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FORSCHUNG/229: Tagfalter-Monitoring - Die Inventur der Schmetterlinge (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juli 2015

Die Inventur der Schmetterlinge

Von Susanne Hufe


Eines der bekanntesten nationalen Citizen-Science-Projekte feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag, das Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD). Seit 2005 erfassen dabei Freiwillige an mehr als 500 Orten regelmäßig und mit einer standardisierten Methode die etwa 150 tagaktiven Schmetterlingsarten, die in Deutschland heimisch sind. Sie sind hervorragend geeignet, um Veränderungen in der Umwelt oder der biologischen Vielfalt anzuzeigen, denn sie entwickeln und reproduzieren sich schnell und haben teils sehr spezifische Ansprüche an ihren Lebensraum. Außerdem lassen sie sich von Laien vergleichsweise gut erfassen und auseinanderhalten - ein wichtiges Kriterium bei Citizen-Science-Projekten.

Mittlerweile sind es viele hundert ehrenamtliche Zählerinnen und Zähler, die Woche für Woche und Jahr für Jahr von April bis September festgelegte Strecken von bis zu 1.000 Meter Länge, die sogenannten Transekte, ablaufen und akribisch alle Tagfalter, die ihnen über den Weg flattern, dokumentieren. Der riesige zeitliche Aufwand, der deutschlandweit in Summe hinter dieser Großinventur steckt, würde die Kapazitäten jedes Forschungsinstituts sprengen. Für die Forscher ist sie von unschätzbarem Wert. Denn sie liefert ihnen Daten frei Haus, die dann ausgewertet und interpretiert werden können. Etwa, um einen umfassenden Einblick in die langfristigen Veränderungen von Tagfalterpopulationen und spezifische Gefährdungssituationen zu erhalten. Oder um mithilfe der gleichzeitig erfassten Klima- und Landnutzungsinformationen Rückschlüsse von Witterung und anthropogenen Faktoren auf die Verbreitung und Häufigkeit der Arten zu ziehen.

Begonnen hatte alles mit einem medialen Paukenschlag. In einer bundesweiten Kampagne unter dem Slogan "Abenteuer Schmetterling" kommunizierten ZDF, BUND und UFZ im April 2005 gemeinsam in vielen Aktionen die Botschaft, dass Schmetterlinge nicht nur schön, sondern auch kostbar und sehr verletzlich sind und jeder mithelfen kann, sie zu schützen. Um möglichst viele Menschen dafür zu sensibilisieren, gestaltete das ZDF mit Wolf von Lojewski als Frontmann eine ganze Themenwoche aus Beiträgen in Doku-Reihen, Wissensmagazinen und dem Kinder-TV; unter adeliger Schirmherrschaft der Fürstin Sayn-Wittgenstein-Sayn fand ein Wettbewerb statt, in dem besonders originelle Ideen zur Rettung bedrohter Falter prämiert wurden. Broschüren mit Tipps zum Schmetterlingsschutz wurden zu zehntausenden verteilt, ein bundesweiter Faltertag ausgerufen - und das Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD) gestartet.

Wissenschaftlich koordiniert und organisiert wird es seither - in enger Verbindung zur Gesellschaft für Schmetterlingsschutz (GfS) - am UFZ. Hier trifft sich schon seit 1999 einmal pro Jahr die deutsche "Falterszene", in der auch die Pläne für das TMD geschmiedet wurden. Denn voller Neid blickten die Schmetterlingsexperten bis dato zu den Briten, die bereits seit 1976 landesweit Falter zählen, und auch zu den Holländern, die das seit 1990 tun. Aus dieser Szene heraus rekrutierten sich auch nach Start des TMD die Regional- und Landeskoordinatoren, die sich den freiwilligen Zählern als Ansprechpartner und Betreuer vor Ort anbieten. Denn sollen die Ergebnisse für die Forschung verwertbar sein, muss nicht nur die Auswahl des Transektes stimmen, die Zähler müssen auch die Zählmethode beherrschen, Arten bestimmen und die Ergebnisse in einen Erfassungsbogen oder das extra dafür im Rahmen der Wissensplattform science4you entwickelte Onlineportal eingeben können.

Seit 2005 wurden im Tagfalter-Monitoring Deutschland fast 900.000 Einzelmeldungen mit zirka 2.250.000 Individuen registriert. Bei der Interpretation der Daten jedoch sind die UFZ-Wissenschaftler noch zurückhaltend: "Seriöse Aussagen zu den Bestandstrends sind erst nach Zeiträumen von mehreren Jahren möglich und auch nur bei Arten, die vergleichsweise häufig vorkommen. Erste Trendanalysen beschränken sich deshalb auf ausgewählte Arten für den Zeitraum von 2006 bis 2013", sagt Josef Settele, einer der TMD-Initiatoren am UFZ.

Ein Rückgang lässt sich zum Beispiel für den Hauhechel-Bläuling Polyommatus icarus statistisch belegen. Das ist insofern überraschend und gleichzeitig alarmierend, als dies mit Abstand die häufigste Bläulingsart in Deutschland ist, die als sogenannter Generalist überall in Offenlandschaften vertreten ist. Anders sieht es bei dem ebenfalls weit verbreiteten Schornsteinfeger Aphantopus hyperantus aus, der einen positiven Bestandstrend zeigt. Dass lange Beobachtungs-Zeitreihen notwendig sind, zeigen die Daten zum Kleinen Fuchs Aglais urticae, der in den Jahren 2006 bis 2009 bundesweit dramatisch zurückging. In den darauffolgenden Jahren erholten sich die Populationen jedoch rasch. Wohin der Trend langfristig tatsächlich geht, wird sich erst nach einer Reihe weiterer Beobachtungsjahre erkennen lassen.

Neben den Bestandstrends ist auch die Dynamik der räumlichen Verbreitung verschiedener Arten von wissenschaftlichem Interesse. Da die Landesfläche mit zirka 500 Zählstrecken gut abgedeckt ist, liefert das Tagfalter-Monitoring auch hier aussagekräftige Ergebnisse. Ein Beispiel dafür ist der Kurzschwänzige Bläuling (Cupido argiades), der sein Areal seit einigen Jahren erweitert. Die kleine Bläulingsart mit den charakteristischen Fortsätzen an den Hinterflügeln ist in Mitteleuropa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zurückgegangen, breitet sich aber seit einigen Jahren wieder aus. Die TMD-Meldungen belegen, dass sich die Art über die Oberrheinebene im Südwesten permanent Richtung Nord- und Ostdeutschland ausgebreitet hat und mittlerweile auch in Brandenburg wieder anzutreffen ist. Eine mögliche Erklärung dafür liefert der Klimawandel.

Daten des deutschen Tagfalter-Monitorings sind auch in internationale Studien und Berichte eingeflossen, wie etwa den Grünlandindikator der Europäischen Umweltagentur (EEA). Er belegt einen starken europaweiten Rückgang der Tagfalterarten auf Wiesen und Weiden zwischen 1990 und 2011, was vor allem auf Veränderungen in der Landnutzung zurückzuführen ist.

Eine ebenfalls von der EEA initiierte europaweite Untersuchung der 103 häufigsten Schmetterlingsarten ergab zudem, dass die Natura-2000-Gebiete im Durchschnitt 16 Arten mehr beherbergen als Gebiete außerhalb ihrer Grenzen - ein Indiz dafür, dass sich Naturschutzgebiete positiv auf die Artenvielfalt auswirken. Zusammen mit Einschätzungen anderer Experten gingen TMD-Daten auch in die Rote Liste der Tagfalter Europas ein, die 2010 von der Weltnaturschutzunion IUCN veröffentlicht wurde und wichtige Grundlage für das Handeln der Behörden in allen Ländern Europas ist.

Auch für den neu gegründeten Weltbiodiversitätsrat IPBES sind die Daten der freiwilligen Schmetterlingsbeobachter aus Deutschland und den anderen Ländern interessant - etwa für den gerade in Arbeit befindlichen internationalen Sachstandsbericht, in dem es um Bestäuber geht, also vor allem um Honig- und Wildbienen, Schwebfliegen, aber auch um Schmetterlinge, zu denen aufgrund des guten Kenntnisstandes fundierte Aussagen zu Trends und deren Ursachen gemacht werden können.

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10 JAHRE TAGFALTER-MONITORING
tagfalter-monitoring.de

Wolf von Lojewski

Wolf von Lojewski leitete und moderierte von 1992 bis 2003 das ZDF-heutejournal. Von 2003 bis 2005 moderierte er die Sendung "Abenteuer Wissen". Am 13. April 2005 fiel mit dem Beitrag "Verborgene Gefahr: Die Botschaft der Falter" in der ZDF-Schwerpunktwoche "Abenteuer Schmetterling" der Startschuss für das TMD.

"Selten waren wir so begeistert, damals vor zehn Jahren... ein Schwerpunkt im Programm des ZDF, eine ernste Botschaft der Natur und als Überbringer Schmetterlinge! Hätten wir nicht abends gesendet, wahrscheinlich wären wir gleich aus dem Studio auf die nächste Wiese gestürzt, um Tagfalter zu zählen. Die meisten von uns haben mitgemacht bei der Aktion. Aber dann, ziemlich schnell, ging es wieder ab zur nächsten Krise. Wir Journalisten sind flatterhaft, wenigstens das verbindet uns mit den Schmetterlingen. Lob und Dank den Beharrlichen! Ich werde mich bessern, das ist ein Versprechen."


Prof. Dr. Johannes Vogel

Johannes Vogel ist Botaniker und seit 2012 Generaldirektor des Museums für Naturkunde, dem Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung (MfN) in Berlin. Er gilt als einer der engagiertesten Befürworter der Bürgerwissenschaft in Deutschland.

"Ich gratuliere dem UFZ zum Tagfaltermonitoring und dem Tagfaltermonitoring zum 10. Geburtstag! Wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Verfechter der Bürgerwissenschaft bin. Ich bin überzeugt, dass nicht nur Schulen, Zoos oder Naturkundemuseen Naturverständnis und Wissen vermitteln und Denken verändern können. Deshalb wünsche ich mir, dass das Tagfaltermonitoring Schule macht und Vorbild für viele neue Citizen-Science-Projekte an möglichst vielen Institutionen in Deutschland ist. Übrigens: Die Lieblingskrawatte unter meinen fast 300 heißt 'Tanz der Schmetterlinge'."


Prof. Dr. Jörg Junhold

Jörg Junhold ist Tierarzt und seit 1997 Direktor des Zoo Leipzig. Unter seiner Leitung hat der Leipziger Zoo eine strategische Neuausrichtung als "Zoo der Zukunft" erfahren und sich zu einem Besuchermagneten entwickelt. Von 2011 bis 2013 war Junhold Präsident des Weltverbandes der Zoos und Aquarien (WAZA).

"Als Zoodirektor freue ich mich über jedes Projekt und Engagement, das dazu beiträgt, Menschen für den Natur- und Artenschutz zu sensibilisieren. Denn die biologische Vielfalt ist ein Fundament unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Es ist eine Aufgabe für uns alle - für die Zoos dieser Welt, für Politik und Wirtschaft, für Wissenschaft und Forschung und für jeden einzelnen von uns - sie zu erhalten. Diese Aufgabe verbindet mich seit vielen Jahren mit dem UFZ. Ich wünsche dem noch jungen Tagfaltermonitoring eine sehr lange Lebenszeit, viele Zähler, Schmetterlingsfreunde und Unterstützer!"


Prof. Dr. Georg Teutsch

Georg Teutsch ist Geohydrologe und seit 2004 Wissenschaftlicher Geschäftsführer des UFZ. Unter seiner Leitung entwickelte sich das UFZ zu einem weltweit anerkannten Kompetenzzentrum für Umweltforschung. Eines der drei Kernthemen am UFZ ist die Biodiversitätsforschung.

"Ich möchte meine Glückwünsche vor allem mit einem Dankeschön verbinden: an die UFZ-Mitarbeiter, allen voran Josef Settele, Elisabeth Kühn und Reinart Feldmann, die das Tagfaltermonitoring in Deutschland ins Leben gerufen haben und die Fäden des Projektes seitdem zusammenhalten; an die Landeskoordinatoren und an die vielen Tagfalterzähler für ihre ehrenamtliche Mitarbeit! Sie alle zusammen schaffen einen unbezahlbaren Datenschatz für die ökologische Forschung und tun damit etwas, wozu kein Forschungsinstitut der Welt allein in der Lage wäre. Chapeau TMD!"


Dr. Chris van Swaay

Chris van Swaay ist Schmetterlingsökologe und koordiniert seit 1990 das niederländische Tagfaltermonitoring. Im Auftrag der Europäischen Umweltagentur EEA war er Mitautor des Europäischen Grünland-Indikators für Tagfalter - aber vor allem liebt er Schmetterlinge über alles.

"Das Monitoring von Tagfaltern macht Spaß! Ehrenamtliche Zähler beteiligen sich am wöchentlichen Zensus, da sie Schmetterlinge gerne sehen und sich um deren Zukunft sorgen. Die Zusammenstellung dieser Zählungen zu Indikatoren, die wichtig sind, um Veränderungen in der Artenvielfalt zu erfassen, ist ein klares Zeichen für die Ehrenamtler und die große weite Welt, dass Tagfalter wichtig sind. Das TMD ist eines der wichtigsten Projekte dieser Art in Europa. Ich möchte dem Team, dem UFZ und vor allem den ehrenamtlichen Mitarbeitern ganz herzlich dazu gratulieren."

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Diagramme S. 8:
AUSSAGEN ZU BESTANDSTRENDS
Anhand von zwei Tagfalterarten wird beispielhaft gezeigt, wie unterschiedlich sich die Populationen von Tagfaltern entwickeln können.

Da sie hohen Abundanzschwankungen unterliegen, sind Aussagen zu Bestandstrends erst nach längeren Zeiträumen möglich und auch nur für Arten, die (noch) vergleichsweise häufig sind. Erste (vorsichtige) Trendanalysen beschränken sich deshalb auf den Zeitraum von 2006 bis 2013 (2006 = 100% = Index-Wert 1,0). Ein Rückgang lässt sich zum Beispiel für den Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus, Bild 1) statistisch belegen. Der ebenfalls weit verbreitete Schornsteinfeger (Aphantopus hyperantus, Bild 2) zeigt dagegen einen positiven Bestandstrend.

Abb. S. 6:
Der Distelfalter (Vanessa cardui) ist ein Wanderfalter, der jedes Jahr im Frühjahr und Frühsommer aus Südeuropa einwandert. Ab Mai bis weit in den Oktober kann man diesen guten, ungestümen Flieger in allen Offenland-Biotopen mit vielen Blumen beobachten. Die Raupen ernähren sich insbesondere von verschiedenen Distel-Arten.

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Quelle:
UFZ-Newsletter Juli 2015, Seite 6 - 8
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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Tel.: 0341/235-1269, Fax: 0341/235-450819
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Internet: www.ufz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2015

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