Karlsruher Institut für Technologie - Presseinformation 067/2022
KIT: Klimawandel und Landnutzungsänderungen begünstigen Hochwasserereignisse
Aktuelle Studien zur Flutkatastrophe in der Eifel 2021 zur zukünftigen Entwicklung solcher Extremereignisse
Ein Jahr ist seit der Katastrophe in der Eifel vergangen, bei der das
Hochwasser allein im Ahrtal über 100 Brücken beschädigte oder
vollständig zerstörte.
Foto: © Dominik Kuhn/KIT
Auf rund 32 Milliarden Euro schätzt die deutsche Bundesregierung den Gesamtschaden der verheerenden Überschwemmungen im Juli 2021. Wie Niederschläge, Verdunstungsprozesse, Gewässer- und Abflussverhalten dieses Hochwasser begünstigten, haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in zwei Studien untersucht. Um künftig besser auf solche Extremereignisse vorbereitet zu sein, raten sie dazu, bei Risikobewertungen die Landschaft und Flussverläufe, deren Veränderungen und den Sedimenttransport stärker zu berücksichtigen. Zukunftsprojektionen zeigen außerdem eine zunehmende räumliche Ausdehnung und Häufigkeit solcher Extremereignisse sowie erhöhte Niederschlagsmengen.
Das Hochwasser im Juli 2021 gehört zu den fünf schwersten und teuersten Naturkatastrophen der letzten 50 Jahre in Europa. Mehr als 180 Menschen verloren ihr Leben, weit über 10 000 Gebäude wurden beschädigt. Kritische Infrastrukturen wie Strom- und Wasserversorgungsnetze, Brücken, Bahnstrecken und Straßen wurden teilweise oder vollständig zerstört. Das Gesamtausmaß des Hochwassers am 14. und 15. Juli 2021 in der Eifel war auch für Expertinnen und Experten überraschend. Eine Kombination mehrerer Faktoren bedingte diese Katastrophe: "Wir haben untersucht, wie Niederschläge, Verdunstungsprozesse sowie Gewässer- und Abflussverhalten dieses Hochwasser begünstigt haben", sagt Dr. Susanna Mohr, Geschäftsführerin des Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) am KIT, welche die Studie zusammen mit einem interdisziplinären Team aus mehreren Instituten des KIT erstellt hat.
An der Ahr bewegte sich die geschätzte Wasserabflussmenge 2021 in einer ähnlichen Größenordnung wie bei den historischen Hochwasserereignissen 1804 und 1910. Trotzdem lagen die Pegelstände 2021 an mehreren Orten deutlich höher. "Wir haben gesehen, dass sich die Art des Geschiebes - also Material, das durch ein Fließgewässer mittransportiert wird - erheblich verändert hat. Neben Abtragungen von Sedimenten und bereits vorhandenem Totholz hat der anthropogene, also vom Menschen verursachte Einfluss eine erhebliche Rolle gespielt", sagt Mohr. "So haben sich etwa Fahrzeuge, Wohnwagen, Mülltonnen oder Baumaterialien an Brückenbereichen gestaut, was zu zusätzlichen Engpässen geführt und die Auswirkungen des Hochwassers weiter verschärft hat." Um zukünftig besser auf solche Ereignisse vorbereitet zu sein, sei es beim Hochwasserrisikomanagement notwendig, Landschaft, Infrastrukturen und Bebauung sowie Flussverläufe einschließlich deren Veränderungen und mögliche Sedimenttransporte in die Gefährdungsbeurteilung miteinzubeziehen.
Die Forschenden verglichen weiterhin das Niederschlagsereignis vom Juli 2021 mit historischen Niederschlagsaufzeichnungen: "Unsere Analysen zeigen, dass die beobachtete Gesamtniederschlagsumme mit zu den höchsten der letzten 70 Jahre in Deutschland zählt - und somit extrem, aber nicht einzigartig war", sagt Dr. Florian Ehmele vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung - Department Troposphärenforschung (IMK-TRO). "Die Niederschlagsereignisse, die beispielsweise zu den schweren Hochwassern in Berlin und Brandenburg 1978 oder an der Elbe 2002 geführt haben, waren sowohl hinsichtlich ihrer Niederschlagsintensität als auch ihrer Ausdehnung oder Lebensdauer deutlich stärker." Allerdings seien vergangene Niederschlagsereignisse, die mit dem im Juli 2021 vergleichbar sind, überwiegend im Osten und Süden von Deutschland und seltener im Westen beobachtet worden.
Die sechs schwersten Niederschlagsereignisse in Deutschland von 1951
bis 2021
Datenquelle: © DWD, HYRAS-DE, Bildquelle: © Bernhard Mühr/CEDIM
Die Rangordnung erfolgt nach der Größe der betroffenen Fläche in
Abhängigkeit einer bestimmten Niederschlagsintensität (≥ 50-jährliche
Ereignisse). Das Niederschlagsereignis vom Juli 2021 rangiert auf dem
fünften Platz (e)
Zusätzlich haben die Forschenden des KIT das Hochwasserereignis unter verschiedenen Klimarandbedingungen simuliert. "Die Intensität solcher Niederschlagsereignisse nimmt um circa sieben Prozent pro Grad Erwärmung zu. Die Simulationen zeigen, dass sich die Niederschlagsmenge bereits jetzt um elf Prozent gegenüber vorindustriellen Bedingungen erhöht hat", sagt Dr. Patrick Ludwig, Leiter der Arbeitsgruppe 'Regionale Klimamodellierung' am IMK-TRO. "Bei fortschreitender globaler Erwärmung müssen wir also von einer weiteren Verstärkung des Niederschlags ausgehen." Aber nicht nur das sei zukünftig ein Problem: "Laut unserer Zukunftsprojektionen dehnen sich solche Extremereignisse zusätzlich sowohl räumlich als auch zeitlich aus und deren Häufigkeit nimmt zu", prognostiziert Ludwig.
Das schwere Hochwasser im Juli 2021 habe somit gezeigt, wie wichtig es ist, auf derartige Ereignisse vorbereitet zu sein und angemessen zu reagieren, so die Forschenden. Um die Resilienz, also die Widerstandfähigkeit im Falle von Katastrophen, zu erhöhen und somit Schäden und Opferzahlen zu verringern, gelte es daher, neben dem Gefahrenpotenzial auch die Verwundbarkeit von Systemen und soziale Aspekte miteinzubeziehen. Ein essenzieller Bestandteil von Resilienz sei dabei die Risikokompetenz der Bevölkerung, also das Wissen um angemessene und rasche Handlungsmöglichkeiten bei Eintritt einer Katastrophe.
Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology
(CEDIM)
Das CEDIM, eine interdisziplinäre Einrichtung des KIT, forscht zu
Katastrophen, Risiken und Sicherheit. Ziel ist, natürliche und
menschengemachte Risiken in einer sich rasch verändernden, von
Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und Klimawandel geprägten Welt
genauer zu verstehen, früher zu erkennen und besser zu bewältigen.
Dazu verbinden die Forschenden Risikoerfassung, Risikoanalyse,
Risikomanagement und Risikokommunikation und entwickeln darauf
aufbauend Konzepte zum Verbessern der Resilienz von Infrastrukturen
und Versorgung.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Als 'Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft' schafft
und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist
es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den
Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten
rund 9 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten
disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes-
und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 300 Studierenden bereitet
das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf
verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und
Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke
zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen,
wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen
Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen
Exzellenzuniversitäten.
Originalpublikationen
Susanna Mohr, Uwe Ehret, Michael Kunz, Patrick Ludwig, Alberto
Caldas-Alvarez, James E. Daniell, Florian Ehmele, Hendrik Feldmann, Mário J.
Franca, Christian Gattke, Marie Hundhausen, Peter Knippertz, Katharina
Küpfer, Bernhard Mühr, Joaquim G. Pinto, Julian Quinting, Andreas M.
Schäfer, Marc Scheibel, Frank Seidel, and Christina Wisotzky (2022): A
multi-disciplinary analysis of the exceptional flood event of July
2021 in central Europe. Part 1: Event description and analysis. Nat.
Hazards Earth Syst. Sci. Discuss.,
https://doi.org/10.5194/nhess-2022-137, in review.
Patrick Ludwig, Florian Ehmele, Mário J. Franca, Susanna Mohr, Alberto
Caldas-Alvarez, James E. Daniell, Uwe Ehret, Hendrik Feldmann, Marie
Hundhausen, Peter Knippertz, Katharina Küpfer, Michael Kunz, Bernhard
Mühr, Joaquim G. Pinto, Julian Quinting, Andreas M. Schäfer, Frank
Seidel, and Christina Wisotzky: A multi-disciplinary analysis of the
exceptional flood event of July 2021 in central Europe. Part 2:
Historical context and relation to climate change. In finaler
Vorbereitung für Nat. Hazards Earth Syst. Sci. Discuss.
Zur Presseinformation vom 22. Juli 2021
https://www.kit.edu/kit/pi_2021_070_hochwasserrisiken-wurden-deutlich-unterschatzt.php
Zum ersten Bericht des CEDIM zur Flutkatastrophe, Juli 2021
https://publikationen.bibliothek.kit.edu/1000135730
Weitere Informationen zum CEDIM:
https://www.cedim.kit.edu
swi, 08.07.2022
*
Quelle:
Pressemitteilung, 08.07.2022
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
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E-Mail: info@kit.edu
Internet: www.kit.edu
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 8. Juli 2022
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