Schattenblick → INFOPOOL → TIERE → TIERSCHUTZ


TIERVERSUCH/723: Leben in Freiheit und Labor - ein Vergleich (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2017
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Leben in Freiheit und Labor - ein Vergleich

von Dr. Christiane Hohensee und Christina Ledermann


Die Ratte ist weltweit verbreitet und hat sich als Kulturfolger der Lebensweise des Menschen angepasst. Doch dies wurde dem intelligenten Kleinsäuger zum Verhängnis. Ihre Anpassungsfähigkeit trug dazu bei, die sprichwörtliche "Laborratte" nach der Maus zum Lieblingstier der Vivisektion zu machen.


Es gibt nicht nur einfach die "Ratte". Zur Gattung "Rattus" gehören insgesamt etwa 55 Arten. Die bekanntesten sind die Hausratte (Rattus rattus) und die Wanderratte (Rattus norvegicus), wobei die Hausratte seit den 1960er-Jahren sehr selten geworden ist und auf der Roten Liste steht. Die als Versuchstier eingesetzten Ratten und die als Haustier beliebte Farbratte stammen von der Wanderratte ab, die vor etwa 200 Jahren aus Asien einwanderte. Weswegen die Wanderratte nicht - wie häufig angenommen - für die Übertragung der europäischen Pestepedemien verantwortlich war. Der grau-braun gefärbte dämmerungs- und nachtaktive Nager lebt bevorzugt in Ufernähe und legt dort weitverzweigte unterirdische Gangsysteme an.

Begabter Kletterkünstler und Fischfänger

Die Wanderratte kann sehr gut schwimmen, tauchen, klettern und springen und ist sogar ein geschickter Fischfänger. In der Nähe des Menschen lebt sie vorzugweise in Kellern, Abwasserkanälen sowie in Ställen, Gräben, Deichen und Mülldeponien und ernährt sich von Vorräten und Essensresten. Rattenrudel können sich aber auch völlig neue Nahrungsquellen erschließen und diese Fähigkeiten weitervermitteln. Ratten leben von Natur aus in Gruppen mit enger sozialer Bindung. Wissenschaftler haben aber auch beobachtet, dass sie in losen Kolonien zusammenleben.

Hierarchien mit sozialem Anspruch

Ratten regeln ihr Zusammenleben in einer Art Dreiklassensystem. Mitglieder einer rangniederen Klasse unterwerfen sich den Ranghöheren. Es wurde aber auch beobachtet, dass innerhalb der einzelnen Klassen stärkere Männchen schwächeren, Weibchen und Jungtieren beim Futter den Vortritt ließen. Während die Gruppen in der Natur bis zu hundert Einzeltiere umfassen können, bilden sich innerhalb von Siedlungsbereichen eher kleine Gruppen von jeweils drei Tieren aus. Wanderratten betreiben untereinander soziale Hautpflege und erkennen einander am Geruch.

Leben auf der Fläche eines Schuhkartons

Ganz anders ergeht es den Ratten im Labor: Hier leben die intelligenten Nager unter standardisierten Bedingungen in meist fensterlosen Räumen. Alle Lebensfaktoren, wie Futter, Licht, Einstreu, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lärmbelastung sind genau geregelt. Im Gegensatz zu freilebenden Ratten, die einen Aktivitätsradius von bis zu 600 Metern haben, leben Ratten im Labor - je nach Körpergewicht - in Käfigen zwischen 200 bis 600 Quadratzentimetern. Dies entspricht im besten Falle der Fläche eines Schuhkartons.

Verurteilt zu abgrundtiefer Langeweile

In den genormten 18 Zentimeter hohen Plexiglas- oder Makrolonkäfigen können die bewegungsfreudigen Tieren ihre natürlichen Bewegungsmuster wie Aufrichten und Strecken kaum ausführen. Die Ratte im Labor wird nie erfahren, was Klettern, Rennen oder eine befriedigende Beschäftigung bedeuten. Zusätzlich zu den Schmerzen und Schäden, die ihnen in den Versuchsreihen zugefügt werden, leiden die intelligenten Nager unter Enge und abgrundtiefer Langeweile in den Laboren. Statt einem Füllhorn aus Obst, Beeren, Kräutern und Sämereien lernen die neugierigen Gourmets in ihrem kurzen Leben nur trockene Pellets kennen.

Lebenslänglich in der Todeszelle

Die Vorgaben zur Anreicherung der Käfige (sogenanntes "Environmental Enrichment") haben den sozialen Tieren zwar eine Haltung in Gruppen, ein Nest aus Papierschnipseln und ein kleines Plastikhäuschen eingebracht. Das ist zweifellos besser als ein strukturloser Käfig ohne Rückzugs- und Beschäftigungsmöglichkeit. Doch im Vergleich zum Lebensraum ihrer freilebenden Artgenossen erinnert das einförmige, kurze und leidvolle Leben der "Laborratte" eher an die Höchststrafe: Lebenslänglich in der Todeszelle.

*

Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2017, S. 5
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
eMail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang