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FORSCHUNG/166: Man kennt sich, man hilft sich - Neue Erkenntnisse über Fledermäuse (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 3/11
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Man kennt sich, man hilft sich
Die neusten Erkenntnisse über Fledermäuse

von Julja Koch & Jasmin Singgih


Das Leben der meisten Fledermäuse ist bisher nur mäßig gut erforscht. Wenn Forscher den Nachtschwärmern nachstellen, kommt oft Erstaunliches zu Tage.

Nur selten allein

Was Facebook kann, können Fledermäuse schon lange: Die nachtaktiven Flieger sind gute soziale Netzwerker, auch was ihre Langzeitbeziehungen betrifft. Die belegt eine Langzeitstudie der Uni Greifswald und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich an einer Bechsteinfledermaus-Kolonie. Wie bei Bonobos, Guppys, Elefanten oder Delfinen spricht man bei ihrer Sozialstruktur von einer "Fission-Fusion-Organisation", bei der sich die Tiere in Gruppen trennen, um dann wieder zusammenzukommen.

Über fünf Jahre wurden 20.000 Beziehungsdaten ausgewertet - mit einen verblüffenden Ergebnis: Obwohl die Tiere ihre Kontakte nicht täglich erneuern, sind die Freunde- und Verwandten-Netzwerke stabil. Bei einer Anzahl von bis zu 40 Gruppenmitgliedern eine bemerkenswerte Leistung. Niemand hätte ihnen diese Fähigkeit zugesprochen, verfügen sie doch über ein vergleichbar kleines Gehirn. Für hohe soziale Intelligenz reicht anscheinend eine halbe Erdnussgröße aus.

Insbesondere alte Weibchen in einem Alter von bis zu 20 Jahren betreiben eine intensive Beziehungspflege, zu der in der Regel Verwandte wie Großmutter, Mutter und Tochter zählen. Dazu gesellen sich auch Freundinnen der Familie. Wie sich die Tiere wieder erkennen, ist nicht bekannt. Die Forscher konnten jedoch beobachten, dass Fledermäuse öfter ihre Nasen aneinander reiben. Der Schluss liegt nahe: Wer sich riechen kann, der bleibt zusammen.

Auf allen Vieren

Neuseeland ist keine große Insel. Da kann man alles zu Fuß erledigen, scheinen sich die flugfähigen Tiere gedacht zu haben. Dass manche Vögel auf dem Eiland das Fliegen dabei ganz verlernt haben, ist bekannt, doch auch die Neuseelandfledermäuse nutzen ihre Flügel kaum. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie am Boden und gehen als einzige Vertreter ihrer Art auf allen Vieren auf Insektenjagd. Interessanterweise sind Fledermäuse außerdem die einzigen Säugetiere Neuseelands.

Hitchcock lässt grüßen

Normalerweise fressen sie Körner und Insekten, doch wenn in strengen Wintern ihr Hunger besonders groß wird, verputzen Kohlmeisen auch schon mal eine Zwergfledermaus. Die Fledermäuse messen nur ein Viertel von der Größe ihrer Jäger. Wenn sie wach wären, würden sie sich trotzdem erfolgreich gegen die kleinen bunten Vögel wehren, doch die Meisen überraschen die Fledermäuse in ihren Höhlen im Winterschlaf und picken die erstarrten Säuger wie in einem Hitchcock-Film an. Teilweise nehmen sie auch das ganze Tier in den Schnabel und machen sich in Ruhe auf dem nächsten Baum darüber her.

Lange Zeit wurde nur vermutet, dass es bei Nahrungsmangel zu dieser ungewöhnlichen Speiseauswahl kommen kann, doch nun hat ein deutsch-ungarisches Forschungsteam den Beweis erbracht. Bot man den Meisen allerdings alternative Nahrungsquellen an, zogen die Vögel diese den Fledermäusen vor. Nur zur Not frisst die Meise Mäuse.

Auf der Durchreise

Dass Vögel im Winter in den Süden ziehen, ist bekannt. Auch Fledermäuse legen zwischen Winter- und Sommerquartier teils weite Strecken zurück. Rekordhalter ist die Rauhautfledermaus, die fast 2.000 Kilometer von Lettland bis Kroatien fliegt. Aber auch Abendsegler und Zweifarbfledermäuse legen Strecken von über 1000 Kilometern zurück.

Wissenschaftler des Bundesamtes für Naturschutz und des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn untersuchten die Daten von 7366 Fledermäusen, die europaweit wiederaufgefunden und gemeldet wurden. Die Fundorte wurden mit den Orten verglichen, an denen die Tiere markiert wurden und die Distanz ermittelt. Daher kann es sein, dass die tatsächlich gewanderten Strecken noch deutlich weiter sind. Schließlich handelt es sich nur um die Entfernung per Luftlinie. Fledermäuse fliegen aber Umwege, da sie sich an Landschaftsstrukturen halten, die ihnen Verstecke bieten und auch während der Reise genug Nahrung für sie bereit halten.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 3/11, S. 11+14
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2011