tierrechte 4.15 - Nr. 73, Dezember 2015
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V
Tierversuchsfrei
Mikrochips und Krankheitsmodelle
von Dr. Christiane Hohensee
Vom 20. bis zum 24. September fand der 19. Kongress zu tierversuchsfreien Verfahren in Linz statt. Dr. Christiane Hohensee war für den Bundesverband dabei und berichtet über neue vielversprechende Entwicklungen, die das Potenzial haben, Tierversuche abzulösen.
Der Linz-Kongress der EUSAAT (European Society for
Alternatives to Animal Testing) ist die wichtigste europäische
Zusammenkunft für Wissenschaftler, die sich mit der Entwicklung von
tierversuchsfreien Methoden beschäftigen. Schwerpunkte waren in
diesem Jahr die sogenannte Human-on-a-Chip-Technologie, bei der
menschliche organähnliche Gewebe auf einem bankkartengroßen Chip
nachgebildet werden, sowie die Entwicklung menschlicher
Krankheitsmodelle in der Petrischale. Auf der
"Human-on-a-Chip-Technologie" liegen große Hoffnungen. Denn die
Wissenschaft begründet die Notwendigkeit von Tierversuchen vor allem
damit, dass die Wirkung von Substanzen nur im Gesamtorganismus
beurteilt werden kann. Bisher war die praxisreife Nachbildung des
gesamten Stoffwechsels von Mensch oder Tier eine unüberwindbar große
Lücke. Diese könnte die Chip-Technologie vielleicht bald schließen.
Das Ziel ist, dass diese Organsysteme künftig gesetzlich
vorgeschriebene Tierversuche verdrängen. Dafür müssen sie weiter
entwickelt werden. Dr. Dmitry Sakharov vom Moskauer
Unternehmen Bioclinicum stellte z. B. eine Bioreaktor-Plattform vor,
die bereits sechs Organnachbildungen miteinander verbindet.
Vielversprechend waren auch die vielen neuen menschlichen Krankheitsmodelle. Die steigende Zahl von Tierversuchen in der Grundlagenforschung geht auf das Konto von tierischen "Krankheitsmodellen". Hierfür werden Tiere, meist Mäuse, genetisch manipuliert, d. h. sie werden künstlich krank gemacht. Die neuen humanen Krankheitsmodelle könnten dazu beitragen, diese katastrophale Entwicklung umzukehren. Aus Zell- oder Gewebeproben von Patienten lassen sich zunehmend Krankheiten in der Petrischale reproduzieren. An diesen können Ursachen und Mechanismen studiert werden, mit dem Ziel, neue oder verbesserte Therapien zu entwickeln. Es gibt mittlerweile unzählige Krankheitsmodelle für Organe wie Herz, Lunge, Darm, Leber und Niere. Auch Untersuchungen der Blutgefäße und der Blutbildung sind möglich. Die Nutzungsmöglichkeiten von ethisch unbedenklichen Stammzellen (induzierte pluripotente Stammzellen, iPS) haben wesentlich zu diesem Fortschritt beigetragen.
Viele der vorgestellten Modelle stellen die Leber nach - das zentrale Stoffwechsel-Organ. Die Schweizer InSphero AG präsentierte beispielsweise eine künstliche Mikroleber, die mit Hilfe ihrer zelleigenen Enzyme Substanzen umbaut, wie die menschliche Leber. Dr. James Adjaye vom Universitätsklinikum Düsseldorf arbeitet an einem Modell zur Erforschung der nicht-alkoholischen Fettleber. Die belgische Forschergruppe um Prof. Vera Rogiers von VITO untersucht an einem menschlichen Lebermodell, wie akute Leberschäden behandelt werden können. Mit einem anderen, wichtigen Krankheitsmodell befasste sich ein Forscherteam von der Universität Tampere aus Finnland. Das Team entwickelte mehrere In-vitro-Nervenzellmodelle, mit denen sie die Funktionalität des neuronalen Netzwerkes, Epilepsie oder die Bildung von Nervenfasern untersuchen können.
Weitere neue Krankheitsmodelle betrafen die Lunge. Dr. Samuel Constant von Epithelix stellte ein In-vitro-Lungenkrebsmodell vor. Hiermit lassen sich potenzielle Krebsmedikamente testen. Auch das In-vitro-Asthma-Modell, an dem der US-Forscher Patrick Hayden arbeitet, ist geeignet, um die Wirkung neuer Arzneimittel zu überprüfen. Über Artunterschiede von Ratte und Mensch berichtete Dr. Susanne Giersiefer vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung, die mit einem In-vitro-Neurosphärenmodell die Unterschiede in der Empfindlichkeit gegenüber Chemikalien und deren Einfluss auf Schilddrüsenhormone untersucht hatte.
Die wachsende Bedeutung der tierversuchsfreien Verfahren zeigte sich nicht nur in den vielen neuen Verfahren, sondern auch daran, dass die Forschungsförderung in diesem Bereich deutlich aufgestockt wurde und, dass Europa und Japan zukünftig enger in diesem Forschungsbereich zusammen arbeiten wollen. EUSAAT und die Japanese Society for Alternatives to Animal Testing (JSAAE) wollen zukünftig bei der Förderungsförderung und der Entwicklung neuer Verfahren kooperieren - ein weiteres Hoffnungszeichen.
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Quelle:
tierrechte 4.15 - Nr. 73/Dezember 2015, S. 14
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2016
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