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ENERGIE/266: Bioenergie am Scheideweg (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013 Globalisierung und Freihandel - Pokerspiel mit ungewissem Ausgang

Bioenergie am Scheideweg

Die Buchführung manipulieren oder reinen Tisch machen?

von Ariel Brunner



Die EU hat ihre Bioenergiepolitik vermasselt. Wir geben derzeit etwa sechs Milliarden Euro jährlich für die Subventionierung von Biokraftstoffen aus, die vor allem aus Nahrungsmittelpflanzen erzeugt werden. Das ist mehr als der geschätzte Finanzierungsbedarf der EU für ein effizientes Management des Netzes Natura 2000, des weltweit ehrgeizigsten Systems geschützter Gebiete. Dafür nehmen wir zunehmende Entwaldung, Hunger und Treibhausgasemissionen in Kauf.


Die Kriterien für Nachhaltigkeit, die Biokraftstoffe eigentlich erfüllen müssten, um subventioniert zu werden, sind wenig aussagekräftig, voller Schlupflöcher, und sie werden unzureichend angewendet. Das bei weitem größte Problem ist, dass darin Verlagerung überhaupt nicht vorkommt. Wenn landwirtschaftliche Flächen verloren gehen, weil darauf Biokraftstoffe produziert werden, reagiert der Markt auf zweierlei Weise: einerseits senken höhere Preise den Verbrauch und andererseits erhöhen sie das Angebot. Beides führt zu unangenehmen Nebenwirkungen. Die Verringerung der Nachfrage geschieht zumindest teilweise dadurch, dass die ärmsten Menschen weltweit ihren Nahrungsmittelkonsum einschränken. Das Angebot wird vor allem durch die Ausweitung der landwirtschaftlichen Anbaufläche erhöht. Dies geschieht oft auf Kosten natürlicher Lebensräume wie beispielsweise von Regenwäldern und Grünland, beides Schatzkammern für Artenvielfalt und Kohlenstoffspeicherung. Letzteres Phänomen wird als indirekte Landnutzungsänderung (ILUC, indirect land use change) bezeichnet.


Eine verfehlte Politik
Es gibt inzwischen eine ganze Reihe wichtiger Belege, wonach ILUC darauf hinausläuft, dass der gegenwärtige Biokraftstoffverbrauch der EU die Treibhausgasemissionen in Wirklichkeit erhöht, statt sie zu senken. Dringende Korrekturen der EU-Politik sind erforderlich: die Verwendung (beziehungsweise die Subventionierung) der schlimmsten Biokraftstoffe muss eingeschränkt werden, und Nachhaltigkeit muss auf einer ehrlichen Kohlenstoffbilanzierung basieren, die die ILUC-Emissionen mitberücksichtigt. Schließlich hat die EU versprochen, den Klimawandel zu bekämpfen und zum ökologischen Umbau der Wirtschaft beizutragen. Die EU-Politik hat jedoch zu einer Beeinträchtigung des Klimas und der Ökosysteme weltweit und zu einer Welle von Landraub geführt.

Leider beschränkt sich die Katastrophe nicht auf Biokraftstoffe. Durch das völlige Fehlen von JEGLICHEN Kriterien im Hinblick auf Biomasse (Bioenergie, die nicht zu den flüssigen Kraftstoffen zählt) sind sogar noch höhere Subventionen in die falsche Art von Biomasse geflossen. Biogas ist potenziell eine wunderbare Technologie, mit der organische Abfälle in saubere Energie und wertvollen Dünger umgewandelt werden können. Das meiste Biogas, insbesondere in Deutschland, wird gegenwärtig jedoch aus Nahrungsmittelpflanzen (vor allem Mais) auf erstklassigem Agrarland erzeugt. Dadurch entstehen genau dieselben ILUC-Probleme wie bei Biokraftstoffen. Es gibt jetzt europäische Regionen, in denen der Hauptanteil der Maisproduktion zur Erzeugung von Biogas verwendet wird und die Viehzuchtbetriebe dann auf importiertes Futter angewiesen sind. In vielen Gebieten werden Dauergrünflächen, unter anderem auch in Schutzgebieten, umgepflügt, um Platz für Maisanbau zu schaffen. Ein Teil des Biogases entweicht auch und führt zusätzlich zu den CO2-Emissionen zu starken Methanemissionen.

Eine weitere »falsche Technologie«, die durch den Impuls fehlgeleiteter Subventionen explosionsartig zugenommen hat, ist das Verbrennen von Holz zur Stromerzeugung. Die Energieversorger erhoffen sich dringend einen neuen Aufschwung für veraltete Kohlekraftwerke, die sie eigentlich schließen müssten. Windkraft, Solarenergie und andere erneuerbare Energien sind eine größere Herausforderung, die Verfeuerung von Holzpellets gemeinsam mit Kohle ist dagegen eine geschickte faule Ausrede, solange man so tun kann, als ob das Verbrennen von Holz keine CO2-Emissionen erzeugt, wie es nach den gegenwärtigen Richtlinien gestattet ist. Leider ist dies nicht der Fall. Das Verbrennen von Holz verursacht über den Schornstein mehr CO2-Emissionen. Die angenommene Vermeidung von Emissionen erfolgt indirekt; sie basiert auf Annahmen zur Landnutzung (im Wesentlichen, dass ein künftiges schnelleres Wachstum von Bäumen die anfänglichen Emissionen aus der Verbrennung innerhalb eines angemessenen Zeitraums aufwiegen wird). Als Wissenschaftler damit begannen, die Zahlen durchzurechnen, kam heraus, dass die Kalkulation einfach nicht stimmte. Wenn natürliche Lebensräume in Plantagen verwandelt werden, entstehen bereits im Vorfeld riesige Mengen CO2-Emissionen, und die Nutzung von Agrarland führt zu ILUC-Emissionen. Mit der Holzernte in Wäldern ist es nicht wesentlich anders; fast überall weltweit kann man Wälder ohne irgendeine »Landnutzungsänderung« abholzen. Das ist jedoch ein statistisches Artefakt. In Wirklichkeit gerät man dabei in eine »Kohlenstoffschuld«, die man eventuell erst in Jahrzehnten oder Jahrhunderten zurückzahlen kann. Die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission hat vorhandene Untersuchungen überprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Kohlenstoffbilanz bei Holzbrennstoffen genauso fehlerhaft ist, wie diejenige für Biokraftstoffe. Inzwischen werden Horrorgeschichten, an die wir uns im Zusammenhang mit Biokraftstoffen gewöhnt haben, auch im Hinblick auf Holzpellets berichtet: Natürliche Wälder mit großer Artenvielfalt werden angeblich abgeholzt, um Energie zu produzieren, die genauso schmutzig ist wie Kohle (und wodurch auch die weitere Verbrennung von Kohle ermöglicht wird). Ein besonders gutes Beispiel dafür ist, was im Südosten der USA passiert (siehe beispielsweise
http://www.nrdc.org/energy/forestnotfuel/enviva-woodpellets.asp).


Hoffnungsschimmer...
Die Story im Hinblick auf indirekte Landnutzungsänderung (ILUC) ist lang und alles andere als gradlinig. Ein Tiefpunkt war erreicht, als NRO die Kommission vor Gericht bringen mussten, um sie zu zwingen, ihre eigenen Studien über ILUC freizugeben. Da die Kommission nicht länger in der Lage ist, die Probleme zu verdrängen, hat sie einen halbherzigen Vorschlag gemacht, die Richtlinien zu Biokraftstoffen zu korrigieren. Dieser Vorschlag wird derzeit vom Ministerrat und dem Europaparlament debattiert. Von einer entscheidenden Abstimmung, die im Europaparlament für den 11. September geplant ist, hängt viel ab. Bei einer richtungsweisenden Entscheidung im Umweltausschuss im Frühsommer wurden Änderungen beschlossen, die darauf abzielen, die Nutzung landhungriger Biokraftstoffe einzuschränken, eine ehrliche Kohlenstoffbilanzierung einzuführen, die die ILUC-Emissionen mitberücksichtigt, und Schutzvorkehrungen für die sogenannten »fortgeschrittenen Biokraftstoffe« anzuwenden. Angesichts wütender Lobbyaktivitäten der Biokraftstofflobby und eines wesentlich abgeschwächten Textes, der vom Energie- und Verkehrsausschuss vorgeschlagen wird, wird es im Plenum einen Showdown geben. Eine sehr breite NRO-Koalition hat die »Stop bad biofuels«-Kampagne(1) ins Leben gerufen und versucht auf diese Weise, im Hinblick auf Biokraftstoffe eine echte Kehrtwende zu erreichen. Die Koalition stellt den Mitgliedern des Europaparlaments im Wesentlichen folgende Frage: Setzen Sie sich für Maßnahmen zum Klimaschutz, für gefährdete Bevölkerungsgruppen und Regenwälder ein? Oder lassen Sie sich von der Lobby einer stark subventionierten Industrie unter Druck setzen, die weiter an einer verfehlten Technologie verdienen will?


...und Verweigerungshaltung
Inzwischen ist herausgekommen, dass die Generaldirektion (GD) Energie die »Sauregurkenzeit« während der Sommerferien genutzt hat, um innerhalb der Kommission ein Paket von »Nachhaltigkeitskriterien« für Biomasse vorzuschlagen, die zur Lösung der grundlegenden Umweltprobleme, nämlich der Nutzung von Holz als Brennstoff und der Erzeugung von Biogas aus Energiepflanzen, in keinster Weise beitragen. Die GD Energie schlägt vor, die Beweislage weiterhin zu ignorieren und die Verbrennung von Biomasse als kohlenstoffneutral zu betrachten. Dieser Vorschlag läuft darauf hinaus, die Kohlenstoffschuld weiterhin zu ignorieren und entspricht noch nicht einmal den eigenen Vorschlägen der Kommission zu ILUC. Er trägt auch nichts zur Verbesserung der Ressourceneffizienz bei, die ein Hauptproblem darstellt, da insbesondere bei Holz viele der Auswirkungen auf das Klima von der Effizienz der Holzverbrennung abhängen. Der GD Energie scheint an der Zukunft unseres Planeten so wenig zu liegen, dass sie sogar vorschlägt, das Abholzen von Primärwäldern (was gemäß der derzeit geltenden Kriterien für Biokraftstoffe absolut verboten ist) zu gestatten. Nach jahrelangen Debatten und Studien fällt es schwer, die mitten im Sommer gefällte Entscheidung, absolut gar nichts zu tun, den anderen Abteilungen der Kommission gegenüber nicht als schmutzigen Trick im Interesse der mächtigen Industrie zu interpretieren. Man kann nur hoffen, dass die Beamten aus anderen GDs, wenn sie aus den Ferien zurückkommen, genau mit exakt der Empörung reagieren, die solche Vorschläge verdienen.

Die nächsten Wochen werden entscheidend sein. Ein starkes Votum des Europaparlaments zu ILUC bietet die größte Chance, das angerichtete Chaos zu beseitigen und wieder eine verantwortungsvolle Richtung einzuschlagen. Selbst wenn das Parlament für eine vernünftige ILUC-Gesetzgebung stimmt, stehen harte Verhandlungen an. Der Europäische Rat ist zutiefst gespalten, die Kommission anscheinend ebenso. Es gibt jedoch wenigstens eine konkrete Chance, weiteren Schaden zu vermeiden. Wenn wir die Nutzung landhungriger Biokraftstoffe auf das derzeitige Niveau begrenzen können, könnten wir Millionen Hektar Regenwald retten und viel menschliches Leid vermeiden. Wenn damit begonnen würde, die tatsächlichen Treibhausgasemissionen zu berücksichtigen, wäre dies eine starke Botschaft für die Industrie, dass nur dann Subventionen zu erwarten sind, wenn sie mit Technologien und Zulieferketten aufwarten kann, die echten Nutzen für das Klima bringen. Durch die Einführung solider Schutzvorkehrungen für sogenannte »fortgeschrittene Biokraftstoffe« kann sichergestellt werden, dass neue Industrien die Fehler der alten nicht wiederholen.

Hoffnung an der Biomasse-Front zu schöpfen, ist nicht ganz so einfach. Die Kommission sollte zumindest die unzulässigen Vorschläge der GD Energie verwerfen, die in keinster Weise dazu beitragen würden, die Probleme zu lösen und EU-Mitgliedsstaaten daran hindern würden, eigene Korrekturmaßnahmen zu ergreifen. Angesichts des kompletten Versagens bei der Einführung glaubwürdiger Nachhaltigkeitskriterien ist jetzt ein anderer, grundlegenderer Ansatz geboten. Die Kommission muss mit einer neuen Konzeption aufwarten und Vorschläge für eine umfassendere, vernünftigere Bioenergiepolitik vorlegen.

Böden und das, was darauf wächst, sind knappe Ressourcen. Kohlenstoff löst sich nicht einfach in Luft auf. Unsere Gesellschaft hat vielfältige Bedürfnisse: Nahrungsmittel, Rohstoffe, Energie und Ökosystem-Dienstleistungen sind besonders wichtig. Wir müssen wohlüberlegte Entscheidungen treffen. Schon heute beuten wir unser Agrarland und viele unserer Wälder übermäßig aus. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und die Müllberge wachsen, und wir schränken nicht einmal unsere Gier nach Rohstoffen ein. Und die Zeit wird immer knapper, rechtzeitig entschlossene Maßnahmen im Hinblick auf den Klimawandel zu ergreifen, was bedeutet, uns von fossilen Brennstoffen zu verabschieden. Entscheidungen in Bezug auf Landnutzung und Biomasse zu treffen, ist vielleicht unsere größte Herausforderung. Schließlich sind wir und der Rest der Biosphäre Teil der Biomasse, die auf dem Spiel steht. Die wissenschaftliche Debatte der vergangenen Jahre hat uns jedoch zumindest einige klare Schlussfolgerungen geliefert: die Effizienz steigern; die CO2-Emissionen tatsächlich berechnen, statt sich auf Annahmen zu stützen; Konsum und Müll einschränken; die Wiederverwertung von Abfallströmen und die Kaskadennutzung von Rohstoffen begünstigen; und Bioenergie dort einsetzen, wo sie den besten Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen leistet. Es gibt mehr als genug zu tun, wenn wir den politischen Willen aufbringen.

Autor Ariel Brunner ist Leiter der Abteilung EU-Politik bei BirdLife Europe.



(1) http://www.stopbadbiofuels.org/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013, Seite 21 - 23
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2013