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MASSNAHMEN/114: Energetische Gebäudesanierung - Klimaschutz contra Artenschutz? (Vogelschutz)


Vogelschutz - 4/2011
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Klimaschutz contra Artenschutz ?

von Sylvia Weber

Mehr und mehr Gebäude werden saniert: im Sinne des Klimaschutzes und im Rahmen der Anwendung einer immer weit reichenderen Energieeinsparverordnung. Für Gebäudebrüter und Gebäude bewohnende Fledermäuse gerät jedoch das gut gemeinte Bemühen um die Umwelt meist zur Katastrophe - immer mehr von ihnen verlieren dadurch ihre angestammten Quartiere.


Überall wird saniert: Unterstützt von verschiedenen Förderprogrammen von Bund und Gemeinden machen sich Hausbesitzer daran, das Klima zu retten. Energie ist teuer geworden, das motiviert die einen. Die anderen sehen sich gezwungen, im Rahmen einer baulich nötigen Veränderung an Altbauten energetisch zu sanieren - die Energieeinsparverordnung (EnEV) macht hier strenge Vorgaben. Doch nicht nur Bestandsbauten werden energetisch saniert. Auch Neubauten unterliegen den strengen Kriterien der Energieeinsparung. Dies führt dazu, dass neu gebaute wie modernisierte Gebäude im Fassaden- und Dachbereich plötzlich anders aussehen. Die Fassaden sind glatt, ohne Nischen und Spalten, der Dachbereich ist hermetisch abgeriegelt - das Haus umgibt eine schützende Hülle, die keine Wärme nach außen lässt - und keine Mitwohngelegenheit für Tiere mehr bietet.


Betroffene Arten

Betrachtet man ein Gebäude nicht nur als Schutzbehausung für Menschen, sondern als Bestandteil eines Lebensraumes, so wird schnell klar, wie hier neue Probleme entstehen. Seit jeher werden Gebäude auch als Unterschlupf von bestimmten Kulturfolgern genutzt. Eine ganze Gruppe von Vögeln, die so genannten Gebäudebrüter, sind auf Nistplätze an Gebäuden angewiesen. Zu ihnen gehören Mauersegler, Mehlschwalbe und Haussperling. Diese Arten sind besonders stark von energetischen Sanierungen betroffen. Häuser, die als Energiespardose fungieren, bieten ihnen nämlich keinen Unterschlupf und keine Brutmöglichkeit mehr - alle Nischen und Ritzen sind oder wurden verschlossen. Zudem werden Mehlschwalbennester an den frisch sanierten Fassaden meist nicht geduldet.

Ähnlich ergeht es Fledermausarten wie Zwergfledermaus, Zweifarbfledermaus und Großer Abendsegler, die ebenfalls Fassadenquartiere beziehen. Sie alle leiden unter Wohnungsnot. Das Ergebnis: Die Bestände dieser Arten gehen - teils dramatisch - zurück. Weniger betroffen von den Folgen energetischer Sanierung sind Arten wie Turmfalke, Dohle und Schleiereule. Diese Gebäudebrüter nutzen häufig historische Bauten bzw. landwirtschaftliche Scheunen, für die die EnEV nicht gilt. Ebenso wenig wie für Gebäude mit Tierhaltung (Reit- und Viehställe), die von Rauchschwalben genutzt werden.


Gesetzlicher Schutz

Nicht nur die EnEV macht strenge Vorgaben. Auch das Bundesnaturschutzgesetz schreibt vor, dass Fortpflanzungs- und Ruhestätten geschützter Arten nicht zerstört oder verschlossen werden dürfen. Dies gilt auch für Gebäudequartiere von Mauersegler, Fledermaus und Co. Natürlich soll dadurch niemand an der Sanierung seines Gebäudes gehindert werden. Die energetische Gebäudesanierung ist sinnvoll, weil sie dem Schutz unseres Klimas dient. Deshalb sieht das Bundesnaturschutzgesetz die Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen vor, die - bei Vorhandensein von Quartieren geschützter Arten am Haus - vom Sanierungswilligen vor Baubeginn beantragt werden muss. Derlei Anträge werden in aller Regel genehmigt, allerdings mit Auflagen: Geeignete Ersatzquartiere müssen zur Verfügung gestellt werden. Und den Tieren selbst darf durch die Baumaßnahme kein Haar bzw. keine Feder gekrümmt werden. Aber: Kann das überhaupt funktionieren?


Artenschutz am Bau

Zunächst einmal ist sicherzustellen, dass die entsprechenden Arten bei der Baumaßnahme nicht unter die Räder gelangen. Dazu muss man wissen, wo sich die Quartiere befinden und um welche Art(en) es sich handelt. Hier ist der Bauherr in der Pflicht. Einfach draufloslegen und dabei Vogelnester oder Fledermaus-Wochenstuben ausheben, stellt mindestens eine Ordnungswidrigkeit, bei wissentlichem Vorgehen sogar eine Straftat dar und wird gem. Bundesnaturschutzgesetz entsprechend geahndet. Bei der Ortung der Quartiere und Artbestimmung helfen Fledermaus- und Vogelexperten des LBV. Sind Art und Quartiere erkannt, muss die Baumaßnahme von der Anwesenheitszeit der Tiere entkoppelt werden. Gebäude nutzende Arten sind nur für eine gewisse Zeit am Haus anwesend, um dort ihre Jungen aufzuziehen oder zu überwintern. In diesen Zeiten dürfen sie nicht gestört werden. Wer also Schwalben oder Spatzen unterm Dach beherbergt, sollte erst nach der Brutzeit mit der Sanierung beginnen. Ein Überwinterungsquartier von Fledermäusen saniert man hingegen nach Ausflug der Tiere ab ca. Mitte Mai.

Im Zuge der Fassaden- oder Dachdämmung gilt es sodann, Ersatzquartiere herzustellen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten, die - richtig ausgeführt - gleich Erfolg versprechend sind: Aufsatzkästen, die im Bereich der ursprünglichen Quartiere an die neue Fassade gehängt werden oder Einbausteine, die in das Wärmedämmverbundsystem integriert werden. Bei beiden Möglichkeiten ist zu beachten, dass fachlich korrekt gearbeitet wird, um Wärmebrücken weitgehend zu vermeiden.


Nisthilfen und Fledermauskästen

Wer seine Wärmedämmung lieber nicht antastet, kann sich mit außen aufgesetzten Fledermauskästen und Vogelnisthilfen helfen. Auch hier kann man die unverwüstlichen Einbausteine verwenden, aber auch Holzkästen - auch selbst gebaute - erfüllen ihren Zweck. Damit man für die Anbringung nicht das Wärmedämmverbundsystem durchbohren muss, sollte man bereits im Vorfeld an den Bohrstellen so genannte Montagezylinder oder -quader einbauen lassen. Die verwendet man auch an Stellen, an denen nach Fertigstellung der Fassade beispielsweise eine Lampe, ein Briefkasten oder Ähnliches befestigt werden soll. Nisthilfen für Mehlschwalben kann man bei entsprechender Dachausformung an die Sparren hängen: Die Dämmung bleibt unangetastet, und gleichzeitig wird die Kotverschmutzung der Fassade spürbar reduziert. Egal, ob Einbausteine oder aufgesetzte Kästen: Die Quartiere sollten möglichst an den Stellen wieder angeboten werden, an denen die ursprünglichen Quartiere lagen. Gebäudebrüter und Fledermäuse sind sehr ortstreu, und eine Umsiedelung an andere Gebäudeteile gelingt nur selten.


Einbausteine - kaum sichtbar, aber wirksam

Die optisch ansprechendere Lösung sind integrierte Nist- und Quartiersteine. Die Steine werden mit einer leistungsfähigen, dünnen Dämmschicht hinterdämmt, sodass keine Wärmebrücken entstehen. Bei den aktuellen Dämmstärken von 16 cm und mehr verschwinden die Einbausteine vollflächig in der Fassade, bei geringeren Dämmstärken schaut ein kleiner Überstand heraus. Da die Quartiere aber meist hoch oben unterm Dach eingebaut werden, fallen sie bei beiden Ausführungen kaum auf. Bei manchen Niststeinen für höhlenbrütende Vögel ist die Anbindung der Wärmedämmung an die Wartungsöffnung der Knackpunkt: Hier muss sehr exakt gearbeitet werden, um ein späteres Eindringen von Wasser in die Dämmschicht zu vermeiden. Klingt kompliziert, ist aber einfach: Mit den passenden Aufsatzmanschetten, einem eingelegten Kompriband und einer darüber liegenden dauerelastischen Dichtung lassen sich Wasserschäden vermeiden. Noch leichter als die Niststeine für Gebäudebrüter kann man Fledermaussteine integrieren: Sie haben nur 10 bis 12 cm Dicke, können also auch in geringere Dämmschichten bündig eingepasst werden. Zudem brauchen sie keine Wartungsöffnung - Fledermaussteine sind selbstreinigend (siehe Fotos links)(*).


Artenschutz ist machbar, Herr Nachbar!

Um Artenschutz und energetische Sanierung unter einen Hut zu bringen, bedarf es also keiner Hexerei - wohl aber guter Vorplanung und Rücksichtnahme auf die fliegenden Untermieter, sowie der Zusammenarbeit zwischen Bauherr, Vogel- oder Fledermausexperten und Baufachfirma. Davon können alle Seiten profitieren, wie sich seit Jahren beim Projekt "Artenschutz an Gebäuden" der LBV-Kreisgruppe München herausstellt. Nicht nur die Baufachleute wurden für Artenschutzmaßnahmen an Gebäuden sensibilisiert, sondern es gelang auch, verschiedenste Lösungswege gemeinsam mit Architekten und ausführenden Firmen zu finden - die dann wiederum bei anderen Baumaßnahmen angewendet werden können. Mehrere Architekturbüros entwickelten Details für den Einbau von Vogel- und Fledermausquartieren in energetisch einwandfreie Neubauten. Denn nicht nur der Ersatz bestehender Quartiere ist wichtig für den Erhalt der Artenvielfalt im Siedlungsbereich, sondern auch neue Quartiersangebote für Gebäudebrüter und Fledermäuse an Neubauten. So wird aus scheinbaren Gegensätzen ein harmonisches Miteinander: Artenschutz und Klimaschutz im Einklang!


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DIE AUTORIN

Sylvia Weber
Dipl. Ing. (FH) Landschaftsarchitektin
Projektleiterin Artenschutz an Gebäuden
LBV-Kreisgeschäftsstelle München
Mail: s-weber[at]lbv.de


Webseite zum Projekt Artenschutz an Gebäuden:
http://www.lbv-muenchen.de/Projekte/gebauedebrut/projekte.lbv.htm


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Ob Zweifarbfledermaus (links) oder Haussperling (unten): beide sind auf passende Nischen an der Außenhaut der Häuser angewiesen
- Kaum zu glauben, aber noch immer werden Mehlschwalbennester verbotenerweise abgeschlagen
- Nach Sanierungen angebrachte Kunstnester werden gerne angenommen; ein Kotbrett vermeidet unerwünschte Verschmutzungen unter dem Nest
- Eine Reihe Mauerseglerquartiere wurde hier außenliegend direkt unter der Traufe angebracht
Die Zwergfledermaus sucht kleine Spalten zum Ruhen auf
(*) Abbildungen siehe Printausgabe oder PDF-Version auf www.lbv.de


*


Quelle:
Vogelschutz - 4/2011, S. 18-21
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
Verband für Arten- und Biotopschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein
Tel.: 09174 / 47 75-0, Fax: 09174 / 47 75-75
E-Mail: info@lbv.de
Internet: www.lbv.de

Vogelschutz ist das Mitgliedermagazin des LBV
und erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2011