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GEFAHR/025: Brandsatz Fukushima - Lügen und Verschleierungen ... (SB)


Japans Premierminister Shinzo "Super Mario" Abe wähnt sich offenbar als Subduktionszonenbändiger


Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Erstmals ist es dem Akw-Betreiber TEPCO in diesem Jahr gelungen, Roboter in relative Nähe der geschmolzenen Brennelemente des havarierten Meilers 2 des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi zu lenken und dort Strahlenmessungen vorzunehmen. Die Ergebnisse übertreffen alle jemals registrierten Werte um das Vielfache.

Am 30. Januar 2017 lieferte eine Roboterkamera aus dem Meiler Nr. 2 Bilder, die offenbar zeigen, daß sich der Kernbrennstoff durch den dicken Boden des Reaktordruckbehälters geschmolzen und unterhalb dessen in einem Laufgitter, von dem aus normalerweise Wartungsarbeiten durchgeführt werden, ein rund ein Meter großes Loch hinterlassen hat. Die Strahlung wurde mit bis zu 530 Sievert pro Stunde (Sv/h) registriert, was deutlich über dem bisher höchsten Wert von 73 Sv/h liegt, der vor fünf Jahren gemessen wurde. [1]

Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß die Strahlung im Laufe der Zeit zugenommen hat, sondern daß man vermutlich erstmals dem heißen Kernschmelzbereich vergleichsweise nahe gekommen ist, so daß solche hohen Meßergebnisse erzielt werden. Das sogenannte Corium, in dem die heißen Brennelemente mit dem Umgebungsmaterial verschmolzen sind, ist vielleicht sogar noch stärker verstrahlt. Wo sich dieses glutheiße Material befindet, weiß man nicht. Möglicherweise hat es sich durch die Betonummantelung des Reaktors und den Boden des Reaktorgebäudes geschmolzen. Oder es steckt irgendwo auf dem Weg nach außerhalb des Gebäudes fest.

530 Sv/h sind ein so hoher Wert, daß er alles übersteigt, womit Strahlenschützer in einem Akw rechnen. Wenn ein Mensch auch nur kurze Zeit 1 Sv ausgesetzt wird, treten bereits schwerste Strahlenschäden auf. Wirken 10 Sv über eine kurze Zeitspanne auf ihn ein, tritt unvermeidlich binnen weniger Wochen der Strahlentod ein.

Am 9. Februar wurde schließlich ein mit zwei Kameras ausgestatteter Roboter ebenfalls in den Meiler 2 des Akw Fukushima Daiichi gefahren. Diesmal wurden sogar bis zu 650 Sievert pro Stunde registriert. [2] Die faktisch verstaatlichte Akw-Betreibergesellschaft Tepco behauptet im Rahmen der Bekanntgabe der extrem hohen Strahlenwerte, daß für die Bevölkerung keine Gefahr besteht und die Strahlung außerhalb des Reaktors kein gefährliches Niveau erreicht hat. Den langjährigen Erfahrungen mit Tepco zufolge ist solchen, auf Beruhigung zielenden Behauptungen seitens des Unternehmens nicht einen Fingerbreit zu trauen. Vielleicht verwendet Tepco mit Bleiakkus abgeschirmte Meßgeräte, wie sie die Regierung an öffentlichen Plätzen hat aufstellen lassen, vielleicht aber werden auch nur dort Messungen durchgeführt, wo von vornherein mit keinen hohen Strahlenwerten zu rechnen ist. Das sind nur zwei von zahlreichen möglichen Ausreden bzw. Verschleierungsversuchen, die dem Unternehmen zuzutrauen sind, um die Öffentlichkeit über die Höhe der realen Strahlenwerte zu täuschen.

Einmal angenommen, Tepco spiele in diesem Fall nicht mit gezinkten Karten und habe jene extrem hohen Strahlenwerte tatsächlich nur innerhalb des Reaktorbehälters registriert. Dann stellt sich die Frage nach den Folgen dieser Extremstrahlung. Zunächst einmal hat das Unternehmen bereits angekündigt, daß sich der geplante Beginn des Rückbaus des Akws Fukushima Daiichi verzögern wird. Vielleicht muß das Vorhaben um Jahre aufgeschoben werden, sofern man es überhaupt irgendwann in Angriff nehmen kann. Der Rückbau des Akws selbst würde Jahrzehnte brauchen, manchen Schätzungen zufolge zieht er sich bis ins nächste Jahrhundert hinein.

Über das Offensichtliche hat Tepco jedoch nichts verlauten lassen: Wenn im Innern des havarierten Reaktors 530 bzw. 650 Sv/h gemessen werden, dieser jedoch ständig mit Wasser gekühlt werden muß und auch Grundwasser in das Reaktorgebäude eindringt, sich mit dem Löschwasser vermischt und dann nach außen fließt, dort aber keine entsprechend hohen Strahlenwerte gemessen werden, kann das bedeuten, daß das dicke Ende noch bevorsteht.

Zumal die letzten Jahre noch einmal unmißverständlich verdeutlicht haben, was eigentlich klar ist, aber die Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe nicht davon abgehalten hat, an ihrem Pro-Atomkurs festzuhalten: Japan ist Erdbebengebiet und seine Landmasse vulkanischen Ursprungs. Entlang der Ostküste des Landes gibt es zwei sogenannte Subduktionszonen, die ausgesprochen aktiv sind. Dort tauchen tektonische Platten der Erdkruste unter andere tektonische Platten, was an der Erdoberfläche vulkanische und seismische Auswirkungen nach sich zieht. Japan selbst, das seine Existenz diesen tektonischen Stauch- und Hebevorgängen verdankt, ist von zahlreichen tektonischen Bruchlinien durchzogen, an denen gewaltige Gesteinsmassen gegeneinanderstoßen, sich auseinanderbewegen oder aneinander entlangschrammen.

Das nächste schwere Erdbeben kommt bestimmt, und da sich die Bergung der geschmolzenen Brennstäbe in drei von sechs Reaktoren des Akw Fukushima Daiichi verzögert, überraschte es nicht, wenn der Nuklearkomplex noch einmal ähnlich schwer erschüttert würde wie 2011, bevor sämtliche Brennelemente geborgen sind. Kein Mensch kann behaupten, ohne sich lächerlich zu machen, die Lage sei unter Kontrolle. Abe hat vielleicht den politischen Einfluß und die Druckmittel, um eine solche Behauptung in die Welt setzen zu können, ohne unverzüglich abdanken zu müssen. Doch die tektonischen Kräfte, die hier am Wirken sind, übersteigen bei weitem die Möglichkeiten der Menschen, in die Ereignisse einzugreifen.

Vor dem 11. März 2011 galt auch das Akw Fukushima Daiichi als sicher. Die Betreiber hätten Stein und Bein geschworen, daß die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Kernschmelze gegen Null gehe. Zeitgleiche Kernschmelzen in drei Meilern straften solche Behauptungen Lügen. Nur wenige Jahre später behauptet die japanische Regierung erneut, daß zwar das Akw Fukushima Daiichi damals nicht sicher gewesen sei, doch daß ab sofort von den Atomkraftwerken im Land keine Gefahr für die Bevölkerung ausgehe, weil jedes Akw, das wieder ans Netz genommen wird, zuvor einen Streßtest durchlaufen haben muß.

Mit einem Akw-Streßtest zwei Subduktionszonen bändigen zu wollen ... da scheint "Super Mario" Shinzo Abe [3] die Realität mit seiner Spielewelt zu verwechseln. Jedes Akw in Japan stellt eine potentielle Gefahr für die Bevölkerung dar, die havarierten Meiler des Akw Fukushima Daiichi um so mehr. Auch die rund eintausend Tanks mit radioaktivem Wasser auf dem abschüssigen Akw-Gelände könnten bei einem Erdbeben aufbrechen und ihren strahlenden Inhalt ins Meer ergießen. Der pazifische Ozean muß bereits täglich schätzungsweise mehrere hundert Tonnen radioaktiv kontaminiertes Grundwasser aufnehmen, das unterhalb des Akw entlangfließt, durch die zerrütteten Betonfundamente in die Reaktorräume eindringt und dort Strahlenpartikel aufnimmt, bevor es weiterfließt.

Die jüngst gemessenen Extremwerte mit Hilfe von Robotern, die dem Strahlenbereich zu nahe gekommen sind und aufgegeben werden mußten, lassen ahnen, daß die Nuklearkatastrophe alles anderes als behoben ist. Solange Tepco nicht einmal weiß, wo sich die geschmolzenen Brennstäbe befinden, verkommt jede Behauptung, die Lage sei unter Kontrolle, zum bloßen Wunschdenken eines profitorientierten Unternehmens. Der Staat wiederum spielt diese Scharade mit, denn er hat ein Interesse daran, den Anschein von Normalität zu erwecken. Deswegen wird vielen nach dem 11. März 2011 aus der Nähe des Akw evakuierten Personen auch die finanzielle Unterstützung entzogen, mit der Begründung, sie könnten wieder in ihre alten Häuser und Wohnungen zurückkehren, die Strahlengefahr sei gebannt.

Das ist sie nicht. Der Reaktor 2 enthält noch 615 heiße Brennstäbe. Das Gebäude ist durch das große Beben von 2011 und zahlreiche Nachbeben fundamental zerrüttet und droht bei einem stärkeren Beben zu kollabieren. Dadurch würden voraussichtlich größere Mengen an Radionukliden freigesetzt. Bei entsprechender Windrichtung würde eine radioaktive Wolke erneut in der Provinz Fukushima oder über dem Pazifischen Ozean niedergehen. Auch die 20 Millionen Einwohner zählende Metropolregion Tokio könnte getroffen werden. Das könnte kein Mensch verhindern. Sechs Jahre nach Beginn der Katastrophe ist das Akw Fukushima nicht im mindesten unter Kontrolle.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/newsticker/news1/article161777489/Hoechste-radioaktive-Strahlung-in-Fukushima-seit-Atomkatastrophe-2011-gemessen.html

[2] http://www.asahi.com/ajw/articles/AJ201702100035.html

[3] http://www.nbcnews.com/news/olympics/super-mario-aka-japan-s-pm-steals-show-rio-n635681

21. Februar 2017


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