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VÖGEL/620: Von oben und unten - Über die natürlichen Feinde des Kormorans (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/10
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Von oben und unten
Über die natürlichen Feinde des Kormorans

Von Hans-Heiner Bergmann und Thomas Brandt


Der Kormoran ist heute wieder auf jedem größeren Gewässer zu Hause. Als Motor für die rasante Entwicklung wird außer dem Schutz noch ein weiterer Grund diskutiert: Es fehlten natürliche Feinde, die den Kormoran "regulieren" könnten. Doch von einem stressfreien Leben ohne natürlichen Feinddruck kann keine Rede sein.

Schauen wir zum Beispiel mal zum Steinhuder Meer nahe Hannover. Dort flog im Jahr 2000 erstmals ein Seeadler die 25 Nester große Kormorankolonie an. Er ließ sich auf einem Kormorannest nieder, tötete einen der beiden Nestlinge und begann zu fressen. Eine halbe Stunde später trug er das Geschwister in Richtung seines Horstes davon. Bereits zwei Tage später waren alle 25 Nester verlassen. Übrig waren nicht mehr als zwei eben ausgeflogene Jungkormorane. Das Gleiche wiederholte sich im Folgejahr und es flog nicht ein einziger Jungvogel aus.


Seeadler vertreibt Kolonie

Gleichzeitig bestand ein Schlaf- und Ruheplatz der Vögel in Bäumen an einem ruhigen Uferbereich des Sees. Hier ruhten zeitweise mehrere Hundert der schwarzen Vögel. Nun aber zogen sie unter dem Einfluss der großen Greifvögel in die Nähe eines Uferstücks um, das stark von Menschen begangen und von den scheuen Seeadlern zumindest tagsüber weitgehend gemieden wird. Bis heute haben am Steinhuder Meer keine Kormorane mehr gebrütet. Die wenigen Seeadler hatten also die dauerhafte Ansiedlung einer Kormorankolonie verhindert und auch die nicht brütenden Kormorane in ihrem Verhalten beeinflusst.

Beobachtungen von Seeadlern, die sich in dem Bereich von Kormorankolonien aufhalten, gibt es mittlerweile zahlreich. In einer großen Kolonie dürfte es sicher seltener passieren, dass der ganze Standort aufgegeben wird. Die einzelnen Kormorane bauen da vielleicht auf den Verdünnungseffekt. Unter mehreren hundert, tausend oder noch mehr Brutpaaren hat das einzelne Paar eine gute Chance, seine Jungen trotz der Seeadler groß zu ziehen. Die Begegnungen beider Arten werden sich mit Zunahme der Seeadler in Deutschland mehren.


Uhus und Möwen

Der Seeadler ist nicht die einzige Gefahr aus der Luft. In Dänemark etwa erbeuten Steinadler junge Kormorane in ihren Nestern und schlagen Altvögel sogar im Flug. Auch der Uhu kann Kormoranen gefährlich werden. Am hessischen Kühkopf haben sich gleich mehrere Uhupaare am Rande einer gemischten Graureiher- und Kormorankolonie niedergelassen. Reiher wie Kormorane verließen daraufhin den alten Standort, doch auch zur der neuen Kolonie ist ihnen ein Uhupaar gefolgt.

Um die Liste komplett zu machen: Auch der Habicht ist schon an verschiedenen Stellen in Deutschland beim Beutemachen an den Nestern der Kormorane beobachtet worden und an Bodenkolonien wie auf der kleinen Ostseeinsel Heuwiese vor Rügen dringen Silbermöwen ein und machen sich über Eier und Jungvögel her.


Kletternde Eierdiebe

Gefahr droht aber auch bei Baumkolonien von unten. So sind in Brandenburg in einer ganzen Reihe von Fällen Kormorankolonien plötzlich verlassen worden, etwa 2008 am Gülper See und am Plessower See. Direkte Beobachtungen, leer gefressene Eischalen, Fußabdrücke im Schlamm und Kratzspuren an den Bäumen haben gezeigt: Waschbären sind die Täter. Sie stören die Vögel bei Nacht auf ihren Nestern und erklettern selbst die höchsten Brutbäume. In demselben Jahr gingen in der Kolonie Paretzer Tonstiche allein an die 300 Gelege durch den Waschbären verloren. Jedes dritte der daraufhin begonnenen Nachgelege blieb ebenfalls ohne Bruterfolg.

Unter den heimischen Säugetieren gibt es ebenfalls genügend Fressfeinde. In Frage kommen zuerst die guten Kletterer wie Baum- und Steinmarder. Gelege und Jungvögel in erreichbaren Bodenkolonien dürften eine leichte Beute von Fuchs, Dachs, lltis, Marderhund und Wildschwein werden. Es ist einfach nur ein Mangel an Beobachtungen oder Nachweisen, wenn man darüber noch nicht viel Konkretes weiß. Gerade für Füchse dürfte eine am Boden brütende Kormorankolonie leichtes Spiel bedeuten.


Flucht und Vermehrung

Kormorane haben gegenüber fliegenden wie kletternden Fressfeinden wenig Abwehr zu bieten. Sie suchen ihr Heil in der Flucht. Auf dem Wasser versuchen sie sich tauchend zu retten. Wenn sie ihre Brutkolonien verlassen, opfern sie unter Umständen ihre Gelege und die wehrlosen Jungen im Nest. Die "Hauptwaffe" der Kormorane, wenn auch mit begrenzter Wirkung, ist die Fortpflanzung. Das Gelege besteht meist aus drei bis vier Eiern und für mehr als eine Brut pro Jahr reicht es nicht. Die Jungen werden erst im dritten oder vierten Lebensjahr reif für die Fortpflanzung. Wenn die natürlichen Feinde sich auf Eier und Junge im Nest konzentrieren, verliert Vermehrung allerdings Kormorans ihre Wirkung. Schnelles Wachstum einer Kolonie kommt daher eher durch Zuzug als durch Nachwuchs zustande.

In Mitteleuropa ist der Kormoran nach seiner Erholung zurzeit anscheinend nicht gefährdet - noch nicht. Doch nach der anfänglichen rasanten Vermehrung tauchen jetzt überall natürliche Feinde auf, die sich auf ihn einstellen. Wenn wir Menschen den Kormoran zusätzlich aus unversöhnlichem Hass oder aus biologischer Unkenntnis verfolgen, wird ihn das erneut an den Rand der Ausrottung bringen.


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
• Kormoranküken
• Seeadler
• Waschbär


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/10, S. 20-21
(Text in der Internet-Fassung)
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2010