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VÖGEL/835: Vögel der Kulturlandschaft - Sorgenkinder des Vogelschutzes (Vogelschutz)


Vogelschutz - 2/2012
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Vögel der Kulturlandschaft
Sorgenkinder des Vogelschutzes

von Andreas von Lindeiner



Nie ging es der Artengruppe der Vögel der Agrarlandschaft in Europa und auch in Deutschland schlechter als derzeit.
Der Statusbericht "Vögel in Deutschland" weist für diese Artengruppe einen anhaltend negativen Trend auf. In der Roten Liste der Vögel Bayerns sind die Feldlerche als gefährdet, Ortolan, Rebhuhn und Kiebitz als stark gefährdet und Grauammer, Brachvogel, Bekassine sowie Uferschnepfe als vom Aussterben bedroht geführt. In den anderen Bundesländern sieht es in Hinblick auf die Vögel der Kulturlandschaft nicht besser aus.
Die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft hat trotz der Agrarumweltmaßnahmen diese Entwicklung eher beschleunigt als aufgehalten. Das von der EU formulierte Ziel, bis zum Jahr 2010 den Rückgang der biologischen Vielfalt zu stoppen, wurde - bezogen auf die Agrarvögel - leider weit verfehlt.

Auch einer Analyse des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung "Globale Umweltveränderungen" zufolge zeichnen sich bereits jetzt erhebliche Konflikte durch die derzeitige Praxis der Bioenergiepflanzenproduktion ab. Die durch den Ausbau der Bioenergienutzung insgesamt verstärkte Nachfrage nach Agrarprodukten kann zwar durch die Intensivierung bestehender Produktionssysteme gedeckt werden. Dadurch wird aber die biologische Vielfalt auf den bewirtschafteten Flächen leiden.
Die andere Option ist die Erschließung neuer Ackerflächen auf Kosten natürlicher Ökosysteme, was derzeit als wichtigster Treiber für die aktuelle globale Krise der biologischen Vielfalt gilt.

Veränderte Nutzung

Während der Flächenanteil des Grünlands bundesweit deutlich zurückging, nahm der Maisanbau allein in Bayern zwischen 2005 und 2011 von 415.800 ha auf 495.461 ha um 19.2% zu. Heute werden in Deutschland bereits ca. 19% der Gesamtackerfläche (2,28 Mio. ha) für die Energieerzeugung genutzt, davon etwa 22% für Energiemais. Für Bayern trifft dies in besonderem Maße zu, wie auch an der Entwicklung der Anzahl der Biogasanlagen zu erkennen ist. Als Beispiel sei der Landkreis Donau-Ries in Schwaben genannt: Während dort der Maisanbau von 2002 bis 2010 um 60% (ca. 6400 ha) zunahm, ging parallel der Anteil des Grünlandes um 1,4% (222 ha) zurück. Die für Wiesenbrüter nutzbare Fläche nahm damit erneut deutlich ab. Die negativen Wirkungen der Biogasnutzung auf Vogelbestände entstehen im Wesentlichen durch den sehr hohen Flächenbedarf für den Anbau des Substrats Mais (Zum Vergleich: Der Flächenbedarf für die Stromproduktion mit Biogasanlagen ist etwa 30mal höher als der bei der Photovoltaik).
Nachteilig für die Feldvögel wirken sich neben der Zunahme des Maisanbaues die Verringerung der angebauten Kulturen, die Einengung der Fruchtfolgen und insbesondere die Vergrößerung der Schläge aus.
Neben den direkten Auswirkungen des Anbaus hat die starke Nachfrage nach Mais eine Kaskade von Entwicklungen verursacht oder maßgeblich beeinflusst, die die Lebensräume von gefährdeten Vogelarten bedrohen. Durch den Maisanbau wurde eine starke Nachfrage nach Ackerfläche verursacht, die zum Verschwinden der Brachen und zu Verlusten von Grünland führte. Durch ein geändertes Preisgefüge in der Landwirtschaft verlieren Vertragsnaturschutzangebote an Akzeptanz und drohen wirkungslos zu werden.

Bekannte Ursachen

Die Ursachen, die für die Bestandsrückgänge der Agrarvögel verantwortlich sind, sind weitgehend bekannt. Sie lassen sich vor allem auf die Intensivierung der Landwirtschaft zurückführen. So kam es zu Lebensraumverlusten u.a. durch

  • den Rückgang von Brachen, Dauergrünland und extensiv bewirtschafteten Flächen
  • Beseitigung von naturnahen Kleinstrukturen wie Hecken, Ackersäumen, Kleingewässern, unbefestigten Feldwegen
  • Entwässerung von Feuchtgrünland, Intensivierung der Grünlandnutzung und Umbruch von Dauergrünland und zu Brutverlusten v.a. durch
  • Mechanisierung der Bearbeitung der Agrarflächen bei immer kürzeren Bearbeitungsintervallen und hoher Geschwindigkeit
  • Reduzierung der Nahrungsbasis durch Pflanzenschutzmittel und rückstandsarme Erntetechnologien
Verbindliche Vorgaben sind nötig

Obwohl geeignete Maßnahmen zum Schutz von Agrarvögeln bekannt sind, werden diese bisher kaum umgesetzt. Zusätzlich zur Beseitigung der angeführten Rückgangsursachen müssen aus Sicht des Naturschutzes deshalb verbindliche Vorgaben für die Einrichtung von ökologischen Vorrangflächen im Umfang von mindestens 10% der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Fördervoraussetzung für EU-Agrarsubventionen gemacht werden. Ökologische Vorrangfläche heißt nicht Einstellung der Nutzung, sondern eine angepasste, nachhaltige Nutzung, die vorrangig festgelegten Artenschutzzielen auf diesen Flächen dient.

  • Es gilt, die Agrarumwelt- bzw. Vertragsnaturschutzmaßnahmen flexibler und ökologisch effizienter zu machen, eine Erfolgskomponente einzuführen und die Landwirte dabei fachkundig und intensiv zu beraten.
  • Im Erneuerbare-Energien-Gesetz muss die Förderung der Bioenergieerzeugung mit verpflichtenden Auflagen zur Sicherung und Verbesserung des Schutzgutes Biodiversität verknüpft werden.
  • Weiterhin müssen die Anbauflächen für Energiepflanzen bei Umwelt- und FFH-Verträglichkeitsprüfungen für die Genehmigung von Biogasanlagen berücksichtigt werden.
  • Für die Wiesenbrüter und Arten wie Wiesenweihe und Ortolan müssen gezielte Artenhilfsprogramme in Angriff genommen bzw. fortgeführt werden.
Es ist höchste Zeit

Trotz mehrfach bekräftigter Ziele zum Stopp des Biodiversitätsverlustes hat sich die Situation der Agrarvögel (und auch aller übrigen Artengruppen in der Agrarlandschaft) nicht verbessert, sondern verschlechtert. Bayern hat im April 2008 eine Biodiversitätsstrategie und im Oktober 2010 einen Artenschutzbericht u.a. mit Kapiteln "Prioritäten des Artenschutzes in Bayern" und "Umsetzung der Ziele der Biodiversitätsstrategie als gesamtgesellschaftlicher Auftrag" vorgelegt. Die EU hat nach dem Scheitern des Zieles, bis 2010 den Rückgang der Biodiversität zu stoppen, das gleiche Ziel für 2020 vorgegeben. Es ist nun dringend erforderlich, in Bayern die geeigneten Maßnahmen umzusetzen und va. genügend finanzielle und personelle Ressourcen dafür bereitzustellen. Sonst droht uns leider wirklich bald ein stummer Frühling in der Kulturlandschaft.

DER AUTOR
Dr. Andreas von Lindeiner
Leiter Referat Artenschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein
E-Mail: a-v-lindeiner[at]lbv.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Der Ortolan (oben) und der Kiebitz (ganz unten) gehören zu den stark gefährdeten Arten der Kulturlandschaft.
• Der Anbau von Bioenergiepflanzen für Biogasanlagen und für die Herstellung von Bioethanol zur Beimischung bei Kraftstoffen hat in den letzten Jahren stark zugenommen (Bild unten). Er stellt aus Sicht des Vogelschutzes - da sind sich alle Experten einig die größte Bedrohung für die Vögel der offenen Kulturlandschaft, wie die Feldlerche (rechts), dar.
• Wenn nicht bald die geeigneten Maßnahmen umgesetzt werden, droht uns ein stummer Frühling ohne den Gesang der Grauammer (unten) oder den Ruf der Uferschnepfe (oben) in der Kulturlandschaft.
• Graphik: Anzahl der Biogasanlagen und der installierten Nennleistung in Bayern.Quelle: Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (BfL), Biogas-Betreiber-Datenbank Bayern (BBD)
• Graphik: Bestandsentwicklung des Kiebitz in Deutschland von 2000 bis 2009 anhand einer Indexberechnung (Quelle: DDA)

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Quelle:
Vogelschutz - 2/2012, Seite 6-9
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
Verband für Arten- und Biotopschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2012