Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → ARTENSCHUTZ


MASSNAHMEN/127: Zauneidechsen auf der Baustelle - Umgang mit europarechtlich geschützten Arten (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 3/2015

Zauneidechsen auf der Baustelle
Zum Umgang mit europarechtlich geschützten Arten

von Mirko Thüring


Manchen Arten halten hauptamtliche Naturschützer ganz schön auf Trapp. Nicht, weil sie besonders attraktiv sind oder zwingend seltener als andere, sondern allein darum, weil sie in einem Anhang der FFH-Richtlinie gelistet und somit europaweit zu schützen sind. Eine dieser Arten ist die Zauneidechse.


Dass die Zauneidechse derzeit so oft im Fokus des hauptamtlichen Naturschutzes steht, hat im wesentlichen zwei Gründe: Zum einen genießt sie einen vergleichsweise hohen rechtlichen Schutzstatus (streng geschützt und im Anhang IV der FFH-Richtlinie gelistet), zum anderen kommt sie in Brandenburg nicht selten genau dort vor, wo Bauvorhaben geplant sind. Andere Reptilienarten sind da im Vergleich deutlich weniger konfliktträchtig. Beispielsweise die Schlingnatter: Sie genießt zwar den selben Schutzstatus wie die Zauneidechse und bewohnt auch ähnliche Lebensräume, kommt dort aber seltener vor. Die Waldeidechse hingegen ist in Brandenburg zwar häufig und verbreitet, ihr Schutzstatus ist jedoch geringer (besonders geschützt). Zudem lebt sie eher an feuchteren Standorten, wo ohnehin seltener gebaut wird. Zauneidechsen und Bauplaner haben es oft auf die gleichen Flächen abgesehen: Industrie-, Gewerbe- und Siedlungsbrachen, ehemals militärisch genutzte Areale, ehemalige Abbaugebiete oder sonstiges Ödland trockenwarmer, sandiger Standorte. All dies sind Flächen, auf denen die Nutzung vor einiger Zeit aufgegeben wurde und die Wiederbesiedlung durch Pflanzen und Tieren bereits begonnen hat. Die Vegetationsentwicklung (Sukzession) ist jedoch noch nicht so weit fortgeschrittenen ist, dass dort bereits wieder Gehölze dominieren. Eine Waldentwicklung hat noch nicht stattgefunden. Die Krux ist, dass diese Lebensräume den Zauneidechsen in der Regel nur für ein beschränktes Zeitfenster zur Verfügung stehen, denn wenn sie nicht durch Bauprojekte entwertet werden, dann früher oder später durch den entstehenden Wald. Bauvorhaben, die mit Zauneidechsen kollidieren, können sehr unterschiedlich sein. Das Spektrum reicht von Photovoltaikkraftwerken über Einfamilienhäuser bis hin zu Golfplätzen oder Supermärkten. Konfliktträchtig sind auch Sanierungen oder Ausbauprojekte an Straßen, Wegen oder Bahnanlagen, denn auch dort findet die Zauneidechse oft geeignete Lebensräume in den linienhaften Randstrukturen - die Vorliebe für Rand- und Grenzstrukturen spiegelt sich auch im Namen der "Zaun"eidechse wider. Ein glücklicher Umstand dieser Vorliebe ist, dass diese Strukturen vergleichweise langfristig bestehen bleiben. Eine wirkliche Nutzung findet dort kaum statt, dafür aber eine kontinuierliche Pflege, um beispielsweise Verkehrswege von seitlich einwachsender Vegetation freizuhalten.

So manchem Bauherrn sind Zauneidechsen aus den oben genannten Gründen wohlbekannt. Spätestens im Genehmigungsbescheid der Behörde wird der Vorhabensträger mit der Auflage konfrontiert, entsprechende Voruntersuchungen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der Art vorzunehmen. Daraus resultieren oft Bauverzug und zusätzliche Kosten. Die Maßnahmen zum Schutz der lokalen Zauneidechsenpopulationen gestalten sich bei jedem Vorhaben etwas anders, aber typisch ist der folgende Ablauf:

1. In räumlicher Nähe des Eingriffsbereiches werden geeignete Ersatzlebensräume für Zauneidechsen geschaffen. Geeignet bedeutet, dass maßgebliche Habitatelemente, wie Versteckmöglichkeiten, Sonnenplätze, Jagdflächen, Eiablageplätze, Temperaturgradienten (unterschiedlich starke Beschattungsgrade) und Winterquartiere in einem kleinflächigen Mosaik vorhanden sein müssen. Hierzu werden oft Haufwerke aus Totholz oder Feldsteinen, Einzelsträucher sowie offene Sandflächen und Wiesenbereiche angelegt.

2. Nun wird versucht, die Attraktivität der Fläche, auf der später gebaut werden soll, herabzusetzen. Das kann beispielsweise durch Mahd dieses Eingriffbereiches erfolgen, wodurch dort mögliche Verstecke entfernt werden. Idealerweise bewegen sich einige Eidechsen nun schon selbstständig in die angrenzenden Ersatzhabitate, wo sie ausreichend Deckung als Schutz vor Beutegreifern und der Möglichkeit zur Temperaturregulation vorfinden.

3. Sowohl um den Eingriffsbereich als auch um die Ersatzhabitate wird ein Reptilienschutzzaun - ähnlich den bekannteren "Krötenzäunen" - errichtet.

4. Anschließend werden die Zauneidechsen aus dem zukünftigen Baufeld abgefangen und in den Ersatzlebensraum eingesetzt. Hierfür werden verschiedene Methoden angewandt. Die gängigste ist der Handfang, bei dem das Tier durch eine plötzliche Bewegung mit der flachen Hand auf den Untergrund gedrückt und so an der Flucht gehindert wird. Als Hilfsmittel kann ein Schwamm verwendet werden, der die Verletzungsgefahr - bei Mensch und Tier - verringert. Auch das Risiko, dass die Zauneidechsen ihren Schwanz abwerfen (Autotomie) wird gesenkt. Einige Fänger haben gute Erfahrungen mit Keschern gemacht. Weiterhin ist der Einsatz von in den Boden eingegrabenen Fangeimern am Rand des Zaunes üblich, auch spezielle Kleintierfallen werden seit einiger Zeit erfolgreich eingesetzt. Eine weitere, aber seltener angewandte Methode ist der Schlingenfang mit einer Art Angel. Das Streben nach möglichst effektiven und schonenden Fangmethoden macht offenbar erfinderisch.

5. Nach erfolgreicher Umsetzung der Zauneidechsen kann das Bauvorhaben beginnen.

6. Anschließend wird über mehrere Jahre geprüft, ob die Maßnahmen auch erfolgreich waren und ob das Pflegeregime angepasst werden muss.

So einfach die geschilderte Vorgehensweise klingen mag, so schwierig gestaltet sich die Umsetzung der Maßnahmen in der Praxis. Beispielsweise stehen oftmals nicht ausreichend große und geeignete Flächen für die Ersatzhabitate in räumlicher Nähe zur Verfügung. Zudem sollten die neu angelegten Strukturen mindestens zwei Jahre Zeit reifen, um ihre volle Funktionsfähigkeit zu erreichen. In der Praxis ist dies jedoch oft nicht umzusetzen, da die Vorhaben meistens unter hohem zeitlich-finanziellem und bisweilen auch unter öffentlich-politischem Druck stehen. Aus diesen und weiteren Gründen zeigen die Schutzmaßnahmen häufig nicht den gewünschten Erfolg. Das lässt Zweifel am Sinn dieser Vorgehensweise aufkommen. Das Artenschutzrecht lässt jedoch seit der "Kleinen Novelle" des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 2007 nur wenig Spielraum für andere Lösungen und schreibt den Erhalt "Lokaler Populationen" vor. Insofern gibt es nur die Möglichkeit, die bestehenden Probleme weitgehend zu minimieren. Voraussetzung dafür ist, dass die Vorhabensträger in Zukunft gleich zu Beginn ihrer Planungen ausreichend große Kompensationsflächen und genügend Vorlaufzeit mit einkalkulieren. Langjährige Erfolgskontrollen und eine angepasste Pflege müssen dann zeigen, dass die Qualität der neu geschaffenen Lebensräume auch von Dauer ist.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Männliche Zauneidechse.

- Reptilienschutzzaun zur Eingrenzung des Baufeldes.

- Künstlich geschaffenes Strukturelement in einem Ersatzlebensraum für Zauneidechsen.

- Reptilienschutzzaun zur Eingrenzung des Baufeldes

- Freilassen der gefangenen Zauneidechsen. Die Fangeimer müssen regelmäßig täglich kontrolliert und geleert werden, um Verluste - auch unter ungewollt gefangenen Tieren, wie beispielsweise Mäusen - zu minimieren.

*

Quelle:
naturmagazin, 29. Jahrgang - Nr. 3, August bis Oktober 2015, S. 14-16
Herausgeber: Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Naturschutzfonds Brandenburg/Naturwacht
Natur & Text GmbH
Redaktion: Natur & Text GmbH
Friedensallee 21, 13834 Rangsdorf
Tel.: 033708/20431, Fax: 033708/20433
E-Mail: verlag@naturundtext.de
Internet: www.naturundtext.de
Internet: www.naturmagazin.info
 
Das naturmagazin erscheint vierteljährlich und kostet 4,30 Euro
oder 16,50 Euro im Abonnement (4 Ausgaben). Schüler, Studenten und
Mitglieder eines Naturschutzverbandes zahlen jährlich 12,50 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang