für Biologen und Tierärzte

An vielen Lehrstühlen werden aber immer noch Frösche, Mäuse, Ratten und Hühnerembryonen verbraucht. Die Lehrstühle setzen lediglich weniger Tiere ein. Vor allem angehende Tierärzte und Biologen müssen noch immer über archaische Tierexperimente zum Examen gelangen. In wenigen Fällen gibt es Alternativen, wenn ein Student aus ethischen Gründen die Tieruntersuchungen nicht mitmachen möchte. In der Veterinär-Physiologie z. B. werden noch immer Tiere zur Demonstration der Darmmotorik verbraucht, obwohl es längst Computer-Simulationsprogramme gibt. Auch im Physiologie-Praktikum der Biologen dienen noch immer Ratten als Blutbanken und Krallenfrösche als Organspender für Herz-, Muskel- und Nervenversuche. Es gibt zwar Simulationsprogramme, sie werden häufig aber nur ergänzend zum Tiereinsatz verwendet.

In der Veterinärmedizin hat sich der Verbrauch von Tieren und Tierprodukten an den Universitäten im Vergleich zu den letzten Befragungen kaum wesentlich geändert. Die Universitäten verwenden häufig Tiere aus Schlachthäusern und "überzählig" gezüchtete "Versuchstiere" sowie eingeschläferte Tiere aus Kliniken und Praxen. In der Biologie werden am häufigsten Insekten, Regenwürmer und Frösche eingesetzt. Auch hier werden Ersatzverfahren nur ergänzend zum Tierverbrauch benutzt. Dabei steht heute außer Frage, dass der Einsatz studentischer Probanden auch im Biologiestudium bessere Lernerfolge zeigt.


Umfrage-Präsentation in Brüssel

Der Bundesverband hat seine Befragungsergebnisse erstmals auf der von der EU-Kommission in Brüssel veranstalteten Konferenz Anfang Oktober über Tierschutz in der Ausbildung vorgestellt. Europaweit befasst man sich mit der Frage, wie die Ideen des Tierschutzes Schulkindern zu vermitteln sind. Denn ihnen fehlt oftmals die Empathie gegenüber Tieren, also die Fähigkeit, Emotionen eines Tieres nachempfindend zu erkennen. Die belgische stellvertretende Premierministerin Laurette Onkelinx plädierte in ihren Einführungsworten für einen sanften Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem, das mit einer intelligenten Wirtschaft auf Innovation und Bildung ausgerichtet ist. John Dalli, Mitglied der Europäischen Kommission und EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucher zeigte auf, dass wir heute eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier brauchen. Wir begännen eine neue Strategie des Tierschutzes, Erziehung sei dabei ein Schlüsselelement. Das tut Not, denn, so wie das Scottish Agricultural College herausgefunden hat, es soll sich Empathie für Tiere nur in einem Alter zwischen acht und zwölf Jahren vermitteln lassen. Und hier gibt es Nachholbedarf, denn auf dem Kongress war von der Welttierschutzgesellschaft WSPA zu hören, dass gerade auch Studenten der Veterinärmedizin zum Teil schlecht mit Tieren umgehen.


Ziel: tierverbrauchsfreies Studieren

Mit der Umfrage verfolgt der Bundesverband ein klares Konzept mit dem Ziel, tierverbrauchsfreie Studiengänge zu ermöglichen. Wo Tiereinsatz unumgänglich ist, wie in Anatomie- oder Histologiekursen der Veterinärmedizin und Biologie, kann z. B. das "Body-Donation-Programm" angewendet werden. Dabei werden Tiere zu Lehrzwecken genutzt, die aus medizinischen Gründen eingeschläfert werden mussten oder natürlich gestorben sind.

Wir werden uns nun zielorientiert an Hochschullehrer, Studenten und Politiker wenden, um ihnen vorhandene Alternativen - wie "Body-Donation", Probanden-Einsatz, filmische Darstellungen, Computer-Simulationsprogramme - sowie den Entwicklungsbedarf fehlender Alternativen aufzuzeigen.


Informationen zur Umfrage und zu SATIS unter:
www.satis-tierrechte.de


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Quelle:
tierrechte - Nr. 54/November 2010, S. 14-15
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2010