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DEBATTE/027: Politische Diskussionen und Standpunkte in der Anti-AKW-Bewegung (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 20 vom 20. Mai 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Aktionen, Bewegungen

Brücken bauen zwischen den unterschiedlichen außerparlamentarischen Bewegungen
Politische Diskussionen und Standpunkte in der Anti-AKW-Bewegung

Von Heinz Stehr


Seit der CDU/CSU/FDP-Regierung und ihren Entscheidungen zugunsten der Energiekonzerne wächst die Anti-AKW-Bewegung. Vielfältige Aktionen signalisieren eine große Unterstützung von Teilen der Bevölkerung für Aktionen unterschiedlicher Art, Demonstrationen und Blockade-Aktionen. Es entstehen vor Ort, in der Region und zentral Strukturen, in denen der Protest organisiert wird. Die Bewegung wird vor Ort von Mitgliedern der SPD, der Partei Die Grünen, der Partei Die Linke und der DKP unterstützt. Ermutigend ist, dass auch Teile der Jugend sich erstmalig engagieren. Die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik ist laut Umfragen für die Abschaltung der Atomkraftwerke zum nächstmöglichen Zeitpunkt und für umfassende Veränderungen der Energiepolitik. Sie fordert die verstärkte Nutzung von erneuerbarer Energie. Die Anti-AKW-Bewegung ist für viele attraktiv durch eine massenhafte Beteiligung an Aktionen, aber auch durch eine Unterstützung z. B. vieler Medien.

Kritische Debatten in der Bewegung selbst fanden bisher weniger statt. Dies auch, weil Fukushima vor allem ein Signal und eine Aufforderung zum direkten aktuellen Handeln war. Vielleicht gibt es eine Parallele zur Entwicklung in Japan selbst, wo jetzt eine weitere Politisierung durch Diskussionen in dieser Bewegung beginnt.

Wir, die Mitglieder der DKP, wissen aus eigener Erfahrung, wie notwendig es ist, Fragen zum Umgang mit der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie zu analysieren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, um politische Entscheidungen zu treffen. In der UZ ist in mehreren Beiträgen dargestellt worden, wie die DKP, ausgehend von den Erfahrungen in Tschernobyl und des Parteitages 1986 und dem skandalösen Auftritt von Boris Jelzin dort, ihren Standpunkt veränderte und 1989 dann die Position beschloss, dass die DKP für den konsequenten Ausstieg aus der Kernenergie eintritt.


Eckpunkte der Debatte

Die Debatte in der DKP bezog ein, dass die Nutzung der Energiegewinnung durch Kernenergie auch Voraussetzungen schaffte, um Zugang zu Massenvernichtungswaffen zu erlangen. Unser Ziel war es immer den direkten Zusammenhang zwischen Friedens- und Anti-AKW-Problematik heraus zu arbeiten. Wir setzen uns auch mit der Herausforderung auseinander, dass die Lösung des Energieproblems von zentraler Bedeutung für jede Gesellschaftsordnung ist. Energie entscheidet mit über die materielle Voraussetzung für die soziale und politische Gestaltung der Gesellschaft. Insofern haben wir selbst die Debatte über den Rahmen der Energiegewinnung hinaus geführt. Dieses Herangehen war auch noch kein spezielles Merkmal für kommunistische Politik. Auch andere Teile der Friedens- und Ökologie-Bewegung griffen diese Frage auf und entwickelten Konzepte z. B. zur alternativen Energieeinsparung, zum Umbau der Energiewirtschaft, zur Einsparung von Energie durch den Umbau der Verkehrssysteme und anderer Branchen. In diesen Debatten, war es auch immer wieder für kommunistische Politik wesentlich, auf die Rolle der Energiekonzerne zu verweisen. In jüngster Zeit entscheiden die Großkonzerne und die großen Vier der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, wie sie direkt Macht ausüben, egal, wer unter ihnen regiert. Von Zuckerbrot bis zur Peitsche reicht ihr Repertoire, um durchzusetzen, dass die Profite für die Energiekonzerne weiter sprudeln. Diese Eigentums- und Machtverhältnisse der Energiekonzerne sind eine zentrale Herausforderung auch zur Lösung ökologischer Probleme. Daher fordern wir die Enteignung der Großkonzerne, ihre demokratische Kontrolle durch Gewerkschaften, Umweltverbände und andere demokratisch legimitierte Vertreter der Öffentlichkeit.


Konzepte und Meinungen

Vorstellungen zu einem grünen Kapitalismus haben seit langem Konjunktur. Umweltminister Röttgen plädiert für den Ausstieg aus der Kernenergie in einem Zeitraum bis 2022 mit dem Ziel, regenerative Energien zu fördern, die dann ebenfalls auf kapitalistischer Grundlage Energiegewinnung realisieren sollen. SPD und Grüne haben kaum wesentliche alternative Konzepte zu diesem Vorschlag. Die Grünen entwickeln darüber hinaus Vorschläge zum Umbau von Verkehrssystemen. Sie klammern häufig viele Folgekosten aus. Die Diskussionen in der Naturschutzbewegung sind durchaus interessante Anregungen für Marxisten. Viele dieser Vorschläge sind auch in die energiepolitischen Forderungen der DKP eingegangen. Die Debatten zu kennen und sich damit auseinander zusetzen ist Voraussetzung, um selbst weitergehende Forderungen zu entwickeln. Diese Überlegungen aus der reformistischen und bürgerlichen Bewegung, laufen letztendlich darauf hinaus, das kapitalistische Gesellschaftssystem zu stabilisieren. Konflikte und Widersprüche zu den Energiekonzernen entwickeln sich nur dann und meistens nur zeitweise, wenn diese Konzerne mit Rigorosität vorgehen, wie z. B. RWE, die jetzt mit der Androhung einer Klage gegen die Bundesregierung das Ziel verfolgen, alle AKWs möglichst schnell wieder ans Netz zu bringen.

Es ist objektiv nötig, dass jetzt neben der Aktionsorientierung, die zur Zeit die nächste Großdemonstrationen am 28. Mai in verschiedenen Großstädten der Bundesrepublik vorbereitet und Blockadeaktionen zu Pfingsten plant, auch die notwendige Debatte zu politischen Herausforderungen entwickelt wird. Im Zusammenhang mit den geplanten Blockadeaktionen ist erkennbar, dass es in Teilen der Anti-AKW-Bewegung unterschiedliche, kontroverse politische Konzepte gibt, die aus meiner Sicht in einem Diskussions- und Arbeitsprozess bearbeitet werden müssen. Das Verhältnis zu Parteien und zu anderen Bewegungen ist zu diskutieren, um die Durchsetzungsfähigkeit der politischen Ziele zu entwickeln. Diskussionen sind nötig, zu Kampfformen, zu politischen Losungen. In dieser Debatte ist viel Verständnis nötig. Zum Beispiel zu Problemen vieler aus Bürgerinitiativen kommender Kräfte, die Skepsis gegenüber Parteien dadurch ausdrücken, dass generell Parteien die Teilnahme an Bewegungen mit sichtbarer Symbolik versagt wird, oder Unterschriften unter Aufrufen abgelehnt wurden. Dies Verhalten ist insofern nachvollziehbar, da die Grünen und die SPD auch zu deren Regierungszeiten leider den konkreten Nachweis geliefert haben, dass es keine positiven Veränderungen für Ziele der Anti-AKW-Bewegungen gab. Die Antiparteienposition ist nicht zu begründen gegenüber z. B. der Partei "Die Linke" und auch der DKP.

Das Ziel muss es sein möglichst viele SPD- und Grünen-Mitglieder für die politischen Ziele der Anti-AKW-Bewegung zu gewinnen, das heißt auch sie zu politischen Gegenpositionen gegen ihre Führungen, wo es notwendig ist, zu mobilisieren. Teilweise wurden notwendige Debatten auch aus nachvollziehbaren Gründen bei der Vorbereitung von Aktionen "beiseite" gelegt. Bei der Vorbereitung der Menschenkette von Brockdorf bis Krümmel wäre es nicht möglich gewesen, auf die Mitarbeit der Mitglieder von Parteien, die auch in der Lage sind, organisiert zu planen und zu handeln, zu verzichten. Parteien und andere gesellschaftliche Organisationen bieten den Vorteil, dass sie über Strukturen verfügen, mobilisierungsfähig sind und sich auskennen in der Organisierung vieler notwendiger Kleinarbeit. Bei einigen Parteien sind natürlich auch die Spenden interessant zur Organisierung von Großaktionen. Es wurden Debatten ausgeblendet. Es wurden auch Zugeständnisse gemacht für Rednerinnen und Redner bis hin zu Siegmar Gabriel, der in Elmshorn auf der Kundgebung während der Menschenkette sprach und dabei lebhaft von einem Teil der Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses in Berlin unterstützt wurde, von denen man erzählte, dass sie die Teilnahme an der Aktion als eine Art Betriebsausflug geplant hatten.

Das politische Selbstverständnis der DKP ist es, für eine möglichst breite Bewegung zu wirken, in der unterschiedliche weltanschauliche und politische Kräfte ihren Platz haben. In dieser Bewegung müssen Positionen erarbeitet werden um Ziele, Losungen und politische Inhalte. In diesen Debatten ist es auch unsere Aufgabe, politische Positionen einzubringen und für sie zu werben. Jede Kraft in diesen Bündnissen hat zugleich die Aufgabe, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und einzuschätzen, wenn Partner in der Bewegung politisch überfordert werden. Diese Herangehensweise ist eine Herausforderung für jede Mitarbeit in Bündnissen und Bewegungen.


Umwelt und Gewerkschaften

Von einzelnen Genossinnen und Genossen hörte ich die Meinung, dass die Mitarbeit in dieser Bewegung vor allem auch deswegen problematisch wäre, weil wir - gewollt oder ungewollt - Wasser auf die Mühlen der Grünen leiten würden, d. h. ihnen bei Wahlen Stimmen zutreiben würden. Diese Kritik hat eine berechtigte richtige Analyse zur Grundlage. Grüne gelten nach wie vor bei einem Großteil der Bevölkerung als die am meisten ökologisch orientierte Kraft, die sich auch in vielfältigen Aktionen für die Durchsetzung des ökologischen Umbaus, z. B. des Energiesystems, einsetzt. Bei Wahlen in Baden-Württemberg, aber nicht nur dort, können wir diese Sichtweise dann auch an konkreten Wahlergebnissen messen. Grüne sind als Partei eine bürgerliche Kraft, die im Rahmen dieses Systems, besonders in der Energiefrage Veränderungen will. Ihr Programm und ihre Politik bilden keinerlei Ansatz für gesellschaftsverändernde Positionen. Es gibt für uns keinen Ansatz, grüne Politik zu unterstützen oder gar zu wählen; seit dem Balkankrieg wäre dies undenkbar. Doch wäre es ebenso falsch, daraus abzuleiten, dass wir uns an der Anti-AKW-Bewegung nicht beteiligen sollten. Die richtige Schlussfolgerung ist aus meiner Sicht, in diesen Bewegungen präsent zu sein, dort marxistische Positionen einzubringen und für unsere Politik durch Beiträge, in Debatten, durch Plakate, Transparente, Fahnen der DKP und ähnliches mehr zu werben.

In dieser Debatte darf auf keinen Fall übersehen werden, dass wir es mit einer sehr wichtigen Veränderung in der Anti-AKW-Bewegung zu tun haben. Die IG Metall und andere Gewerkschaften orientieren wesentlich mehr als zu anderen Zeiten auf eine aktive Mitarbeit und sind auch oftmals Organisatoren von wichtigen Großveranstaltungen der Anti-AKW-Bewegung. Teilweise sind gewerkschaftliche Positionen aber auch noch unbestimmt. Es scheint so, als würde jetzt eine Debatte in den Gewerkschaften aktiver als bisher stattfinden. In der UZ hat Manfred Dietenberger auf diese Entwicklung verwiesen. Ich habe in einem Beitrag zu Berthold Hubers Buch darauf hingewiesen. In dieser Debatte sind auch antikapitalistische Positionen erkennbar, die z. B. fordern, die Energiekonzerne zu vergesellschaften und sie demokratisch zu kontrollieren. Aber wir finden auch Positionen, die bei Forderungen stehen bleiben, wie dem Umbau der Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien als einzigem Allheilmittel für die Probleme. Unsere Pflicht ist es, mit dem neuen Engagement der IG Metall und anderer Gewerkschaften neue Ansatzpunkte für klassenorientierte Politik zu erkennen und die Debatten zu vertiefen. Dies gilt auch für das Themenfeld Verhältnis Anti-AKW- zu Friedensbewegung. Ostern 2011 ist es gelungen, mindestens partiell Friedens- und Anti-AKW-Bewegung zusammen zu bringen. Vertreter der jeweiligen Bewegung sprachen auf Kundgebungen, auf dem Ostermarsch bzw. zum Tschernobyl-Tag. Transparente und Losungen verwiesen darauf, dass man gemeinsam gegen AKW und Atomraketen kämpfen sollte. Vor allem Reden von Vertretern der Friedensbewegung verknüpften den notwendigen Protest gegen Atomkraftwerke mit notwendigem Protest gegen den Krieg in Libyen, Afghanistan und in anderen Teilen der Erde. Diese Ansätze sollten ausgebaut werden.

Hier ist auch die DKP gefordert, zwischen den unterschiedlichen außerparlamentarischen Bewegungen Brücken zu bauen und Argumentationen zu entwickeln, die die Gemeinsamkeiten stärken. Die DKP hat in ihren programmatischen Aussagen der letzten Parteitage hervorgehoben, dass sie dazu beitragen will, gesellschaftliche Allianzen zu schaffen, um vor allem durch außerparlamentarische Bewegungen das politische Kräfteverhältnis so zu verändern, damit ein Politikwechsel möglich wird. In der Zusammenarbeit von Anti-AKW- und Friedensbewegung bietet sich eine konkrete Möglichkeit, das umzusetzen. Hier gibt es auch Ansätze, die soziale Problematik mit der Friedens- und Ökologiefrage zu verbinden.

Auch daher sollten unsere Mobilisierungsbemühungen, auf Betriebsbelegschaften und Gewerkschaften bezogen, verstärkt werden. Die neuen Möglichkeiten dieses Zugangs zu Betriebsbelegschaften sollten nicht unterschätzt werden.


Kommunistische Aufgaben

Die Erfahrungen der Menschenkette, des Tschernobyl-Aktionstages, der Großdemonstrationen in Berlin, der Aktionen im Wendland belegen, dass die DKP im Rahmen der Zusammenarbeit dieser Anti-AKW-Bewegung akzeptiert ist. Unsere Losung nach notwendiger Überführung des Eigentums in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle hat Resonanz auch unter anderen linken Kräften in dieser Bewegung erzeugt.

Meiner Wahrnehmung nach nutzen wir nicht all unsere Möglichkeiten. Noch zu wenig nutzen wir z. B. Montagsdemonstrationen oder Info-Stände zur Darstellung der Politik der DKP. Die Rede des Genossen Joachim Schubert während einer Montagsdemo zeigt nachdrücklich, wie wir nicht nur in Mannheim Positionen in dieser Bewegung entwickeln können. Die Kräfte, die wir zur Verfügung haben, sind bescheiden. Das erfordert Konzentration auf politisch als richtig erachtete Aufgabenfelder. Solche Aktionen sind motivierend und machen Spaß, nicht zuletzt auch, weil sie erfolgreich sind und in der Bevölkerung auf Sympathien treffen; auch das sollten wir beachten. Der Rote Kilometer in Elmshorn während der Menschenkette im April letzten Jahres hat die DKP Elmshorn in ihrer Entwicklung positiv stimuliert. An diesem positiven Erfolg waren Genossinnen und Genossen aus anderen Bundesländern, so z. B. aus Bremen, beteiligt. Ähnliches sollte uns am 28. Mai bei den Demonstrationen in den verschiedenen Großstädten gelingen, und wir sollten schon jetzt auf die Blockade-Aktion - in unserer Region ist es das AKW Brockdorf - zu Pfingsten orientieren. Mit dieser Bewegung ist es möglich, einen ersten größeren Erfolg außerparlamentarischer Bewegung gegen Regierungspolitik durchzusetzen. Es ist möglich, durch außerparlamentarische Aktionen zu erreichen, dass die jetzt vom Netz gegangenen Atomkraftwerke, z. B. Brunsbüttel und Krümmel, nicht wieder ans Netz gehen und dass zunächst ein konkretes Szenario durch die Bundesregierung beschlossen wird, das den Ausstieg zeitlich festlegt.

Wir kennen aus der Praxis natürlich auch das Problem, dass nach einem gewissen zeitlichen Abstand Korrekturen an Regierungspolitik vorgenommen werden können. Dies gilt es zu beachten. Dennoch ein solcher Erfolg der außerparlamentarischen Bewegung wäre stimulierend für vieles, was wir in den sozialen Bewegungen, und der Friedens- und Antifa-Bewegung für die Zukunft durchsetzen müssen.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 20 vom 20. Mai
2011, S. 8
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2011