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VÖGEL/766: Von Watt zu Watt - Den Brandgänsen auf der Spur (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/11
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Von Watt zu Watt
Den Brandgänsen auf der Spur

von Helge May


Gans und Gans sind zweierlei. Schon die zoologische Einordnung der Brandgans fällt nicht leicht, steht sie doch den Enten näher als den Gänsen. Ein im Sommer gestartetes Projekt des Michael-Otto-Instituts im NABU zeigt nun, dass die an der deutschen Nordseeküste lebenden Brandgänse auch individuell jeweils eigene Wege gehen.

Ziel der Biologin Dagmar Cimiotti ist es, im Rahmen einer bis 2014 laufenden Doktorarbeit am Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Uni Kiel die Basis für Schutzaktivitäten zu erweitern. Wie bei vielen Küstenvögeln sind die Bestände der Brandgans erkennbar zurückgegangen. In nur zwei Jahrzehnten maßen Vogelkundler im deutschen Wattenmeer bei den Rastzahlen ein Minus von einem Drittel. Liegt es am Bruterfolg, sind die Nahrungsbedingungen oder die Rastplätze schlechter geworden?


Wohin geht die Reise?

Bei einem anderen Charaktervogel des Wattenmeers, dem Austernfischer, haben sich die Brutbestände im schleswig-holsteinischen Watt binnen zehn Jahren sogar halbiert. Auch hierzu forscht der NABU. Dabei ergab eine Populationsstudie in der Meldorfer Bucht, dass 2010 die dortigen 60 Brutpaare gerade einmal drei Küken erfolgreich großzogen.

Um nun Näheres über die Brandgänse zu erfahren, gilt es zunächst, die Aufenthaltsorte und Zugwege genauer zu kennen. Bisher konnten einzelne Brandgänse im weitläufigen Wattenmeer kaum verfolgt werden. Mit Hilfe von GPS-Satellitentelemetrie dagegen lassen sich besenderte Tiere bis auf wenige Meter genau orten. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und den Mitgliedern des NABU-Clubs konnten zur Brutzeit im Juni drei jeweils knapp unter einem Kilogramm schwere Brandgansdamen besendert werden: "Tonja" aus dem Beltringharder Koog nördlich von Husum sowie "Diva" und "Kati", die beide an der Eidermündung unweit des NABU-Zentrums Katinger Watt ihre Sender erhielten. Die Übertragung der Ortungen aus dem Satellitensystem wird vom Max-Planck-Institut für Ornithologie unterstützt.


Mauser vor der Elbmündung

Fast alle erwachsenen Brandgänse Nordwesteuropas - rund die Hälfte des Weltbestandes - wechseln im Spätsommer ihr Gefieder in einem nur hundert Quadratkilometer großen Bereich der Elbmündung. Während dieser Mauser sind die Brandgänse für mehrere Wochen flugunfähig. Die Brandgansbestände im Hauptmausergebiet sind seit dem Jahr 2000 stark rückläufig und nahmen um rund 40 Prozent ab.

Als erste der Sendergänse machte sich Mitte Juli Kati auf in Richtung Mauergebiet. In mehreren Etappen erreichte Kati die Meldorfer Bucht und hielt sich dort fast eine Monat lang auf. Dann flog sie zur eigentlichen Mauser auf die vom NABU betreute Vogelinsel Trischen, wo sie bis Ende September blieb. Einen ähnlichen Weg, wenn auch deutlich, später nahm Brandgansdame Tonja.


Diva auf Abwegen

Diva dagegen machte ihrem Namen alle Ehre. Sie verließ ihr Revier erst Anfang August und begann dann ein unstetes "Wanderleben", wie man es von Brandgänsen bisher nicht kannte. Mehrfach unternahm sie weite Tagesausflüge vom Brutgebiet in die Meldorfer Bucht und wieder zurück. Nächste Ziele waren Salzwiesen bei St. Peter Ordning, Trischen und schließlich mit Zwischenstopp auf Neuwerk die Wesermündung weit im Süden. Hier begann Diva denn auch Ende September vermutlich mit der Mauser.

Schon die ersten Monate des Projektes boten also zahlreiche Überraschungen. Man darf gespannt sein, wie die Wintermonate verlaufen. Die Reisen der Brandgänse lassen sich im Internet auf einer Karte verfolgen, außerdem berichtet Dagmar Cimiotti in einem Tagebuch über die wichtigsten Entwicklungen.


Leibspeise Muscheln und Schnecken

Brandgänse ernähren sich von kleinen Schnecken, Muscheln und Würmern, seltener nehmen sie Insekten und Wasserpflanzen auf. Überwiegende Nahrung im deutschen Wattenmeer sind Watt- und Strandschnecken sowie Plattmuscheln. Der Tagesablauf ist weitgehend von den Gezeiten abhängig. Bei Niedrigwasser suchen die Vögel Nahrung, bei Hochwasser ruhen sie auf Sandbänken, Dünen oder Strandwiesen.

Brandgänse sind in der Regel monogam, wobei Weibchen und Männchen oft zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Brutgebiet zur Mauser und Überwinterung verlassen. Die Besetzung der Brutreviere beginnt im späten Winter und endet mit dem Schlüpfen der Küken. In der Regel brüten weibliche Brandgänse das erste Mal im zweiten Lebensjahr, sich erstmals fortpflanzende männliche Brandgänse sind zwischen vier und fünf Jahren alt. Das Weibchen legt in eine Erdhöhle - oft sind es Kaninchen- oder Fuchsbauten - sieben bis zwölf weiße Eier, aus denen 30 Tage später die schwarz-weißen Küken schlüpfen.


Mehr tun fürs Watt

Das Wattenmeer ist von herausragender Bedeutung für Millionen Vögel, die es als Zugvögel passieren oder als Brutvögel zur Aufzucht ihres Nachwuchses nutzen. In jüngster Zeit zeigte sich allerdings, dass der formal hohe Schutzstatus des Gebietes als Nationalpark und Weltnaturerbe nicht mit ausreichenden Schutzmaßnahmen einherging. Zusammen mit seinen Partnern in Dänemark und den Niederlanden setzt sich der NABU daher verstärkt für das Wattenmeer ein.

Dabei geht es unter anderem um den besseren Schitz des Brandgansmausergebietes vor der Fischerei und eine Beendigung der Erdölförderung in diesem Bereich. Die Vogelinsel Trischen, die einen Knotenpunkt auf dem Weg der drei Sender-Gänse darstellt, wird bereits seit 1927 vom NABU betreut. In Zukunft kommt der Entwicklung von Anpassungsmaßnahmen an den Meeresspiegelanstieg eine zentrale Bedeutung zu, um eine Erosion der für die Tierwelt des Wattenmeers so wichtigen Wattflächen und Salzwiesen zu verhindern.

http://www.nabu.de/nabu/nh/2011/4/14238.html


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/11
(Text in der Internet-Fassung)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2012