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VÖGEL/463: Schutzgebiete - Die Important Bird Areas in der Schweiz (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2009

Die Important Bird Areas IBA in der Schweiz

Von Eva Inderwildi


Trotz ihrer relativ kleinen Fläche spielt die Schweiz für den Schutz der Biodiversität in Europa eine große Rolle, da auf engem Raum viele verschiedene Lebensräume und Arten vorkommen. Als Folge der äußerst vielfältigen Topografie existiert auf kurzen Distanzen eine hohe Variabilität bezüglich Höhenstufen, Exposition, Steigung, Bodensubstrat und Klima. Diese Vielfältigkeit zeigt sich auch bei den 31 Important Bird Areas (IBA), die Ende der 1990er Jahre in der Schweiz identifiziert wurden und nun in einem von Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und Schweizerischer Vogelwarte Sempach herausgegebenen Buch vorgestellt werden.


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Für den Schutz der biologischen Vielfalt gibt es im Prinzip drei Ansätze. Zum ersten gilt es flächendeckend durch den Schutz von Lebensräumen biologische Vielfalt zu erhalten, zum Beispiel durch naturnahen Waldbau. Zweitens sind viele Arten auf Schutzgebiete - in der Regel besonders gefährdete Lebensräume - angewiesen. Drittens sind für Arten, deren Bestände weder mit dem Lebensraum - noch mit dem Gebietsschutz langfristig gesichert sind, gezielte Artenförderungsprogramme umzusetzen.

Die Important Bird Areas (IBA) fallen in die Kategorie Gebietsschutz. Im Gegensatz zu vielen bereits existierenden Schutzgebieten der Schweiz sind IBAs so groß, dass sie die Lebensraumansprüche von Vögeln umfassend und in für überlebensfähige Bestände genügender Fläche abdecken. Sie berücksichtigen nicht nur die Bedürfnisse zur Brutzeit, sondern auch jene für Mauser und Überwinterung. Viele Bergvögel, die ganzjährig in der Schweiz bleiben, brüten oberhalb der Baumgrenze, kommen im Winter aber in die Täler hinunter. Nur großflächige Gebiete können sowohl den Sommer- wie auch den Winterlebensraum dieser Arten beinhalten und langfristig sichern.

Jetzt liegt das Buch vor, welches alle 31 IBAs der Schweiz vorstellt: "Important Bird Areas IBA, Schweiz, Suisse, Svizzera, Switzerland". Der erste Teil beschreibt, wie BirdLife International das IBA-Projekt startete und welche Kriterien zur Identifizierung der Gebiete in den einzelnen Ländern führten. BirdLife International definierte für jedes Land eine Liste von Arten, für welche das Land eine besondere Verantwortung trägt. In der Schweiz sind dies 29 Vogelarten. Darunter finden sich viele Bergvögel, aber auch Entenarten, die in großer Zahl überwintern. Die 31 IBA-Gebiete decken wichtige Lebensräume dieser 29 Vogelarten ab. Sie beherbergen überlebensfähige Bestände der Brutvogelarten oder sind Aufenthaltsgebiete von internationaler Bedeutung für Zugvögel.


Verantwortung der Schweiz für alpine Vogelarten

Rund 60 % der Landesfläche der Schweiz liegen in den Voralpen und Alpen und 13 % der Alpenfläche befinden sich in der Schweiz. So ist es nicht erstaunlich, dass BirdLife International der Schweiz eine besondere Verantwortung für Vogelarten übertragen hat, die auf das eurasische hoch-montane (alpine) Biom (= Großlebensraum) beschränkt sind. Dazu gehören vor allem Brutvogelarten, die Lebensräume an der oberen Waldgrenze und darüber besiedeln. Alpenbraunelle, Mauerläufer, Alpendohle, Schneesperling und Zitronengirlitz erfüllen die IBA-Kriterien für Biom-beschränkte Arten. Auch wenn es im ersten Moment seltsam erscheint, ein IBA für diese zum Teil regional häufigen Vogelarten auszuweisen, so ist dies bei einer internationalen Sichtweise schnell erklärt: Mehr als ein Fünftel der in Europa vorkommenden Alpenbraunellen und Schneesperlinge brüten in der Schweiz. Gerade weil diese Arten auf ihrer Landesfläche zahlreich vorkommen, hat die Schweiz für ihre Erhaltung eine große Verantwortung. Bleiben die Bestände hier stabil oder wachsen sie, so ist dies ein wichtiger Beitrag für das längerfristige Überleben der Arten.

Weitere Gebirgsvogelarten wie Steinadler, Birkhuhn, Steinhuhn, Dreizehenspecht und Steinrötel fallen in die Kategorie "Arten mit ungünstigem Schutzstatus", die in Europa vom Aussterben bedroht, gefährdet oder selten sind oder abnehmende oder auf kleine Regionen beschränkte Bestände aufweisen.

Auch die Ringdrossel gehört zu den Schweizer IBA-Arten. Die Art weist zwar einen günstigen Schutzstatus auf, kommt aber nur in einer Region vor, sodass hierfür eine eigene Kategorie angelegt wurde. Insgesamt wurden in den Alpen 15 IBAs ausgewiesen: Fünf liegen in den nördlichen Voralpen (IBA 016-020, siehe Karte), fünf in den Zentralalpen (IBA 021-025) und fünf in den südlichen Alpen (IBA 026-028, 030, 031).

Die Schweiz trägt aber auch Verantwortung für Brutvogelarten der vielfältigen, strukturreichen Kulturlandschaft und der kollin-montanen Wälder. Daher stehen Schwarzmilan, Rotmilan, Turmfalke, Wanderfalke, Schleiereule, Wendehals, Gartenrotschwanz, Grauspecht und Grünspecht ebenfalls auf der Liste der 29 Schweizer IBA-Arten. Sie gehören entweder in die Kategorie der Arten mit ungünstigem Schutzstatus (Schwarzmilan, Turmfalke, Wanderfalke, Schleiereule, Wendehals, Gartenrotschwanz, Grauspecht und Grünspecht) oder zu jenen mit günstigem Status, die aber auf eine Region konzentriert sind (Rotmilan). Der Bestand des Rotmilans in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren zwar vergrößert, doch da er nur in der Westpaläarktis vorkommt, gehört er zu den Verantwortungsarten.

Einen Sonderstatus nimmt der Wachtelkönig ein. In der Schweiz ist die Art äußerst selten geworden, sodass weniger als die vorgegebenen 1 % der europäischen Brutbestände in der Schweiz vorkommen. Damit erfüllt er die IBA-Kriterien eigentlich nicht. Aufgrund der internationalen Gefährdung zur Zeit der Identifizierung der IBAs wurden die Wachtelkönigbestände bei der Grenzziehung dennoch berücksichtigt. Für die Arten der Wälder und Landwirtschaftsflächen wurden, zusätzlich zu den alpinen Gebieten, die ihre Lebensräume zum Teil auch abdecken, fünf IBA-Gebiete in tieferen Lagen ausgewählt. Drei davon befinden sich im Jura (IBA 001-003) und zwei im Mittelland (IBA 004 und 005).


Ebenfalls ein wichtiges Überwinterungsgebiet

Viele Zugvogelarten ziehen durch die Schweiz. Zahlreiche davon rasten in den unterschiedlichsten Lebensräumen, von Feuchtgebieten über Wiesen bis hin zu Wäldern. Die Schweiz besitzt vor allem für rastende und mausernde Wat- und Wasservögel eine Bedeutung. Deswegen zählen neben den Brutvogelarten auch sieben überwinternde Wasservogelarten zu den Schweizer IBA-Arten. Jährlich verbringen rund eine halbe Million Wasservögel den Winter auf Schweizer Gewässern. Von Kolben-, Tafel- und Reiherente überwintern je über 20 % des europäischen Bestandes in der Schweiz. Auch Schnatterenten, Schellenten, Haubentaucher und Kormorane findet man im Winter in großen Ansammlungen auf den Schweizer Seen. Alleine im IBA 011 am Südufer des Neuenburgersees können sich im Winter über 50000 Wasservögel aufhalten.

Eine Wasservogelart steht als Brutvogel auf der IBA-Artenliste, der Gänsesäger. Er verfügt über eine kleine, isolierte Alpenpopulation. Der Schweiz kommt für die Erhaltung dieser genetisch eigenständigen Population eine zentrale Rolle zu, da sie 15 % des Bestandes beherbergt. Elf Wasservogelgebiete gehören zu den Schweizer IBAs, zehn liegen nördlich der Alpen (IBA 006-015) und eines im Tessin (IBA 029). Neben ihrer Bedeutung für überwinternde Entenarten sind diese IBAs auch wichtige Rastgebiete für ziehende Limikolen.


Anschluss ans Smaragd-Netz

Noch haben die IBA-Gebiete in der Schweiz keinen offiziellen Schutzstatus. Der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und der WWF Schweiz arbeiten darauf hin, dass die IBAs zusammen mit weiteren Gebieten für den Schutz von bedrohten Pflanzen, Tieren und Lebensräumen dem Europarat offiziell gemeldet und in das Netzwerk Smaragd integriert werden. Smaragd ist das Gegenstück zum Natura 2000-Netzwerk der EU-Länder für Staaten, die nicht zur EU gehören, hat aber keinen rechtlich verpflichtenden Charakter. So wie die IBAs in den EU-Ländern eine wichtige Grundlage zur Festlegung der großen Natura 2000-Schutzgebiete gespielt haben, sollen sie auch in der Schweiz in Zukunft als Basis für neue Schutzgebiete oder zur Erweiterung von bereits existierenden Schutzzonen dienen.

In den einzelnen IBAs gibt es noch viele Defizite. Wenn diese Gebiete die Bestände der 29 relevanten Vogelarten langfristig sichern sollen, muss deren Zustand vielerorts verbessert werden. So verlieren zahlreiche IBAs für die Vögel an Wert, wenn menschliche Störungen, z. B. durch Erholungssuchende, weiter zunehmen. Die artenreichen, extensiv genutzten Kulturlandschaften im Berggebiet, die vielen IBAs ihren Wert verleihen, drohen langsam zu verschwinden, wenn nicht bald größere Anreize geschaffen werden, sie zu bewahren. In den Landwirtschaftsflächen der tieferen Lagen ist hingegen die weitere Intensivierung bzw. die fehlende Extensivierung die größte Gefahr, die nicht nur den Wachtelkönig in seinem Fortbestand massiv gefährdet. Die Erhaltung von kleineren wertvollen Zonen wie zum Beispiel Mooren innerhalb der IBAs ist ebenfalls noch nicht überall gesichert, obwohl es sich oft um Objekte von nationalen Inventaren handelt, die dadurch - zumindest auf dem Papier - bereits einen Schutzstatus haben. Besucherlenkung, Agrarpolitik und Managementpläne sind nur einige Beispiele, die für die Qualität der IBAs als Lebensraum entscheidend sind.


Beobachten und überwachen

Immer wieder geraten schützenswerte Gebiete durch Überbauung oder andere menschliche Aktivitäten akut unter Druck - so auch die IBAs. Um handeln zu können, ist es wichtig, über solche Probleme rechtzeitig informiert zu sein. Dies ist nur möglich, wenn Personen vor Ort die Gebiete im Auge behalten. Deswegen wollen der Schweizer Vogelschutz SVS und die Schweizerische Vogelwarte in allen IBAs ein Monitoring aufbauen. Jedes Gebiet soll von lokalen Betreuern überwacht werden, damit Veränderungen in der Landschaft und zukünftige Bedrohungen möglichst früh erkannt werden. Ebenfalls sollen die Bestandsentwicklungen der relevanten IBA-Arten beobachtet werden. Ziel ist es, die lokal verantwortlichen Gruppen sukzessive für das Monitoring und für die Umsetzung von Förderungsprojekten zu gewinnen.

Dr. Eva Inderwildi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und leitet das Projekt IBA.


Literatur zum Thema:
Heer, L., E. Inderwildi, V. Keller, W. Müller, H. Schmid & S. Stucki:
Important Bird Areas Schweiz Suisse Svizzera Switzerland.
201 Seiten, durchgehend farbig illustriert.
Erhältlich für Fr. 30,- (+ Versandkosten)
beim Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2009
56. Jahrgang, Januar 2009, S. 9-13
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2009