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BODEN/095: Verschmutzung - Die Böden hängen am Tropf (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - Sonderausgabe September 2008 Magazin des Europäischen Forschungsraums

VERSCHMUTZUNG: Die Böden hängen am Tropf

Von Marie-Françoise Lefèvre


Intensivlandwirtschaft, Untertagedeponien, Industriebrachen: Unsere Nährmutter Erde wird äußerst schlecht behandelt. Dank der Finanzierung einiger Bodensanierungsprojekte sieht Europa der einen oder anderen effizienten Lösung entgegen. Aber werden sie ausreichen, um die sterbenden Böden zu neuem Leben zu erwecken?

Am 20. August 2006 legte die "Probo Koala" im Hafen von Abidjan an.Im Frachtraum führte sie 581 Tonnen Giftmüll mit, ein Gemisch von Schwefelwasserstoff, Ätznatron, Phenolen und Erdöl. Nachts wurden diese Abfälle auf Lastwagen verladen und auf Müllhalden in der Stadt verteilt. Die Folge dieser gewaltigen Bodenverseuchung: zehn Tote und 7.000 Verletzte, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Einen Monat zuvor hatte der Schiffseigner versucht, seine lästige Fracht von einer zugelassenen Gesellschaft im Amsterdamer Hafen entsorgen zu lassen, verzichtete schließlich jedoch aufgrund der unwirtschaftlichen Kosten darauf. Es handelt sich hierbei natürlich um einen Extremfall, aber die Verseuchung betrifft sämtliche Böden des Planeten, mit alarmierenden Auswirkungen. Das Pestizid Aktions-Netzwerk Europa (Pesticides Action Network Europe - PAN EU)(1) hat im März 2008 den Pestizidgehalt von 40 Weinen aus Europa, Südafrika, Australien und Chile überprüft: Sämtliche Flaschen enthielten Spuren von Pestiziden und bei manchen überstieg der Gehalt die für Leitungswasser zulässige Dosis um das 5.800-fache!


Die Landwirtschaft auf der Anklagebank

Oft wird mit dem Finger auf die Landwirte gezeigt, die für die Verseuchung der Böden verantwortlich gemacht werden. Chemische Dünger und Insektenschutzmittel werden zuweilen entgegen dem gesunden Menschenverstand und in unvernünftigen Mengen eingesetzt. Und die öffentlichen Instanzen wissen, dass es praktisch unmöglich ist, deren Einsatz zu verbieten, ohne die Ernten zu gefährden.

Für Lydia Bourguignon, Agronomin im Laboratoire d'Analyses Microbiologiques des Sols - LAMS (Labor für mikrobiologische Bodenanalysen) (FR), ist das Problem jedoch weitaus tiefer verwurzelt: "Nach mehreren Jahrzehnten intensiver Landwirtschaft sind wir in einer Sackgasse angelangt. Die Böden sind erschöpft und müssen an den Tropf gehängt werden, um die Anbaukulturen bewältigen zu können." Die Erschöpfung der Böden ist auf eine ungeahnte Ursache zurückzuführen: das übermäßige Gewicht der landwirtschaftlichen Maschinen. Die dadurch bedingte Bodenkompaktierung hindert den Sauerstoff daran, in den Boden einzudringen, und entzieht den Mikroorganismen somit lebenswichtige Nährstoffe, ohne die die angebauten Kulturen nicht gedeihen können. "Das sind nicht die einzigen Schäden", unterstreicht die Wissenschaftlerin. "Die Bodenverdichtung führt zum Rieseln des Regenwassers und begünstigt dadurch letzten Endes die Erosion der Fläche. Weiterhin wird durch diesen Abfluss ein Großteil der Pestizide und Dünger in die nahen Flüsse abgeleitet.

Dabei gibt es alternative Anbautechniken, wie die konservierende Landwirtschaft (2), die mit Erfolg in Brasilien und in Argentinien getestet wurden. Diese Techniken sind weniger kostenintensiv und vor allem weniger umweltschädlich." Lydia Bourguignon misst auch der Wahl der angebauten Kulturen großen Wert bei: "Es wird höchste Zeit, dass wir uns daran erinnern, dass jeder Boden eine eigene Bestimmung hat. Solange wir Möhren auf einem für den Getreideanbau geeigneten Boden anbauen wollen, müssen wir hinnehmen, dass Chemikalien eingesetzt werden müssen, um Bodenmängel auszugleichen."


Die Industrien als Hauptverantwortliche der Verseuchung

Den Erhebungen der Europäischen Umweltagentur zufolge werden 62% unserer Böden durch Industrietätigkeiten verseucht, davon 14% allein durch den Erdölsektor. Unter den am häufigsten angetroffenen Schadstoffen sind Schwermetalle (37%), Mineralöle (33%), aromatische Stoffe und Phenole.

Die europäischen Unternehmen sind jedoch verpflichtet, sich um die von ihnen verursachten Verschmutzungen zu kümmern. Im Hinblick auf die Bodendekontaminierung oder Abfallentsorgung wenden sie sich an Sachverständigenbüros wie das Bureau de Recherches Géologiques et Minières - BRGM (Büro für geologische und Bergwerksforschungen) in Frankreich. Dominique Darmendrail, Hydrogeochemikerin und wissenschaftliche Beraterin beim BRGM, stellt die in diesem Zusammenhang zu verzeichnenden Fortschritte dar: "Seit mehr als 20 Jahren entwickeln wir Sanierungsverfahren auf der Grundlage von biologischen Methoden zur Sanierung oder Stabilisierung der beanstandeten chemischen Verbindungen. So trat zum Beispiel eine Gießerei an uns heran, die Phenol aus ihren Sänden entfernen wollte, die zur Herstellung von Formen verwendet worden waren. Nach monatelanger Forschung konnte unser Labor einen Bakterienstamm isolieren, der Phenol zersetzen kann. Diese Mikroorganismen werden vor Ort gezüchtet und in die kontaminierten Sände eingebracht, die nach dieser Behandlung als Straßenfüllmaterial benutzt werden können." Für Schwermetalle benutzt man ebenfalls chemische Stabilisierungstechniken. "Das ist der Fall für Chromat, das häufig in der Metallurgie Anwendung findet", unterstreicht Dominique Darmendrail. "Man spritzt Natriumhydrosulfit in den Boden, wo es eine Reduzierung von Chrom VI zu Chrom III bewirkt. Die erste Form der Verbindung ist giftig und löslich und kann demzufolge in das Grundwasser abfließen, wohingegen Chrom III kaum löslich und ungiftig ist."


Heilen und vorbeugen

Die Europäische Kommission möchte diese erst grob erkennbaren Erfolge durch Aufrufe zu Bodensanierungsprojekten unterstützen.Diese sind nach Meinung der Experten noch viel zu selten, tragen aber bereits Früchte. Zwei Erfolgsberichte in diesem Bereich: Stresoil und Biomine.

Die Wissenschaftler des Projektes Stresoil - in situ STimulation and REmediation of contaminated fractured SOILs - haben sich mit den Erdölerzeugnissen befasst, die sich in den Verwerfungen zahlreicher Böden festsetzen. "Das war kein leichtes Unterfangen", erzählt Frank Haeseler, Projektleiter am französischen Institut für Erdöl (Institut Français du Pétrole), der für den Teil "biologische Entsorgung" von Stresoil verantwortlich ist. "Das gesamte Team traf sich regelmäßig auf dem ehemaligen Flugplatz in Kluczewo (PL), wo der Boden stark mit Kerosin verunreinigt ist. Wie in ganz Nordeuropa besteht der Boden dort aus Glaziallehm, der sich durch vertikale, im Zeitalter der Gletscherverschiebung entstandene Verwerfungen auszeichnet. Man findet dort kerosinundurchlässige Lehmstrukturen, das Kerosin sickert durch die Verwerfungen bis in die Sandschicht und verseucht von dort aus das Grundwasser, das in diesem Falle 5 bis 6 m tiefer liegt." Es wurden zwei Verfahren getestet, die beide darin bestanden, horizontale Sandscheiben zur Verbindung der natürlichen vertikalen Verwerfungen in den Untergrund einzubringen.

Bei der ersten Technik wurde 100 °C heißer Wasserdampf zur Drainage und Entsorgung des Kerosins eingespritzt, das bei diesem Vorgang verdampft und dann in einem Brunnen aufgefangen und abgepumpt werden kann. Bei der zweiten Technik, die sanfter, aber auch zeitaufwendiger ist, werden die im Boden vorhandenen Mikroorganismen stimuliert, um den biologischen Abbau des Schadstoffs zu fördern. Die so geschaffenen Risse "belüften" den Boden, wodurch sich die Sanierungswirkung erhöht. "Wir haben unser Projekt vor drei Monaten mit äußerst zufriedenstellenden Ergebnissen abgeschlossen", freut sich Frank Haeseler. "Jede unserer Methoden hat eine Sanierungswirkung von 72% erzielt. Das Einspritzen von Dampf ermöglicht die Sanierung des Gebiets binnen drei Monaten, während für die Technik der Biostimulierung zwölf Monate benötigt werden, aber die anfallenden Kosten sind letztlich bei beiden Verfahren gleich." Bei dem Projekt Biomine - Biotechnologies for Metal bearing materials in Europe (Biotechnologie für metallhaltige Materialien in Europa) - geht es eher um die Bewahrung der Ressourcen durch die Optimierung der ökologischen Effizienz von Metallrückgewinnungsmethoden. "Europa ist ein bedeutender Erzeuger von durch Bergbau geförderten Metallen", erläutert Dominique Morin, Forscher beim BRGM und Gesamtprojektleiter. "Traditionell wird Pyrometallurgie eingesetzt, um die Metalle aus dem Restgestein zu lösen. Durch die dazu erforderlichen hohen Temperaturen ist sie jedoch sehr energieintensiv und die im erzeugten Dampfzustand anfallenden Restlösungen stoßen Schadstoffe aus." Als Ersatzlösung oder begleitende Maßnahme schlägt Biomine die Biohydrometallurgie vor, das heißt den Rückgriff auf Mikroorganismen als Katalysatoren, um die Erze abzubauen und aufzulösen. Diese kleineren und flexibleren Anlagen sind wirtschaftlicher und verursachen weniger Schäden. "Derzeit kann die Biohydrometallurgie noch nicht allein eingesetzt werden, aber diese äußerst vielversprechende Technik bietet bereits jetzt finanzielle Vorteile.

Im Gegensatz zur Pyrometallurgie bleiben die Erze in einer wässrigen Lösung, wodurch die Luftverschmutzung verhindert wird. Darüber hinaus gestattet dieses Verfahren, die im Gestein enthaltenen Schwermetalle zum größten Teil zu extrahieren." Alsdann werden sämtliche Bergbauabfälle in Becken zwischengelagert, bevor sie in fine in den Boden eingegraben werden. Jedes Becken fasst bis zu 100 000 Mio. t Abfall. Die Sicherheit der betreffenden Gebiete kann jedoch schwerlich zu 100% gewährleistet werden.

In der Tat kann es passieren, dass eines der Becken undicht ist oder dass eine sekundäre äußere Verseuchung in Verbindung mit den noch vorhandenen Metallen neue chemische Reaktionen hervorruft. Dominique Morin schließt mit den folgenden Worten: "Die Reduzierung der Menge der Restmetalle trägt zur Minderung der Verseuchungsrisiken bei. Durch eine zielbewusste wissenschaftliche Forschung könnten zahlreiche industrielle Verfahren dank der Bioprozesse höhere wirtschaftliche Erträge mit mehr Umweltnutzen kombinieren."


Europa im Konsens?

Die von den Forschern im Hinblick auf die Entwicklung von innovativen und effizienten biologischen Methoden getätigten Anstrengungen machen nur dann Sinn, wenn sämtliche verseuchten Gebiete Europas referenziert werden und wenn dem Sanierungswillen auch Taten folgen.

Luca Montanarella, Leiter des European Soil Data Center - ESDAC (europäisches Bodendatenzentrum) (IT) vertritt diesbezüglich eine unumstößliche Meinung: "Derzeit ist die Beteiligung der Europäischen Union an der Altlastenbearbeitung praktisch gleich Null. Dabei ist die Sackgasse, in der wir uns jetzt befinden, keineswegs auf den mangelnden Willen der Kommission oder des Europäischen Parlaments, sondern auf den mangelnden Konsens zwischen den Mitgliedstaaten zurückzuführen." In der Tat wurde im Jahre 2000 eine Arbeitsgruppe gebildet, um eine Strategie im Bereich der Altlastensanierung zu erarbeiten. Auf der Grundlage ihrer Schlussfolgerungen genehmigte das Parlament im November 2007 eine Rahmenrichtlinie, in der sämtlichen Mitgliedstaaten die Bestandsaufnahme der verseuchten Böden binnen einer angemessenen Frist empfohlen wurde. "Unser Vorschlag war unverbindlich", unterstreicht Luca Montanarella, "wir haben uns auf eine Referenzierung beschränkt und die Sanierungsfrage wurde an die Mitgliedstaaten delegiert." Trotzdem haben sich fünf Mitgliedstaaten dieser Richtlinie widersetzt: Österreich, Deutschland, Frankreich, die Niederlande und das Vereinigte Königreich - erstaunlicherweise gerade die im Bereich der Altlastenbearbeitung fortschrittlichsten Länder. Luca Montanarella erklärt diesen Widerspruch so: "Sie sind nicht bereit, in ein neues System zu investieren, um Daten einzutragen, die sie bereits besitzen. Im Gegenzug begrüßen die übrigen 22 Mitgliedstaaten, die lediglich über bruchteilhafte Informationen über ihre Böden verfügen, diese Initiative. Wir hoffen, dass eine schnelle Lösung gefunden werden kann. Es reicht, dass beispielsweise Frankreich seine Meinung ändert, damit die Richtlinie beschlossen wird, aber wir streben lieber einen allgemeinen Konsens an, indem wir die strittigen Punkte besser verhandeln."

(1) Vom Pestizid Aktions-Netzwerk Europa (PAN EU) durchgeführte Studie über Pestizide in Wein.
(2) Siehe Artikel "Rückkehr zur Erde", research*eu Nr. 57.


Biomine
37 Partner - 14 Länder (BE-DE-ES-FI-FR-GR-NL-NO-PL-RO-SE-UK-YU-ZA)
biomine.brgm.fr
Stresoil
5 Partner - 4 Länder (DK-FR-GR-PL)
www.stresoil.com


Der Natur Vertrauen schenken?

Die Methode der natürlichen Abbau- und Rückhalteprozesse (NA - Natural Attenuation) wird selten für europäische Böden eingesetzt. Sie besteht darin, die natürlich vorhandenen Mikroorganismen im Boden gewähren zu lassen und seine Entwicklung während der Behandlung zu beobachten. Bevor diese Methode eingesetzt wird, wird der Bodenertrag im Labor sichergestellt und die Revalidierungsdauer durch Modellierung veranschlagt. Diese Methode, die in einzelnen Fällen, namentlich für die Altlastenbearbeitung in Erdöllager - gebieten, sehr effizient ist, erzielt unterschiedliche Ergebnisse, je nachdem, ob es sich um eine Verseuchung durch organische Stoffe oder durch Metalle handelt. Im ersten Fall bauen die geeigneten, in situ vorhandenen Bakterien den Schadstoff ab, um seine Masse progressiv zu reduzieren. Im Falle der Schwermetalle führen die Mikroorganismen eine chemische Veränderung in eine weniger mobile und weniger giftige Form der Verbindung herbei. Demzufolge handelt es sich nicht um eine Reduzierung der Verseuchung, sondern lediglich um die Blockierung ihrer schädlichen Wirkungen.

Natural Attenuation verursacht nahezu keine Abfälle, benötigt eine geringe Oberflächenstruktur und die anfallenden Sanierungskosten liegen unterhalb der Kosten für den Aushub oder die Beimpfung mit allogenen Bakterien. Es handelt sich jedoch um einen langwierigen Sanierungsprozess.

Überschreitet die Resorptionsdauer eine bestimmte Frist - die Großbritannien zum Beispiel auf 30 Jahre festgelegt hat -, wird die Natural Attenuation als ungeeignet abgelehnt, da die Dauerhaftigkeit der abbaugünstigen Bedingungen kaum gewährleistet und das Auftreten von sekundären Verseuchungen nicht ausgeschlossen werden kann. Schließlich muss die Natural Attenuation im Hinblick auf ihre Glaubwürdigkeit protokolliert werden (Tests, prädiktives Modell und Überwachung), da sonst jeder behaupten kann, dass er diese Methode benutzt, während er das betreffende Gebiet einfach verkommen lässt.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Dicyrtoma leben im Boden. Sie besitzen eine sogenannte Furca genau unter dem Bauch, mit der sie sich im Fall einer Gefahr in die Luft katapultieren können. Sie ernähren sich von organischer Materie und beteiligen sich aktiv am biologischen Gleichgewicht der Böden. © LAMS

Forschungsarbeiten des Institut français du pétrole im Rahmen des Stresoil-Projekts.
A Hydraulische Spaltung des Bodens durch Injektion von Wasserdampf. © IFP
B Bodensanierung eines geologischen Versuchsgebiets durch Injektion von Wasserdampf, wo Risse bereits vorhanden sind. © IFP
C Erdaushub des mit Wasserdampf behandelten Versuchsgebiets. © IFP
D Versuchsanlage für die Bioventilation eines tonhaltigen Bodens, der hydraulisch gespalten wurde. © IFP
E Luftbehandlungsanlage der Versuchsanlage mit Bioventilation (Aktivkohlefilter). © IFP

http://ec.europa.eu/research/research-eu/earth/article_earth27_de.html


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Quelle:
research*eu, Sonderausgabe September 2008, Seite 27-29
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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Chefredakteur: Michel Claessens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2009