Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ARTENSCHUTZ

VÖGEL/706: Betrachtungen zum Gartenrotschwanz, dem Vogel des Jahres 2011 (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 1/11
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Rotzagel und Saulocker
Betrachtungen zum Gartenrotschwanz, dem Vogel des Jahres 2011

Von Dr. Karl Wilhelm Beichert


"Er gehört in den meisten Ländern unseres Erdteiles unter die gemeinen Vögel. So ist er auch in Deutschland allenthalben gemein; bloß solche Gegenden, die weder Bäume noch Buschwerk haben, im ganzen also doch nur unbedeutende Strecken, vermissen ihn." So sah es Friedrich Naumann im Jahr 1820, doch die Situation hat sich leider gründlich geändert, der Gartenrotschwanz befindet sich auf dem Rückzug.

Seit der Antike hielt man das Rotkehlchen und den Gartenrotschwanz für ein und denselben Vogel. Erst sehr spät, im 16. Jahrhundert, hat man dies zurechtgerückt. Interessant ist, dass der berühmte Vogelkundler Conrad Gesner um 1600 nur den Gartenrotschwanz - und diesen unter dem Namen Haußrötelein -, nicht aber den Hausrotschwanz beschreibt. Offensichtlich war der Hausrotschwanz damals in unseren Breiten noch nicht allgemein bekannt, denn er war früher ein Bewohner der Felsen des Hochgebirges und stieg erst später in die Niederungen herab, indem er die menschlichen Gebäude als Felsenersatz nahm.


Schmatzender Lockruf

Für den Gartenrotschwanz gibt es unzählige lokale Volksamen, sie beziehen sich fast alle auf das Aussehen des Vogels, etwa Waldrotschweifel, Rotsterz oder Rotzagel - Zagel bedeutet im Mittelhochdeutschen ebenfalls Schwanz. Auf die Farben von Kehle und Brust beziehen sich die Bezeichnungen Schwarzkehlchen, Rotbrüstlein und Rotbäuchlein. Der zunächst überraschende Name Saulocker hängt mit dem Lockruf des Vogels zusammen, der dem schmatzenden Laut ähnelt, mit dem man früher Schweine gelockt hat.

Feinde der Rotschwänze waren in den vergangenen Jahrhunderten die Bienenzüchter. Noch in dem "Landwirtschaftlichen Ratgeber" liest man im Jahrgang 1903: "Welchen Schaden die dreisten Meisen, Fliegenschnäpper, Rotschwänze u. s. w. unseren Bienenständen thun, wird wohl jeder erfahrene Bienenzüchter selbst wissen." Als Abhilfe wird die akustische Vergrämung empfohlen: Mit Hilfe eines Blasrohrs sollte auf eine in der Nähe des Bienenstocks angebrachte Blechscheibe geschossen werden, und der entstehende Lärm sollte die angeblichen Schädlinge vertreiben.


Rasende Geschwindigkeit

Andererseits schätzte man den Eifer des Gartenrotschwanzes im "Wegfangen vieler beschwerlicher und schädlicher Insekten". Deshalb ist der Jahresvogel auch in den Wohnstuben der Landleute gehalten worden, zumal er dort "fleißig und fast das ganze Jahr hindurch" sang.

Der Zoologe Oskar Heinroth rühmte seine Geschicklichkeit beim Fliegen im Zimmer: "Läßt man einen solchen Vogel zum Freiflug ins Zimmer, so sieht man nur einen rötlichen Schatten an der Decke, unter dem Tisch, zwischen Stühlen hindurch, am Fenster vorbei, kurz überall im Zimmer herumsausen und versteht gar nicht, wie das Tier bei dieser rasenden Geschwindigkeit in dem engen Raum die Gegenstände so gut unterscheiden kann, daß es nicht anstößt."


In jedem denkbaren Hohlraum

Vielfältig und gelegentlich außergewöhnlich sind die Brutstätten des Nischen- und Höhlenbrüters Gartenrotschwanz. Beobachtet wurden Bruten in Kehrichthaufen, aufgehängten Holzschuhen, Bahnsignalen, Geschützrohren, Wetterstationen. Sehr gern nimmt der Gartenrotschwanz auch das Angebot künstlicher Nisthöhlen an. Es finden sich aber auch Nester auf Dachbalken, unter Ziegeln, in natürlichen Baumhöhlen, hinter abgelöster Rinde, in Mauerlöchern, Felsspalten und Nischen von Grabsteinen, in Holzstößen, Reisigbündeln, Blumentöpfen oder hinter Bretterverschalungen.

Von einem interessanten Erlebnis mit Gartenrotschwänzen berichtet Peter Baust vom NABU Mosbach. In einer Mauerritze brütete im Frühjahr 2007 ein Paar. Eines Tages, als die Jungen schon geschlüpft waren, lag das Weibchen tot im Garten. Das Männchen hatte nun allein fünf hungrige Schnäbel zu stopfen. Zweifel entstanden, ob der Witwer genügend Nahrung würde herbeischaffen können. Die besorgten menschlichen Gastgeber kauften Mehlwürmer und stellten sie aufs Fensterbrett. Umgehend entdeckte der Gartenrotschwanz die neue und bequeme Nahrungsquelle. Schnell war der Vorrat verbraucht und musste nachgekauft werden. Auf diese Weise brachte der Vogelvater alle fünf Jungen durch, die dann auch zur gegebenen Zeit ausflogen. Er selbst fraß immer nur die kleinsten Mehlwürmer, während er die großen, fetten seinen Jungen gönnte.


*


Immer aufrecht

Der Gartenrotschwanz im Steckbrief

Der hochbeinige Gartenrotschwanz ist etwas kleiner und schlanker als ein Haussperling. Wie bei vielen Vogelarten trägt das Männchen auffallend leuchtende Farben, während das Weibchen schlichter gefärbt ist.

Garten- wie Hausrotschwanz haben typischerweise eine ziemlich aufrechte Körperhaltung. Herausragendes Merkmal der Gartenrotschwanz-Männchen ist die orangefarbene Brust, die sich scharf von der schwarzen Kehle abhebt. Die Stirn zeigt - anders als beim Hausrotschwanz - ein weißes Band.

Die Weibchen haben ein beige-weißes Brustgefieder mit einem Hauch orange, der Rücken ist graubraun gefärbt. Auf die Unterscheidungsmerkmale von Haus- und Gartenrotschwanz werden wir in der nächsten Ausgabe anlässlich der "Stunde der Gartenvögel" vom 13. bis 15. Mai ausführlich eingehen.

Beim Vogel des Jahres 2011 singen nur die Männchen. Ihr unverwechselbarer Reviergesang klingt etwas schwermütig und ist schon im frühesten Morgengrauen zu hören. Wer also das Glück hat, einen Gartenrotschwanz als Nachbarn zu haben, kann sich an seinem zeitigen, angenehmen Weckruf erfreuen.

Der Gartenrotschwanz sitzt meist auf niedrigeren Ansitzwarten, Ästen oder kleineren Büschen und zittert dabei auffallend mit dem Schwanz. Zur Nahrungssuche fliegt er kurz auf den Boden oder fängt Insekten während eines kurzen Fluges in der Luft.

Das Nest wird ab Ende April in Baumhöhlen, Fels- oder Mauerlöchern, Mauersimsen, Nistkästen und manchmal in alten Schwalbennestern eingerichtet. Dort baut das Weibchen ein lockeres Nest, in das sie Anfang bis Mitte Mai sechs bis sieben Eier legt.

Die Gartenrotschwanzbestände sind seit rund 30 Jahren stark rückläufig. Als Hauptursachen werden neben Lebensraumzerstörungen in den Brutgebieten vor allem Veränderungen in den afrikanischen Überwinterungsgebieten, wie verstärkter Gifteinsatz und die Ausdehnung der Sahel-Zone angenommen.

Ausführlichen Informationen zum Gartenrotschwanz in Wort, Bild und Film sowie das Spiel "Super-Gero" gibt es online unter www.vogel-des-jahres.de

Langfassung des Beitrages und historische Porträts früherer Vögel des Jahres
http://www.nabu.de/aktionenundprojekte/vogeldesjahres/2011-gartenrotschwanz/informationen/13121.html


Karl Wilhelm Beichert ist beim NABU Seckach- und Schefflenztal (Baden-Württemberg) aktiv. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich neben dem praktischen Naturschutz auch mit Heimatkunde und Geschichte. Mit der Arbeit "Nicolaus Bähr (1639-1714) und seine Ornithophonia", die philologische, biographische und ornithologiegeschichtliche Aspekte vereint, hat er nun an der Uni Heidelberg einen Doktortitel erlangt. Bährs Werk liegt damit neu in einer allgemein zugänglichen Publikation vor: 475 Seiten, 74 Euro, Universitätsverlag Winter 2010, ISBN 978-3825357641.


*


Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/11, S. 12-15
(Text in der Internet-Fassung)
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1500, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de

"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2011