Schattenblick → INFOPOOL → TIERE → TIERSCHUTZ


TIERVERSUCH/789: Warum sind aussagekräftigere Tests wichtig? (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2019
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Warum sind aussagekräftigere Tests wichtig?

von Dr. Claudia Gerlach und Dr. Christiane Hohensee


Während der Schwangerschaft und frühen Kindheit ist das sich entwickelnde Gehirn besonders empfänglich für negative Umwelteinflüsse und Schädigungen. Umso wichtiger ist es, dass die Tests zur Prüfung auf Entwicklungsneurotoxizität möglichst alle Stoffe identifizieren, die bei Menschen neurologische Entwicklungsstörungen auslösen können.


Zu den häufigsten neurologischen Entwicklungsstörungen gehört die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Andere sind zum Beispiel Autismus-Spektrum-Störungen. Sie umfassen den frühkindlichen Autismus, das Asperger-Syndrom sowie den atypischen Autismus und sind ebenfalls weit verbreitet. In Tieren gibt es keine vergleichbaren komplexen Störungen, so dass durch Tierversuche nicht sicher vorhergesagt werden kann, ob ein Stoff negative Auswirkungen auf den Menschen hat.


Reagieren oft anders: Mensch und Tier

Die meisten Erkrankungen sind multifaktoriell, das heißt Gene, Umwelt und Lebensweise wirken zusammen, unterscheiden sich aber mitunter gravierend bei Tieren. Neurologische beziehungsweise psychische Störungen entstehen überwiegend durch bestimmte Konstellationen von Genen, die durch frühkindliche Stressbelastung dauerhaft aktiviert werden. Auch vor- und nachgeburtliche Einflüsse durch Fremdstoffe, darunter Arzneimittel und Chemikalien - wie Pestizide - können zu veränderter Genaktivierung führen oder zum Beispiel in den Hirnstoffwechsel eingreifen. Die Substanzen können jedoch bei den zumeist eingesetzten Nagetieren aufgrund von Unterschieden in Stoffwechsel, Genetik und Gehirn anders wirken als bei Menschen, zumal viele Mechanismen noch nicht gänzlich erforscht sind.


Unterschiedliche Enzyme beteiligt

Die Wirkung von Fremdstoffen wird maßgeblich durch deren Stoffwechselprodukte bestimmt. Die für die Verstoffwechslung hauptsächlich verantwortlichen Cytochrom-P450-Enzyme unterscheiden sich in ihrer Menge, Organverteilung und Funktion zwischen den Spezies. Eines der wichtigsten Enzyme kommt beim Menschen in einer Variante, bei Mäusen und Ratten jedoch in mindestens fünf vor. Untersuchungen deuten auf unterschiedliche Enzymaktivitäten hin.


Symptome bei Tieren nicht übertragbar

Die Komplexität neurologischer beziehungsweise psychischer Erkrankungen kann im Tiermodell nicht simuliert werden, die Nachahmung gelingt nur bei einigen Symptomen. Zum Beispiel wurde für die Autismus-Spektrum-Störungen ein Mausmodell entwickelt. Doch laut Medizinern lässt sich - wie bei allen psychiatrischen Erkrankungen - schwer beurteilen, ob die Mäuse wirklich autistisch sind. Auch über die Relevanz von in einem Gen veränderten Affen ist sich die Wissenschaft uneinig.


Humanspezifische Methoden

Für ADHS gibt es ein Tiermodell, das zugleich Bluthochdruck repräsentiert. Der Unterschied zu Menschen ist, dass die Ratten bereits alleine aufgrund ihrer Gene Symptome ausbilden. Wissenschaftler bezweifeln, dass sich die Abläufe im Gehirn auf jene übertragen lassen, die durch genetische Veranlagung und Umwelteinflüsse entstehen. Durch die unterschiedlichen Ursachen von ADHS in Mensch und Ratte ist es wahrscheinlich, dass Fremdstoffe nicht den gleichen Effekt haben. Statt die Giftigkeit von Stoffen weiter an Tieren zu testen, sollten Zellkulturen und Organ-on-a-chip Modelle aus humanen Zellen (weiter)entwickelt werden, so dass an diesen Biomarker als Indikatoren für die Erkrankungen nachgewiesen werden können.

*

Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2019, S. 7
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang