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TIERVERSUCH/606: Kampf der Menschen für Tierrechte für das Verbot aller Tierversuche (tierrechte)


tierrechte 2.14 - Nr. 67, Juni 2014
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Menschen für Tierrechte kämpfen für das Verbot aller Tierversuche

Von Christiane Baumgartl-Simons



TIERVERSUCHE: GEMEINSAM IHRE ABSCHAFFUNG ERREICHEN
Das Ziel unseres Bundesverbandes ist unantastbar und wir verfolgen es beharrlich und mit ganzer Kraft: das Ende aller Tierversuche. Wie bereits in der letzen tierrechte-Ausgabe dargelegt, ist unser Weg zum Ziel ein pragmatischer, das heißt: Solange Tierversuche noch gesetzlich vorgeschrieben und gesellschaftlich anerkannt sind, entwickeln wir praxistaugliche Strategien und Projekte für eine tierversuchsfreie Zukunft. Nun sind Tierversuche ein komplexes Thema und immer wieder werden wir von Menschen angesprochen, denen die wissenschaftlichen Argumente fehlen. Wir wollen daher in dieser Ausgabe die wissenschaftliche Kritik an der Methode Tierversuch so einfach wie möglich zusammenfassen und Beispiele für bessere, tierversuchsfreie Methoden nennen. Grundsätzlich ist wissenschaftliches Detailwissen nicht alleinige Voraussetzung, um überzeugend gegen Tierversuche zu argumentieren. Denn Tierversuche sind unmoralisch. Was wir allerdings brauchen, ist eine starke und größer werdende Gemeinschaft, die den überfälligen Paradigmenwechsel - hin zu einer Gesellschaft ohne Tierversuche - einfordert und vorantreibt. Bitte helfen Sie uns dabei. Danke!


Tierversuche sind dreifach skandalös. Denn sie stehen für eine schlechte Moral, eine schlechte Wissenschaft und eine schlechte Medizin. An dieser Erkenntnis hat sich für uns Tierversuchsgegner und Tierrechtler seit dem Beginn unserer Bewegung in den 1970er Jahren nichts geändert. Wie sehr wir mit unserer Kritik schon vor gut 40 Jahren ins Schwarze getroffen haben, belegen immer mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen. Der Mensch ist eben weder Maus, noch Ratte, noch Fisch, noch Vogel.


In der tierrechte 1.14 haben wir berichtet, weshalb Tierversuche unmoralisch, unwissenschaftlich und unmedizinisch sind. Diese Ausgabe soll unsere Methodenkritik am Tierversuch vertiefen und demonstrieren, weshalb Maus, Ratte und Co keine Miniaturmenschen sind. Ebenso wenig ist der Mensch das Riesenmodell der Nagetiere. Zugegeben, es ist nicht leicht, komplizierte wissenschaftliche Sachverhalte kurz, knapp und zudem interessant wiederzugeben. Dennoch packen wir es an. Auch wollen wir aufzuzeigen, dass wissenschaftliche Untersuchungen zunehmend bestätigen, wie richtig unsere Argumente gegen Tierversuche von Anfang an waren und sind. Anders als vor 40 Jahren kann die Wissenschaft heute ziemlich gut feststellen, weshalb Menschen und verschiedene Tierarten unterschiedlich reagieren.

Politische und rechtliche Entwicklungen

Sicher ist Ihnen die EU-Chemikalien-Verordnung REACH noch ein Begriff. Das Regelwerk zur Großinszenierung der Tierversuche wurde sechs Jahre lang in Brüssel und den EU-Mitgliedstaaten beraten und trat schließlich im Juni 2007 in Kraft. Protestwellen des Tierschutzes gegen die bevorstehenden millionenfachen Massenmorde, die das Regelwerk zur Prüfung der Chemikalien rechtsverbindlich festschreibt, erreichten die Parlamente. Damals wurde die Leistungsfähigkeit des Tierversuchs erstmals im Bundestag andiskutiert. Die heutige parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Maria Flachsbarth (CDU) sprach sich für das aus, was wir schon lange wussten und wofür wir kämpfen, nämlich für den Paradigmenwechsel zu tierversuchsfreien Verfahren, denn der Tierversuch ist kein Goldstandard!

2010 floss unsere Systemkritik am Tierversuch in die EU-Tierversuchsrichtlinie (2010/63/EU) ein. Sie benennt als erstes Regelwerk unmissverständlich als letztendliches Ziel die Einstellung aller Tierversuche und verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Entwicklung tierversuchsfreier Methoden.

2013 greift die letzte Stufe der Kosmetikrichtlinie, die ein Vermarktungsverbot für im Tierversuch getestete Kosmetik in der EU vorsieht, ein Erfolg, für den wir seit 1980 gekämpft haben.

Steigende Tierversuchszahlen

Soviel zu den politischen und rechtlichen Entwicklungen. Sie hatten bisher keinen Einfluss auf den Rückgang der Tierexperimente. Ganz im Gegenteil! Die Tierversuchsprojekte nehmen zu und die Tierversuchszahlen steigen an, jährlich um circa 10 Prozent. Die letzten offiziellen Statistiken zeigen, dass Deutschlands jährliche Versuchstierzahlen die 3-Millionengrenze (in 2012) längst erreicht haben und EU-weit knapp 11,5 Millionen Tiere eingesetzt und getötet wurden (2011). Von allen 27 erfassten EU-Ländern hat Deutschland nach Frankreich die zweithöchsten Tierversuchszahlen und hat seinen Tierverbrauch gegenüber der vorigen Erhebung (2008) sogar noch um über 18 Prozent gesteigert. Ob die Zielsetzung der neuen EU-Tierversuchsrichtlinie (2010/63/EU) in den Mitgliedstaaten greift, werden die Tierversuchsstatistiken in den nächsten Jahren zeigen.

Tierversuchskritische Publikationen

In dieser frustrierenden Situation erscheinen wissenschaftliche Publikationen, die belegen, wie ungenau die Tierversuchsmedizin für den Menschen ist, und zwar in jedem Bereich: in der medizinischen Grundlagenforschung, bei der Beurteilung der Giftigkeit von Substanzen oder der Wirkung von Arzneimitteln. Diese Veröffentlichungen - zudem in renommierten Fachzeitschriften wie z. B. Nature - sind wichtige Referenzen, weil sie Prozesse für die Tiere ins Rollen bringen könnten. Sie dürften mehr Wissenschaftler veranlassen, die Leistungsgrenzen der Tierversuche ebenfalls kritisch zu überprüfen. Diese Forschungsergebnisse könnten schließlich auch rechtliche Folgen nach sich ziehen: So dürfte der Haftungsausschluss, den die Gerichte in Schadensfällen noch immer aus den Tierversuchsergebnissen zugunsten des Verursachers ableiten, zunehmend ins Schwanken geraten. Als weitere Folge müssten die Forschungsgelder für die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren über kurz oder lang deutlich angehoben werden, erstrebenswert wäre die Einrichtung von Sonderforschungsbereichen und Excellenzclustern für tierversuchsfreie Methoden. Kurzum, die tierversuchskritischen Publikationen könnten als Katalysator für eine tierversuchsfreie Zukunft wirken! Bei diesem motivierenden Ausblick muss aber auch eins klar sein: Es ist kein Selbstläufer! Wir Tierversuchsgegner müssen uns weiterhin hart ins Zeug legen. Damit dieser Prozess auch tatsächlich abläuft, ist unsere beißende Systemkritik unverändert erforderlich.

Die feinen Unterschiede

Sicher verbindet Säugetiere und Menschen sehr vieles, vermutlich sogar mehr als sie trennt. Aber in ganz entscheidenden Punkten, auf die es in den sogenannten Lebenswissenschaften ankommt, unterscheiden sie sich. Selbst wenn es eine hohe Übereinstimmung in den genetischen Anlagen gibt, so ist das keine Garantie, dass sich Enzymproduktionen und Stoffwechselleistungen von Mensch und Tier ebenfalls entsprechen. Mäuse und Ratten, die am häufigsten verwendeten Versuchstiere, haben einen deutlich schnelleren Stoffwechsel als der Mensch; schon nach etwa vier Stunden haben die Nager die Nahrung bereits verdaut und ausgeschieden. Das heißt, Herz, Atmung, Leber, Niere, Darm, kurzum der gesamte Nager-Organismus, legt ein massiv höheres Arbeitstempo vor als der Mensch. Die Leber, das Stoffwechselorgan schlechthin, ist bei der Maus im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht mehr als doppelt so schwer wie vergleichsweise beim Menschen.

Und Nager leben im Vergleich zum Menschen sehr viel kürzer, nur circa zwei bis drei Jahre. Sie werden in den Versuchstierhaltungen unter standardisierten Bedingungen gehalten. Gleiches Futter, strikter künstlicher Tag-Nacht-Rhythmus, gleiche Temperatur, keinerlei Umwelteinflüsse; dies dient alles dazu, Störfaktoren, die die Ergebnisse beeinflussen könnten, auszuschließen. Der Mensch hingegen ist unkalkulierbar vielen Einflüssen ausgesetzt, die seine Körperfunktionen beeinflussen. Er lebt absolut nicht unter standardisierten Bedingungen.

Humanerkrankungen werden in der Regel durch viele Faktoren ausgelöst. Infektionserreger, Immunlage des Menschen, psychische oder soziale Faktoren tragen in unterschiedlichem Ausmaß zum Auslösen der Erkrankung bei. Die an Tieren künstlich hervorgerufenen Erkrankungen können niemals alle Faktoren und ihre Wechselwirkungen einbeziehen, die beim Menschen zum Ausbruch der Erkrankung führen.

Schonungslose Offenlegung

Bereits aufgrund dieser kurzen Beispiele verwundert es sicher nicht, dass eine Studie schon 2009 aufzeigte, dass die Übertragung der Ergebnisse eines Tierversuchs auf den Menschen, aber auch auf andere Tierarten, unterschiedlich stark mit Spekulation verbunden ist. Das gilt für Giftigkeitsstudien ebenso wie für Arzneimittelprüfungen. Substanzkonzentrationen, die für Ratten tödlich sind, entsprechen in keiner Weise den für den Menschen tödlichen Konzentrationen. Diese Erkenntnisse erbrachten Vergleiche tierexperimenteller Daten mit Erhebungen einer Vergiftungszentrale. Auch nicht längst jede Substanz, die die Kaninchenhaut reizt, reizt auch die Haut des Menschen. Eine weitere wissenschaftliche Veröffentlichung zeigt, dass die Maus Entzündungskrankheiten des Menschen höchst unzuverlässig nachstellt, so dass die Entwicklung und Testung neuer Medikamente im sogenannten Mausmodell versagt. Sogar die hohe Übereinstimmung der genetischen Informationen von Menschen und Schimpansen (bis zu 99 Prozent) bedeutet nicht, dass auch die physiologischen Abläufe in den beiden Organismen zu 99 Prozent übereinstimmen. Die Krankheitsmechanismen laufen bei Mensch und Schimpanse z.B. bei HIV/AIDS oder auch Hepatitis C unterschiedlich ab. Folglich sind die Schimpansenversuche - so wie jeder Tierversuch - ethisch verwerflich und aus wissenschaftlicher Sicht wertlos.

Beschleunigen: Ende der Tierversuche

Das Ende der Tierversuche ist auch und gerade aus wissenschaftlichen und medizinischen Gründen so schnell wie möglich notwendig. Daran erinnern jedes Jahr mindestens 16.000 Arzneimitteltote, fehlende Therapien, zahlreiche Arzneimittelrücknahmen und steigende Tierversuchszahlen. Unser Bundesverband wird die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren von Wissenschaft und Politik weiter unnachgiebig einfordern und Tierversuche an den Pranger stellen. In den folgenden Artikeln gehen wir ins Detail, bitte bleiben Sie dran.

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Quelle:
tierrechte 2.14 - Nr. 67/Juni 2014, S. 4-6
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2014