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TIERVERSUCH/607: Maus, Ratte & Co sind keine Miniaturmenschen (tierrechte)


tierrechte 2.14 - Nr. 67, Juni 2014
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

SPEZIESUNTERSCHIEDE
Maus, Ratte & Co sind keine Miniaturmenschen

Von Christiane Hohensee



Einer der Hauptkritikpunkte am System Tierversuch ist die Nichtübertragbarkeit. Denn Ergebnisse, die im Tierversuch gewonnen wurden, können nur sehr begrenzt auf den Menschen übertragen werden. Ein Grund sind die sogenannten Speziesunterschiede, dazu ein paar Beispiele.


Es dürfte jedem klar sein, dass es große Unterschiede zwischen Mensch und Tier und auch zwischen den verschiedenen Tierarten gibt. Die Unterschiede in Erscheinung, Größe, Lebensdauer und Stoffwechsel haben sich in Jahrmillionen durch Anpassung an unterschiedliche Lebensräume entwickelt. Belege dafür, dass Übertragungen vom 'Versuchstier' auf den Menschen wissenschaftlich fragwürdig sind, sind u.a. die vielen für sicher gehaltenen Medikamente, die in den letzten Jahrzehnten trotz tierexperimenteller Erprobung wegen unerwarteter oder gefährlicher Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden mussten. Zudem schafft es nur ein Bruchteil von Arzneimitteln, die zuvor erfolgreich im Tierversuch getestet wurden, auf den Markt.


Große Differenzen beim Stoffwechsel

Es gibt grundlegende Unterschiede im Stoffwechsel von Tier- und Pflanzenfressern. Während sogenannte Pflanzenfresser Arzneimittel schnell über die Leber abbauen können, brauchen Mischköstler länger und Fleischfresser am längsten, um einen Stoff aus dem Körper zu beseitigen. Ähnlich verhält es sich im Enzymhaushalt. Enzyme haben wichtige Funktionen im Stoffwechsel - hier treten sehr große Speziesunterschiede zwischen Mensch und Tier, aber auch zwischen Tier und Tier auf. Nagetiere verfügen beispielsweise oftmals über mehrere Varianten eines Enzymtyps - der Mensch dagegen nur über einen. Manche Enzyme, die in Tieren ausgeprägt werden, z.B. in der Nasenschleimhaut, kommen beim Menschen gar nicht vor. Ausgeprägte Artunterschiede gibt es auch bei der Entgiftung durch die Leber, wie die geringe Fähigkeit von Katzen zur Glucoronidierung, d.h. bestimmte Stoffe über die Leber zu entgiften. Auch Hunde und Schweine können - anders als der Mensch - bestimmte Substanzen nicht verstoffwechseln. Bei einer Untersuchung der Enzymaktivitäten und weiterer Parameter in der Leber von Maus, Ratte, Kaninchen, Hund, Minischwein, Javaneraffe und Mensch stellte sich heraus, dass keine der untersuchten Arten der typischen Aktivität des Menschen nahe kam (Bogaards et al. (2000) in Toutain et al 2010).


Andere Immunreaktionen

Erst kürzlich wurde publiziert, dass die zellulären Reaktionen bei Entzündungsprozessen in Mäusen oft anders und vor allem milder verlaufen als beim Menschen, so dass eine Übertragbarkeit nicht gegeben sei (Soek et al., 2013). Diese Aussage ergibt sich aus dem Vergleich der Entzündungsreaktionen von Menschen und Mäusen, die durch Verbrennungen, bakterielle Vergiftungen oder Traumen ausgelöst wurde. Die Forscher analysierten Blutproben von mehr als 400 Patienten und verglichen die Ergebnisse mit den Blutwerten gesunder Personen. Beim Abgleich dieser Ergebnisse mit den Resultaten der künstlich hervorgerufenen Entzündungen in drei 'Mausmodellen' fanden die Forscher heraus, dass bei Mensch und Maus die Entzündungsreaktionen nach gleichen Schädigungen verschieden ausfallen. Verantwortlich hierfür sind unterschiedliche Gen-Ausprägungen. Außerdem unterscheiden sich die Signalwege zur Auslösung von Körperreaktionen bei Maus und Mensch. Aus diesem Grunde schlussfolgerten die Wissenschaftler speziell für die Entzündungsforschung bei Arteriosklerose, dass die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Tiermodellen auf den Menschen äußerst fragwürdig ist.

Es gibt auch diverse Belege für große Unterschiede bei der Krankheitsentwicklung. Ein gut untersuchtes Beispiel ist die vergleichende Wirkung sogenannter Fibrate, dies sind Arzneimittel, die den Blutfettspiegel senken sollen. Menschen erkranken nicht, bei Mäusen und Ratten lösen Fibrate jedoch Lebertumore aus. Der Grund: Die sogenannten Mikro-RNAs reagieren bei Menschen und Nagern völlig unterschiedlich (Koufaris & Gooderham 2013). Mikro-RNAs spielen eine bedeutende Rolle in physikalischen und biochemischen Vorgängen in Zellen, Geweben und Organen sowie bei physiologischen, pathologischen und toxikologischen Reaktionen.


Unterschiede der Größe und Lebensdauer

Wenngleich offensichtlich, so sollte hier dennoch kurz angeführt werden, dass Tiere, die in Versuchen eingesetzt werden, in der Regel kleiner sind als Menschen und eine kürzere Lebendauer haben. Durch die geringere Größe haben sie aber eine größere relative Körperoberfläche im Vergleich zum Menschen. Der Stoffumsatz verläuft viel schneller. Die Forscher begegnen dem, indem die Testkonzentration nicht auf das Gewicht, sondern auf die relative Körperoberfläche bezogen wird. Die Tiere werden außerdem mit einer vergleichsweise höheren Stoffkonzentration behandelt als Menschen. Ähnlich problematisch ist die unterschiedliche Lebensdauer. Aufgrund ihres kurzen Lebens setzen Experimentatoren u.a. Mäuse und Ratten in Versuchen ein, um die lebenslange Auswirkung einer Substanz zu studieren und um zu untersuchen, wie ein alternder Organismus auf eine Substanz reagiert. Die vergleichsweise rasch eintretenden Alterungsprozesse dieser Tiere können zu falschen Kalkulationen und fehlerhaften Schlussfolgerungen führen.

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Quelle:
tierrechte 2.14 - Nr. 67/Juni 2014, S. 8
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2014